Über den Dächern von Rom leuchteten die Sterne. Eine wunderbare Aussicht war das von hier oben auf der Stadtmauer, und ein schöner Spaziergang dazu. Ich war unterwegs zur Wachkontrolle, ging oben auf dem Wehrgang entlang, und tauschte mit den Wachtposten auf meinem Weg die immer gleichen Worte aus, deren Einförmigkeit beruhigend war, und ihnen für mich einen fast rituellen Sinn verlieh:
“Parole?“
"Quis custodiet ipsos custodies.”
”Salve Centurio!”
“Nuntio, Miles!”
”Nihil novi, Centurio!”
Im Inneren der Stadt hatten seit Anbruch der Dunkelheit die Vigilen übernommen, aber die Mauern bewachten immer noch wir, unermüdlich, auch wenn der nächste Feind tausende Meilen entfernt stand. Gut, manche der Männer sahen schon etwas müde aus. Ich hoffte nur, dass ich niemanden schlafend vorfinden würde, aber das Klacken meiner Caligae auf dem steinernen Boden des Wehrganges wenn ich mich näherte, würde wahrscheinlich jeden Posten rechtzeitig aufwecken.
In der Ferne bellte ein Hund. Ich hing meinen Gedanken nach, und ließ im Gehen den Blick über die Landschaft vor den Toren schweifen. Felder und Sträucher, Grenzsteine, Hügel und eine Strasse, die sich von Pinien gesäumt in der Ferne verlor, und über allem lag der schwache Glanz des Sternenlichtes. Am Horizont zeigte sich nun auch der Rand des Mondes, der sich langsam hinter den Hügeln hervorschob, und mit seinem träumerischen Licht die Szenerie weiter erhellte. Jetzt erst bemerkte ich, dass es sich bei dem Flecken, die mir eben bei meinen Betrachtungen so idyllisch erschienen war, um die Gegend handelte in der die „Gruben“ lagen, in denen die Leichen derer, die nicht für ihre Bestattung vorgesorgt hatten, landeten.
Gleich schien mir der leichte Abendwind kälter zu werden. Das raue Kläffen des Hundes war noch immer zu hören, klang trostlos, und rief in mir den Gedanken wach, ob wohl manche der Toten dort draußen noch umgingen, als verlorene Seelen… Schaudernd zog ich mein Sagum fester um die Schultern, und ging etwas schneller. Ich näherte mich einem Stadttor, und es drangen Stimmen an mein Ohr. Ich nahm die kleine Treppe, die an der Innenseite der Mauer hinab führte, und trat zu den Soldaten, vier an der Zahl, die sich über irgendetwas berieten, dann aber Haltung annahmen und grüssten.
“Salve Centurio!“
“Salvete Milites. Nuntio!”
Ein grosser, bärtiger Soldat berichtete mir:
“Vor einer viertel Hora, Centurio, gab es einen Tumult vor dem Tor. Lärm, Frauengekreisch. Wir hatten das Tor bereits für die Nacht verriegelt, da hier keine Karren durchkommen, und bis wir es aufgesperrt hatten, waren die Gestalten schon wieder verschwunden. Nur der da nicht.“
Mit diesen Worten wies er auf einen reglosen Umriss im Schatten der Mauer. Ich ging hin, und ließ mir leuchten. Da lag ein Toter, ziemlich ausgeblutet, mit einer sauberen Stichverletzung am Hals. Ich beugte mich über ihn, achtete aber sehr darauf, ihn nicht zu berühren. Abgerissen sah er aus und heruntergekommen, aber kräftig, und neben ihm lag eine unsaubere Sica. Auf den ersten Blick schien es ein Messerstecher zu sein, wie man unzählige in den Elendsvierteln findet.
“Wir sind ein Stück hinterher“, sprach der Soldat weiter, “waren aber nur zu zweit und konnten den Posten nicht verlassen, also habe ich die Kameraden in der nächsten CU-Station benachrichtigt.“
Er wies auf zwei der Soldaten, und dann sahen sie mich alle fragend an. Ich überlegte. Wahrscheinlich waren die Mörder schon über alle Berge, außerdem sah das Opfer nicht nach einem unbescholtenen Bürger aus. Wenn ich hätte raten müssen, hätte ich auf eine Bandenangelegenheit getippt. Aber trotzdem, wir mussten der Sache nachgehen, und wenn da eine Frau geschrieen hatte sowieso.
“Wieviele Männer waren es denn?“
“Schwer zu sagen, es war zu dunkel. Drei oder vier vielleicht.“
“Wir gehen raus und versuchen sie zu finden.“, beschloss ich, und befahl den beiden Soldaten die nicht das Tor bewachen mussten, mit mir zu kommen. Wir nahmen Blendlaternen aus der Wachstube mit, und machten uns auf, traten unter dem Bogen des Stadttores hindurch aus der Stadt hinaus.
Eine Blutlache auf dem Weg kündete noch von dem Kampf, und ein Stück weit ließen sich Blut- und Schleifspuren recht gut verfolgen. Die schaurige Umgebung, und die Ungewissheit wen wir da verfolgten, machten die Sache für mich ziemlich aufregend, aber natürlich versuchte ich ganz ruhig und gelassen zu wirken. Leider verloren sich die Spuren bald zwischen den Hügeln. Wir versuchten lange und ausführlich sie wiederzufinden, der Mond stieg dabei immer höher, dann stießen wir auf einen Weg, den wir mit abgeblendeten Laternen längere Zeit entlanggingen, aber wir trafen auf keine Menschenseele. Schließlich befahl ich umzukehren, und müde machten wir uns auf den Rückweg. Das war wohl nichts… nur eines der vielen Verbrechen die täglich passierten und ungeahndet blieben.
Schon war die Stadtmauer wieder in Sicht. Mein Scutum wog schwer, und und meine Gedanken flogen mir voraus zu meinem Bett in der Castra – als ich so etwas wie ein Schluchzen zu vernehmen meinte.
Ich hob die Hand und gebot den beiden anderen stehen zu bleiben. Ja, da war was. Ich steckte die Bänder meines Cingulum militare hinter den Gürtel, damit sie nicht klimperten, stellte die Laterne ab, und ging leise – oder sagen wir: so leise wie das eben möglich ist, in Rüstung – in die Richtung. Hier standen einige schiefe und krumme Hütten, in denen es dunkel war, und überall lag Abfall herum.
Der Mond liess die Konturen der Dinge mit geisterhafter Deutlichkeit hervortreten. Ich bog um eine Hausecke und sah einen toten Baum, der die verbliebenen Äste wie verkrüppelte Finger gen Himmel reckte. Wieder musste ich an den Spuk denken… Aber das Geräusch war deutlicher, und bei dem Baum konnte ich nun tatsächlich vage drei Gestalten ausmachen. Ich zog mich hinter das Haus zurück, winkte den beiden anderen, und versuchte ihnen mit knappen, Parthien-erprobten Gesten klar zu machen, dass sie den Platz umgehen, und sich von hinten nähern sollten, während ich von vorne kam, und dass wir versuchen würden, die Leute zu überwältigen. Da die beiden nicht in Parthien gewesen waren, musste ich den Plan noch mal flüsternd erläutern (was leider nicht halb so professionell aussah), dann verschwanden sie in der Nacht.
Ich zog mein Gladius, und ging mit klopfendem Herzen, gebückt hinter einem Gesträuch in Richtung des toten Baumes. Die Stimmen wurden deutlicher. Eine Frau flehte um Gnade! Zu viel Zeit sollte ich mir jetzt nicht mehr lassen! Aufgeregt pirschte ich mich näher heran, aber prompt trat ich auf einen Ast, der mit lauten Knacken zerbrach. Und als das Geräusch die Nacht durchdrang, und ich vor Schreck zusammenzuckte, klirrte meine Rüstung. Verdammt. Jetzt hatten sie mich sicherlich bemerkt.
Vor lauter Anspannung biss ich mir fest auf die Lippe, und beschloss, dass ich jetzt eben die Ablenkung sein musste, und hoffte, dass die anderen nicht zu lange auf sich warten ließen, und vor allem, dass sich da vorne im Schatten nicht noch weitere Sicarii verbargen! Ein stummes Stossgebet zu Fortuna auf den Lippen, richtete ich mich auf, und brach durch das Gebüsch auf die drei Gestalten zu.