Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Mir fiel auf, wie ausnehmend höflich der Fremde war. Und beherrscht. Über mein erschrockenes Zusammenfahren ging er einfach hinweg, so als hätte er es gar nicht bemerkt.
    "Ja sehr gut! Dagegen habe ich nichts einzuwenden.", antwortete ich grinsend. Da hatte ich unversehens schon einen sympathischen Zechgenossen gefunden - der noch dazu spendabel war - bessergesagt zwei. Aber der andere war wirklich schweigsam. Ich verbiss mir ein Grinsen, bei der Vorstellung, 'Tucca' und 'Tuktuk', das klang in der Kombination ziemlich drollig. Vielleicht waren es Künstlernamen?
    "Ich bin Serapio. Ach, Ravenna, da war ich auch schon mal. Zwei Mal. Da war aber gutes Wetter. Ist unglaublich schön mit den ganzen Kanälen, wirklich. Aber soviel habe ich von der Stadt leider nicht sehen können. - Nein, ich komme nicht aus Rom, ich bin Hispanier. Aus Tarraco!"
    Das brachte ich natürlich mit den gebührenden Stolz vor. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob man mir diese meine Herkunft eigentlich noch anhören konnte. Aber es hatte sich schon sehr abgeschliffen, ich glaube der Akzent kam nur noch dann durch, wenn ich wütend war, oder sonst in Aufruhr.
    "Mhm, ja die Stadt stinkt im Sommer oft wie die Pest. Echt bestialisch, in den tieferen Lagen. Aber trotzdem, sie ist mir lieber als jede andere. Rom ist einfach das Herz der Welt, man kann es schlagen hören..."
    Ich machte eine ironisch übertriebene, einladende Geste, sprach feierlich: "Hier entlang bitte", und setzte mich in Bewegung, den leicht abschüssigen Brückenbogen wieder hinunter. So im Dunkeln erwischte ich, schon nach ein paar Schritten den Rand eines Schlagloches, mein Fuss rutschte ab und landete platschend knöcheltief in der Pfütze.
    "Verdammt!" fluchte ich, "Finster wie in Plutos Arsch ist es hier!", und zog meinen Fuss rasch wieder zurück, wackelte mit ihm hin und her um das Wasser loszuwerden. Es lief zwischen den Riemen der Caligae hindurch - wenigstens waren die gut gefettet - und setzte den Weg fort.
    "'Tucca'...", fragte ich schliesslich, und blickte ihn neugierig von der Seite an. "...wie der Dichter, ja? Schmiedest Du auch Verse?"
    Sowas hätte ich normalerweise wohl nicht gefragt, aber ich sah ihn kaum, es war mitten in der Nacht, und er war ein Wildfremder, dem ich in der Menschenflut dieser Metropole wahrscheinlich nie wieder begegnen würde - das alles war ziemlich losgelöst.

    "Nnnein, vielen Dank, sehr freundlich, aber das ist wirklich nicht nötig", fiel ich in die ablehnenden Worte Redivivus' ein. Brr, Milch, wir waren doch keine Barbaren. Oder Katzen.
    Vorsichtig ging ich etwas tiefer in das Zimmer hinein, bewegte mich langsam, denn es war so vollgestopft mit Trödelkram, dass ich Angst hatte, irgendwas umzuwerfen und zu zerbrechen. Dann bemerkte ich, dass die Katze - die sehr so aussah als ob sie Flöhe hätte - auf einem richtigen kleinen Baum hockte. Ein künstlicher Baum in der Wohnung! Schon verrückt sowas, irgendwie musste ich gleich an Optio Appius 'Schreckschraube' denken, mit seiner schönen Drusilla und ihrem Katzenkörbchen mit den vielen Kissen drin. Manche Leute sind schon wunderlich mit ihren Viechern.
    Ich erreichte das Fenster und blickte hinaus, um zu sehen wie gut man von dort die Gasse im Blick hatte. Wirklich, man sah direkt auf die Blutlache. Ich nahm den Helm ab, fuhr mir durch die verschwitzten Haare, und wandte mich wieder der Alten zu.
    "Nun, Pulicia", begann ich, und lächelte sie dabei honigsüss an - so wie alte Damen das mögen - "jetzt sind wir ganz Ohr. Bitte berichte uns doch einmal ausführlich und von Anfang an, was Du alles gesehen hast."
    Dem Rediviver reichte ich eine Wachstafel rüber, an der an einer Schnur der Stylus baumelte - seit meiner Tesserarius-Zeit hatte ich immer eine dabei, es war sehr praktisch. "Probatus, Du machst Notizen."

    "Ja, wir haben ein paar Verdächtige observiert", meinte ich, "und versucht in näheren Kontakt mit ihnen zu kommen. Aber wir haben bisher noch nichts Handfestes."
    Die Unzufriedenheit war mir anzumerken. Was sollte ich denn dem Praefectus Urbi sagen, wenn wir nichts herausfanden?! Dieser Mann gab sich bestimmt nicht mit vagen Anhaltspunkten zufrieden. Dieser Mann wollte Fakten! Es ging dabei ja auch um meine Zukunft bei den CU.
    "Wir brauchen aber Fakten. Deshalb habe ich mir etwas anderes überlegt. Die Sache ist allerdings etwas knifflig. Kann man nicht jedem anvertrauen."
    Ich musterte den Miles, dämpfte unwillkürlich ein wenig die Stimme und fuhr eindringlich fort: "Es ist vor allem anderen wichtig, dass man die Aktion nicht auf uns zurückführen kann. Du gehst also in Zivil, und ohne irgendwas, was Dich als Soldaten identifizieren könnte. Da ist es gut, dass Du noch nicht so lange dabei bist, viele Altgediente erkennt man ja auf Anhieb.
    Deine Aufgabe ist folgende: Es gibt in der Stadt einen Experten was, ähm, Informationsbeschaffung und so angeht. Ich kenne die Person nicht, aber sie hat einen guten Ruf, soll unheimlich fähig sein. Mit diesem Profi musst Du Kontakt herstellen, und ihm den Auftrag geben, in den Häusern von den Verdächtigen mal genau nachzusehen, ob es dort Unterlagen gibt, die die Bewohner in der Hinsicht belasten. Irgendwelche Briefe oder andere Dokumente in denen sie sich verraten, was ihren Irrglauben angeht, und ihre Verschwörung für ein anderes Reich auf römischem Boden. Oder vielleicht auch Spuren der abscheulichen Opferhandlungen, die man diesen Sektierern nachsagt. Wichtig ist aber, dass die Person es trotzdem nach einem normalen Bruch aussehen lässt!
    Hier ist eine Tabula, auf der die Häuser verzeichnet sind, um die es geht - zwei Häuser und eine Insula-Wohnung um genau zu sein."

    Ich zog eine zusammengeklappte Wachstafel hervor, hielt sie aber in den Händen. Absichtlich war es eine ganz schlichte, der niemand ihre Herkunft ansehen konnte, und beim Schreiben der Worte hatte ich sogar meine Schrift verstellt.
    "Und hier das Geld." Ich stellte einen Beutel mit Sesterzen daneben. Hoffentlich reichte das, vor zwei Jahren wäre es mehr als genug gewesen, aber ich hatte keine Ahnung wie sich in dem Metier mittlerweile die Preise entwickelt hatten.
    "Ach ja, es gibt einen Mann, über den man diesen Experten kontaktieren kann - soviel ich weiss. Er nennt sich Scopas. Ist am Frachthafen oft anzutreffen, ein feister Kerl, der dort im Tagelöhnergeschäft tätig ist. Arbeitskräfte vermittelt und so weiter. Alles klar soweit Redivivus? Traust Du Dir diese Aufgabe zu?"

    Es war phantastisch! Die Pferde streckten sich, flogen nur so dahin, und ich kam dem blauen Wagen immer näher! Die Anfeuerungsrufe von der Tribüne beflügelten mich, ich sah ganz kurz, nur aus den Augenwinkeln hin, und erblickte Tius mit den Fähnchen wedelnd, und einen Haufen anderer Kameraden. "Serapio zum Sieg", das klang doch wunderbar. Ein breites Grinsen schob sich auf mein Gesicht bei dem ungeschlachten Reim, ich freute mich kolossal über diese Unterstützung, und voll Zuversicht ging ich in die erste Kurve.
    Es war jetzt ganz knapp, nur noch eine halbe Wagenlänge Abstand. Entschlossen lenkte ich die Pferde nach links, und ging scharf in die Kurve - schärfer als Geta mir das gerade geraten hatte. Man kann schon sagen, dass der Jubel und das alles mich dazu verleitete, waghalsiger zu fahren, als ich es eigentlich vorgehabt hatte, und auch waghalsiger als es meiner sehr überschaubaren Erfahrung damit entsprach. Aber das war wie ein Rausch!
    Etwas in die Knie gehen auf dem Wagen, das Gewicht nach innen verlagern... holla, der Schwung wollte mich schon wieder nach draussen tragen, aber ich versuchte doch verbissen, mich auf die Innenbahn zu drängen, um so endlich an dem Veneta-Wagen vorbeizukommen!

    Aufmerksam lauschte ich den Antworten. Ach so, durch Verhandlungen war das geschehen, mit schlagkräftigen Legionen im Rücken. Das war wohl die einzige Weise mit den Dreckspartern zu sprechen. Ich war beeindruckt von dem Wissen der beiden Sprecher, aber bei dem zweiten irritierte mich, dass er, nach der Sprechweise zu schliessen, offenbar die ganze lange Passage wortwörtlich aus einem Buch zitierte. So wie er über 'die Römer' und unser Verhältnis zu unseren Feldzeichen sprach, musste der Autor dieses Werkes aus einem anderen Volk stammen, bestimmt ein Grieche oder so. Ich wandte den Kopf und blickte den Mann ganz erstaunt an - aber nein, er las nirgendwo ab. Alles auswendig! Was für ein erstaunliches Gedächtnis.
    Ich stapelte meine Tafeln, packte sie ein und machte mich auf den Heimweg, mit dem festen Vorsatz heute noch sehr viel nachzulesen.

    "Diese Leute sind Fanatiker. Sie halten sich im Verborgenen, geben sich harmlos, sind aber in Wirklichkeit zu einer grossen Untergrundorganisation herangewachsen", erklärte ich Redivivus, "und es gibt Grund zur Annahme, dass sie sich staatsfeindlicher Umtriebe schuldig machen..." Ich nickte gewichtig und wies, mit der mir eigenen Theatralik, auf die grosse Romkarte an der Wand. "...sogar hier, im Herzen unseres Imperiums!"
    Durch diese ausholende Geste wischte ich unglücklicherweise den Dienstplan vom Tisch. Er schwebte zu Boden, und enthüllte so wieder "Rennsport in unserem Imperium", genau genommen das Titelblatt, auf dem eine prachtvolle Quadriga mit peitschenschwingendem, muskulösem Lenker abgebildet war. Das brachte mich ein bisschen aus dem Konzept.
    "Ähm... ja... nun, und an uns ist es, herauszufinden was diese Leute im Schilde führen..." sprach ich weiter, etwas undeutlich weil ich zugleich unter meinem Tisch nach dem Dienstplan fischte. Ich erwischte ihn und legte ihn an seinen Platz zurück
    "Aber diskret. Erst mal äusserst diskret! Man weiss ja nicht wie weit ihre Verbindungen reichen, und wer schon alles dazugehört. Verstanden, Miles?"

    Einerseits schien Weissbart mir doch ein wenig misstrauisch zu werden, als ich ihn so zuquatschte - und stellte sich auch seinerseits nicht vor - andererseits ging er auf meine Einladung ein. Und das war ja auch ein Fortschritt.
    "Gut!", meinte ich fröhlich. Dass mein Verdächtiger keinen Wein wollte, gab mir aber schon zu denken... es passte nicht so ganz zu meiner Vermutung, denn die Christianer tranken ja sogar Blut.
    Das Umschlagtuch hielt ich immer noch in der Hand, und jetzt beugte ich mich runter zu der kleinen Esther und zeigte es ihr.
    "Salve meine Kleine. Sag mal, gehört Dir das?"
    Aber sie schüttelte den Kopf. So liess ich das Tuch mit einem Schulterzucken auf dem Sockel einer Säule liegen, vielleicht fand es ja die Besitzerin, oder jemand anderes der es brauchen konnte.


    Kurz darauf liessen wir im Innenhof des 'Kühlen Krugs' nieder, einer bescheidenen kleinen Taverne am Rand des Marktes, die idyllisch von Weinlaub umrankt war. Ein paar Tische weiter sassen drei Männer und besiegelten gerade gutgelaunt irgendein Geschäft mit einem Krug Wein. Sonst war es ruhig hier, nur zwei magere Katzen leisteten uns Gesellschaft, die eine schlief auf einer Fensterbank in der Sonne, die andere kam gleich herbei und strich uns um die Beine.
    Ein gelangweilter Schankjunge nahm unsere Bestellung auf und verschwand im Inneren der Taverne. Ich streichelte die Katze, die sich das eine Weile gefallen liess und dann zu dem kleinen Mädchen weiterlief. Daraufhin lehnte ich mich zurück, legte den Arm auf die Lehne des Stuhles, und blickte Weissbart erwartungsvoll an.

    "Vale..."
    Ich sackte in mich zusammen, als der Kollege den Raum verlassen hatte, stützte den Kopf in die Hände, und ein hoffnungsloses, schweres Seufzen entwich meiner Brust. Das war das Ende! Der Untergang all meiner Hoffnungen und Träume, zweifellos. Noch vor kurzem wäre ich zuversichtlich zu meinem Centurio geeilt, voll Vertrauen dass er, er der mich kannte und schätzte, mir schon irgendwie helfen würde. Aber jetzt, nach dem Eklat mit Hannibal - diesem fiesen, skrupellosen, verlogenen Bastard - sah ich da so gut wie keine Chance mehr! Aristides hatte ja deutlich genug, und richtig bösartig dazu, gezeigt, was er von sowas hielt.
    Verzweifelt starrte ich in die Flamme der Öllampe auf dem Tisch vor mir, sah sie aber gar nicht, stattdessen folgende Szenen:


    ~ ~ ~


    Szene I
    Schauplatz: Die Unterkunft des Centurio Flavius Aristides
    Dramatis Personae: Centurio Flavius Aristides, Optio Decimus Serapio


    Centurio Flavius liegt auf einer Kline. In der Hand hält er eine Entenkeule, von der er mit gutem Appetit immer wieder abbeisst.
    Vor ihm Optio Decimus, er salutiert.


    Decimus Serapio:
    "Ave Centurio."


    Flavius Aristides (kauend):
    "Was willst du?"


    Decimus Serapio (bang):
    "Es gibt da etwas was ich dir sagen muss, Centurio."


    Flavius Aristides (kühl):
    "Und das wäre?"


    Decimus Serapio (zögernd):
    "Ich habe bei der Rekrutierung verschwiegen, dass ich schon mal in Carcer gesessen habe... Und das ist jetzt rausgekommen... "


    Flavius Aristides (kalt):
    "Aha. Dann kannst du ja schonmal deine Sachen packen."


    Decimus Serapio (verzweifelt):
    "Aber..."


    Flavius Aristides (eiskalt):
    "Für solche wie dich ist in der Armee sowieso kein Platz. Abite."


    Flavius Aristides beisst wieder in die Keule. Decimus Serapio tritt ab, mit Gebärden höchster Verzweiflung.




    Szene II
    Schauplatz: Der Scheiterhaufen des Decimus Serapio
    Dramatis Personae: Der Leichnam des Decimus Serapio, als Trauergäste: Decima Seiana, Legatus Decimus Livianus, Iulius Sparsus, Hannibal


    Der Leichnam liegt auf dem Scheiterhaufen, in seinem Bauch steckt noch der tödliche Dolch. Das Anlitz des Toten zeigt tragische Entschlossenheit. Die Trauergäste stehen aussenrum, Decima Seiana mit einer brennenden Fackel in der Hand.


    Decima Seiana (schluchzend):
    "O weh! Mein armer Bruder! - Diese Welt war nicht die seine."


    Decimus Livianus (verärgert):
    "Ich habe ihm doch gesagt er soll sein Leben in den Griff bekommen!" (geht kopfschüttelnd ab)


    Iulius Sparsus (bekümmert):
    "Ach Faustus..."


    Hannibal (reuig):
    "Hätte ich ihm doch nur die Wahrheit gesagt: Dass ich ihn geliebt habe! Jetzt ist es zu spät."


    Decima Seiana senkt die Fackel. Hell lodern die Flammen. Zu spät, zu spät... klingen die letzten Worte nach.
    Dann verschwinden die Gesichter der Personen in der Dunkelheit, als der Feuerschein auf eine kleine Flamme zusammenschrumpft....


    ~ ~ ~


    ...eine kleine Flamme, die über dem Öllämpchen zuckte. Ich wandte den Blick ab, und verzog das Gesicht über diese abgeschmackte, morbide Phantasie, die mich gerade heimgesucht hatte. Vielleicht gab es ja doch, irgendwie, irgendeine andere Lösung? Die ich nicht auf Anhieb sah? Nein, ich glaubte nicht daran.... Aber mir fiel mir ein, das ich noch den neuen Rekruten ins Sacellum bringen musste. Trotz alledem, meine Pflichten durfte ich nicht vernachlässigen - gerade jetzt nicht. Ich erhob mich, strich mir konfus über die Stirn, und verliess dann hastig diesen düsteren Raum.

    Unerträglich war es, wie der Centurio sarkastisch meine Worte wiederholte, voll grobem Spott über das was ich empfand, unerträglich wie er die zarten Regungen meines Herzens, die ihn doch gar nichts angingen, hier ans Licht zerrte und brutal darauf herumtrampelte. Unerträglicher noch, Hannibals fassungslosen Blick zu sehen! Verstand er denn nicht, dass ich hier war um ihm zu helfen, mein Versprechen einzulösen ohne auf meinen Ruf oder meine Familie zu achten, dass ich aus Liebe zu ihm hier ein gewaltiges Opfer brachte...? Anscheinend nicht.
    So eiskalt bin ich noch nie abserviert worden wie da in diesem Atrium. 'Nein' sagte er einfach, ohne Zögern, ohne drüber Nachzudenken, bloss 'Nein'. Und bekräftigte es nochmal. Ich erstarrte vollkommen, in diesem Augenblick. Äusserlich und innerlich. Als würde ich fallen, so war das, als würde meine Seele mit einem qualvollen Ruck von meinem Körper losgerissen und in tiefes, eisiges Wasser hinabgetaucht. Ich starrte ihn an, und verstand nicht wie er mir sowas antun konnte. Hannibal! Er hatte nie wirklich behauptet er würde mich lieben, aber dass ich ihm keineswegs egal war, das hatte er mir deutlich zu verstehen gegeben. Seinen Brief hatte ich den ganzen Weg durch Parthien bei mir getragen, wie einen Talisman, unendlich oft gelesen... Wie hatte ich mich nach Hannibal verzehrt!
    'Nein.'
    Wenn er auch nur den Hauch einer Empfindung für mich hätte, würde er nicht einfach nur diese kaltschnäuzige Antwort geben. Ich war ihm egal, völlig egal. Mein Sichtfeld verschwamm, die Konturen meines grausamen Geliebten verflossen, sein Gesicht, das er von mir abgewandt hatte, verlor sich, als mir die Tränen in die Augen stiegen. Die verschränkten Arme sanken herab. Meine Hände fühlten sich kalt an, und taub, als wären sie kein Teil mehr von mir, und ich biss mir fest auf die Unterlippe, die zitterte. Dann floss es nass über die Wangen. Auch das noch. Bekanntlicherweise weinen römische Soldaten nicht, vor allem nicht vor ihren Kaisern - und hier standen gleich mehrere als Büsten oder Statuen herum - aber auch nicht vor ihren Centurionen.
    Man sagt ja "Die Hoffnung ist es, die die Liebe nährt", und in dem Moment, als mir da schlagartig alle Hoffnung, oder wohl bessergesagt alle Illusion, geraubt wurde, spürte ich tatsächlich, wie sich etwas wandelte, und sich in sein glühendes Gegenteil verkehrte. In dem Moment hasste ich Hannibal, hasste ihn wie er da stand und mich so völlig unbeteiligt in die Wüste schickte, mich ausserdem noch komplett blosstellte, als den Inbegriff eines verliebten Idioten, vor dem Centurio.


    "So... ist das... also", sagte ich langsam, voll Verzweiflung und bitterem Zorn, jedes Wort mühsam der Erstarrung abringend. "...Du hast also nur mit mir... gespielt mein Erastes... - Bastardo! Cabrón!! .... Hannibal, ich wünsche Dir alle Daimonen der Unterwelt auf den Hals, alle Furien und Larven und Lemuren und Lamien, dass sie Dir das kalte Herz aus der Brust reissen!!! Und vor allem..." - meine Stimme zitterte, drohte in den immer heftiger aufwallenden Tränen zu ersticken -"...vor allem wünschte ich, ich wäre Dir nie begegnet!"
    Mit diesen Worten drehte ich mich um, mit einer abgehackten Bewegung, ich sah gar nicht mehr zum Centurio und dachte auch nicht daran meine Paenula, die über dem Sessel lag, mitzunehmen, ich setzte nur den einen Fuss vor den anderen, Schritt für Schritt, und ging auf den Ausgang des Atrium zu, in Richtung der Fauces, wobei ich mir die Tränen unwirsch mit der Hand aus dem Gesicht wischte. Um auch was zu sehen bei meinem Abgang, und nicht zum Beispiel ins Impluvium zu fallen, zu den Seerosen, was das ganze - falls das überhaupt möglich war - noch elender gemacht hätte.

    Mein Bruder hatte mir geschrieben! Aus Germanien, ein wirklich herzlicher Brief, über den ich mich wahnsinnig gefreut hatte. Sonst ging ja in letzter Zeit bei mir irgendwie alles schief... Mit dem Brief in der Hand spazierte ich jetzt durch den Garten der Casa, mal wieder auf der Suche nach einem Platz, wo ich Appius in aller Ruhe zurückschreiben konnte. Blätter raschelten unter meinen Füssen, trockenes Laub das der Gärtner zusammengerecht hatte, das Geräusch mischte sich harmonisch mit dem Klimpern meines Cingulums. Die meisten der Blumen, die ich neulich erst hier bewundert hatte, waren jetzt verblüht.
    Ich ging hinüber zur Diana-Laube - das Weiss der Statue zeichnete sich so schön gegen die Farben der Umgebung ab - und sah, dass schon jemand dort sass, auf einer Bank, ganz kontemplativ.
    "Salve!" Ich trat näher und überlegte, wo in aller Welt ich ihn schon mal gesehen hatte. Ein Verwandter wahrscheinlich, bei unserer riesigen Gens, die sich von Tarraco über Achaia bis nach Tylus ausgebreitet hat, da konnte man ja gar nicht den Überblick behalten. Aber irgendwie war mir, als sähe ich ihn nicht zum ersten Mal.
    "Ich bin Serapio. Decimus Serapio. Hm..." Ich hob die Hand zum Kinn und grübelte. "Kennen wir uns nicht irgendwoher?"

    Mit gezücktem Stylus sass ich neben meiner Schwester, und versuchte mich auf den Vortrag zu konzentrieren. Es war echt interessant! Aber trotzdem schweiften meine Gedanken ab, zu früher, als Seiana und ich ganz ähnlich vor unserem alten, gestrengen Hauslehrer gehockt hatten. Ich wandte den Kopf und grinste meiner Schwester zu. Den Dozenten hier sollten wir wohl besser nicht mit Papyrus-Kügelchen bewerfen. Als ich meine Aufmerksamkeit dann erneut dem Vortrag widmete, war Tiberius schon wieder zwanzig Jahre weiter. Oh je. Ab da kritzelte ich meine Tabula eifrig mit Notizen voll.
    Schliesslich endete der Aurelier, da war ich schon ganz erschlagen, von all den Informationen und Jahreszahlen und unterworfenen Völkern. Was für ein grosser Feldherr war dieser Kaiser gewesen! Dann formte sich aber doch eine Frage, die mich wirklich interessierte, und kurzentschlossen stellte ich sie auch.
    "Ich habe eine Frage", wissbegierig blickte ich zu unserem Dozenten, "Wie hat Kaiser Tiberius das gemacht, ich meine, wie ist es ihm gelungen, die verlorenen Adler von Carrhae aus den Klauen der Parther zurückzugewinnen?"

    Schön gesagt. Einen Augenblick lang schwieg ich noch, suchte nach irgendeiner verdrehten Formulierung oder versteckten Doppeldeutigkeit in diesen Worten, dann beschloss ich, dass das reichte, und liess dieses ganze Inquisitoren-Gebaren von mir abfallen, wie eine Maske - was es ja auch war.
    Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, und erklärte: "Es gibt da eine Sache, bei dem ich Dich dabeihaben möchte, Redivivus. Du darfst aber kein Wort darüber verlauten lassen. Auch nicht gegenüber den Kameraden. Wenn sie neugierig werden, dann kannst du andeuten, wir wären einem Konsortium von Schmugglern auf der Spur, die die Einfuhrzölle prellen. In Wirklichkeit geht es natürlich um etwas anderes."
    Eine kleine Spannungspause folgte, dann fuhr ich fort und meinte - diesmal nicht so forschend wie zuvor, eher zur Eröffnung: "Sicher hast Du schon mal von der Christianer-Sekte gehört. Was sagt dir dieser Name?"

    Es war ein kalter und ungemütlicher Morgen, so einer an dem man am liebsten gar nicht erst aufstehen mag. Aber wie immer warf der Klang der Tubae und Cornua einen doch unerbittlich aus den Federn. Es wollte kaum hell werden, tief hingen die Regenwolken über der Stadt, schienen mit ihren grauen Ausläufern schon fast die Dächer zu streifen. Bis jetzt fiel aber nur ein leichter Nieselregen. Die tiefen Pfützen auf dem Campus stammten von den Tagen davor.
    Den Optiostab in der Hand, die Ausrüstung mal wieder äusserst akkurat und vorbildlich, marschierte ich auf die Gruppe neuer Probati zu, für die es heute losgehen sollte. Unter ihnen auch der Sohn von Imperiosus. Diesmal würde ich ganz von Anfang an die Ausbildung übernehmen, das war etwas neues für mich, eine grosse Verantwortung auch, aber ich fand das gut, und besser als mittendrin zu übernehmen. Aber ob ich den Jungs lange als Ausbilder erhalten bleiben würde.... das war wohl fraglich... Jetzt nur nicht dran senken, sagte ich mir energisch. Das brachte gar nichts und ich sollte mich besser auf die Arbeit konzentrieren.
    "Probati venite!", tönte ich über den Platz, und baute mich vor den Neuen auf. "Ad aciem! State!" ~ Rekruten antreten! In Linie! Stillgestanden!

    Jetzt gehörte der Artorier dem Exercitus Romanus, mit Haut und Haar. Ohne zu zögern, zu stocken oder sich zu verhaspeln hatte er gesprochen, ein gutes Omen fand ich. Einen Augenblick lang blieb ich noch stehen, in Angesicht der Standarten welche den Genius der Einheit beherbergten, und erinnerte mich daran, wie ich zum ersten Mal den Eid gesprochen hatte, es schien mir wirklich als wäre es vor Äonen gewesen. Zwar verspürte ich gegenüber diesen Feldzeichen hier eine viel weniger starke Verehrung als gegenüber den Adler der Prima - ein klein bisschen muffig war es hier drinnen ausserdem - aber die Weihe des Ortes, die Weihe des Momentes, ging mir unter die Haut. Ein junger Mann schwor, sein Leben zu geben wenn nötig, für etwas Höheres, für Kaiser und Imperium. Das war schon etwas Grossartiges. Ernst, und ergriffen zugleich, meinte ich zu dem Probatus:
    "So wie du jetzt den Eid geleistet hat, so tun das viele Männer, allerorten in unserem Imperium - sie stellen ihn Leben in den Dienst von etwas Höherem. Und indem wir dem Schwur Folge leisten, wir alle, jeder einzelne von uns, stehen wir für die Sicherheit, und die Stärke, und die Grösse unseres ruhmreichen Imperiums ein!"
    Und wieder war da die Angst sie würden mich rauswerfen. Was sollte ich dann tun?! Ich konnte mir überhaupt kein Leben ausserhalb der Armee mehr vorstellen. Ich würde mir nicht mal ein Messer in den Bauch stossen müssen, ich würde von alleine sterben, vor Scham.


    Schliesslich wandte ich mich ab, gab dem Artorier einen Wink mir zu folgen und verliess das Sacellum. Die Luft draussen war im Vergleich dazu jetzt angenehm frisch. Der zeremonielle Teil war vorüber.
    "Dann lass dir mal von den Kameraden das Lager zeigen. Und morgen in aller Frühe trittst du auf dem Campus an. Wegtreten, Probatus."

    Mein Officium war schäbig. Ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt, und war einfach froh, einen separaten Raum für meine Arbeit zu haben, aber der Ausdruck im Gesicht des Miles, als er die Mühlsteine, die an der Wand aufgestapelten, betrachtete, führte es mir doch wieder wieder vor Augen. Tja. Vielleicht hätte ich doch zu den Praetorianern gehen sollen, kam mir mal wieder der Gedanke - die hatten viel mehr Geld, da gab es bestimmt auch viel schönere Officien, auch für die Optiones...
    Die Frage schien Redivivus zu verwundern. Kein Wunder. Ich fasste ihn genau ins Auge, suchte nach Anzeichen des Unbehagens, der Lüge. Aber seine Antwort klang grundehrlich.
    "Mhm", machte ich nebulös, und nickte dazu. In harmlosem Tonfall stellte ich die nächste Frage. "Und der Kaiserkult, die Verehrung des Imperators? Wie stehst du dazu, Redivivus?"

    Während des Wartens besah ich mir die anderen Wägen und Fahrer. Alles aus dem ganzen Korn, sprang mir da ins Auge, und allerlei andere aufdringliche Werbebotschaften. Naja. Ich schmunzelte mitleidig, und betrachtete, so von meinem schönen, golden glänzenden, von meinem lieben Onkel gesponserten Wagen, ein wenig spöttisch diesen Konkurrenten. Nicht mal die Pferde passten farblich zusammen - das ging ja gar nicht!
    Der Veneta-Fahrer dagegen machte, bei aller Feindschaft, einen ziemlich professionellen Eindruck, fand ich, und wie er da den Wagen vor- und zurücksetzte, das offenbahrte doch eine sehr gute Kontrolle über das Gespann... Angeber!
    Zu meiner rechten hatte sich ein weiterer, auch sehr schmucker, Wagen an den Start geschoben, russatarot. Ich wandte den Kopf als der Fahrer mich ansprach, musterte ihn überrascht und neugierig wie er jetzt da drauf kam - wegen der Aurata-Farben?
    "Ja! Decimus Serapio. Und wer bist Du?"


    Bald darauf ertönten Fanfaren. Jetzt ging es los...! Mein Magen zog sich zusammen. Kurz umschloss ich mein Ancilium-Amulett mit der Hand und atmete dabei tief ein, dann überprüfte ich schnell nochmal den Kinnriemen meines Helmes, und die korrekte Führung der Zügel, spielte auch mit ihnen um die Pferde schon etwas anzuheizen. Doch das war gar nicht nötig, denn die schlauen Tiere kannten dieses Signal schon, begannen zu tänzeln und wollten sogleich nach vorne streben, so dass ich sie hart zurückhalten musste, bis das Tuch der Hand des Flamen entschwebte. Kaum liess ich den Pferden den Freiraum, sprengten sie los, über die Startlinie und fielen sofort in einen raumgreifenden Galopp, als ich die Zügel auf ihre rotgoldenen Rücken schnalzen liess.
    Phantastisch! Die Hufe donnerten auf die Erde, stampften und dröhnten, als der Wagen die Bahn entlang raste. Es war wie im Gefecht, ich dachte gar nicht mehr, tat einfach nur... Der Fahrtwind wehte mir um die Nase, Sand stob auf von den Rädern und Hufen. Es war ein richtig guter Start, die Hispanier legten sich kraftvoll ins Geschirr und zogen an den Gespannen rechts und links vor mir vorüber. Ja! Perfekt! Und vor mir war auf einmal nur noch ein anderer Wagen! Der blaue natürlich.
    "Lauft meine Tapferen, lauft meine Schönen!"
    Euphorisch feuerte ich die beiden an, halb auf Latein, halb in der iberischen Mundart.
    "Lasst sie alle den Staub von euren Hufen schlucken! Vamos, vamos!! Lauft meine Treuen, meine Pegasus-gleichen Renner!"
    Rasant näherte sich das Ende der Bahn, und damit die erste Kurve...

    Das Wort war meinem Mund entwichen, und zurückholen konnte ich es nicht mehr. Ich ballte die Faust an meiner Seite, verkrampfte die Finger in heftigem Affekt, und sah meinem Centurio beinahe herausfordernd entgegen. Komm, Spiessbürger, empöre Dich doch, hier stehe ich, hocherhobenen Hauptes, bereit für meine Liebe einzustehen...!
    Er wirkte aber nicht empört und auch nicht wirklich schockiert, eher ratlos, und irgendwie resigniert. Ich hätte mit einer heftigen Erwiderung gerechnet, statt dessen blieb er sehr ruhig. - Es hatte keine Zukunft mit Hannibal und mir? Da mochte er recht haben, so auf lange Sicht, aber ich liebte jetzt und unbedingt.
    "Ob es eine Zukunft hat... ich meine, ob es eine Zukunft haben kann... das liegt an Dir!", gab ich stur zur Antwort. Aber der Tonfall in dem er nach Hannibal rufen lies, der erschreckte mich. Es war natürlich das allerletzte was ich wollte, dass Hannibal wegen mir Ärger bekam! Und, Mist, der Sklave im Hintergrund war auch nicht taub, bestimmt würde sich alles herumsprechen. Ach, sollten sie sich doch die Mäuler zerreissen! Sollten sie doch alle klatschen und tratschen und lästern! Alles Spiesser!! Ich verschränkte die Arme vor der Brust, blieb da stehen wo ich war, und wartete stumm.


    Schliesslich betrat Hannibal das Atrium, und bei seinem Anblick tat mein Herz einen Sprung in meiner Brust, es fühlte sich an als würde es sich fest zusammenziehen, etwas wie ein Schmerz ging durch mich hindurch, und zugleich tat es so wohl ihn zu sehen.
    "Hannibal", sagte ich, mit ganz aufgewühlter Stimme, und machte eine Körperwendung, eine Bewegung auf ihn zu, alles in mir strebte ja zu ihm hin, aber angesichts der unheilvollen Miene des Centurios verhielt ich meinen Schritt. Hannibal sah mich gar nicht richtig an..... aber das lag natürlich an der bedrohlichen Gewitterstimmung. Ich erblasste, bei der Vorstellung dass der Centurio seinen Zorn über mich an Hannibal auslassen könnte, aber ich wagte es nicht noch etwas zu sagen, mir war als wäre jedes Wort ein Funke der ein Inferno auslösen könnte!

    "Er hat's Dir selbst gesagt, ach so ein Mist, dann ist es ja wirklich ganz sicher..." Ich seufzte. "Pff, diese Medici, die haben doch echt keine Ahnung! Ihn rausschmeissen, so eine Unverschämtheit! Weisst Du noch, die wollten ihm doch zuerst sogar das Bein absägen damals, alles Pfuscher, echt! Aber ich sag Dir, der kommt zur Armee zurück, so wie ich ihn kenne. Der Centurio, als Zivilist, auf Dauer - unmöglich! Vielleicht, hm, vielleicht wird er Legat, da muss man nicht so viel rumlaufen", mutmasste ich, und spähte dann in die Richtung wo ich vorhin mal den Primus Pilus - beziehungsweise mittlerweile schon längst nicht mehr Primus Pilus, aber doch einzig wahren Primus Pilus - gesehen hatte. In Hörweite war er nicht, so streckte ich den Kopf näher zu Sparsus und vertraute ihm leise an:
    "Ich finde das merkwürdig, dass Artorius Avitus jetzt bei den Prätorianern ist. Ist doch fast so was wie ein Überlaufen, nicht?"


    Aber genug getuschelt, im Anschluss folgte der feierliche Teil. Ich hütete meine Zunge während der Opfer und Riten. Eine echte Confarreatio wurde hier geschlossen, total altmodisch, sowas würde ich wahrscheinlich nur dieses eine Mal zu Gesicht bekommen. Es war schön, äusserst erhaben, und die Freude der Braut richtig ansteckend. Trotzdem kam mir der Gedanke, dass das Militär - unter anderen - einen ganz grossen Vorteil hatte: keiner konnte von mir verlangen zu heiraten.
    "Feliciter!!" stimmte ich ausgelassen in die Jubelrufe ein, den Becher hebend, "Ein Hoch auf die Braut und den Bräutigam! Feliciter!!!"
    Dann waren wir an den beiden dran, und auf einmal fühlte ich mich sanft aber bestimmt nach vorne geschoben. Also vor Sparsus. Verwirrt drehte ich den Kopf, und schnitt ihm über die Schulter eine Grimasse. Ich bin doch kein Scutum!


    "Feliciter!" wünschte ich den beiden Frischvermählten noch einmal herzlich, und fuhr ganz überschwänglich fort: "Mögen die Götter jeden Tag von eurer Ehe zu einem Freudentag machen, und Fortuna euch in Hülle und Fülle mit ihrem Füllhorn übergiessen! Auf dass ihr bald viele Kinder bekommt, die alle so mutig wie ihr Vater und so strahlendschön wie ihre Mutter werden!"
    Ich machte einen Schritt zur Seite, so dass Sparsus unversehens ohne Deckung dastand, und meinte lächelnd, und etwas verschwörerisch, zu der glücklichen Braut: "Wir geben ihn ja nur ungern her, unseren Centurio, aber ich sehe er ist in den besten Händen. Feliciter!"

    Mit beiden Händen fuhr ich mir übers Gesicht, wischte mir die Regentropfen ab. Das Fallen des Regens und das Rauschen des Tibers erfüllte meine Ohren, ich war in mich selbst versunken, achtete kein Stück mehr auf meine Umgebung, und als ich die Hände wieder sinken liess, stand da, wie aus dem Boden gewachsen, wie aus der Schwärze der Nacht geformt, eine dunkle Gestalt, nur ein paar Schritt vor mir.
    Lucullus?! Mit einem unartikulierten Laut des Erschreckens zuckte ich vor dem Schatten zurück, wich nach hinten bis ich das kalte Brückengeländer in meinem Rücken spürte, was dem Zurückweichen ein Ende machte. Wirklich, im ersten Moment dachte ich, mein Freund wäre zurückgekommen, nach Jahresfrist, um mich auch auf die andere Seite zu holen! Wie er es gesagt hatte: 'Faustus! Wir sehen uns dann auf der anderen Seite!'
    Mein zweiter Gedanke war schon etwas weltlicher: Strassenräuber. Da stand nämlich noch jemand bei dem Mann, und der war schwarz wie die Nacht, hatte sich anscheinend vermummt. Meine linke Hand zuckte an den Gürtel, aber da war nur Gürtel, denn ich hatte bei meinem überstürzten Aufbruch glatt vergessen meinen Pugio mitzunehmen. Ganz toll, Faustus, ganz schlau. Kein vernünftiger Mensch läuft nachts unbewaffnet durch die Strassen von Rom, weil es praktisch eine Einladung ist - kommt her und überfallt mich - nur der Princeps Prior Decimus, vergisst seinen Dolch und lässt sich abstechen. Sie würden zwar nichts wertvolles bei mir finden, diese Ganoven, aber das könnte mir ja dann egal sein, sie würden meinen toten Körper von der Brücke werfen, und ich würde als hässliche Wasserleiche dem Meer entgegentreiben. (Vielleicht war es mein Schicksal auf dem Pons Cestius zu sterben, ein Schicksal welches man zwar herauszögern, dem man aber letzlich nicht entkommen konnte?)
    All das zuckte mir im Bruchteil eines Atemzuges durch den Kopf. Ja, ich gebe zu, ich war in jener Nacht ein wenig überspannt.


    Die Worte, die der Fremde an mich richtete, klangen allerdings sehr manierlich. Ach so, das waren nur zwei verirrte Zecher! Und der andere war gar nicht vermummt, nur sehr dunkel im Gesicht. Ich atmete tief durch.
    "Taberna. Ja. Taberna. Da gibts ein paar. Den 'alten Stiefel' zum Beispiel, die 'Bacchus-Laube'... oder die 'Amphore' oder 'Bei Charis', die haben alle ziemlich lang auf."
    Taberna - viele Menschen, warmer Würzwein, genau das brauchte ich jetzt. Die beiden Fremden schickte wohl ein guter Genius.
    "Ich wollte mich auch gerade zu einer davon aufmachen, da kann ich euch gern den Weg zeigen", schlug ich vor, versuchte auch mein Gegenüber genauer auszumachen, doch in der Dunkelheit sah ich ihn nur undeutlich. "Ist doch ein mieses Wetter, wirklich. Man meint, die Unterwelt hat ihre Pforten geöffnet, heut nacht..." Ich lachte nervös, und redete schnell weiter. Reden war gut. "Also, die Bacchus-Laube ist gar nicht schlecht, und gleich da drüben beim Circus Flaminius, da, wo man den Porticus sehen kann. Ach so, wenn ihr aber zum Forum wollt, geht's da entlang" - ich deute mit der Hand zum Ufer - "beim Marcellustheater rechts, dann, ähm, die erste links, und immer geradeaus. - Dann bist Du nicht von hier? Hört man gar nicht, woher kommst Du denn?"