Beiträge von Faustus Decimus Serapio



    Der Blick des zweiten Torwächters lag nicht weniger misstrauisch als der Macros auf der Gestalt des Besuchers. Ein komischer Vogel schien das zu sein... und was redete der da? Rupus hatte es nicht verstanden. Der Hüne kniff die Augen zusammen und fragte mit tiefer, etwas grollender Stimme nach:
    "Was hast du da gesagt?"
    Der Fremde liess nicht davon ab seine Füsse zu betrachten. Bloße Füsse zu der Jahreszeit! Skeptisch stellte Rupus klar:
    "Hier drinnen gibt es Arbeit nur für römische Bürger. Bist du Civis?"
    Und mit einer vagen Handbewegung Richtung Stadt fügte er noch hinzu:"Ansonsten kannst du es bei den Vigilen versuchen."




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    Aus der Türe meiner Unterkunft trat ich in den überdachten Gang, der an den Stuben entlangführte, und hämmerte im Vorübergehen mit meiner Vitis laut an die Türen. Zum Wecken war schon vor einer Viertel-Hora geblasen worden, jetzt zog ein frischer, klarer Morgen auf, die Baracken schälten sich aus der bläulichen Dämmerung, und überall in der Castra erwachte die Betriebsamkeit.
    "Milites! Antreten zum Morgenappell! Los, los, nicht wieder einschlafen! Angetreten, aber subito!"
    In strammer Haltung erwartete ich das Erscheinen der Soldaten vor der Baracke. Das achte Contubernium war als erstes fertig, manche brauchten etwas länger. Ich bemerkte wohl die neugierigen Blicke der Milites, die auf den beiden Gegenständen lagen, die ich in der Hand hielt: ein Hastile, der lange Stab des Optios mit dem Knauf, und eine handliche, bronzeverzierte Schreibtafel, aber ich behielt eine undeutbare Miene, und spannte sie alle noch ein wenig auf die Folter, indem ich erst mal wie jeden Morgen die Contuberniumsältesten Meldung machen liess, und die Anwesenheit überprüfte, dann den Bericht der Nachtwache hörte, dann die Reihe entlang ging und das korrekte Erscheinungsbild der Soldaten inspizierte.

    In der Ferne verklang das Bellen der Meute. Ein weiteres Mal war ich ihnen entkommen, aber eines Tages würden sie mich kriegen. Schwer atmend stützte ich mich auf den Felsen, der hoch, hoch wie ein Adlerhorst über die Welt ragte. Ich blickte hinab, und sah auf Ruinen. Bis zum Horizont erstreckte sich das Trümmerfeld, aus dem noch die Wände einzelner Häuser aufragten, die Reste von Mauen, Säulen, die Hälfte eines Triumphbogens, die jeden Moment in sich zusammenzubrechen drohte... an vielen Stellen schwelten Brände, Rauch stieg auf und verdichtete sich zu einer Dunstglocke. Keine Menschen, keine Spur von Leben, aber ich wusste dass hier ein Schlacht geschlagen und verloren worden war... Es war sehr heiss und ich hatte den Geschmack von Asche auf der Zunge.
    Erschauernd wandte mich ab, und erblickte hinter mir eine weite Hochebene, ganz flach und auch sie bedeckt von Asche. Weiche, zarte Flocken umschmeichelten meine Beine, als ich hindurchwatete, und ich bekam Lust, sie mit bloßen Füßen zu spüren, also löste ich meine Caligae, und ging barfuss weiter, liess Wolken von Asche aufstieben. Es war so heiss, die Sonne stach weißglühend vom Himmel. Meine Rüstung war schwer, und mich würgte der Riemen meines Helmes. Ich nahm ihn ab, dann löste ich auch den Brustpanzer, liess beides hinter mir zurück. So lief es sich leichter. Meine Vitis nahm ich als Wanderstab. Etwas regte sich unter meinen Füssen, ich spürte es kitzelnd an den Sohlen. Dann brach die erste Knospe durch die Asche, und schnell folgten weitere. Sie brachen auf, sprenkelten das Grau mit ihren leuchtenden Farben. Stängel sprossen gen Himmel, satte grüne Blätter schoben sich übereinander, wuchsen und wuchsen immer höher. Oder war ich es, der kleiner wurde? Hoch über mir wogte das Blattwerk, reckten die Blüten ihre strahlenden Köpfe, und staunend richtete ich den Blick nach oben... als ein blechernes Schmettern und Tröten mich aus meinem Traum riss.


    Der Weckruf schallte durch das Lager. Verschlafen rieb ich mir die Augen, streckte mich und stieg aus dem Bett, klatschte mir die Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht. Während der morgendlichen Routine verflüchtigten sich die Traumbilder, erst als ich meine Lorica vom Rüstungsständer griff, fiel es mir alles wieder ein. Ich verzog das Gesicht, schüttelte kurz den Kopf über mich selbst, konsterniert dass ich immer noch solche unsinnigen Sachen träumte, und legte meine Rüstung an, die mein Bursche gestern abend noch brav zum glänzen gebracht hatte. Riemen fest, Cinguli umgeschnallt, Schwert zurechtgerückt, Ocreae angelegt, Helm auf, Sagum um, Vitis in der Hand, und als ordentlicher junger Centurio verliess ich meine Unterkunft, um die Männer zum Morgenappell zu rufen. Halt! Da hätte ich fast etwas wichtiges vergessen. An der Türe machte ich kehrt, ging noch mal zum Schreibtisch, wo ich zwei zusammengerollte Urkunden an mich nahm, und zwei ganz spezielle Gegenstände, die heute den Besitzer wechseln sollten. Dann machte ich mich aber wirklich auf zum Morgenapell.

    Zitat

    Original von Hannibal


    "Ich?! Ich soll schuld sein??!!!", erwiderte ich hitzig, aufgebracht von diesen absurden Vorwürfen, aber zugleich überflutet von der Erinnerung an eine ganz bestimmte kleine Seitengasse in Ravenna. Ihm in die Augen zu sehn, war wie ein Eintauchen in ein dunkles, grundloses Meer... es zog mir den Boden unter den Füssen weg, es riss mich in die Tiefe in einen heillosen Taumel widerstreitender Empfindungen.... es verschlang mich. Ein heisser Schauer überlief mich, als seine Hand meinen Hals berührte, ich atmete scharf ein, dann schlug ich seine Hand heftig beiseite, aber ich wich nicht von ihm zurück.
    "Warum tust Du das?", fragte ich verzweifelt, "warum, Hannibal?! - Du weisst es doch, dass ich versucht habe, Dich freizukaufen! Verdammt, ich habe alles was ich habe aufs Spiel gesetzt, ich habe meine Karriere riskiert, als ich zu Aristides gegangen bin! Ich habe nur an Dich gedacht, ich wollte dass wir zusammen sein können, dass Du nicht länger ein Sklave sein musst! Aber Du, Du hast nicht zu mir gestanden!! Du hast mich eiskalt abserviert!! Warum Hannibal?! Ich habe Dich geliebt!"
    Und wie ich so vor ihm stand, voll wilder Anklage, war ich mir sicher, dass ich es noch immer tat.
    "Du hast mir das Herz gebrochen." sagte ich leise, mit echtem, ganz wahrhaftig empfundenem Pathos, ohne den Blick von seinen Augen lösen zu können, die mich hypnotisch in ihrem verderblichen Bann hielten. Aber so schrecklich das alles war - ich war mir auf einer anderen Ebene doch bewusst, dass diese meine unerwiderte Liebe den Hauch tragischer Grösse in sich trug, und auf hohem Niveau zu lieben und zu leiden, den Funken des göttlichen Wahns in sich zu spüren, das war allemal besser, als der Stumpfsinn eines alltäglichen Einerleis. Vielleicht war das sogar der Grund, dass ich mich so oft unglücklich verliebte, oder in die Falschen, in Männer die nicht gut für mich waren, was dann ebenso unglücklich zu enden pflegte.


    "Du allein bist schuld an Deinem Unglück! Belogen hast Du mich! Mit mir gespielt!!", kochte wieder der Zorn in mir auf, und während draussen, jenseits der Nische in der sich unser eigenes Drama abspielte, die Menge nicht müde wurde zu jubeln, zu klatschen und zu trampeln, umgriff ich sein Gesicht mit meinen beiden Händen, und drängte ihn fest, mit meinem ganzen gepanzerten Körper, gegen die Mauer in seinem Rücken.
    Mein Blut war zu heiss geworden, es brandete, es wallte hoch, es pochte wild in meinen Schläfen, und obgleich ich genau wusste, dass ich es auf keinen Fall tun sollte, dass es dumm war, dass es sich später bloss rächen würde, tat ich es doch - presste meine Lippen auf die seinen, und zwang ihn in einen heissen, gewaltsamen Kuss. Die Lippen wollte ich ihm wundküssen, nur für einen kurzen, einen kleinen flüchtigen Moment sollte er mir gehören, mir so ausgeliefert sein wie ich mich ihm gegenüber fühlte... Meine Hände hielten sein Gesicht, zwischen den Fingern spürte ich sein dunkles Haar, die Fingerkuppen gruben sich in seinen Nacken, und mit den Zähnen spielte ich rauh an seiner Unterlippe, um dann mit der Zunge tiefer vorzudringen, und mich des Inneren seines Mundes zu bemächtigen, so wie es mein Wunsch war, mir den ganzen Mann zu eigen zu machen... ach, alles, wirklich alles hätte ich dafür gegeben wenn er nur mir gehören würde, mit Leib und Seele und am besten noch dazu für immer und ewig.

    Wir hatten uns geeinigt, und ich glaubte es Celeste, dass sie schweigen konnte. Unbesorgt war ich zwar nicht - wann war ich überhaupt zum letzten mal wirklich unbesorgt gewesen? - aber einigermassen zufrieden. Sogar meine Einladung nahm sie an, zögernd zwar, aber sie sagte nicht nein. Silio würde staunen, wenn ich ihm das erzählte.
    "Das lässt sich einrichten", meinte ich, auch kurz schmunzelnd, denn eigentlich hätte ich mir eine Meisterdiebin viel verruchter, viel lasterhafter vorgestellt.
    "Gut, lass uns gehen."
    Wir verliessen die kleine Lichtung, und folgten dem Pfad, der sich in einem Bogen durch den Zypressenhain schwang. An einer bocksbeinigen Satyrstatue mündete er wieder in einen breiteren Weg, der uns rasch zum Rande der Gärten führte. Dort hiess es sich entscheiden, nach links in Richtung der Schenken, die in der Nähe des Kastells angesiedelt waren, oder nach rechts, Richtung Stadtmitte. Ich entschied mich für den rechten, längeren Weg, um Celeste nicht mit zu viel Soldaten auf einmal zu konfrontieren, ausserdem stand mir der Sinn heute nach ein bisschen was schickerem.
    Während wir schweigsam die Via Tiburtina entlang gingen, kam mir ein komischer Gedanke. Es gab da ein nettes Lokal, in dem Hannibal früher zu verkehren pflegte... und einige Bekanntschaften hatte. Keine Ahnung ob das noch immer so war, aber ich beschloss, erfüllt von dumpfem Groll, dass das ganz genau der richtige Ort für mich war, um eine hübsche junge Frau wie Celeste auszuführen.... und kurzentschlossen bog ich in eine Seitengasse, nahe der Porta Sanquaris. Zwei brennende Fackeln steckten in Wandhalterungen an der eher unscheinbaren Fassade, und beleuchteten das helle Tavernenschild.


    "Da wären wir. Kennst Du schon Idaeus Weinstube?"
    Ich hielt ihr die Türe auf, und trat nach ihr herein. Ein unwirkliches, honigfarbenes und rötliches Licht herrschte im Inneren des Schankraumes, das kam daher dass der Inhaber seine Weine in Glaskaraffen an der Wand hinter dem Tresen stehen hatte, und sie mit vielen, vielen Öllampen von hinten beleuchtete, so dass sie funkelten, und von innen zu glühen schienen. Ihr Farbenspiel schien auf den weissen Wänden wieder. Ich sah mich um, auf einmal ziemlich angespannt, aber es war noch nicht viel Betrieb, und niemand den ich kannte war unter den Gästen. Das leise Murmeln verschiedener Unterhaltungen erfüllte den Raum, dazu vereinzelte Saitenklänge, die kamen von einem grauhaarigen Musiker, der am Rande auf einer leicht erhöhten Fläche sass und gerade seine Harfe stimmte.
    Ein Servierer kam heran, grüßte mit freundlicher Miene und geleitete uns zu zwei Klinen, die im Eck zueinander standen, und schlicht, aber stilvoll gestaltet waren. An der Wand standen auf einer grossen Schiefertafel die Weine des Tages angeschrieben, ich bestellte einen Krug Tempranillo und einen Krug Wasser dazu. Dann legte ich mein Sagum ab und trat zu Celeste, machte Anstalten ihr höflich den Mantel abzunehmen, so sie dies zuließ natürlich.

    In mancher Hinsicht waren die Frauen uns gegenüber schon sehr vom Schicksal begünstigt. Zum Beispiel, was die Auswahl an Düften anging. Wenn ich mir die Auslage hier ansah, entdeckte ich gerade mal eine Handvoll von Sorten, die für unsereins als passend angesehen wurden - Sandelholz, Moschus, solche virilen Aromen, während die Auswahl für die Damen schier unendlich war... Genau wie bei den Tuniken war das, langweilige Schnitte gab es für uns, extravagante für die weibliche Welt. Ich fand das nicht fair.
    Flavia Celerina schien mich für einen Kenner zu halten, das schmeichelte mir natürlich erneut, aber ich wehrte ab, und erklärte mit einem feinsinnigen Lächeln: "Nein, gar nicht. Ich schätze es einfach nur, wenn eine Frau mit einem angenehmen Duft daherkommt. Etwas, das ihre Person unterstreicht."
    Etwas für die Dame selbst zu finden, das war schon um einiges kniffliger. Eine wahre Herausforderung!
    "Ich fürchte, ich kenne Dich zu wenig, Flavia Celerina, um Dir mit meiner Wahl wirklich gerecht zu werden", schränkte ich erst mal ein, "aber lass mich überlegen..."
    Exklusiv musste es auf jeden Fall sein, aber nicht zu verhalten, ruhig etwas üppiger, und prunkend. Ich versuchte noch einige Flacons aus der blumigen Ecke, ging dann zu denen mit den exotischen Gewürzen über. Vielleicht könnte sich auch hier ihre Vorliebe für das orientalische widerspiegeln? Verzückt roch ich an einem Zimtöl, aber das war eher etwas, was ich selber gerne mochte. Ob ich es mir kaufen sollte? Ach nein, es war sündhaft teuer, unverhältnismäßig fand ich, und stellte es wieder beiseite. Ich probierte weiter einige ausgesuchte Düfte, und wandte zwischendurch immer mal wieder die Nase vom Stand ab, um tief durchzuatmen.
    Ein sanfter Dialog von Pfirsich und Mandel fesselte mich als nächstes. Harmonie und Fülle lagen darin vereint, er sagte mir sehr zu, aber nein, er war für die Flavia nicht ganz das richtige. Schlußendlich entschied ich mich doch wieder für eine Blüte, die gar nicht so extravagant war, mir aber sehr passend erschien.
    "Das ist das Bukett einer Mainacht...", fabulierte ich, während ich mit halbgeschlossenen Augen den Duft einsog, "eine warme Nacht voll Versprechungen, der Sommer liegt schon in der Luft... hier sind Anmut und Verführung miteinander vereint, und zugleich liegt etwas schwebendes darin... etwas kapriziöses."
    Ich schlug die Augen wieder ganz auf, und überreichte mit einem unschuldigen Lächeln den Flacon: Weißer Flieder. Gespannt ob es Flavia Celerina zusagen würde, erwartete ich ihre Reaktion. Die nahe Sonnenuhr zeigte mich allerdings, dass es über dieser angenehmen Beschäftigung hier schon recht spät geworden war, und ich mich beeilen sollte, um noch rechtzeitig wieder zur Castra zu kommen.
    "Ich habe in Deiner Gesellschaft ganz die Zeit vergessen, Flavia Celerina. Aber jetzt muss ich mich leider entschuldigen, die Arbeit ruft."

    Finster war es auf einmal. Eine Wolke musste sich vor den Mond geschoben haben. Ich hörte die Geräusche des Zweikampfes, spürte den Schlamm, der schwer an meiner Tunika klebte, das vertraute Gewicht meiner Rüstung, und den festen Knauf des Schwertes in meiner Hand. Mondstrahlen, einzelne Mondstrahlen sickerten durch das Gewölk, und zeigten mir die massige Gestalt, die sich aus dem wilden Handgemenge erhob, einen Augenblick schwankte, dann losrannte. Genau auf mich zu. Der Mond, die Hügel, der Feind... Genau wie damals.


    Schlagartig verloren die Dinge an Substanz, rückten weit fort von mir. Mein Herz begann zu rasen, ein eiserner Reif legte sich um meine Brust, und wurde enger, und schnürte mir die Luft ab, als ich da stand, ich blutjunger Legionär, nach meinem ersten Gefecht, verstört, von meiner Truppe getrennt, ganz auf mich allein gestellt, ohne Scutum, irgendwo in den öden Hügeln zwischen Euphrat und Edessa, und den Feind näherkommen sah. Ich träumte meinen Albtraum, mein Arm war ganz schwer geworden, meine Füsse schienen mit dem Boden verwachsen, und der Parther stürzte auf mich zu, holte mit dem Krummschwert aus, der Bastard, wollte mich töten! Mir den Kopf abschlagen, so wie wir das mit seinen Leuten gemacht hatten... Mit schreckensweiten Augen starte ich ihm entgegen, totenbleich, wie gelähmt von dem alten Entsetzen, das mich mit seinen grausamen Fäusten erneut gepackt hatte und im Würgegriff hielt.
    ("Hattet ihr keine Angst?", hatte man mich neulich erst gefragt, und ich darauf, vollmundig: "In solch einer Situation darf sich ein Soldat Furcht nicht leisten." Von wegen.)


    Erst als er schon ganz nah war, übernahm auf einmal das Antrainierte, und ich reagierte ohne mein Zutun, drehte mich zur Seite, als er sich gegen mich warf, so dass der Schwung zum Teil ins Leere ging, trotzdem war der Anprall noch heftig genug, um mich rücklings gegen den Baum taumeln zu lassen, meine Rüstung klirrte und da kam schon das Krummschwert auf mich zugeschnellt.... oder war es nicht eher eine Faust? - wie das so ist, im Traum, es war gut möglich, dass es beides war, oder vielleicht auch keines von beiden. Ich riss den Kopf zur Seite, wich dem plumpen Hieb aus, der an meiner statt das tote Holz traf, morsche Rinde flog, und zugleich ripostierte ich, unter seinem zum Schlag erhobenen Arm hindurch, mit noch immer weiten starren Augen, schwer atmend, die Zähne fest in die Unterlippe gegraben. In seinem Bestreben mich umzubringen hatte der Drecksparther seine Deckung doch sehr vernachlässigt, und in einem tiefen Stich führte ich meine Klinge von unten schräg aufwärts, auf die so verletzliche Region des Bauches zielend, stieß ich mit voller Kraft zu!

    Viele meiner Mitsoldaten rühmen sich einer tiefen Verbundenheit mit Mars. Ich für meinen Teil trage zwar immer noch mein Mars geweihtes Ancilium-Amulett, aber eigentlich halte ich Fortuna für viel wichtiger. Ein Soldat kann so mutig und so fähig sein wie er will, wenn er im falschen Moment über einen Stein stolpert, dann kann das sein Ende bedeuten. Pech kann einen Helden in den Augen der Welt zum Würstchen machen, und Glück kann… naja, ich glaube der Gedanke ist klar. Ich habe immer ein gutes Verhältnis zu Fortuna gehabt, sie hat oft ein besonderes Auge auf mich geworfen, (mal abgesehen von dem mangelnden Glück in der Liebe, aber das lag vielleicht auch an Amor), aber heute Nacht trieb sie ihre Scherze mit mir.
    Schwert voran stürmte ich in die Szene, kühn entschlossen die arme Frau zu retten und die/den Banditen dingfest zu machen, kurz: heute ein Held zu sein! Jedoch, ich kam nicht weit, denn was ich übersehen hatte, das waren die Schlammlöcher auf meinem Weg. Tief sank ich ein, bis über die Knöchel, es quatschte und schmatzte, ich kämpfte um mein Gleichgewicht, und riss meine Füße eilig wieder aus dem Morast, der sie nur widerstrebend freigab. Vor mir war ein Handgemenge zwischen zwei der Personen losgebrochen, und eine Frau rannte auf mich zu, kurz beschien das kalte Mondlicht voll ihr furchterfülltes junges Gesicht, dann fiel sie, landete vor mir, und krallte sich, um Hilfe flehend, wie ein Schlingpfanzengewächs, wie ein Würgefeigenbaum panisch um meine Beine - was zusammen mit dem Morast und meinem Vorwärtsstreben eine ganz schlechte Kombination ergab.
    Jetzt wäre der Moment gewesen, schneidig so etwas zu sagen wie: ’Keine Angst junge Dame, Diesem Schurken werde ich schon Manieren beibringen, er wird Dich nie wieder belästigen’, aber bevor ich über das “Keine Angst…“ hinauskam, war ich schon über sie gestolpert, fiel… und landete längelang neben ihr im Schlamm. Es platschte. Es roch gammelig. Ich stöhnte. (Das erinnerte mich fatal an die Sache mit Hannibal, dem Baumstamm und dem Tiber. Und ab dem Vorfall war dann alles schief gegangen.)
    “Oh Fortuna.....“


    Kalter feuchter Schlamm schmiegte sich an meine Seite. Fluchend und strampelnd versuchte ich, mich zugleich aus der Umklammerung der Arme und des Sumpfes zu lösen.
    “Verdammt noch mal, lass mich sofort los! Jolín! Bei Plutos fauligem Atem, lass mich auf der Stelle los, Mädchen!“
    Sobald ich mich irgendwie befreit hatte, rappelte mich auf, holte tief Luft und brüllte in Kasernenhoflautstärke und sehr energisch:
    “Halt! Cohortes Urbanae! Ihr seid umzingelt! Sofort die Waffen fallen lassen!!!“
    Man konnte es ja mal versuchen. Ausserdem sollte meine Verstärkung hören, dass sie sich beeilen sollten. Aber was war denn das – eine der beiden kämpfenden Personen sah äußerst weiblich aus. Und dazu konnte ich jetzt erkennen, dass sie gefesselt war! Das war gleich zweimal unfair, und damit war nun auch klar, wer von den beiden hier der Schurke war. Schlamm tropfte von meinem Gladius, als ich so schnell ich konnte, die letzten Schritte überwand, um der armen bedrängten Frau – die erstaunlich agil war! – beizustehen.

    “Eigentlich gibt‘s gar keine zivilen Schreiber in der Castra, das machen alles die Immunes“, bestätigte ich, “Und an Frauen nur die Sklavinnen der Offiziere. - Gut, dann machen wir das so.“
    Die Frage, die dann kam, war eine berechtigte, aber ich hatte Mühe eine Antwort darauf zu finden, überlegte einen Moment, und beschloss dann:
    “Der letzte Auftrag war ein Sonderfall, eine absolute Ausnahme. Ich werde nichts Illegales von dir verlangen. Nur beobachten, Augen und Ohren offenhalten, solche Dinge…“ Gibt es ein schöneres Wort für Spitzeldienste?“Damit wirst Du nicht in Konflikt mit dem Gesetz geraten, aber wenn Du durch diese Aufgaben in, ähm, andere Schwierigkeiten geraten solltest - was ich nicht hoffe - werde ich Dir natürlich beistehen. Über unser spezielles Arrangement musst Du aber Stillschweigen bewahren… das dient ja auch Deiner Sicherheit.“
    So klang das ganz gut für mich, aber ich war mir doch der Versuchung bewusst, die Celestes Talent bot. Es war schon widersinnig, aber eine Diebin in Diensten der CU, das wäre ungemein praktisch, und insgeheim war mir klar, dass doch wieder die Situation kommen würde, in der ich gerne auf ihre Fähigkeiten zurückgreifen würde… aber das stand wiederum im Gegensatz dazu, dass ich ihr doch eigentlich helfen wollte, ein anständiges Leben zu führen. Ist es anständig, im Dienste des Richtigen das Falsche zu tun?, fragte ich mich, aber darauf konnte mir wahrscheinlich niemand, auch nicht die großen Philosophen, eine Antwort geben.
    Schließlich rang ich Celeste, oder rang sich Celeste, doch das Versprechen ab. Es klang zwar nicht gerade inbrünstig, eher gequält, aber ich wollte da mal nicht wählerisch sein.
    “Gut. Dann haben wir, denke ich, alles soweit besprochen. Oder? – Ich kläre noch das mit dem Raum, und Du kannst dann gleich anfangen.“
    Ich zögerte und betrachtete die Zypressen, fragte dann etwas zaghaft: “Darf ich Dich zur Feier des Tages auf einen Schluck Wein einladen?“

    Über den Dächern von Rom leuchteten die Sterne. Eine wunderbare Aussicht war das von hier oben auf der Stadtmauer, und ein schöner Spaziergang dazu. Ich war unterwegs zur Wachkontrolle, ging oben auf dem Wehrgang entlang, und tauschte mit den Wachtposten auf meinem Weg die immer gleichen Worte aus, deren Einförmigkeit beruhigend war, und ihnen für mich einen fast rituellen Sinn verlieh:
    “Parole?“
    "Quis custodiet ipsos custodies.”
    ”Salve Centurio!”
    “Nuntio, Miles!”
    ”Nihil novi, Centurio!”
    Im Inneren der Stadt hatten seit Anbruch der Dunkelheit die Vigilen übernommen, aber die Mauern bewachten immer noch wir, unermüdlich, auch wenn der nächste Feind tausende Meilen entfernt stand. Gut, manche der Männer sahen schon etwas müde aus. Ich hoffte nur, dass ich niemanden schlafend vorfinden würde, aber das Klacken meiner Caligae auf dem steinernen Boden des Wehrganges wenn ich mich näherte, würde wahrscheinlich jeden Posten rechtzeitig aufwecken.


    In der Ferne bellte ein Hund. Ich hing meinen Gedanken nach, und ließ im Gehen den Blick über die Landschaft vor den Toren schweifen. Felder und Sträucher, Grenzsteine, Hügel und eine Strasse, die sich von Pinien gesäumt in der Ferne verlor, und über allem lag der schwache Glanz des Sternenlichtes. Am Horizont zeigte sich nun auch der Rand des Mondes, der sich langsam hinter den Hügeln hervorschob, und mit seinem träumerischen Licht die Szenerie weiter erhellte. Jetzt erst bemerkte ich, dass es sich bei dem Flecken, die mir eben bei meinen Betrachtungen so idyllisch erschienen war, um die Gegend handelte in der die „Gruben“ lagen, in denen die Leichen derer, die nicht für ihre Bestattung vorgesorgt hatten, landeten.
    Gleich schien mir der leichte Abendwind kälter zu werden. Das raue Kläffen des Hundes war noch immer zu hören, klang trostlos, und rief in mir den Gedanken wach, ob wohl manche der Toten dort draußen noch umgingen, als verlorene Seelen… Schaudernd zog ich mein Sagum fester um die Schultern, und ging etwas schneller. Ich näherte mich einem Stadttor, und es drangen Stimmen an mein Ohr. Ich nahm die kleine Treppe, die an der Innenseite der Mauer hinab führte, und trat zu den Soldaten, vier an der Zahl, die sich über irgendetwas berieten, dann aber Haltung annahmen und grüssten.
    “Salve Centurio!“
    “Salvete Milites. Nuntio!”

    Ein grosser, bärtiger Soldat berichtete mir:
    “Vor einer viertel Hora, Centurio, gab es einen Tumult vor dem Tor. Lärm, Frauengekreisch. Wir hatten das Tor bereits für die Nacht verriegelt, da hier keine Karren durchkommen, und bis wir es aufgesperrt hatten, waren die Gestalten schon wieder verschwunden. Nur der da nicht.“
    Mit diesen Worten wies er auf einen reglosen Umriss im Schatten der Mauer. Ich ging hin, und ließ mir leuchten. Da lag ein Toter, ziemlich ausgeblutet, mit einer sauberen Stichverletzung am Hals. Ich beugte mich über ihn, achtete aber sehr darauf, ihn nicht zu berühren. Abgerissen sah er aus und heruntergekommen, aber kräftig, und neben ihm lag eine unsaubere Sica. Auf den ersten Blick schien es ein Messerstecher zu sein, wie man unzählige in den Elendsvierteln findet.
    “Wir sind ein Stück hinterher“, sprach der Soldat weiter, “waren aber nur zu zweit und konnten den Posten nicht verlassen, also habe ich die Kameraden in der nächsten CU-Station benachrichtigt.“
    Er wies auf zwei der Soldaten, und dann sahen sie mich alle fragend an. Ich überlegte. Wahrscheinlich waren die Mörder schon über alle Berge, außerdem sah das Opfer nicht nach einem unbescholtenen Bürger aus. Wenn ich hätte raten müssen, hätte ich auf eine Bandenangelegenheit getippt. Aber trotzdem, wir mussten der Sache nachgehen, und wenn da eine Frau geschrieen hatte sowieso.
    “Wieviele Männer waren es denn?“
    “Schwer zu sagen, es war zu dunkel. Drei oder vier vielleicht.“
    “Wir gehen raus und versuchen sie zu finden.“
    , beschloss ich, und befahl den beiden Soldaten die nicht das Tor bewachen mussten, mit mir zu kommen. Wir nahmen Blendlaternen aus der Wachstube mit, und machten uns auf, traten unter dem Bogen des Stadttores hindurch aus der Stadt hinaus.


    Eine Blutlache auf dem Weg kündete noch von dem Kampf, und ein Stück weit ließen sich Blut- und Schleifspuren recht gut verfolgen. Die schaurige Umgebung, und die Ungewissheit wen wir da verfolgten, machten die Sache für mich ziemlich aufregend, aber natürlich versuchte ich ganz ruhig und gelassen zu wirken. Leider verloren sich die Spuren bald zwischen den Hügeln. Wir versuchten lange und ausführlich sie wiederzufinden, der Mond stieg dabei immer höher, dann stießen wir auf einen Weg, den wir mit abgeblendeten Laternen längere Zeit entlanggingen, aber wir trafen auf keine Menschenseele. Schließlich befahl ich umzukehren, und müde machten wir uns auf den Rückweg. Das war wohl nichts… nur eines der vielen Verbrechen die täglich passierten und ungeahndet blieben.
    Schon war die Stadtmauer wieder in Sicht. Mein Scutum wog schwer, und und meine Gedanken flogen mir voraus zu meinem Bett in der Castra – als ich so etwas wie ein Schluchzen zu vernehmen meinte.
    Ich hob die Hand und gebot den beiden anderen stehen zu bleiben. Ja, da war was. Ich steckte die Bänder meines Cingulum militare hinter den Gürtel, damit sie nicht klimperten, stellte die Laterne ab, und ging leise – oder sagen wir: so leise wie das eben möglich ist, in Rüstung – in die Richtung. Hier standen einige schiefe und krumme Hütten, in denen es dunkel war, und überall lag Abfall herum.
    Der Mond liess die Konturen der Dinge mit geisterhafter Deutlichkeit hervortreten. Ich bog um eine Hausecke und sah einen toten Baum, der die verbliebenen Äste wie verkrüppelte Finger gen Himmel reckte. Wieder musste ich an den Spuk denken… Aber das Geräusch war deutlicher, und bei dem Baum konnte ich nun tatsächlich vage drei Gestalten ausmachen. Ich zog mich hinter das Haus zurück, winkte den beiden anderen, und versuchte ihnen mit knappen, Parthien-erprobten Gesten klar zu machen, dass sie den Platz umgehen, und sich von hinten nähern sollten, während ich von vorne kam, und dass wir versuchen würden, die Leute zu überwältigen. Da die beiden nicht in Parthien gewesen waren, musste ich den Plan noch mal flüsternd erläutern (was leider nicht halb so professionell aussah), dann verschwanden sie in der Nacht.


    Ich zog mein Gladius, und ging mit klopfendem Herzen, gebückt hinter einem Gesträuch in Richtung des toten Baumes. Die Stimmen wurden deutlicher. Eine Frau flehte um Gnade! Zu viel Zeit sollte ich mir jetzt nicht mehr lassen! Aufgeregt pirschte ich mich näher heran, aber prompt trat ich auf einen Ast, der mit lauten Knacken zerbrach. Und als das Geräusch die Nacht durchdrang, und ich vor Schreck zusammenzuckte, klirrte meine Rüstung. Verdammt. Jetzt hatten sie mich sicherlich bemerkt.
    Vor lauter Anspannung biss ich mir fest auf die Lippe, und beschloss, dass ich jetzt eben die Ablenkung sein musste, und hoffte, dass die anderen nicht zu lange auf sich warten ließen, und vor allem, dass sich da vorne im Schatten nicht noch weitere Sicarii verbargen! Ein stummes Stossgebet zu Fortuna auf den Lippen, richtete ich mich auf, und brach durch das Gebüsch auf die drei Gestalten zu.

    Jetzt gab es eine Menge Einzelheiten zu besprechen. Ich zog meine Hand gleich wieder zurück, denn es schien mir, als wäre ich Celeste damit zu nahe gekommen. Dabei war das nur mein hispanisches Temperament, hoffentlich hatte sie das jetzt nicht falsch verstanden. Oder vielleicht wäre es sogar gut, wenn sie es falsch verstünde? So ein hübsches Mädchen war es sicher gewöhnt, ständig angemacht zu werden, womöglich würde sie sich wundern wenn es ausbliebe, wäre beleidigt und würde anfangen sich Fragen zu stellen? Ach, es war doch auch so schon kompliziert genug.
    “Ich denke, ich werde in der Casa Decima einen Arbeitsraum für uns abzweigen. Du willst ja wahrscheinlich nicht in die Castra kommen, oder? Auf diese Weise muss ich eben häufiger mal nach Hause kommen, das ist auch gut. Deine Aufgabe wird es dann zuerst einmal sein, mir bei dem ganzen Papyruskram zu helfen… Briefe oder Berichte ins Reine zu schreiben, mir irgendwelche Dokumente von den Ämtern zu besorgen wenn ich sie brauche, und überhaupt Botengänge für mich zu machen.“
    Das war natürlich alles nicht sehr aufregend, aber dafür äusserst solide. Interessanter, aber dafür auch gefährlicher, war das andere, was mir so vorschwebte.
    “Dazu kämen dann die etwas spezielleren Aufträge, wie zum Beispiel, sich umzuhören, in Fällen in denen wir ermitteln, oder hin und wieder ein Auge auf verdächtige Personen zu werfen… Von der Bezahlung her dachte ich an vierzig Sesterzen in der Woche. Was sagst Du dazu?“


    Bis dahin war ich ganz zuversichtlich, aber ihre Antwort was das Klauen anging, die ernüchterte mich. Sie klang sehr ehrlich, das musste ich ihr zu Gute halten, aber ich konnte doch keine Scriba einstellen, die weiterhin kriminell war… Wie sähe denn das aus, wie dumm stünde ich denn dann da, wenn man sie erwischen würde!
    “Wie? Ich dachte Du willst ein ehrliches Leben führen. - Aber Celeste, da muss man einen ganz klaren Trennungsstrich ziehen! Ich bin sicher, wenn Du wirklich neu anfangen willst, dann gelingt es Dir auch das Stehlen sein zu lassen. Du hast doch einen starken Willen, Du kriegst das hin! Und ein Versprechen, das ist etwas festes, daran kann man sich orientieren, es zu versprechen wird Dir dabei eine Hilfe sein.“
    So redete ich voll Überzeugung auf sie ein, denn ich fand, dass sie doch an sich glauben sollte, und außerdem konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass das Stehlen so einen großen Reiz ausüben könnte, oder einfach so geschehen könnte ohne dass man es zu steuern vermochte. Das war ja gewiss nicht so als würde man Opium nehmen!

    Zitat

    Original von Titus Decimus Vestinus


    Wie Vestinus so erzählte, erinnerte ich mich natürlich auch an meine Grundausbildung zurück. Was für ein Glück, das das weit hinter mir lag! Aber mein Cousin hatte es gut getroffen. Ich erwiderte das Grinsen, als er so enthusiastisch erzählte, und auch da fühlte ich mich, so ähnlich wie früher, ganz wohl in der Rolle des etwas Älteren und Welterfahreneren. Drei größere Geschwister hatte ich gehabt, die einem, bei aller Liebe, manchmal ganz schön auf den Geist gehen konnten, da war es wunderbar gewesen, wenn ich mit meinem Cousin zusammen unterwegs war, mal zur Abwechslung selbst der Große zu sein... Überrascht und erfreut hörte ich, dass Vestinus in Licinus' Centurie gelandet war.
    "Aber natürlich kenne ich ihn!", meinte ich, und prahlte ein bisschen: "Wir haben sogar schon einmal eine richtige, also eine offiziell anerkannte Heldentat zusammen vollbracht." Dabei grinste ich in mich hinein, und betonte die Worte etwas ironisch, was zeigen sollte, dass ich doch über solchen Dingen wie Ruhm und Ehre stünde – auch wenn's in Wirklichkeit nicht so war, und ich die Geschichte gerne hin und wieder hervorholte.
    "Mhm. Er ist wirklich schwer in Ordnung." Was Vestinus so positiv hervorhob, das merkte ich mir. Schließlich wollte ich doch genauso von meinen Probati respektiert werden.
    "Ja, ich kann mich erinnern... Aber manche sind wirklich so. Ich war damals für einen Abschnitt der Ausbildung bei Optio Saufeius Simplex. Ich kann Dir sagen! Da ist 'blutrünstiges Monster' noch untertrieben. Sei froh, dass Du nicht bei dem gelandet bist. - Aber naja, ich bilde ja mittlerweile auch Rekruten aus, und ich muss sagen, manche Probati brauchen einfach eine harte Hand."
    Unwillkürlich schweifte mein Blick kurz zu unserem neuen Caecilier, der sich, wie so oft, abseits hielt, und sich wohl für die nächste Disziplin ausruhte. Die sollte nun auch gleich folgen. Aber zuerst wurde mein Name laut durchs Amphitheater gerufen, und ich bekam noch einmal Applaus. Ich lächelte bescheiden, genoss den Augenblick in vollen Zügen und und dachte so bei mir, aber nur ganz verstohlen: Ach, wenn doch Hannibal mich jetzt sehen könnte!
    Schon ging's mit dem Pilumwerfen weiter, und wir mussten unser Gespräch erstmal unterbrechen.
    "Ja, dann bis nachher.", meinte ich und wünschte fröhlich: "Viel Glück und Erfolg, compañero! "

    „Befördert wird, wer sich verdient gemacht hat“, widersprach ich ärgerlich. „Durch Leistung und Disziplin. Aber das sind offensichtlich Fremdworte für dich.“ Warum in aller Welt war der Mann überhaupt zum Militär gegangen?
    Ich sah ihn unwillig an, als er wieder näher kam, meinen Rücken berührte. Sprach er die Wahrheit? Konnte das sein, dass ich gar nichts davon bemerkt hatte, und doch alle über mich bescheid wussten? Nein, das war zu haarsträubend, das konnte und wollte ich nicht glauben. Ich wich mit dem Oberkörper zurück, als er wie ein Hund an mir schnüffelte – und erschrak! Wie konnte es sein, dass er von meiner Opiumvergangenheit wusste? Riechen konnte man das ganz gewiss nicht, das letzte Mal war schon ein halbes Jahr her… Entweder es war ein böser Daimon in ihn gefahren – oder er hatte tief in der Subura über mich Erkundigungen eingezogen. Über Decius vielleicht? Oder hatte Callistus ihn geschickt, als eine ganz späte Revanche? Das würde jedenfalls einiges erklären... Es war einfach nur unheimlich!!! Aber aus dieser Perspektive konnte ich das ganze wenigstens wieder einordnen.
    “Du glaubst also wirklich, ich ließe mich mit dem Einsatz bei dem Brand erpressen?“ Ich schüttelte verächtlich den Kopf. “Armer Irrer. Im Gegenteil, ich habe für diese Aktion sogar Lob bekommen. Und wenn ich mich recht entsinne, gab es da genau einen Befehl, den man vielleicht missverstehen könnte… den DU sehr laut gerufen hast. Was für ein dummer Streich des neuen Probatus. Wem wird man eher glauben, hm? Dem Centurio, der ein ausgezeichneter Kriegsveteran ist, oder dem verwirrten Rekruten, der schon vor aller Augen auf dem Campus seinen Wahnsinn demonstriert hat, und der seine verdiente Disziplinarstrafe anscheinend nicht verkraftet hat?!!“


    Ich jedenfalls fand das sehr überzeugend, ich wollte mich aufrichten und endlich hinaus aus diesem Hort des Wahnsinns, und fort von dem lauernden Schrecken, der jetzt sogar behauptete ich würde ihn brauchen - Ich ihn! Absurd! – bevor mir hier auch noch der Rest meines Verstandes verloren ging. Doch in diesem Moment brachte er ein Argument ins Spiel, gegen das alles andere belanglos wurde.
    Dieser Duft...! Ich sog ihn ein, mit geblähten Nasenflügeln, dieses himmlische Aroma, und in mir wuchs augenblicklich diese köstliche Unruhe, dieses unüberwindliches Verlangen.
    Nein, Faustus. Ich packte das Handgelenk Caecilius’, in der festen Absicht, ihm die böse Verlockung aus der Hand zu schlagen… aber dann… Nein, dann konnte ich es nicht. Ich kämpfte gegen ein ungeheures Aufwallen der Gier, ich krallte meine zitternde Hand mit aller Kraft in die Stufe auf der ich sass, suchte den Blick abzuwenden, leckte mir nervös über die Lippen, aber dann, ehe ich es mich versah, war es schon geschehen, hatte ich ihm die Kugel aus der Hand genommen, und schmeckte die öligen Krumen in meinem Mund. Es war kein angenehmer Geschmack, aber ich liebte ihn, als den Vorboten unvergleichlicher Genüsse. Und während ich mich zu Tode schämte, vor dem Verrückten der Gier nachgegeben zu haben, und während ich zugleich dem Einsetzen der Wirkung entgegenfieberte, sagte ich mir: Na und! NA UND!
    Er wollte mich manipulieren, na gut, er hatte mich manipuliert, aber ich würde ihm einfach einen Schritt voraus tun. Sollte er doch glauben, sein Spielchen zu gewinnen, so einem Irren war ich doch allemal überlegen... ÜBERLEGEN.
    Ich erhob mich, trat an ihn heran und packte ihn fest im Nacken, starrte ihm in die Augen, aus denen der Wahnsinn mir entgegenlachte.
    "Vielleicht... vielleicht könntest du das wirklich. Mir nützlich sein. Da draussen... Aber da müsste ich ganz sicher sein, dass du dich benimmst. Dass du Disziplin und Respekt an den Tag legst... und Gehorsam. Bisher hast du mir nur Ärger gemacht. Jetzt willst du brav sein? Kannst du das überhaupt? Das musst du mir schon BEWEISEN".

    Zitat

    Original von Hannibal
    "Faustus!"


    Jeder Schritt brachte mich näher an ihn heran. Die Menschenmassen waren für mich nur noch bloße Kulisse, das Geschrei ein Rauschen in meinem Hinterkopf. Ich nahm, aus den Augenwinkeln, wahr, dass Decius auch da war, aber achtete nicht auf ihn, er war absolut nicht von Belang. Nein, ich sah nur noch… nur noch Namenlos, sein Gesicht, die dunklen Augen, die mich so wundersam berührt hatten, wie sie sich auf mich richteten, und seine Lippen, fähig die allerschönsten und poetischsten Worte der Welt zu sagen, wie sie sich teilten, und… völlig gleichgültig meinen Namen aussprachen.
    Ich wurde blass. Ich wurde rot. Ich brachte kein Wort heraus. Dabei hätte ich so viel zu sagen gehabt! Ein fester Knoten ballte sich in meinem Magen zusammen, zog sich immer fester zu. Ich stand da und starrte ihn an, während unten in der Arena die Amazone noch immer um ihr Leben kämpfte. Keine Ahnung wie lange es dauerte, mir schien es jedenfalls eine Ewigkeit, bis ich doch endlich, rau, ein Wort über die Lippen brachte.
    “Salve.“
    Das war ein Anfang. Und ich machte noch einen Schritt, überbrückte den Raum der zwischen uns lag, bis ich dicht vor ihm stand, aber ich sah ihn nicht mehr wirklich an, blickte mehr so durch ihn hindurch.
    “Ich will meine Briefe zurück.“ verlangte ich, so leise dass nur er es hören konnte, aber jetzt entschlossen, und zornig. Zornig dass allein seine Gegenwart mich noch immer so aus dem Konzept brachte, zornig über das ganze Desaster sowieso.
    “Die ich Dir geschrieben habe. Ich will, dass Du sie mir zurückgibst. Wenn Du noch einen Funken Anstand besitzt.“

    Zitat

    Original von Titus Decimus Vestinus


    Wir begrüßten uns fast wie früher. Auch wenn mein Cousin äußerlich kaum wiederzuerkennen war, und jetzt eine echt stattliche Figur machte – sein fröhliches Wesen war immer noch dasselbe. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich abzuschätzen, ob er jetzt grösser als ich war… hmm, nein, wenn dann nur ein ganz kleines bisschen.
    “Bei der Prima bist Du?! Das finde ich gut. Ist ja auch die beste Legion des Imperiums.“
    Natürlich bedankte ich mich heiter für die Glückwünsche, und auch dem Classis-Soldaten, der nach Macro und mir ins Ziel gekommen war, antwortete ich höflich: “Danke Commilitio!“ Dabei trug ich sonst gegenüber Angehörigen der Classis die Nase schon mal etwas höher.
    “Aber“, meinte ich zu Vestinus, “es gibt ja noch einen ganzen Haufen Ruhm hier zu gewinnen. Machst Du noch woanders mit? Ich habe mich noch für’s Ringen angemeldet.“ Ich dämpfte die Stimme und wies dezent auf den glatzköpfigen Riesen-Koloss von der Flotte. “Ich hoffe nur, ich muss nicht gegen den antreten. Der hat so einen irren Blick!“


    Dieses Wiedersehen rief einige Erinnerungen in mir wach, und machte mir mal wieder bewusst, wie vollkommen anders, und verblendet, ich doch damals in meinen Ansichten gewesen war. Klar, dass Vestinus sich wunderte. Gerade ihm hatte ich doch früher gerne mit meinen höchstprogressiven Thesen die Welt erklärt! Ich rieb mir die Nase, und nahm ihn etwas beiseite.
    “Ja weißt Du… das ist ne lange Geschichte. Mir ist einfach irgendwann klar geworden, dass meine Ideen doch ziemlich unausgegoren waren. Ich meine, es ist leicht über etwas zu spotten, das man nicht kennt, und die Welt aus den Angeln zu heben, solange man sich dabei auf die Theorie beschränkt… Außerdem“, gestand ich leise, “naja, war es leider so, dass die Leute meine Gedichte nicht lesen wollten..… – Aber dann bin ich zur Prima gegangen, und in Parthien habe ich erlebt, was römisches Soldatentum ausmacht! Und wie großartig es ist, sein Leben in den Dienst von etwas viel Höherem, etwas wahrhaft Edlem, zu stellen, etwas auf das man stolz sein kann! Und jetzt bin ich Centurio bei den Stadtkohorten.“ Ich grinste verhalten, als ich schwärmte: “Eine sehr spannende Arbeit ist das. Unheimlich abwechslungsreich, und mitten in Rom. - Und wie läuft es bei Dir in der Prima? Hast Du einen strengen Ausbilder erwischt?“

    Musste elend sein, da unten sein Leben zu fristen... 'Trockene Bereiche, Zuflucht', das erinnerte mich an irgendwas, etwas... ungutes, aber ich bekam den Gedanken nicht zu fassen, etwas sträubte sich dagegen, und dann war's auch schon wieder weg. Ich nickte, und verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen bei dem Scherz über unseren Gestank. Aber in der Hinsicht auf Circesium war ich nicht mit viel Humor gesegnet. Düster bemerkte ich:
    "Ja, die meisten haben sich ergeben... aber manche wollten einfach nicht aufgeben."
    Was mir bei Celeste auffiel: sie achtete sehr auf ihre Umgebung, so als wäre sie die ganze Zeit auf feindlichen Territorium. In der Kneipe hatte sie mit dem Rücken zur Wand gesessen, und auch die Lichtung wurde genau beschaut, als wir sie betraten. Sicher eine Notwendigkeit in ihrem Metier. Ich selbst fühlte mich, bewaffnet und gerüstet, ziemlich sicher, auch wenn hier in dem Park, nachts, wie gesagt, schon einiges vorgefallen war.


    Celeste spannte mich ganz schön auf die Folter. Aber klar, ich verstand schon, dass es eine wirklich schwere Entscheidung war. Erwartungsvoll sah ich sie an, als sie wieder schwieg, auffordernd, so als könnte ich sie allein mit meinem Blick zum Weitersprechen bewegen. Die Spannung stieg, bis sie endlich, endlich noch etwas sagte, und ich merkte erst da, dass ich den Atem angehalten hatte.
    "Großartig! Das ist... einfach großartig. Du kannst stolz darauf sein!"
    Bewegt legte ich ihr die Hand auf die Schulter, und lächelte sie ehrlich an. Natürlich bestand noch immer die Möglichkeit, dass sie mich nur hinters Licht führen wollte, aber ich glaubte es eigentlich nicht, ich vertraute ihr ziemlich weit. Vielleicht, weil ich so gerne endlich mal wieder einen Lichtblick haben wollte, und ja, das war einer, und zwar ein wirklich heller, in all dem Unglück, das mich in letzter Zeit befallen hatte. Ich war ja auch durchaus stolz auf meine Rolle, die ich hier spielte, so als Verbreiter einer anständiger Lebensführung. Jetzt fehlte mir nur noch ein weisses Pferd.
    "Also, dann wirst Du für mich arbeiten?", vergewisserte ich mich nochmal, und bat freundlich: "Und nicht mehr stehlen, ja?"