Nachdem der Aurelier sich zu Wort gemeldet hatte, dachte Modestus einen Moment nach. Dann erhob er sich für eine Replik. Wie immer stützte er sich dabei auf seinen Gehstock, der laut klickte als er auf den marmornen Fußboden traf. Modestus schmunzelte einen Moment, denn das Geräusch erinnerte ihn daran, wie die Liktoren ihre Fasces auf den Boden schlugen, um für Ruhe zu sorgen.
"Als ehemaliger Statthalter kann ich die Bedenken des Quaestorius Aurelius aus der Welt schaffen. In der Tat ist es längst Praxis, dass die Statthalter durch die Provinzen reisen, um Gericht zu halten. Dabei haben sich gewisse Verfahrensweisen entwickelt und bewährt. Natürlich wird nicht jeder noch so kleine Ort besucht. Man richtet üblicherweise Gerichtsbezirke um eine größere Ortschaft an. An vorher verkündeten Terminen sitzt der Statthalter in diesen Ortschaften zu Gericht. Jedermann aus diesem Bezirk kann während der Gerichtstage Klage erheben. Wie man fast überall im Reich sehen kann, führt das nicht zu rechtslosen Räubernestern. Iudices gibt es in den einzelnen Gemeinschaften nicht und sind auch garnicht notwendig. Daher sehe ich auch keinen Grund vom bisher praktizierten Verfahren abzuweichen."
Modestus redete ruhig und gelassen über die den Sachverhalt und lies seine Blicke immer wieder über die Gesichter der Senatoren wandern. Den ungehobelten Angriff des Aureliers von vor kurzem hatte er noch nicht vergessen. Doch es war nicht seine Absicht sich nun an dem Mann zu rächen. Diese Art der Politik verabscheute er mit zunehmendem Alter immer mehr. Dabei sagte man, dass das Alter eigentlich streitsüchtig machte. Allerdings es gab nun einmal offensichtliche Probleme mit den Ideen des jungen Mannes, die zur Sprache gebracht werden mussten.
"Der Vorschlag des Quaestorius ist auch in anderer Hinsicht problematisch. Der Gerichtsstand ist dort, wo ich die Klage einreiche? Nun dann verklage ich meinen Nachbarn vom Esquilin am besten in der Provinz Asia. Hier in Rom schätzt mich der amtierende Praetor nicht, doch der Proconsul von Asia ist mein guter Freund Gaius Flaminius Cilo. Nun sagen wir mein Nachbar ist ein einfacher Bäcker. Er könnte es sich kaum leisten nach Asia zu reisen oder gar einen Advocatus dorthin zu entsenden. Gemäß dem Vorschlag des Quaestorius könnte ich aber so verfahren. Ist das gerecht? Sicherlich nicht. Es würde dem Kläger erlauben den Beklagten zu schikanieren und selbst den zuständigen Gerichtsherren auszuwählen. Das kann nicht in unserem Interesse sein."
Modestus machte eine kurze Pause um das Gesagte Wirken zu lassen. Unter diesen Voraussetzungen würde es reichen oder einflussreichen Männern noch leichter Fallen einfache Bürger um ihr gutes Recht zu bringen. Als Plebejer sah sich Modestus hier in der Pflicht. Wobei er sich nicht darüber hinwegtäuschte, dass er selbst keine weiße Weste hatte.
"Daher halte ich den ersten Änderungsvorschlag des Quaestorius Aurelius für ungeeignet. Nun will ich auf seinen zweiten Vorschlag zu sprechen kommen. Ich halte diese Änderung nicht nur für redundant, sondern auch für einen gefährlichen Eingriff in die Befugnisse des Imperator Caesar Augustus."
Wieder folgte eine kurze Pause, um seinen Worten die richtige Wirkung zu geben. Immerhin ging es um nichts weniger als den Princeps selbst. Doch er darauf zu sprechen kam, würde er die Spannung erst noch etwas aufbauen und andere Dinge thematisieren.
"Quaestorius Aurelius, nennt zwei Begründungen für seinen Vorschlag. Zum einen will er damit Fälle regeln, bei welchen Statthalter befangen sein könnten, sowie Klagen gegen amtierende Statthalter. Darauf muss ich antworten, dass das Recht keine Klagen gegen amtierende Statthalter erlaubt. Wie alle Inhaber des Imperiums genießen sie während ihrer Amtszeit rechtliche Immunität. Daher kann dies auch kein Anlass für eine Gesetzesänderung sein. Sollte ein Statthalter wegen seiner Befangenheit tatsächlich Rechtsbeugung begehen, dann ist es nach wie vor üblich ihn nach seiner Amtszeit vor Gericht zu bringen. Auch kann sich ein Bürger stets an den Senat oder den Imperator Caesar Augustus wenden. Dafür müssen wir kein Gesetz ändern. Davon abgesehen halte ich es für übertrieben alle Statthalter unter den Generalverdacht der Rechtsbeugung zu stellen."
Fuhr Modestus fort. Alle schlugen herzlich gerne auf die ach so korrupten Statthalter ein. Die Tatsache, dass man nach jeder Amtszeit sofort verklagt werden konnte, war für die meisten Abschreckung genug. Zumindest für die, die nicht schon von sich aus ehrlich waren. Dann fuhr er gelassen mit seinen Ausführungen zur Coercitio fort.
"Der zweite Punkt, den der Quaestorius anführt, sind besondere Fälle von öffentlichem Interesse. Wenn die Öffentlichkeit es verlangt, soll ein solcher Fall in Rom verhandelt werden. Dazu kann ich nur sagen, dass es bereits eine Regelung dafür gibt. Die Coercitio Extraordinaria erlaubt es dem Imperator Caesar Augustus solche Fälle an sich zu ziehen und von Richtern seiner Wahl verhandeln zu lassen. Wofür brauchen wir also noch eine zweite Regelung?"
Die Frage von Modestus verhalte im Raum, bevor er mit dem letzten Thema und vielleicht auch aufregendsten Thema begann. Und zwar warum der Vorschlag des Aureliers im Hinblick auf den Kaiser so problematisch war. Im selben, gelassenen Tonfall fuhr er fort.
"Viel problematischer ist jedoch, dass dieser Änderungsvorschlag die Befugnisse des Imperator Caesar Augustus in Frage stellt. Die proconsularische Amtsgewalt des Imperator Caesar Augustus ist eine Grundlage des Kaisertums. Die Rechtsprechung in den ihm unterstellten Provinzen ist damit untrennbar verbunden. Eine Einmischung des Senats oder der Praetoren in die Vorrechte des Imperator Caesar Augustus ist nicht hinnehmbar. Der Senat hat Tiberius Aquilius Severus Augustus sein Vertrauen ausgesprochen. Ich sehe daher keinen Grund, warum er nun bei der kaiserlichen Rechtsprechung intervenieren sollte."
Manch anderer hätte dem Aurelier deshalb vielleicht Hochverrat angedichtet. Aber auf dieses Niveau wollte sich Modestus nicht herablassen. Dies war der Senat. Jeder sollte seine Meinung kund tun können. Und wenn die eigene Meinung einmal von der Mehrheit abwich, dann war dies auch kein Weltuntergang. Oder Grund einem anderen den Kopf abzureisen. Er hoffe, dass man bald wieder zur Gravitas früher Generationen zurückfinden würde und wandte sich ein letztes Mal an die Senatorenschaft.
"Ich rate daher dringend von den Änderungsvorschlägen des Quaestorius Aurelius ab und empfehle dem Senat die Version des Consular Duccius zu verabschieden."