Zitat
Original von Decima Lucilla
Plotina knabberte gerade an einem etwas sehnigen Stück Fleisch, was ihr aber ganz recht war, denn auch im übertragenen Sinn hatte sie an etwas zu knabbern. Zeitgleich mit dem Knabbern im Mund hatte sie auch das gedankliche Knabbern beendet und zögerte nun nicht, die Ergebnisse kundzutun, freilich nur diejenigen des geistigen der beiden Vorgänge.
"Ich muss dir gestehen, Lucilla, dass ich soweit noch gar nicht gedacht hatte. Aber du hast natürlich völlig Recht: Rom hat sich schon einmal in einfacheren Lagen befunden. Natürlich ist der Senat immer noch ein wichtiges Gremium, aber dass er nicht mehr die Macht hat wie in den Tagen der Republik, liegt ja auf der Hand. Und nun müssen diese Senatoren ziemlich plötzlich doch wieder eine große Verantwortung übernehmen - nachdem sie das lange vielleicht nicht mehr gewöhnt waren."
Plotina blickte vor sich hin; an ihrer Nasenwurzel hatten sich zwei Falten gebildet. Viele Gedanken auf einmal gingen ihr durch den Kopf, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder bewusst wurde, dass sie hier nicht allein saß, sondern sich eigentlich mit einer ganz und gar ungewöhnlichen Frau unterhielt - und diese nun nicht länger warten lassen sollte.
"Ich kann wirklich nur hoffen, dass wenigstens die - Meinungsführer, so will ich sie einmal nennen - die Meinungsführer im Senat also ihr Handwerk verstehen."
Sie hob ihre Augen auf zu Lucilla.
"Je länger ich hier in Rom bin, desto mehr stelle ich fest, wie naiv ich bisher gelebt habe. Für mich war es so selbstverständlich, dass unsere Institutionen wie der Senat oder die Armee funktionieren - einfach funktionieren, als könnte es gar nicht anders sein. Jetzt erst sehe ich langsam ein, dass so ein reibungsloses Funktionieren nicht von selbst kommt, sondern eine ganze Menge dafür getan werden muss. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass sich solche Institutionen durch fähige Leute immer wieder erneuern."
Jetzt lächelte sie Lucilla verschmitzt an.
"Ich fand es deshalb auch gar nicht schlimm, das du mich in einem Atemzug mit einer Peregrina genannt hast. Weißt du, ich bin ja in Aegyptus aufgewachsen, und da sind die Unterschiede zwischen cives, peregrini und selbst servi gar nicht so ... so unüberbrückbar. Als ich hier ankam war ich schon ein bisschen überrascht, nein, ehrlich gesagt, erschrocken darüber, dass das hier anders ist. Ich bin so nicht aufgewachsen. Ich habe sehr viele peregrini kennen gelernt, die tüchtige und gute Leute sind. Und ich finde es auch schade, dass es hier so verpönt ist, peregrini zu adoptieren. Natürlich ist das ein Schritt, der gut überlegt sein will, ebenso wie eine Heirat ..."
Mit dem Wort "Heirat" hatte Plotina sich nun selbst ein Stichwort gegeben; sie grinste Lucilla an.
"Ach ja, übrigens vielen Dank für dein Vermittlungsangebot! Ich bin froh, dass das nicht mein Cousin gehört hat, sonst würde er womöglich doch noch anfangen, Pläne für mich zu schmieden! Im Moment erfreue ich mich aber ein bisschen meiner Freiheit. In Aegyptus hat mein Paedagogos mich doch sehr abgeschottet, vor allem vor ... so etwas ..."
Die Sergierin errötete und musste kurz den Blick senken, konnte ihn aber schnell wieder heben.
"Hach, bei uns ist das alles umgekehrt. Lupus, mein Cousin, lässt mir Freiheiten, und ich bin es, die sich um ihn Gedanken macht. Er hat jetzt so lange in der Kaserne der CU nur unter Männern gelebt, und ich habe manchmal den Eindruck, dass ihm eine Frau ganz guttun würde."
Schlagartig wurde Plotina rot bei dem Gedanken, der ihr jetzt kam und den sie auch aussprach:
"Man sagt ja auch, dass Männer, die nicht heiraten, oft Dummheiten begehen..."