Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Ha! Das wurde immer verdächtiger, schliesslich waren die Christianer ja bekanntlicherweise eine jüdische Sekte. Oder eine judäische Sekte. Oder etwas in der Art... Ich nickte, lächelte dazu falsch freundlich und ehrlich interessiert und plauderte munter weiter.
    "Das klingt interessant! Bist Du dann auch aus Judäa wenn ich fragen darf? - Ich für meinen Teil bin ja iberischer Herkunft, aber auch schon lange in Rom. Also, wenn ich mich vorstellen darf, Aulus Ticida ist mein Name, von den Anteiern. Und, naja, ich bin eigentlich immer auf der Suche nach spannenden Geschichten..."
    Ich klopfte auf meine abgewetzte Ledertasche mit dem Schreibzeug und 'gestand': "Ich schreibe sie auf, und sammle sie. Eigentlich arbeite ich als Scriba, also zur Zeit, aber Geschichten sind einfach etwas wunderbares, nicht? - Würdest Du mir vielleicht diese alte Geschichte von Esther erzählen?"
    Die kleine Scharade begann mir zu gefallen. Ich warf einen Blick voll gespielter Bedenken auf meinen Geldbeutel, rieb mir nachdenklich die Nase und setzte dann hinzu: "Ich würde Dich natürlich dafür auch auf einen Becher Wein einladen! Und die Kleine auf einen Saft."

    Als es klopfte, war ich gerade sehr beschäftigt. Bis über beide Ohren vertieft in eine ganz aktuelle Abschrift von 'Rennsport in unserem Imperium', in der das glorreiche Rennen von Misenum in allen Einzelheiten analysiert wurde, mitsamt den technischen Eigenheiten der Wägen, der Bodenbeschaffenheit der Bahn und den speziellen Strategien der Fahrer, es gab darin auch Tipps für das beste Kraftfutter für die Pferde, Prognosen für die nächsten Rennen, und überhaupt, es war ein ganz, ganz spannendes Blatt, unverzichtbar für jeden Fan, und vor allem für jeden Hobby-Auriga. Ich musste mich doch auch in der Theorie vorbereiten, auf das Equus October.
    Trotzdem zuckte ich zusammen, wie ertappt, bei dem Klopfen, denn so wirklich dienstlich war es nicht, was ich hier tat, und schnell schob ich die Blätter zusammen und stopfte sie unter den Dienstplan der Centurie, der auch auf meinem Tisch herumlag. Dann räusperte ich mich, rief gemessen: "Herein", und blickte dem Eintretenden mit strenger Miene entgegen. Dafür dass er tags zuvor befördert worden war, sah er erstaunlich frisch aus.
    "Morgen Redivivus. Setz dich," - ich wies auf den Stuhl gegenüber des Schreibtisches - "und sag mir: Wie hältst du es mit der Religion?"

    Zitat

    Original von Manius Peltrasius Bibulus
    Ungerührt verfolgte Bibulus die Regungen in dem Gesicht des jungen optio; ein wenig tat es ihm schon Leid mit der ganzen Angelegenheit, aber hauptsächlich, weil es ihn ärgerte, in eine solche Situation gebracht zu werden. Eine Lüge bei der Aufnahme in die Legion war etwas schwer wiegendes, gegen einen guten Soldaten deswegen vor gehen zu müßen, eine sehr unschöne Sache. Bibulus lehnte sich zurück als das Geständnis aus dem Decimer heraus sprudelte. Immerhin gab er es endlich zu und begann keine peinliche Lügerei und Leugnung der Tatsachen. Aber selbst wenn Bibulus das anerkennen konnte – selbst wenn die Wahrheitsliebe des anderen Soldaten ein wenig zu spät kam – so würde er dennoch das Ganze melden müßen, es blieb ihm keine andere Wahl. Und bestechlich war Bibulus in solchen Dingen nicht, wenn es um die Wacheinteilung ging, Strafarbeiten und ähnliche Lapallien, ja, dann ging es auch bei ihm, aber nicht, wenn er die Grundfesten des Soldatentums angekratzt sehen würde.


    „Das mag schon stimme, optio, daß Du kein schlechter Soldat bist und es schwierig werden könnte, Dich zu ersetzen, wenn auch nicht unmöglich und mit Sicherheit auch in baldiger Zeit. Mir geht das Ganze auch gegen den Strich. Wenn es nach mir als Privatmann und einfachen Kameraden gehen würde, könnte ich das ruhen laßen und ignorieren. Aber ich bin nun mal mit meinem Rang der CU verpflichtet und kann so etwas nicht durch gehen laßen. Wie das Ganze jedoch endet und ob in einer unehrenhaften Entlaßung oder nicht, das liegt immer noch auch in Deinen Händen, Decimus. Vielleicht hast Du ja einen Vorschlag, wie wir weiter vor gehen könnten?“



    Der Kollege machte es sich ganz schön einfach.
    "Verdammt, Peltrasius, Du weisst doch genau dass ich geliefert bin wenn Du das nach oben weitergibst! Einmal Verbrecher, immer Verbrecher, das ist es doch was die Männer hier glauben! Damit wäre mit einem Schlag alles was ich seitdem getan und erreicht habe zunichte gemacht!!"
    Ich hatte Angst, eine Scheiss-Angst, und sprach schnell weiter, hoffte ihn doch irgendwie überzeugen zu können!
    "Bitte, hör mir zu, ich habe damals nie, wirklich nie, irgendjemanden angegriffen oder verletzt! - Ich wurde verhaftet und sass im Carcer aber ich bin nicht verurteilt worden. Es war also nur Untersuchungshaft, keine Strafe, ich bin nicht vorbestraft und damit im Sinne des Gesetzes kein Verbrecher! Natürlich, es war nicht korrekt das bei der Rekrutierung zu verschweigen, das gebe ich absolut zu, aber es fällt nicht unter die Dinge die einen, laut Gesetz, wehrunwürdig machen. Ich bin weder ein Vorbestrafter noch ein entlaufener Verbrecher, und damit bist Du auch nicht unbedingt verpflichtet mich zu melden!
    Bitte, lass es uns klären ohne die da oben mit ins Spiel zu bringen! - Diese Auslese bei der Rekrutierung, dieses Gesetz gegen die Straftäter, das ist doch dazu da, dass keine Männer sub aquila kommen, die dessen nicht würdig wären. Aber ich, ich habe gezeigt und bewiesen dass ich dessen würdig bin."

    Nach dem Gespräch mit Peltrasius war ich völlig durch den Wind. Das war die grosse Katastrophe, das Desaster, ein schreckliches Fiasko... Ich stand vor dem Sacellum, die Arme fest verschränkt, und starrte vor mich hin, war ganz und gar verzweifelt. Vielleicht sollte ich selbst meine Entlassung einreichen, bevor sie mich rauswarfen, das wäre ein klein bisschen weniger schmachvoll... Und dann???
    Irgendwann tauchte der artorische Rekrut auf, seine Entschuldigung riss mich heraus aus den allerschwärzesten und entsetzlichsten Szenarien, die ich mir gerade ausmalte.
    "Macht nichts...", sagte ich schwach, und sah den Mann an, so enthusiastisch schien er mir, den Dienst hier anzutreten, so hoffnungsvoll, so unbescholten. Der hatte es sicherlich nicht nötig gehabt, im Rekrutierungsbüro zu lügen.
    "Deine Crista ist locker." teilte ich ihm düster mit, fasste ihn dann genauer ins Auge. "Richte das und rück Deinen Gürtel gerade. Wie sieht denn das aus." Mit Grabesmiene wies ich auf seine rechte Seite: "Und die Riemen da...und da..."
    Details. Über solche Kleinigkeiten konnte ich mich gerade gar nicht echauffieren. Ich gab ihm einen Moment das zu richten, und trat dann ihm voraus in das kühle Rund des Aedes signorum. Die Feldzeichen der Stadtkohorten thronten uns gegenüber, ebenso das Bildnis des Kaisers. Bei diesem Anblick riss mich mich zusammen, straffte mich und salutierte respektvoll. Angemessen feierlich befahl ich dann:
    "Leiste Deinen Schwur, Artorius Menas, vor den Göttern und vor unserem Imperator."

    Jaa, der Wagen, der war mordsmässig schick, und ich grinste breit, als der Rennleiter das bemerkte. Ich dachte ja schon die ganze Zeit darüber nach, dass ich so ein tolles Gefährt auch gerne besitzen würde. Das machte wirklich was her! War halt teuer im Unterhalt, und man durfte in Rom auch nur nachts damit fahren, aber nichtsdestotrotz, man konnte bestimmt eine Menge Spass damit haben, und Eindruck schinden sowieso.
    Einen Rat? Natürlich wollte ich einen Rat, eine geheime Rennfahrer-Weisheit womöglich, ich beugte mich ebenfalls ein wenig vor und lieh dem Mann aufmerksam mein Ohr. Hm, der Gewinn, der war natürlich hoch, aber er blendete mich nicht, ich fuhr vor allem mit weil ich immer schon von sowas geträumt hatte, und weil mich wirklich die Herausforderung reizte. Ich nickte ernst, verzog dann unwillkürlich ein bisschen das Gesicht, bei dem Rat mit den Pferden. Das war schon traurig, dass das Siegerpferd geopfert werden würde, aber für Mars war eben nur das beste gut genug.
    "Verstehe", meinte ich, und grinste schief zurück, "ich werd es ihnen nicht auf die Nase binden."
    Der Wagen wurde eingehend untersucht, ich hatte aber weder Dornen noch Sichelklingen noch irgendwelche anderen Gemeinheiten daran versteckt, so gab es nichts zu beanstanden.
    "Danke!", rief ich fröhlich - das war doch ein netter Kerl, wirklich - und da sah ich schon das wuchtige Schulterklopfen kommen, ich stemmte mich rechtzeitig dagegen und bewahrte so meine aufrechte Haltung.


    Andere Wägen trafen ein, gleich nach mir einer von der Veneta - pff, Veneta -, und ich stieg wieder auf, ergriff die Zügel und liess die Pferde anziehen. Geta schritt nebenher, als ich die Pferde im Schritt in Richtung des Startes lenkte, und dort die mir zugewiesene Position einnahm.
    Die Sonne beleuchte hell den Campus, die hohen Fassaden der Gebäude drumherum, und die Tribünen für die Zuschauer. Viele Zuschauer... bei ihrem Anblick wurde mir doch etwas... nein, mulmig ist zuviel gesagt, Lampenfieber könnte man es wohl nennen. Für gewöhnlich behandelte mich Fortuna ja mit Wohlwollen, aber vielleicht hätte ich ihr sicherheitshalber doch nochmal opfern sollen, vorher? Nicht dass ich mir hier tatsächlich Hals und Bein brach, oder schlimmer, mich und meine Familie blamierte... Naja, jetzt war es eh zu spät dafür. Die Pferde stampften und warfen die Köpfe, kauten auf dem Zaum und wären wohl am liebsten gleich losgestürmt.
    Ich fasste die Zügel fester, richtete den Blick auf die Rennbahn, und versuchte alles andere auszublenden. Geta gab mir auch noch einige Ratschläge - nicht gleich verausgaben, die Kurve immer entlang der Tangente anvisieren, die erste Wendung ruhig angehen etc. Ich nickte dazu, und betrachtete dann doch wieder die anderen Fahrer, versuchte sie nach dem Augenschein einzuschätzen.

    Becher um Becher kippte der Centurio, und ich hätte jetzt auch gut mehr Wein vertragen können. Wie - gemordet, was sollte das heissen, waren damit wirklich Satryus' Schläger gemeint oder nicht womöglich doch was anderes? Hätte der Centurio nicht, wenn es nur um solchen Abschaum ginge, ein anders Wort als gemordet verwendet? Ich verstand nicht, eigentlich verstand ich gar nicht mehr - aber eines wusste ich genau: wenn Hannibal jemandem umgebracht hatte, dann hatte er mit Sicherheit einen guten Grund dafür gehabt! Ganz bestimmt.
    Aber verdammt, wie hatte ich mich nur in diese Situation hier hineinmanövrieren können?! Mehr als unbehaglich rutschte ich auf meinem Sitz hin und her, legte einen Arm auf die Lehne und nahm ihn wieder runter, schlang die Finger um meinen leeren Becher und entknotete sie wieder. 'Unverkäuflich' hiess also wirklich unverkäuflich, und das 'wann' klang für mich mehr wie ein sehr vages 'möglicherweise irgendwann mal'. Deprimiert drehte ich den Becher in den Händen, hier war scheinbar wirklich nichts zu machen. Enttäuschung auf allen Seiten, sozusagen.


    Meine Fragen hatten den Centurio eben doch ein wenig ins Schwitzen gebracht, aber jetzt ging er auf einmal heftig in die Offensive. Wie ein Stier, wenn er zum Angriff den Kopf senkt, den Bestiarius auf die Hörner nehmen will, so erschien mir der Flavier, als er sich vorbeugte und mich ins Auge fasste. Unangenehm, diese Fragen... aber ich hatte ja jetzt eh nicht mehr wirklich was zu verlieren. Und ich war wütend! Denn auch mein Centurio, mein verehrter Centurio, war am Ende doch bloss ein Spiessbürger, engstirnig und borniert und ohne Verständnis für die Dinge jenseits seines gutrömischen Horizontes.
    Jolín! Ich hatte auf einmal den starken Drang ihn zu schockieren. Überhaupt war ich es so satt drumrumzureden und mich zu verstellen!
    "Centurio...", sagte ich, und beugte mich auch vor, spiegelbildlich zu ihm, so dass unsere Augen nicht weit voneinander entfernt waren, "ich glaube Du willst das gar nicht so genau wissen, was ich von Hannibal will..."
    Meine Hand zitterte, vor Anspannung, als auch ich den Becher abstellte, dann holte ich tief Luft.
    "Ach verdammt! Bei allen Göttern, Centurio - ich liebe ihn! Ich liebe ihn mehr als alles auf der Welt!"
    In mir war heilloser Aufruhr. Es hielt mich nicht mehr auf meinem Sitz, ich sprang auf und schleuderte meinem Centurio, stellvertretend für alle Spiessbürger dieser Welt, dramatisch entgegen:
    "Und ich schäme mich nicht dafür!"
    (Was ja nicht so ganz der Wahrheit entsprach, aber dafür meiner wild aufgepeitschen Gemütsverfassung.)
    "Bei Eros und Anteros! Wenn Du jemanden liebst, Centurio, dann würdest Du doch auch nicht wollen, dass er sein Leben in Sklaverei fristen muss! Wie ein stolzer Adler, eingesperrt in einen viel zu kleinen Käfig!! - Ähm. Oder sie. - Oder?!!"

    Puh. Um mich herum sprachen lauter Leute auf einmal und durcheinander, und plötzlich war ich auch noch zwischen die Fronten eines Nachbarschafts-Streits geraten, und mir flogen die Scheltworte um die Ohren. Nein, so konnte ich nicht arbeiten!
    "Ruhe!", befahl ich energisch, wandte dann den Kopf nach oben zu dem Fenster mit der alten Frau. Das was sie erzählte, stimmte ja soweit mit dem überein was wir uns zusammengereimt hatten. Aber nicht ausgeraubt? Die Börse fehlte doch... Vielleicht hatte sie uns sprechen gehört und wollte sich wirklich nur wichtig machen?
    "Gute Frau", sprach ich in höflichem Tonfall zu ihr nach oben, "Pulicia. Du hast offenbar eine wichtige Beobachtung gemacht. Wir kommen gleich hinauf, und sind dankbar wenn Du uns dann genau berichtest was Du gesehen hast. Aber einen Moment noch."
    Und ich wandte mich wieder der jungen Frau, Lusca zu.
    "Hm, zwei Männer also - eher gross, oder eher klein? Dunkel oder hellhaarig? Weisst Du ungefähr was sie anhatten?"
    Aber meine Fragen überforderten die Zeugin wider Willen, und förderten nichts mehr zu tage. Ich hatte die arme Frau jetzt auch genug ausgequetscht, und winkte einen Miles herbei.
    "Danke Lusca, Du hast uns sehr geholfen. Das hier ist Miles Pontius, er wird Dich nach Hause begleiten."
    Ich wollte nämlich wissen wo sie wohnte, falls doch noch Fragen auftauchten, und so verstört wie sie war hätte ich es ihr durchaus zugetraut uns da zu beschwindeln. Beinahe entschuldigend kündigte ich an: "Es kann sein, dass wir nochmal mit Fragen auf Dich zukommen. Tja, ist nun mal notwendig, schliesslich wollen wir ja die Mörder erwischen. Danke nochmal."


    Pontius befahl ich die Zeugin nach Hause zu bringen und die Personalien aufzunehmen. Kaum war er mit ihr zusammen losgezogen, wurde Redivivus bei der Spurensuche fündig.
    "Oh, interessant. Dort lag er? Mhm. Zeig mal her."
    Kurzerhand nahm ich dem tüchtigen Probatus den speckigen Beutel aus der Hand. Mein erster Gedanke war gewesen, dass die Mörder das Geld aus dem Beutel des Octaviers genommen hatten, und ihn dann weggeworfen hatten, um nicht verräterisches bei sich zu behalten - aber das verwarf ich wieder, denn der Beutel hatte etwas Gewicht, und es klimperte leise in ihm. Komisch. Ich zog die Lederschnur auseinander und öffnete den Beutel, hielt ihn auf meiner Handfläche, so dass auch die Milites um mich herum reinsehen konnten. Darin waren nur ein paar lumpige Asse, drei abgegriffene Sesterzen, und ein zerknitterter Zettel.
    "Hmm", machte ich wieder, "mir scheint, das könnte eher einem der Angreifer gehören. - Falls ihn nicht zufällig jemand verloren hat, natürlich. Vielleicht hat der Octavier sich gewehrt, und dabei ist dem Mörder der Beutel abgerissen. Die alte Frau sagte, die zwei Männer hätten etwas auf der Strasse gesucht, vielleicht war es dieser Beutel."
    Spekulationen natürlich, aber ich mochte diese Theorie, und entfaltete neugierig den kleinen Zettel, oder eigentlich mehr ein Fetzen. Darauf stand, in schludriger Handschrift:


    II.Kampf
    Cerberus vs. Ultor
    Quote III zu V
    VIII Sesterzen u. II Asse auf Ultor
    gez. DD


    Ein Wettschein! Meine Augen begannen zu funkeln. Das war doch mal eine Spur, vielleicht eine falsche, aber auf jeden Fall etwas Handfestes. Ich reichte Redivivus Beutel und Zettel zurück.
    "Nimm das wieder, Probatus. Wir nehmen hier noch die Aussagen auf, dann machen wir einen Abstecher in die Subura rein, ich weiss da jemand der sich mit Wetten auskennt."


    Sonst hatte die Spurensuche nichts ergeben. Naja, bis auf einen Apfelbutzen, eine tote Ratte und eine kaputte Sandalen-Sohle. Natürlich könnte alles wichtig sein, aber ob das wichtig war? (Vorsichtshalber nahmen wir den Apfelbutzen mal mit.)
    Als nächstes machten wir uns daran die Bewohner der Strasse zu befragen, dazu teilte ich die Soldaten wieder ein, je zwei für einen Abschnitt der Strasse. Die beiden Probati nahm ich mit zu der interessanten Zeugin, sie sollten ja was lernen.
    "Artorius, Redivivus, kommt, wir befragen die alte Frau."
    Eine dunkle Stiege ging es hinauf, in dem krummen Haus, und durch einen Gang, so schmal dass ich, der ich ja nun kein Hüne bin, rechts und links mit den Schultern die Wand streifte. Es roch nach Erbsensuppe. Ich klopfte an der Türe, die wohl zu der Wohnung führte wo die Frau gerade aus dem Fenster gesehen hatte.
    "Pulicia? Hier ist Princeps Prior Decimus. Bitte mach auf, wir möchten nochmal hören was Du gesehen hast."

    Der grosse Tag war gekommen. Überglücklich hier dabeisein zu dürfen, und zugleich ziemlich aufgeregt, lenkte ich das Zweigespann auf das Marsfeld. Der Wind wehte, zauste die Mähnen der Pferde, und machte sie unruhig. Von der anderen Seite des Platzes trug er ein Wiehern herbei, worauf Velox die Nüstern blähte und schmetternd zurückwieherte. Leicht liess ich die langen Zügel auf die Rücken der Pferde schnalzen, und sie zogen wieder an.
    Es war herrlich, hier hoch im Wagen über den Platz zu fahren, ein wahrlich episches Gefühl, ich genoss die Blicke der Menschen, und als gar ein kleiner Junge bei meinem Vorüberfahren begeistert ein goldenes Fähnchen schwenkte, fühlte ich mich wie Pompeius Musclosus persönlich, und winkte fröhlich zurück. Der grosse, triumphale, Renngeschichte-schreibende Aurata-Sieg in Missenum war ja noch gar nicht lange her, da war ich besonders stolz, hier und heute für die absolut allerbeste aller Factiones antreten zu dürfen!


    Die Biga die mein Onkel mir verschafft hatte, war eher ein robustes Modell, passend für den nicht so ganz ebenen Untergrund hier auf dem Feld, aber der Wagen war reich mit Messingbeschlägen verziert, die ich hingebungsvoll poliert hatte - im Metallputzen hatte ich ja berufsbedingt Übung - bis sie so richtig golden glänzten. Auch die Pferde, beides Füchse, waren blankgestriegelt und trugen goldene Bänder in die Mähne eingeflochten. Es waren erfahrene Tiere, standhafte Hispanier mit breiter Brust, kräftiger Kruppe und sehnigen Beinen, mit kleinen beweglichen Ohren, blitzenden Augen und einem raumgreifenden Gang. Sie machten das nicht zum ersten Mal, im Gegensatz zu mir; natürlich hatte ich in der letzten Zeit trainiert so oft ich konnte, aber das hier war dann doch etwas ganz anderes.
    Ich selbst trug natürlich den Pannus in der Factiofarbe, hatte ihn aber mit meinem Cingulum militare gegürtet. Am Gürtel hing ein Messer, in der linken Hand hielt ich die Peitsche. Kreuzweise geschlungene Lederbänder wanden sich um meine Unterschenkel und Knie. Um meinen Hals hing mein Mars-Amulett, das in Ancillium-Form, das ich schon während des Krieges immer getragen hatte, und mich - da war ich ganz sicher - vor grösserem Übel bewahrt hatte.
    Es begleitete mich ein Sklave der Factio, Geta, der mich beim Training angeleitet hatte. Er war schon recht betagt, an Haar und Bart ergraut, und war ein alter Hase auf der Rennbahn. Vor allem hatte er eine angenehme Art, Ruhe um sich herum zu verströmen, bei Mensch und Tier.


    "Hoooo..."
    Vor einem Tisch, um den sich schon eine Traube von Menschen befand, und der ziemlich nach Anmeldung aussah, brachte ich die Pferde zum halten. Velox stampfte ungeduldig, und Volucer machte noch ein paar kleine, ruckartige Schritte, bevor er dann auch stand. Geta nahm die Pferde beim Zaum und ich sprang schwungvoll vom Wagen. Einen ersten, neugierigen Blick warf ich auf meine Rivalen, natürlich interessierte es mich brennend, mit wem ich es da zu tun bekommen würde. Dann trat ich auf den Mann mit der Glatze zu, grüsste voller Elan, "Salve! Ich bin Faustus Decimus Serapio", und erklärte, nicht ohne Stolz: "Ich trete für die Aurata an."

    Krähenkreis, Niemandsland,
    fahr ich zur Unterwelt,
    ruh ich mich endlich aus...

    Der Refrain hallte mir in den Ohren, erklang im Rhythmus meiner Schritte, wurde immer schneller, als ich diese beschleunigte.
    ...brech ich den Rudergriff
    tanz ich den Totentanz
    ruh ich mich endlich aus...

    Ich hastete durch die Strassen. Der Regen war stärker geworden, klatschte mir kalt ins Gesicht.
    Warum... warum lebte ich noch... Ausgerechnet ich, während so viele andere gefallen waren, nur noch Asche waren, und Erinnerung, vielleicht ein Name, eingemeisselt in einer Gedenktafel. Andere, die doch viel bessere Soldaten als ich gewesen waren, mutiger, erfahrener und stärker... Mich hätte es genauso treffen können, oder viel eher, jedoch ich lebte, Lucullus aber war tot, die Parther hatten ihm den Hals durchgeschnitten, Lucullus der von Anfang an nicht an einen Sieg geglaubt hatte, der nicht in unser aller Roma Victrix-Geschrei eingestimmt hatte, Lucullus der warme braune Augen gehabt hatte, und zugleich etwas Unberechenbares, dazu einen trockenen Humor und kräftige Schultern, perfekt um den Kopf daran zu lehnen.
    Alles das war vergangen. Er war tot, ich lebte, und ich hatte das nicht verdient...
    Und so viel von dem was ich früher geglaubt hatte, hatte ich über Bord geworfen, statt dessen heulte ich jetzt mit den Wölfen... polierte täglich meine Rüstung, sang den Rekruten Loblieder auf den blinden Gehorsam und hoffte eines Tages Centurio zu werden. Der Faustus von früher hätte sowas verachtet.
    Andererseits... der Faustus von früher war echt ein Versager gewesen.


    Ich kam auf eine Brücke, und folgte ihrem breiten Bogen bis zum höchsten Punkt. Es war der Pons Cestius, ausgerechnet. Unter mir rauschte der Tiber, über mir brauste der Wind, er peitschte den Regen und riss mir die Kapuze vom Kopf, er stemmte sich gegen mich, und wirbelte hoch am Himmel die Wolken umher, so dass die Mondsichel immer mal wieder kurz zu sehn war, um abermals zu verschwinden. Dann wurde es ganz dunkel, und es war, als stünde ich im Nichts, sturmumtost.
    Ich machte einen Schritt zum Rand der Brücke, lehnte mich gegen die Brüstung, und wandte den Blick nach unten. Ein leichter Widerschein liess das Strömen des Wassers erahnen, tief - wirklich tief! - unter mir. Ich schauderte, und das nicht wegen dem kalten Regen. Der Faustus von damals war doch ziemlich dumm gewesen. Auf einmal verspürte ich eine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem unbekannten Zwischenrufer, dessen Spott der ganzen Aktion ein Ende gemacht hatte.
    Fröstelnd richtete ich mich auf, wischte mir mit beiden Händen den Regen aus dem Gesicht. Es verlangte mich mit einem Mal nach Wärme, nach Stimmen und nach Gesellschaft, vielleicht könnte das diese ganzen Albtraum- und Erinnerungsfetzen endlich vertreiben...

    Angespannt stand ich daneben, während der Centurio die Rekruten prüfte. Schliesslich prüfte er damit auch meine Leistung. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, betrachtete ich die Kämpfe und Prüfungen, lauschte der kleinen Ansprache, und war dann ganz erleichtert, immerhin hatte er die meisten für würdig befunden. Wenn auch nicht alle. Verdammt! Da würde ich diesen Nachmittag ja schon wieder auf dem Campus verbringen müssen, mit Extratraining für die, die durchgefallen waren. Bei dem Scheisswetter... Diese Faulpelze, Strafexerzieren hatten die verdient, oder schlimmeres.
    Aber auf die anderen war ich selbstverständlich stolz. Und sie konnten auch stolz auf sich sein. Es freute mich zu sehen wie die Männer strahlten, als der Centurio das Ergebnis verkündete. Auch meine Miene war dann eher gelöst.
    "Glückwunsch, Milites. Ihr habt den Rest des Tages frei, um das gebührend zu feiern." Damit sie nicht gar zu sehr über die Stränge schlugen drohte ich im selben Atemzug: "Aber morgen früh beginnt der reguläre Dienst, und wer da nicht einsatzbereit ist wird es bitter bereuen. Abite Milites. - Die Probati, mit Gladii und Scuta, rüber zu den Übungspfählen."


    Als die Männer sich schon zum Gehen wandten, nahm ich noch kurz Redivivus beiseite. "Das war eine schöne Finte vorhin, Miles." lobte ich, und befahl: "Melde Dich morgen früh, gleich nach dem Morgenapell, in meinem Officium."
    (Hm, 'Officium' war vielleicht etwas hochtrabend, aber 'in meiner Abstellkammer' wollte ich dann auch wieder nicht sagen.) Ich erklärte nichts weiter, nickte Redivivus bloss noch knapp zu und begab mich dann zu den bedauernswerten Noch-immer-Probati, um sie für den Rest des Tages zu hartem Training auf dem Schlammplatz zu verdonnern.

    Oh je, mein Onkel sah ziemlich überrascht aus, und auf Anhieb schien er mir nicht so angetan von der Idee zu sein. Aber immerhin hatte er schonmal nicht gleich nein gesagt. Welche Antwort ich erwartete? Schwierige Frage.
    "Hmm." Ich furchte die Stirn und überlegte, um dann ehrlich zu antworten. "Also, ich erwartete eigentlich, dass Du erst einmal sagen würdest: 'Aber Serapio, so etwas ist doch eher etwas für Peregrine oder Sklaven'. Darauf würde ich sagen: 'Ja schon, aber es ist ja kein Circus-Rennen, sondern ein kultisches Rennen, zu Ehren des Mars. Und wie kann ich denn Mars besser meinen Respekt zollen, als wenn ich selbst ein Gespann bei dem Rennen lenke! Ich verdanke ihm ja auch sehr viel!' Ja, und dann würde ich erwarten - und, naja, ich würde hoffen natürlich - dass Du, nach reiflicher Überlegung, sagen würdest: 'Also gut. Aber mach uns keine Schande."
    Gespannt erwiderte ich den Blick meines Onkels, und hoffte nur, dass ich ihn da jetzt mal nicht ganz falsch eingeschätzt hatte.

    Ob sich hinter diesem lächelnden Gesicht die finstere Fratze eines Verschwörers verbarg? Er sah eher so aus, wie man sich idealerweise einen gütigen Vater vorstellt, und auch seine Worte klangen herzlich. Doch natürlich war mir klar: Erscheinungen können täuschen.
    "Ach, das ist doch selbstverständlich", murmelte ich, wie verlegen durch die freundlichen Worte. "Ist wieder viel los heute." Ich sah dem niedlichen kleinen Mädchen entgegen. Ester also. Hm, irgendwie musste ich ein Gespräch anknüpfen.
    "Ein schöner Name.", meinte ich harmlos zu Weissbart, so als wäre ich bloss auf eine nette kleine Plauderei aus. "Ganz ungewöhnlich. Woher kommt der denn?"

    An
    Senator Marcus Aurelius Corvinus
    Villa Aurelia



    Faustus Decimus Serapio grüsst Senator Marcus Aurelius Corvinus,


    mit diesem Brief möchte ich mich zum Rennen des Equus October anmelden. Ich habe das zwanzigste Jahr noch nicht überschritten, und diene bei den Stadtkohorten. Zuvor war ich bei der Legio Prima, wo mir, während der Kämpfe in Parthien, Mars stets beigestanden hat, deshalb ist es mir ein Anliegen bei diesem Rennen zu seinen Ehren teilzunehmen.
    An den Start gehen werde ich für die Factio Aurata, mit einem Zweigespann hispanischer Renner, Velox und Volucer.


    Vale,


    Faustus Decimus Serapio
    Princeps Prior IV Cen. I Coh. Cohortes Urbanae

    Nacht. Zu beiden Seiten der Strasse ragten hohe Häuser auf, zwischen ihnen ging ich, wie in einer Schlucht, umweht von einem kalten Wind, der welke Blätter durch die Strassen trieb, und Fetzen von Abfall. Feine Regentropfen fielen, und legten sich feucht auf meine Stirn. Zu meinen Füssen - eine Pfütze, in ihr spiegelte sich blass, wie verwaschen, die Sichel des Mondes. Ich hob den Blick, und sah den Mond hinter der schrägen Silhouette eines Daches, von Wolken umgeben, ganz schmal, in kränklichem Weiss... Das Heulen eines Hundes liess mich zusammenzucken. Da, wieder. Ich ging schneller, sah über die Schulter, sah nur die Gasse, das schmutzignasse Pflaster. Ein kalter Schauder rann mir über den Rücken. Die Hunde... Ich hatte wieder von ihnen geträumt, war zitternd erwacht, war den Träumen und der Castra entflohen. Mitten in der Stadt war ich jetzt, irgendwo; ich hatte nicht auf den Weg geachtet, mich trieb die Unruhe und eine Angst, die ich nicht begreifen konnte. Gründe mir Sorgen zu machen, die hatte ich natürlich, seitdem man bei den CU auf den Blödsinn aufmerksam geworden war, den ich früher veranstaltet hatte - und Grund zu Zweifeln und Liebesqualen allemal... - aber diese Angst war irgendwie anders, tiefer, schlimmer... Unergründlich.
    ...brech ich den Rudergriff,
    fahr ich zur Unterwelt
    ruh ich mich endlich aus...

    Ein Refrain, der mir die ganze Zeit im Kopf herumging. Ich schüttelte den Kopf, ich versuchte die Worte fortzuschütteln, umsonst, sie blieben haften.
    Ruderhand, Totentanz...
    Dieses seltsame Lied, das hatte mir mal ein Seemann beigebracht, ein Ägypter, mit dem ich früher, also eine Zeit lang, öfter zusammen gewesen war. Der war ganz nett gewesen. Sein Name wollte mir aber nicht mehr einfallen. Seit langem hatte ich nicht mehr daran gedacht.


    Die Strasse spuckte mich aus, ich trat auf einen Platz, hatte mit einem Mal Weite um mich. Langsam überquerte ich ihn, und sah auf den Boden, wo sich im schwachen Mondlicht mein Schatten abzeichnete, nur schemenhaft, und jeder meiner Bewegungen folgte. Ein Schrein stand da, am Rande des Platzes, wurde deutlicher als ich näher kam, und aus der Dunkelheit schälte sich die Gestalt eines kleinen Kultbildes - Victoria, mit Siegeskranz, den Palmzweig erhoben. Sie war geschmückt, und frische Opfergaben lagen zu ihren Füssen. Da erst fiel es mir auf - ich war beschäftigt gewesen, heute, und hatte überhaupt nicht drangedacht - es war der Tag der Victoria!
    Es war der Jahrestag der Schlacht.
    Camerinus.... - Lucullus! Ich schloss die Augen, und hörte ihn wieder meinen Namen rufen. Aus weiter Ferne. "Faustus! Faustus." Unter meinen geschlossenen Lidern sickerten Tränen hervor. Der Wind zerrte am Saum meiner Paenula. Ich zog den dicken Stoff eng um mich und verharrte vor dem Schrein. Die Augen blicklos auf die Göttin gerichtet, sah ich die Gesichter meiner vielen, vielen gefallenen Kameraden, und unter ihnen immer wieder das von Lucullus.

    Der Soldat blinzelte überrascht.
    "Wie? Noch nie von Iulius Caesar gehört? Gaius Iulius Caesar, der grösste Feldherr und Staatsmann aller Zeiten! Der ist, nachdem er ja heimtückisch umgebracht wurde..." - Ruso zeigte in Richtung der Curia Iulia - "...da drinnen war das übrigens, zum Gott geworden. Ja. So wie unser toter Imperator, nur dass es bei dem schneller ging. Mann, Mann..." Ruso schüttelte den Kopf. Immer diese Peregrini. "Du musst ja echt aus dem hintersten Winkel der Welt kommen."





    [Blockierte Grafik: http://img146.imageshack.us/img146/8347/cumilesdt0.png]

    "Jaa, das ist so: die Veranstalter vom Cultus Deorum, die suchen 'junge mutige Männer', die daran teilnehmen. - Und ich würde wahnsinnig gerne da mitfahren!", erklärte ich, voller Enthusiasmus und mit leuchtenden Augen. "Nur habe ich leider kein Gespann... Und da wollte ich fragen ob es nicht, naja, vielleicht möglich wäre, dass ich in Deinem Rennstall trainiere, und, wenn das gut läuft, mit einem Gespann von der Factio antreten dürfte? - Ich weiss schon, die sind schrecklich teuer, aber vielleicht hast Du ja noch eine alte Biga die nicht mehr gebraucht wird, oder etwas in der Art... - und ich bin natürlich kein Auriga, aber ich kann gut mit Pferden, und ich habe früher in Tarraco auf dem Gestüt auch oft Wägen lenken dürfen." Wenn auch keine Rennstreitwägen. Ach, ich war einfach begeistert von der Vorstellung mitzufahren! Flehentlich sah ich meinen Onkel an, versuchte aus seiner Miene zu lesen was er von meiner Bitte halten mochte.
    "Und es ist ja noch eine Weile bis dahin, da hätte ich Zeit, vorher noch intensiv zu trainieren!"

    Das Ziel meiner Beobachtung trank seelenruhig einen Becher Wein, es machte nicht den Anschein, dass mein Interesse (berufliches Interesse) ihm aufgefallen war. Ja (bei aller Bescheidenheit) womöglich war an mir ein Speculator verlorengegangen. Ich aß meine lukanische Wurst, die sehr lecker war, sah dann wie der Rotschopf sich umwandte und jemandem grüsste. Eine imposante Erscheinung war dieser Mann, gross, hager und weissbärtig. Leider konnte ich nicht hören was sie zueinander sagten. Das kleine Mädchen, das mir vorhin schon aufgefallen war - sie sprühte ja nur so vor Lebensfreude - schien zu Weissbart zu gehören.
    Ich stopfte mir den letzten Bissen Fladenbrot in den Mund, und erhob mich, um mich etwas näher heranzuwagen. Die Menschen wogten durcheinander, ein paar Schritt weiter schleppte gerade ein kräftiger Träger einen Stapel von Obstkisten über den Platz, und geriet in dem Gedränge irgendwie ins Straucheln, jedenfalls wankte der Stapel, und eine Kiste polterte zu Boden, worauf der Inhalt lustig über den Boden kullerte. Reife blaue Pflaumen waren es, manche gerieten unter die Sandalen der Passanten, andere rollten weit über das abschüssige Pflaster, und sofort waren Leute da, die sie aufklaubten, ein ganzer Schwarm von Kindern die sich, wie die Geier auf das Schlachtfeld, auf die Früchte im Staub stürzten. Der Träger fluchte derb, versuchte sie zu verscheuchen, und es gab einen kleinen Tumult an der Stelle.
    Mierda! Als ich wieder freiere Sicht hatte, konnte ich Rotschopf nicht mehr sehen.
    Weissbart aber schon noch. Was tun? Vielleicht mal ganz harmlos versuchen Bekanntschaft zu knüpfen?
    Ich habe mir ja sagen lassen, dass es, wenn man jemanden kennenlernen möchte, dafür eine todsichere Methode gibt, Silio jedenfalls schwört darauf, oder auch Fortunata, sie meint, es gäbe nicht besseres: es handelt sich dabei um das sogenannte 'zufällige Anrempeln'. Allerdings muss man diese Technik sehr gut beherrschen, damit es nicht plump und gewollt erscheint... leider war ich kein geübter Rempler, so verwarf ich den Gedanken wieder. Aber, kaum hatte ich an die verruchte Fortunata gedacht, kam mir ihre Namenspatronin, die launische Fortuna zur Hilfe, und zwar entdeckte ich da, auf dem Pflaster liegend, neben einer zerquetschten Pflaume, ein schmales grünwollenes Umschlagtuch. Könnte das dem Mädchen gehören? Egal, wie auch immer, es war eine unverfängliche Gelegenheit. Ich hob es auf und trat auf Weissbart zu, grüsste freundlich: "Salve", und streckte ihm lächelnd das Tuch hin: "Ich glaube das hat Deine Tochter" - oder war es die Enkelin? - "gerade verloren."