Beiträge von Sergia Plotina

    Sicherlich hatte es nur einen kurzen Moment gedauert, bis aus dem Inneren des Officiums der Einladungsruf erscholl. Plotina kostete in jenem Augenblick aber aus, was die Leute meinten, wenn sie so oft sagten, dass sie einen Moment wie eine Ewigkeit empfunden hätten. Ihre Aufregung war fast noch größer geworden. Seltsamerweise kam ihr überhaupt nicht der Gedanke in den Kopf, dass er vielleicht nicht da sein könnte. Sie war hier, also musste er auch da sein.


    Da ertönte aus dem Inneren ein leises "Nur herein!" Als hätte man im Theatrum ein Zeichen gegeben, dass alle unangenehmen Regungen sich zu legen hätten, fiel bei diesen Worten die aufgereizte Nervosität von Plotina ab. Stattdessen stieg eine fast verrückte Freude in ihr auf, und zu gleicher Zeit wurde sie ruhig und ganz gewiss. Sie schaffte es ohne Schwierigkeiten, trotz ihrer beladenen Hände die Tür zum Officium zu öffnen und, als sie einmal eingetreten war, auch wieder zu schließen.


    Dann wandte sie sich sofort um zu dem Mann, dessen Stimme sie durch die Tür hindurch sofort erkannt hatte, und sah ihn einen Moment lang strahlend an. Dann sagte sie in Koine einfach nur


    "Chaire!"


    zu ihm.

    Vonones und seine Faxen .... Plotina seufzte unwilkürlich, nachdem ihr Kamerad im wahrsten Sinne des Wortes abgetaucht war. Die Zeit, die er auf dem kühlen Grunde verbringen würde, wollte sie nutzen, um nachzudenken.


    Hm, einerseits wäre es ihr natürlich ganz recht, wenn Vonones sie nach Aegyptus begleiten würde. Eine solche Reise wiederum allein antreten zu müssen, war, wie sie ja bereits hatte lernen müssen, nicht ganz ungefährlich.


    Andererseits war sie sich nach wie vor nicht darüber klar, was er eigentlich von ihr wollte. Eine Aufgabe, hatte er gesagt. Plotina wusste nicht einmal, was für eine Aufgabe er genau in seiner Heimat gehabt hatte; es musste etwas Hohes gewesen sein, denn er hatte sich in dieser Frage immer sehr bedeckt gehalten. So etwas würde sie ihm natürlich gar nicht bieten können.


    Und nach Tyrus wollte sie auf keinen Fall. Wer waren eigentlich Sulla und Drusilla? Diese Namen hatte sie überhaupt noch nicht gehört, aber es waren zweifellos römische Namen.


    Plotina setzte sich ins Gras und blickte in den blauen Frühlingshimmel.

    Plotina hatte sich, während sie auf die Antwort ihres Gesprächspartners wartete, weiter im Inneren des Ladens umgesehen. Als sie ihren Blick wieder auf Antipater richtete, erschrak sie. Sein Gesicht hatte sich gefährlich verfärbt, außerdem begann er zu husten.


    "Antipater, was ist mit dir? - Salve, Wirt, komm schnell und bring Wasser!"


    Plotina war auf Antipater zugegangen und hatte ihre Hand auf seinen Arm gelegt. Besorgt sah sie ihn an. Ihre Frage an ihn hatte sie aber nicht vergessen.

    Natürlich hatte Plotina ihre Frage nicht so ganz ernst gemeint, aber als sie sah, wie blass Lupus wurde, nachdem sie das Thema Heiraten angeschnitten hatte, hatte auch ihr einen Moment lang der Atem gestockt: Nicht, dass er ihr jetzt noch einen Antrag machte! 8o


    Zum Glück erwies sich diese ihre Furcht aber auch sofort als unbegründet, und Plotinas kurzzeitige Anspannung entludt sich in einem lauten Lachen.


    "Gute Götter, da bin ich aber froh! Weißt du, seitdem ich hier in Rom bin, habe ich auch schon mit einigen Frauen gesprochen, und viele haben mir erzählt, dass ihre Verwandtschaft keine Ruhe gegeben hat, bis sie endlich verheiratet waren. Ich bin sehr erleichtert, dass du mich damit nicht unter Druck setzt, denn, ehrlich gesagt: Ich wollte auch so bald nicht heiraten, ich wüsste auch gar nicht, wen."


    Plotina schmunzelte noch immer in sich hinein. Dann wandte sie sich mit einem Ruck wieder ihrem Cousin zu:


    "Aber wenn du für dich jemanden ins Auge gefasst hast - vielleicht kann ich einen Kontakt zwischen euch herstellen. Du bist immerhin ein ausgesprochen gutaussehender Mann."

    Der Frühling stand nun kurz davor, in den Sommer umzuschlagen, die Tage wurden immer länger, die Sonne brannte heißer, und ab und an ging ein Gewitter vom Himmel hernieder. Seit den Parilia war einige Zeit ins Land gegangen. Die Reden auf der Rostra, die Plotina an jenem Tag gehört hatte, schwebten nur noch als ferner Nachklang in ihrer Erinnerung. Andere Bilder jenes Tages hatten sich in den Vordergrund gedrängt, vor allem eines, das die Sergierin gar nicht mehr aus dem Kopf bekam auch wenn sie unbewusst dagegen kämpfte.


    Es war dies nicht das Bild, das sie selber geboten hatte, nachdem ihr dieser - noch immer erregte allein das Wort eine gewisse Übelkeit in ihr - dieser Flusskrebs auf den Magen geschlagen war. Davon hatte sie sich natürlich lange schon erholt, vor allem nachdem sie in der gemieteten Sänfte wieder zu Hause angekommen war. Erst dort und an den ersten Tagen danach hatte sie eigentlich realisiert, wie ungeheuer peinlich der ganze Vorfall gewesen war. Sie schämte sich zu Boden - und doch wieder nicht, denn die beiden Freunde, mit denen sie unterwegs gewesen war, hatten sich derartig liebevoll um sie gekümmert, dass für Scham und Peinlichkeit fast gar kein Platz mehr war.


    Und da war wieder dieses Bild.


    Plotina schüttelte ihren Kopf, als könnte es ihr auf diese Art gelingen, das Bild zu vertreiben. Jedenfalls war es hohe Zeit für sie, sich bei ihren beiden "Rettern" zu bedanken. Plotina war ein dankbarer Mensch, der Dinge nicht einfach selbstverständlich nahm. Und doch hatte sie so lange gebraucht, ihren Weg zur Schola Atheniensis anzutreten, und so lange mit ihrem Dank an Theodoros gewartet. Irgendetwas war ihr nicht geheuer gewesen, nein, nicht etwa an Theodoros. An ihr selbst, ein merkwürdiges Ziehen in ihr, das sie nicht kannte.


    Sie irrte nun schon seit einiger in den Gängen der Schola und hatte das Gefühl, immer im Kreis herum zu laufen. Dabei standen ihr fast Tränen in den Augen, so weh tat das Ziehen in ihr, und sie wusste nicht, wie ihr war. Einige Male musste sie schon an dem Türschild vorbeigelaufen sein, auf dem sein Name stand; jetzt stand sie wieder davor, und bemühte sich, die deutlich geschriebene Schrift zu entziffern. Sie wusste ja schon, dass hier sein Officium war, sie hatte es unbewusst schon das erste Mal gelesen, als sie hier vorbeigelaufen war. Und nun, nun würde sie anklopfen, ganz bestimmt würde sie anklopfen. Sie hob ihre Hand, und ihr Herz schlug ihr fast bis zur Kehle hoch.


    "Klopf, klopf."


    Ganz leise.

    Plotina musste lachen.


    "O ja, wir sind hier in Rom, Vonones, hier geht es bürokratisch zu. Äh, ich darf doch annehmen, dass du den Praetorianern jede Woche einen Bericht über dein Betragen übermittelst? So einen Bericht werde ich als deine Patronin übrigens auch verlangen; wie ich dich kenne, werde ich dich im Auge behalten müssen."


    Sie sah ihn schelmisch an, wurde dann aber wieder ernst.


    "Nein, Vonones, aber sag' mir: Was hast du vor? Ich weiß nämlich, ehrlich gesagt, gar nicht, ob ich noch sehr lange in Rom bleiben werde. Ich bin damals ziemlich übereilt aus Sais aufgebrochen - du weißt ja, es ging mir damals nicht gut -, und eigentlich müsste ich noch einmal zurück, um bestimmte Dinge zu erledigen."


    Nachdenklich fügte sie hinzu:


    "Und leider ist von der Gens ja auch nicht so viel übrig, jedenfalls im Moment."

    Was heißt eigentlich konventionell? Plotina musste schlucken, als sie die Frage hörte. Hilfesuchend sah sie sich zu Varena um, doch dann beschloss sie, dass sie selber versuchen wollte, diese Frage zu beantworten. Um Zeit zu gewinnen, sagte sie erst einmal:


    "Also, nochmal: Salvete, Stella und Leni!"


    Dann dachte sie stark nach, und auf einmal hellte sich ihr Gesicht auf.


    "Konventionell heißt einfach, dass etwas so ist, wie es immer ist, so wie alle es erwarten, nichts Besonderes, nichts Neues, keine Überraschung."


    Dann blickte sie die beiden Mädchen wieder unsicher an: Die beiden schienen sehr kritisch zu sein; Plotina fühlte sich fast wie bei einer Prüfung.


    "Habe ich dir damit etwas geholfen?"


    Jetzt fiel ihr Blick aber auch auf den Mann, der schräg vor ihr saß. Bisher war er ihr gar nicht sonderlich aufgefallen, aber Stella hatte schon Recht: Er war wirklich ziemlich dick, und hinter ihm konnten die Mädchen mit Sicherheit nicht viel sehen und hören.


    "O je, ich kann mir vorstellen, dass ihr nichts seht. Ist es hier vielleicht besser?"


    Plotina rückte ein bisschen auf, um den Mädchen Platz zu machen.

    Plotina bemerkte die Verwirrung ihres Cousins, und seine Frage war ja auch eine direkte Aufforderung an sie, sich zu erklären. Das verunsicherte sie nun doch, und ihr Lächeln geriet etwas gequält. Denn in solchen Dingen war sie stets genant.


    "Ja, also - weißt du wirklich nicht, wie ich das meine?"


    Nein, Lupus wusste wirklich nicht, wie sie das meinte; er war ein offener und direkter Typ und hätte sie das sonst nicht gefragt. Also gut.


    "Naja, ich hoffe, du erwartest jetzt, wo ich hier in Rom bin, von mir nicht sofort, dass ich heirate und Kinder bekomme. Wegen der Gens, meine ich."

    Noch immer ließ Plotina die Worte der "Antigone" und ihre eigenen Gedanken in ihrem Geist nachklingen, als sich plötzlich eine Kinderstimme in dieses stumme Orchester mischte. Plotina blickte auf. Bisher war sie ganz auf ihre Sitznachbarin Varena fixiert gewesen, und so bemerkte sie erst jetzt ganz in ihrer Nähe zwei Mädchen, die einander sehr ähnlich sahen und sich an den Händen hielten. Ob das Zwillinge waren? schoss Plotina gleich durch den Kopf. Aber hatte nicht eine von ihnen etwas gefragt?


    Plotina war sich nicht sicher; sie lächelte die Mädchen daher verlegen an und rieb sich an ihrer großen Nase, beugte sich zu ihnen und flüsterte:


    "Salvete, ihr beiden! Sagt mal, habt ihr mich gerade etwas gefragt? - Ich heiße übrigens Plotina!"

    Zitat

    Original von Decima Lucilla


    Und wieder öffnete Plotina ihren Mund und ließ ein Stück des stark gewürzten, köstlichen Fleisches hinein verschwinden. Währenddessen blickte auch sie in die Arena, wo sich im Augenblick aber nicht viel tat, sehr zum Missfallen ihrer temperamentvollen Sitznachbarin, die sich faules Obst in die Hände wünschte, um damit die Kämpfenden zu bewerfen. Als Plotina das hörte, musste sie, noch mit halbvollem Mund, lachen.


    "O ja, ich merke schon, vor euch Decimern muss man sich vorsehen! Ihr habt aber wirklich ein heißes Temperament; da bin ich schon froh, dass ich im Prügeln so geübt bin!"


    Plotina brach jetzt in Gelächter aus und musste sehr aufpassen, dass sie sich nicht verschluckte. Als auch sie sich wieder abgekühlt hatte, setzte sie hinzu:


    "Vor allem, wenn man, wie du sagst, fast in jeder Ecke des Imperiums auf jemanden von euch trifft - und sei es auf einem Kamel reitend."


    Sie sah Lucilla lachend an.


    "Ach ja, es ist schon wirklich was Schönes, wenn man eine so große Familie hat. Leider ist das ja bei uns daheim derzeit nicht der Fall. Dafür drängt mich natürlich auch niemand, alsbald zu heiraten. Aber für solche Heiratspläne, wie sie im Hause der Gens Decima geschmiedet werden, wäre ich ja sowieso keine gute Partie."


    Im Vollgefühl ihrer Freiheit lehnte sich Plotina bequem auf ihrem Sitz zurück, allerdings empfand sie für einen Moment auch ein seltsames Gefühl von Traurigkeit, das sie sich nicht erklären konnte, aber auch nicht hinterfragte. Dafür fielen ihr nun wieder die Heiratspläne der Lucilla ein - und die Senatoren. Plotina richtete sich wieder auf.


    "Du, das mit der Fußbodenheizung - das stimmt also? Ich dachte immer, das wäre ein Witz .... Aber nun ja, manche Senatoren sind ja sicher auch schon älter, und man weiß ja nicht, wie man selbst im Alter so sein wird."


    Dabei versuchte Plotina ein ernstes Gesicht aufzusetzen, doch sie musste schon wieder lachen.


    "Aber im Ernst, diese Männer tragen ja auch eine große Verantwortung, da gönne ich ihnen die Annehmlichkeiten gerne - und natürlich auch solche Frauen wie dich." :D

    Plotina hatte sich schon umgewandt, als Theodorus sie noch einmal freundlich ansprach. Sofort blieb Plotina stehen und blickte ihn voller Dank an; immerhin hatte sie ja gemerkt, wie sehr er sich vor ihr geekelt hatte, und nun überwand er sich so sehr! Einen Moment stand Plotina sprachlos da; dann sagte sie:


    "Theodorus, du bist immer herzlich eingeladen! Obwohl ich dir anvertrauen muss, dass ich dir nicht viel werde bieten können ... Aber das ist ein anderes Thema."


    Plotinas Blick verdüsterte sich für einen Moment. Dann richtete sie ihn jedoch wieder auf den Alexandriner.


    "Dann bin ich mal gespannt, wer wen zuerst besucht!"


    Und dabei lächelte sie fast schon wieder schelmisch. Zu Verus gewandt, fügte sie noch hinzu:


    "Du bist mir natürlich auch immer herzlich willkommen, zumal ich jetzt sehe, dass ich wohl wirklich nicht genügend Geld bei mir habe. Aber wie gesagt, ich komme sonst, und bringe es dir nach Hause. Und noch einmal vielen Dank für alles! Valete! Und denkt nicht zu schlecht von mir, bitte!"


    Diese letzten Worten hatte Plotina an beide Männer gerichtet, denen sie noch einmal zunickte. Dann begab sie sich zum Ausgang des Etablissements.

    Plotina hörte dem sacerdos mit großer Aufmerksamkeit zu und musste bei einigen seiner Bemerkungen ebenfalls lächeln, erinnerten sie sie doch an die Erzählungen, denen sie in ihrer Kindheit und Jugend so oft gelauscht hatte. Gleichzeitig gingen ihr unzählige Gedanken durch den Kopf. Einige von ihnen bahnten sich jetzt ihren Weg auf Plotinas Lippen, und noch ehe sie es sich recht versehen hatte, fing sie auch schon an zu sprechen.


    "Ich danke dir sehr für deine Belehrung! Vielleicht siehst du an meinem Lächeln, dass mir unsere alten Erzählungen, auf die du anspielst, wohlbekannt sind. Und glaub mir, ich bin heilfroh, dass die Götter mit uns so nachsichtig sind!"


    Dabei musste Plotina lächeln und blickte auf ihre Fußspitzen. Dann sah sie wieder auf.


    "Wenn ich eben gesagt habe, dass die Götter vielleicht vielmehr auf unser Handeln sehen, sollte das nicht meinen Wunsch nach Bestrafungen ausdrücken. Eher umgekehrt: nach Hilfe."


    Irgendwie spürte Plotina noch, dass sie jetzt zuviel sagen würde, aber es gelang ihr nicht mehr, sich zu bremsen.


    "Verstehst du, ich zweifle nicht, dass die Götter unsere Ernten segnen. Aber manchmal spüre ich in mir selber so einen Zwiespalt: Ich möchte das Richtige tun, doch dann bin ich schwach. Und kann ich damit dann zu den Göttern gehen? Du sagst doch selbst: Sie haben so viel mit sich zu tun ..."

    In diesem Augenblick aber ging das Geschehen auf der Bühne weiter: Der Chor der thebanischen Alten betrat die Bühne. Plotinas Kopf drehte sich sofort wieder in die entsprechende Richtung; sie lauschte andächtig den Strophen.


    Als der Chor geendet hatte, ließ Plotina dessen wohlbekannte Worte noch eine Weile in ihrem Inneren nachklingen. Dann wandte sie sich aber wieder ihrer Gesprächspartnerin zu:


    "In diesen ganzen griechischen Tragödien haben mich die Chöre fast immer am meisten beeindruckt. Aber ich kann mir nicht helfen: Diese Aufführung, der wir hier im Moment beiwohnen - sie erscheint mir irgendwie so konventionell, ja fast routiniert gespielt."


    Die Sergierin blickte versonnen vor sich hin.

    Nur mit halbem Ohr hörte Plotina auf das, was Theodorus ihr sagte, denn sie sah in seinem Blick deutlich, wie sehr er sich in diesem Moment vor ihr ekelte. Und sie konnte ihn ja auch verstehen.


    "Irgendwie ... irgendwie haben die Götter dieser unserer ersten Begegnung nicht ihren Segen geschenkt. Erst hat man dich bestohlen, und jetzt das hier."


    Plotina sah an sich herunter, aber nur ganz, ganz kurz.


    "Erlaubst du trotzdem, dass ich dich in deiner Bibliothek besuche? Du kannst ruhig sagen, wenn du das nicht mehr willst."

    In diesem Moment kam Verus wieder in die Taberna gelaufen und brachte die gute Kunde mit sich, dass er eine Sänfte hatte finden können, die nun unten auf Plotina warte. Die Sergierin sah ihn dankbar an.


    "Ach, vielen Dank, Verus! Was das Geld angeht, das zahle ich natürlich an dich zurück, das versteht sich ja von selbst! Ich bin zwar nicht sicher, ob ich im Moment genug bei mir trage - wenn nicht, werde ich dich, deine Erlaubnis vorausgesetzt, zu Hause aufsuchen, um meine Schuld zu begleichen."


    Ihren Worten war zu entnehmen, dass Plotina ihre Beherrschung jetzt einigermaßen wiedergefunden hatte. Sie richtete sich auf.


    "Wenn es nach mir geht: Ich würde diesen Ort jetzt gerne so schnell wie möglich verlassen, das versteht ihr sicher."


    Dabei konnte die Sergierin schon wieder ein wenig lächeln.


    "Ich entschuldige mich noch einmal bei euch für die schlimmen Unannehmlichkeiten, die ich euch bereitet habe. Behalten wir vom heutigen Tag lieber die Reden auf der Rostra in Erinnerung und natürlich unsere Gespräche hier. Ich danke euch für alles! Valete!"


    Plotina sah die beiden Männer noch einmal an und und wandte sich zum Gehen.

    Zitat

    Original von Decima Lucilla


    Kaum hatte Plotina endlich die nötige Selbstbeherrschung in sich gefunden und ihren eigenen Redefluss gestoppt, als sie ihren Mund auch schon wieder öffnen konnte. Denn Ambrosius, der Sklave der Lucilla, war nun mit den gewünschten Happen zurückgekehrt, und Lucilla reichte der Plotina auch gleich einen der beiden Spieße mit gebratenem Fleisch.


    "Na, da bin ich ja gespannt! Wie gesagt, ich habe eigentlich nie viel Fleisch gegessen, aber dieses hier sieht wirklich gut aus! Und außerdem muss man sich doch auch kulinarisch weiterbilden, wenn man einmal seine Heimat verlassen hat."


    Dabei lächelte Plotina und versuchte einen Verschwörerblick aufzusetzen. Dieser geriet ihr allerdings doch ein wenig gequält; zu hoch war der Preis gewesen, den sie hier in Rom bereits für ihre kulinarische Neugierde hatte bezahlen müssen. Nichts in der Welt allerdings hätte sie dazu veranlassen können, dieses äußerst peinliche Missgeschick jetzt hier vor Lucilla breitzutreten. Stattdessen schnupperte Plotina an dem Fleisch - und es roch wirklich verführerisch - und schob sich schließlich ein Stück in den Mund. Immerhin war es ja kein Fisch oder eine Meeresfrucht, und sie war mittlerweile wirklich hungrig geworden.


    Im Gegensatz zu jenem unseligen Nachmittag in der Taberna war es Plotina diesmal auch vergönnt, in Ruhe zu essen, da Lucilla sehr interessant von ihren ersten - und eben auch kulinarischen - Erfahrungen bei Spielen erzählte. Plotina versuchte sich vorzustellen, wie es war, in einer großen Familien aufzuwachsen, und wieder einmal musste sie sich eingestehen, dass sie durch das Fehlen einer solchen Familie in ihrer Jugend etwas verpasst hatte. In diesem Fall schossen ihr aber keine Tränen in die Augen, denn sie ahnte, dass sie in anderer Hinsicht ihrer Gesprächspartnerin möglicherweise etwas vorausgehabt hatte.


    "Ja, es muss schon sehr schön sein, wenn man ältere Brüder hat, die einen beschützen und auch ein bisschen verwöhnen. Als ich klein war, hat unsere Hausverwalterin manchmal ihren Sohn - oder war es der Sohn ihrer Schwester? - nein, ich glaube, ihren eigenen kleinen Jungen mitgebracht. Und wenn uns dann keiner beobachtet hat, haben wir natürlich auch was genascht. Und manchmal haben wir uns auch geprügelt, na ja, ein bisschen gerauft. Übrigens hab ich meistens gewonnen, ich war damals größer als er."


    Plotina musste grinsen bei dieser Erinnerung. Außerdem schmeckte das Fleisch vorzüglich, und sie nahm einen Schluck Wein.


    "Also, Lucilla, ein großes Lob an Ambrosius, das Fleisch schmeckt mir wirklich sehr."


    Plotina spendete Lucilla und auch ihrem Sklaven ein anerkennendes Nicken.


    "Ich bin auch völlig deiner Meinung, Lucilla, was den Verstand angeht. Wer davon nicht wenigstens ein bisschen hat, bei dem ist jedes Bildungswissen verloren. Das wollte doch auch, denke ich, Sokrates vermitteln, als er das scheinbare Wissen der angesehensten Männer Athens so in Zweifel gezogen hat."


    O nein, Plotina bemerkte schnell, dass sie zum wiederholten Mal unterwegs in ein Fettnäpfchen war. Deshalb setzte sie sofort hinzu:


    "Damit meine ich natürlich nicht Männer wie deinen Verlobten, natürlich nicht! Aber ich glaube, wir Menschen gewöhnen uns schnell an alles mögliche, und wenn es erst soweit ist, stellen wir das nicht mehr in Frage, ob es denn wirklich stimmt oder ob sich vielleicht bestimmte Verhältnisse verändert haben, ohne dass wir es bemerkten. - Na, Verstand schadet jedenfalls nie!"


    Und damit prostete sie Lucilla fröhlich noch einmal zu.

    Wie ein Theaterstück auf einer fernen Bühne liefen die Ereignisse vor Plotinas Augen ab: dass Verus alles zahlte und sich auf die Suche nach einer Miet-Sänfte machte, dass Theodorus ihr aufhalf, dass der Kellner ihr eine Wasserschale und ein Tuch zum Abwischen brachte, ja sogar, dass sie selbst mit mechanischen Bewegungen anfing, wenigstens den gröbsten Schmutz von ihrem Gewand zu schrubben.


    Auf seltsame Gedanken kam die Sergierin dabei und sagte sich, wie gut es doch sei, dass es so warm sei, so könne ihr ja ein durchnässtes Gewand nichts anhaben. An die Ursache von all dem, was hier im Moment um sie geschah, dachte sie merkwürdigerweise gar nicht mehr.


    Laut sagte sie zu Theodorus:


    "Ich bin so froh, wenn ich wieder zu Hause bin!"


    Ganz unvermittelt setzte sie hinzu:


    "Meine Güte, ich hoffe so sehr, du denkst jetzt nichts Schlechtes von mir ..."

    Zitat

    Original von Decima Lucilla


    Also doch!, dachte Plotina, als Lucilla nun endlich zugab, in ihrer Position als Auctrix der Acta Diurna an der Quelle der verschiedensten brisanten Informationen zu sitzen - so hatte Lucilla es zwar nicht gesagt, aber so malte es sich die in diesen Dingen immer noch sehr unerfahrene Sergia Plotina aus.


    In dem Triumphgefühl, nun doch - zumindest ein kleines bisschen - mit ihren Verschwörungstheorien rund um Lucilla Recht behalten zu haben, schob sich die rechte Augenbraue der Sergierin um eine Winzigkeit in die Höhe. Und jetzt würde sie natürlich noch mehr aufpassen, was sie hier sagte, das nahm sich Plotina fest vor - und musste zugleich schon wieder ein wenig lächeln.


    Nicht lange aber konnte sich die Sergierin in ihrem Triumph sonnen, denn nun nahm die Auseinandersetzung in der Arena wieder an Fahrt auf. Auch Lucilla war ganz mitgerissen, besonders als es so aussah, als ob es - neben Atratus - gerade auch Calvitius schaffen würde, ein Beutestück zu entführen und seine Freiheit zu erlangen. Als aber Atratus, der sich wirklich geschickt auf den Kampf mit der Raubkatze eingelassen und ihn voller Mut bestanden hatte, seine Beute schon in Sicherheit gebracht hatte, hatte Calvitius seine eigentlich gute Ausgangsposition fast schon wieder verspielt. Die Laune der Decima Lucilla war darob zum Glück nur einen Augenblick lang getrübt; dann hatte ihr heiteres und mitteilungsfreudiges Wesen auch aus dieser Situation schon wieder das Beste gemacht, indem sie schon die nächste Wette mit Plotina plante.


    "Darauf will ich gerne eingehen, ja! Aber noch hat Calvitius ja eine Chance."


    lachte Plotina und blickte noch einmal in die Arena.


    "Danke übrigens für deinen Rat, die Schola atheniensis zu besuchen. Ich bin auch tatsächlich dort gewesen und habe diesen Kursus besucht. Und ich kann dir sagen, ich habe zwar bestanden, aber dabei habe ich erst so richtig eingesehen, wie wenig ich eigentlich weiß."


    Plotina seufzte.


    "Ja, so ist das wohl mit der Bildung: Je mehr man davon verkostet, desto durstiger wird man nach mehr. Ich hoffe, dass ich dort noch mehr lernen kann, auch speziellere Dinge. Der Bibliothek will ich in den nächsten Tagen auf jeden Fall einen Besuch abstatten, dazu bin ich bisher noch nicht gekommen. Und in den Thermen soll sich ja auch eine Bibliothek befinden."


    Hier stockte Plotina, denn in ihrem Bildungseifer war ihr ganz entfallen, wo sie war, mit wem sie sprach und aus welchen Gründen man gewöhnlich zu Spielen ging. Siedend heiß war sie sich all dessen nun wieder bewusst geworden und biss sich auf die Lippe. Dann lächelte sie Lucilla gewinnend an, drehte ihren Kopf in Richtung Arena und hielt ihren Mund.

    Vor lauter Verblüffung über ihren Cousin blieb Plotina stehen und sah ihn an. Also, dieser Mann schaffte es, sie am heutigen Nachmittag immer weiter zu überraschen, und zwar positiv! Er bezeichnete sich selbst gerne als nicht so großen Redner; in Wirklichkeit aber war er fähig zu überaus geistreichen Bemerkungen.


    Plotina bedauerte in diesem Moment wirklich, dass sie sich nicht schon früher mehr mit ihrem Cousin beschäftigt hatte. Dieser hatte seine Zeit aber offenbar bestens genutzt.


    "Also, du bist mir einer! Sowas habe ich ja von einem Mann noch nie gehört! Frauen hört man ja öfter darüber reden und alles in den schwärzesten Farben darstellen, aber du! - Na, schön, dass du mir jetzt auch noch Mut machst; ich habe schon so Angst genug davor. Aber ich weiß ja jetzt, an wen ich mich im Falle eines Falles wenden kann. Ich hoffe, du hast es damit nicht sehr eilig?"


    Dabei ergriff Plotina seine Hand und lachte ihn schelmisch an - und war immer noch sehr verblüfft.

    Plotina hatte ihren Cousin, während dieser redete, ganz verdutzt angeschaut. Sie war durchaus nicht gewöhnt, dass er so lange an einem Stück sprach. Aber offenbar hatte sie mit ihrer Frage ein Themengebiet angeschnitten, dass ihn richtig interessierte.


    "Ach, du bist jetzt capsarius! Na, dann meine Gratulation! Es scheint, du machst hier noch Karriere!"


    Dabei bedachte sie Lupus mit einem liebevollen Puff in die Seite und sah zugleich voller Bewunderung zu ihm auf.


    "Ich bin froh, dass du jetzt weniger an gefährlichen Einsätzen teilnehmen musst - auch wenn ich mir sicher bin, dass jemand wie du sich bestimmt gut verteidigen kann, wenn ich mir dich so ansehe. Hoffentlich gefällt dir deine neue Tätigkeit auch und ist dir nicht zu friedlich."


    Den letzten Satz sagte Plotina, weil sie ihren lieben Cousin doch heimlich im Verdacht hatte, ein eher draufgängerischer Typ zu sein. Sie musste sich allerdings auch selber eingestehen, dass ihr solches Verhalten selber nicht ganz fremd war, wenn sie natürlich auch nicht mit den Fäusten ausholte.


    "Dass Rom nicht ganz ungefährlich ist, habe ich mittlerweile auch bemerkt. Stell dir vor, an den Parilia ist auf dem Forum Romanum am hellichten Tag unmittelbar neben mir ein Mann von einem Taschendieb beraubt worden! Mir selbst ist zum Glück noch nie etwas passiert, ich war eigentlich auch noch nie in einer gefährlichen Situation, aber natürlich achte ich darauf, wo ich mich bewege und dass es nicht zu spät wird."

    Allmählich, ganz allmählich fing sich Plotina wieder. Sie war sowohl Theodorus als auch Verus so unendlich dankbar dafür, dass sie sich um sie kümmerten. Allein, sie war jetzt einfach nicht in der Lage, ihnen das zu sagen. So konnte sie auch Verus nur mit einem Kopfnicken bedenken, als er ihr anbot, eine Sänfte für sie kommen zu lassen, und sagte leise


    "Bitte!"


    dazu. Sie seufzte und sah Theodorus an.