Lucius Battiacus und Esquilina
Es war etwas über eine Woche vergangen, seit dem Appell den Einsatz wegen der Seuche in Mantua offiziell abgeschlossen hatte. So lange hatte es noch gedauert, bis die Dinge der ersten centuria, erste cohors wieder ihren geregelten Gang gingen. So lange, dachte sich Licinus bekümmert, hatte es gedauert, bis alle Grabsteine geschlagen, graviert und aufgestellt waren. So lange, bis alle Verstorbenen einen würdigen Abschied bekommen hatten.
Und natürlich bis alle Verwaltungsangelegenheiten abgeschlossen waren. Nun hatte Licinus sich drei Tage Urlaub ausbedungen. Länger wollte er die castra nicht verlassen, aber kürzer? Ein Tag zum hinreiten, einen, den er auf seinem Landgut verbringen konnte und einen, um zu seiner legio zurückzukehren.
Ob es die kleine villa rustica wohl auch getroffen hatte? Bis dahin hatte er noch nichts vom „alten Batti“, seinem Verwalter gehört. Andererseits konnte es auch Vorsicht gewesen sein, um sich die pestis nicht auf den Hof zu holen.
In trüben Gedanken saß Licinus auf dem Pferd, dass er sich bei den Reitern ausgeliehen hatte. Ein eigenes besaß er immernoch nicht, zu ungern ritt er, auch wenn es langsam besser ging. Tatsächlich schien der decurio sogar froh darüber zu sein, dass sie ein Pferd weniger bewegen mussten. In einem langsamen Trab ging es vorwärts und gegen Abend konnte man die Stadtmauern von Cremona ausmachen, eingie Zeit später erkannt er rechts davon die Silhouetten der Gebäude seines Landgutes.
Zwar wollte er das Pferd nicht zum Galopp antreiben, so weit käme es noch, dass er das ohne Not tat, aber er ließ es in einen etwas schnelleren Trab fallen. Schon von der Hauptstraße aus konnte er sehen, dass das Tor offen stand, ein Umstand der ihn die Luft anhalten ließ. Es hatte keine Meldungen über ein übergreifen der pestis bis hierher gegeben. Es hatte keine Meldungen gegeben, sagte er sich immer wieder. Unbehaglich war es ihm zu Mute, als er von der via auf die Schotterstraße einbog, die schon durch seine Felder ging. Und ein Stein viel ihm vom Herzen, als er durch das geöffnete Tor sah. Innen setzte sich nämlich gerade ein schwerer Ochsenwagen in Gang, der auf das Tor zuhielt. Licinus beschleunigte noch ein bisschen und betrat das Gelände just bevor der Ochsenkarren es verließ. Schnell wurden noch Grüße mit dem Fahrer des Wagens ausgetauscht, dann war er auch abgehakt.
Licinus stieg ab und winkte einen der Sklaven auf dem Hof zu sich heran:
“Arion, kümmer dich um das Pferd!“ befahl er ihm. Der Sklave antwortete sofort: “Jawohl dominus!“
“Übrigens, Arion, wer war das eben?“ “Ein Obsthändler. Er hat uns die Frühernte der Kirschen abgenommen.“
Da wird sich Esquilina aber ärgern, dachte Licinus in sich hinein, aber Battiacus Frau wird ihr schon ein paar für die heißgeliebte Honigkirschen aufgehoben haben. Denn wenn es nach der Kleinen ging, dann würde sie sich ausschließlich von diesen ernähren.
Mit einem Wink entließ Licinus den Sklaven samt Pferd und steuerte auf die Haustür zu, ohne sich lang aufzuhalten trat er ein, durchschritt den porticus und rief laut in das atrium:
“Haaaaalllooooooooo?! Ist hier irgendjemand?!“
Das nächste, was Licinus hörte war ein Schlag, dann den Zug einer Tür, das Gemecker eines älteren Mannes und schlussendlich einen jauchzenden Freudenschrei.
Esquilina, hatte gerade Schreibstunde gehabt und als sie die Stimme erkannte, war sie aufgesprungen, hatte dabei ihren Stuhl rückwärts umgeschmissen und aus dem Zimmer gelaufen , als sie Balustrate erreichte blieb sie stehen, sah hinab und stieß einen Freudenschrei aus:
Maaaarcuuuus! Du bist gesuuuund“. Der Lehrer hatte dies mit vorwurfsvollem Gemurmel kommentiert und wollte ihr schon eine Drohung mit dem Stock hintterherrufen, als er an Esquilinas Ausruf erkannte, dass es sein Herr sein musste, der dort gerufen hatte. Also schwieg er lieber und murmelte weiter vor sich hin.
Das Mädchen wäre ohnehin durch nichts zu halten gewesen, schon schoss sie die Treppe hinunter, schlug einen Haken um das Impluvium und fiel ihrem Adoptivvater (naja, zumindest inoffiziellem) in die Arme.
Als Licinus sie drückte flüsterte sie:
“Ich hab Angst gehabt. Alle haben gesagt, die Leute in Mantua werden ganz schlimm krank!“
“Ich hab mir auch Sorgen um euch gemacht,“ antwortete Licinus und drückte sie feste an sich. “Seid ihr denn alle gesund?“
“Ja, hier ist keiner krank geworden. Lucius hat gesagt, dass wir alle unter eine Kuhträne stehen. Das heißt, dass niemand durch das Tor darf. Aber da darf ich ja eh nicht durch. Nur was das mit einer Kuh zu tun hat, hab ich nicht verstanden. Erklärst du es mir?“ fragte sie mit ihren großen Augen, während Licinus versuchte ein Lachen zu unterdrücken.
“Nicht Kuhträne, Esquilina, Quarantäne. Das ist griechisch, weißt du, und das heißt, dass keiner mehr raus oder rein darf.“
“Griechisch?“, fragte die kleine und sofort kam ihr eine Konsequenz, die ihr nicht zu passen schien. “Muss ich das etwa auch lernen? Weil schreiben und rechnen ist schon ganz anstrengend und…“ irgendwie wollte ihr kein gutes Argument mehr einfallen, also verlegte sie sich darauf, Licinus anzulächeln.
“Nein, musst du nicht. Ich kann auch kein griechisch. Naja, zumindest nicht viel.“
“Was kannst du denn?“, fragte sie, weil vielleicht war es ja doch nicht so schlecht, wenn man etwas Griechisch konnte. Aber Licinus wurde davor bewahrt, seine rudimentären Kenntnisse vorzuführen, denn in diesem Moment tönte hinter den beiden eine Stimme:
“Soso, lässt du dich also auch ma wieder hier blicke?! Hättst dem Boten ruhig ma ne Antwort mitgewwe könne. Mir sin hier vor Sorje fast umgekomme.“
Die Stimme, es war natürlich Battiacus, sonst nahm sich hier niemand einen solchen Tonfall heraus, klang in der Tat etwas angefressen. Umso erstaunter war Licinus.
“Salve et tu, Battiacus. Die allen Göttern, von was für einem Boten sprichst du denn. Ich hab im Lager seit Ende der Epidemie keine Post mehr erhalten.“
An Battiacus Statt antwortete Esquilina, die nicht im geringsten einsah, warum a) sie sich nicht an diesem Gespräch beteiligen sollte und b) Licinus sich im Moment überhaupt um was oder wen anderes als sie kümmern sollte.
“Wir haben dir einen Brief geschrieben, damit du weißt, dass wir gesund sind. Du hast den nicht bekommen? Es war mein erster selbst geschriebener Brief,“ sagte sie, als Läge hierin die wirkliche Tragik dieser Sache. Natürlich hatte sie sich schon genau ausgemalt gehabt, wie Licinus den Brief bekommen würde und wie stolz er auf sie sein würde.
“Ich habe keinen Brief bekommen,“ konnte Licinus nur sagen und das Mädchen machte ein immer traurigeres Gesicht. An Battiacus gewandt fuhr er fort: “Du solltest dir den Boten mal vorknöpfen.“
“Da verlass dich mal drauf,“, entgegnete der Veteran grimmig und Esqulina maulte trotzig: “So ein blöder Bote. Mein schöner Brief.“
“Na komm, Mädchen, ist schon gut., versuchte Licinus sie zu trösten und wischte ihr eine Träne aus dem Augenwinkel. “Jetzt bin ich ja da. Und dann schreibst du mir einen neuen Brief, wenn ich wieder weg bin. Einen ganz besonders schönen.“
Dann erhob er sich und setzt sich die kleine wieder auf die Hüfte.
“Aber erstmal muss ich jetzt baden. Kannst du bitte das Wasser anheizen lassen, Battiacus. Und später berichtest du mir dann, was hier vorgefallen ist in den letzten Wochen, okay?“
“Natürlich, ich sorge dafür.“ Es war ja nicht so, dass Battiacus nicht verstand, dass die kleine Waise ihren Retter jetzt für sich haben wollte. Und dennoch dachte er mal wieder, dass Licinus das Mädchen verzog. Aber das sagte er nicht laut, sondern zog sich zurück um alles zu organisieren.
“Und Battiacus!“, rief Licinus ihm nach. “Was hältst du morgen von einem kleinen Fest, als Dank dafür, dass wir alle gesund geblieben sind?“
Tatsächlich hielt er es für eine hervorragende Idee, allein schon, weil das bedeutete, dass es was besonders gutes zu Essen geben würde und so versprach er sich darum zu kümmern. Mit anderen Worten: Ein anständiges Spanferkel auf den Tisch zu bringen.