Mein Vorsatz für heute war: mich nicht provozieren lassen! Ich zog die schwere, quietschende Türe hinter mir zu, und wandte mich der Gestalt im Dunklen zu, entschlossen vernünftig mit dem Mann zu reden... Aber auf das, was dann kam, war ich nicht gefasst, konnte ich nicht gefasst sein, konnte niemand je gefasst sein. Wie erstarrt blieb ich da stehen wo ich war, und sah ihn nur ungläubig an. Mit grossen Augen. Dann musste ich schlucken. Wurde blass.
Denn er hatte mich durchschaut.
Mit dem Scharfsinn des Wahnsinnigen hatte er erkannt, welche Kränkungen mir heute noch die Seele vergifteten, und er pflückte mich auseinander, als würde er mir die Haut abziehen, nahm er eine Fassade nach der anderen von mir. Nicht jeder der Pfeile, die er auf mich abschoss, entsprach der Wahrheit - ich möchte doch betonen, dass ich durchaus Freunde hatte, ich war sogar recht beliebt als Kind, wenn man mich auch oft zugleich belächelte, beliebt-belächelt war ich, wie ein Maskottchen - aber die anderen trafen mich grausam.
(Was konnte ich denn dafür, dass ich nicht, wie die meisten anderen Decimer, die harten, männlich-markanten Züge eines iberischen Kriegsfürsten abbekommen habe? Ich kam eben mehr nach meiner Mutter! Als ich klein war, hatten die Fischerjungs vom Hafen, wenn sie mich hänselten, mich oft 'das Mädchen' genannt! Seiana oder Appius hatten dann meine Ehre verteidigen müssen... Aber jetzt hatte ich ja meine verwegene Narbe, glücklicherweise.)
Und die Sache in der Villa Tiberia... es war nicht das erste Mal das mir so etwas passiert war, und wie er es aussprach, gewann die Erkenntnis auf einmal Realität. Ich hatte es nicht wahrhaben wollen, aber es war nun einmal so: Ich hatte den Krieg nicht verkraftet. Was die Kameraden einfach so wegsteckten, mich hatte es tief getroffen, und meinen Geist verwirrt, so dass ich die Bilder immer wieder sah, und mich vor ihnen fürchtete wie damals, ja, manchmal wusste ich doch überhaupt nicht mehr was wirklich war und was nicht.
"Ich bin nicht verrückt...", flüsterte ich benommen, mich gegen die Erkenntnis sträubend, "Aber du bist es, du bist ja völlig durchgeknallt...!!"
Er machte mir Angst. Es kam alles zusammen... die Furcht den Verstand zu verlieren... der Tod meines Bruders... das Desaster mit Hannibal... und die Albträume... Ich hielt mich an meiner Vitis fest, aber selbst die erschien auf einmal in einem ganz anderen Licht. Erschüttert sank ich auf die Stufe, die vom Eingang her hinab ins Innere der Zelle führte.
Ja, ich war anders! Ja, ich wollte dazugehören... und ich dachte eigentlich, ich hätte es geschafft.... bis da so ein hergelaufener Probatus kam, und mit ein paar Worten die ganze Scharade zerschmetterte... Aber ich hatte doch Freunde: Macro! Lucullus war mein Freund gewesen! Und Sparsus! Marcus Sparsus, ich dachte an ihn wie man sich an einen Rettungsring klammert, ein Freund wie man keinen besseren findet. Er kannte mich ganz genau, wusste wie anders ich war, und hielt doch zu mir. - Aber wusste ich, ob er nicht vielleicht doch hinter meinem Rücken über mich gelacht hatte, über den 'Kleinen', der seine Hilfe gebraucht hatte, um sich gegen den grossen bösen Titus zur Wehr zu setzen?
Ich holte tief Luft. Nein, auch wenn es alles nur Scharade war, es war meine Scharade und ich hatte hart dafür gearbeitet - von diesem kranken Bastard würde ich mir gar nichts kaputtmachen lassen!!!
"Probatus", sagte ich sanft, "sag mir eines. Wenn ich wirklich so verrückt sein sollte, warum sollte ich dann so einen gestörten, grosskotzigen und gemeinen Unruhestifter wie dich - der mir noch dazu auf absurde Weise droht! - jemals wieder hier raus lassen, hmm? - Freundschaft kannst du dann mit den Ratten schliessen. Ich bin dein Centurio, und ich kann dich hier drinnen lassen bis du verfault bist, ist dir dieser Gedanke jemals in dein armes kleines irres Hirn gekommen?"