Zitat
Original von Quintus Octavius Augustinus Minor
Ich nickte dankend.
Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, und dem Ehepaar noch einmal das Beste für die Zukunft gewünscht hatte, verließ ich die Hochzeitsfeier...
Seltsam dachte Plotina, als sie sich eine schöpferische Pause von ihren Erzählungen über Alexandria gönnte - seltsam, wie die Zeit allein alles unter den Sternen verändert, und welchen Wandlungen die Menschen im Laufe ihres Lebens ausgesetzt sind. Es war doch noch gar nicht so lange her, dass Plotina allein den Weg von Ostia nach Rom gegangen war und dann ihre ersten Schritte in der ewigen Stadt gemacht hatte. Wie allein war sie sich in den ersten Tagen vorgekommen! Wie fremd unter all diesen lateinisch sprechenden Menschen! Wie viel Heimweh nach Aegyptus hatte sie gehabt!
Soviel Zeit war eigentlich noch gar nicht vergangen - und doch: Eigenartig fremd kam Plotina nun das Gespräch über das Land am Nil vor. All das schien schon so weit hinter ihr zu liegen; und an manches konnte sie sich tatsächlich gar nicht mehr genau erinnern. Dabei freute sie das große Interesse, welches man Alexandria und Aegyptus in dieser Runde offenbar entgegenbrachte, auch wenn es eher beruflicher Natur war wie bei dem jungen aufstrebenden Germanicus Octavianus, der es nun ziemlich eilig hatte, sich zu verabschieden; die Karriere wartete wohl nicht. Plotina wünschte ihm ein aufrichtiges
"Vale!"
hinterher. Sie bemerkte allerdings auch, dass der kurze Gedankenaustausch mit ihm in ihr ein merkwürdiges Gefühl hinterlassen hatte. Was war passiert? Einen Moment lang schaute sich Plotina ratlos um, wobei ihr Blick ihren Cousin streifte - und auf der Stelle war ihr klar, was sie die ganze Zeit unbewusst gestört hatte: Lupus hatte sie während ihres Gesprächs mit Germanicus Octavianus lauernd angesehen und mit dem gleichen Blick auch immer wieder in die Runde geschielt. Ein Mal war es ihr sogar so vorgekommen, als hätten die beiden milites Germanicus Octavianus und Sergius Lupus einander zugezwinkert. Betrachtete ihr eigener Cousin sie nun also als eine Art Schaustück, eine Rarität, die man zur Belustigung vorzeigen konnte? Sie wusste natürlich, dass er einige ihrer Ansichten nicht teilte und auf ihre Lebensweise nicht stolz war, aber das ging zu weit. Na warte ....
"Lupus, dich habe ich ja ganz vernachlässigt! Es ist schade, dass du uns allen während des Gesprächs mit Germanicus Octavianus deine Meinung zu diesen Dingen vorenthalten hast! Nun aber spann uns nicht länger auf die Folter: Wäre das nicht auch etwas für dich, nach Alexandria zu gehen, gerade jetzt, da du Capsarius geworden bist? Immerhin ist Ägypten ja berühmt für seine Heilkunst. Und du hörst ja selbst, welch vornehme und bedeutende Persönlichkeiten du dort beschützen könntest, z.B. Artoria Medeia."
Die entsprach ja sicherlich mehr Lupus' Vorstellungen von einer vollkommenen Frau - so glaubte jedenfalls Plotina ihren Verwandten durchschaut zu haben. Schleunigst wandte sie sich von ihm ab, um ihm für den Moment die Möglichkeit einer Erwiderung abzuschneiden; innerlich allerdings war sie aufs Höchste gespannt, was er antworten würde.
Um sich keiner maßlosen Völlerei hinzugeben, langte Plotina jetzt zu keiner weiteren Frucht, sondern ließ sich noch einen Becher gemischten Wein geben, allerdings einen mit nur wenig Wein, denn bei einem Gespräch mit einer Artoria Medeia über Aristoteles sollte man nicht zuviel gekippt haben.
"Ich stimme dir, Medeia, vollkommen zu, was den unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad von Platon und Aristoteles angeht. Platons Stil lädt dazu ein, ihn wie einen Mythos zu lesen. Doch schon seit einiger Zeit werden viele Aspekte seines umfangreichen Werkes ja gerade in Alexandreia von ganz neuen Perspektiven her problematisiert; es scheint sich eine regelrechte Schule herauszubilden."
Einen Moment lang überlegte Plotina, ob sie nun hier den Teilhabe-Gedanken bei Platon oder vielleicht die Gotteslehre des Aristoteles zum Thema machen sollte. Sie entschied sich aber dagegen und füllte die Gesprächspause mit einem Lächeln, mit dem sie das warme Strahlen ihrer Gesprächspartnerin erwiderte.
Zitat
Original von Artoria Medeia
„Eine doch im Grunde erstaunliche inhaltliche Linie, die wir verfolgen. Erst sprachen wir über Aristoteles und nun über Alexandria, die Stadt Alexanders und Schüler des Aristoteles. Manche Kreise fügen sich wie von selber zusammen.“
Begeistert verfolgte Plotina, wie die gebildete Artorierin spielend von der Philosophie über die Historie wieder zu Alexandria hinüberleitete. Sie selbst konnte sich nicht enthalten, dazu einen gewissen Beitrag zu leisten:
"Aber Vorsicht mit den Philosophen und ihren hochgestellten Schülern. Wenn ich da an einen gewissen Zögling unseres Seneca denke ..."
Die Sergierin brauchte nicht weiterzusprechen, denn das von ihr angedeutete Thema würde sicher noch die Phantasie vieler Jahrzehnte, ach was, Jahrhunderte beschäftigen. So griff Plotina lieber wieder - ja, sie war schwach - zu einer Kirsche, die sie ohne große Umstände in ihrem Mund versenkte. Dort hätte diese sicherlich auch das übliche Schicksal einer Speisekirsche ereilt, nämlich zermalmt zu werden, wenn Medeia nicht unvermittelt die Frage gestellt hätte, ob dem Bericht des Plutarch zu trauen sei, dass im alexandrinischen Gymnasion Männer und Frauen zusammen nackt trainierten. Plotina war nicht wenig schockiert über diese Frage, für die sie in ihrer Jugend von ihrem Paedagogos einen langen Stubenarrest erhalten hätte. Auf der anderen Seite - Plotina wusste nicht, wieso - machte diese Frage Medeia in ihren Augen noch sympathischer und interessanter. Die besagte Kirsche jedenfalls rutschte infolge des leichten Schocks unzerkaut in Plotinas Hals, und es kostete die Sergierin einige Mühe, sie schließlich ohne größere Unfälle hinunterzuwürgen. Diese Zeit nutzte sie, um eine Antwort auszudenken, die sie dann auch äußerte, allerdings mit gedämpfter Stimme:
"Medeia, soll ich dir diese Frage wirklich hier beantworten - in Gegenwart deines Gemahls?"
Dabei sah sie sie interessiert an.