Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Jetzt endlich grinste er nicht mehr, der Parther. Ich sah auf ihn hinunter - auf den in der Bewusstlosigkeit erschlafften Körper, auf die Platzwunde an der Schläfe - und verspürte einen Anflug von Unglauben, dass tatsächlich ich es gewesen war, der den Parther Ziaar, diesen furchterregenden Feind, letztendlich niedergestreckt hatte! (Naja, nicht allein, aber trotzdem.) Ich fesselte ihm die Hände und Füsse, durchsuchte ihn nach Waffen, und hob den Säbel, der ihm entfallen war, vom Boden auf. Der war schön! Die Klinge schimmerte in einem fliessenden Wellenmuster, Griff und Parierstange waren prunkvoll verziert, und die Scheide, die ich Ziaar gleich mit abnahm, war mit Goldfäden durchwirkt. Eine nette Revanche für mein geklautes Gladius, und eine schicke Trophäe um sie in der Casa Decima an die Wand zu hängen, auf jeden Fall.
    Dasius und ich machten uns natürlich gleich auf, um den Schützen auch noch zur Strecke zu bringen. Schildgedeckt, das blanke Schwert in der Hand, huschten wir durch das Haus, fanden eine Treppe, und tasteten uns, zügig aber vorsichtig, immer so von Ecke zu Ecke (wie es sich gehört) durch die Zimmer des Hauses vor. Prunkvolle Gemächer waren das. Schliesslich erblickten wir den Schützen, der sich oben auf der Balustrade die um den Innenhof herumführte postiert hatte. Er sandte uns einen Pfeil entgegen, der blieb aber in Dasius' Schild stecken, dann schwang er sich gelenkig aufs Dach hinauf, sprang aufs angrenzende Gebäude und hastete davon. Wir verfolgten ihn ein Stück, verloren ihn aber, schwergerüstet wie wir waren, schnell aus den Augen.
    So kehrten wir zu den anderen zurück, und mit Erleichterung sah ich, dass Musca wieder wohlbehalten im Kreise seiner Kameraden stand.
    "Wir haben ihn leider nicht erwischt, er ist über die Dächer abgehauen.", meldete ich Sparsus.


    "Armer Verax.", murmelte Musca, suchte eine Decke und schlug den Leichnam darin ein, um ihn mitzunehmen.
    "Dafür werden sie büssen!", grollte Silio, und versetzte den beiden Gefangene ein paar kräftige Fusstritte. "Ab ans Kreuz mit dem Schweinepack!"
    "Nein", protestierte ich, und zeigte auf Ziaar, "der da gehört mir! Das ist der Sklave den ich neulich gekauft habe, nach der Schlacht. Der mir gleich wieder, naja, ausgebüxt ist. Den will ich behalten, der kommt nicht ans Kreuz."
    "Später. Jetzt verschwinden wir erst mal.", beendete Musca diese Diskussion. Unbehaglich rieb er sich den Nacken. "Nicht dass hier gleich noch mehr von diesen Widerständlern aufkreuzen."
    Und so geschah es. Wir trugen den Toten und die Gefangenen hinaus, legten sie quer über den Rücken der Mulis, und luden schnell auch noch die Vorräte, die wir gefunden hatten, auf. Der Händler hatte sich wohlweislich aus dem Staub gemacht. Der seltsame Grieche, der mit dem Apfel, schien von den ganzen Ereignissen ziemlich mitgenommen zu sein, und ich hatte den gänzlich un-soldatischen Impuls mich bei ihm zu entschuldigen.
    ~"Ähm, verzeih bitte den ganzen Aufruhr,"~ setzte ich verlegen an, ~"mein Kamerad hat das wirklich nicht so gemeint, vorhin, wirklich. Er war bloss ein bisschen nervös."~
    Ein letztes mal blickte ich durch den Verkaufsraum, wo Trümmer und Blutschlieren mit zermatschtem Apfel auf dem Boden ein makaberes Stilleben bildeten.
    ~"Wir tun ja nur unsere Pflicht, für unseren Kaiser und für das Imperium..."~, sagte ich leise, wobei das wieder einer dieser Moment war, in denen ich mich fragte: was zum Henker haben wir hier eigentlich verloren? Auf der Kiste neben dem Griechen liess ich einen grossen roten 'requirierten' Granatapfel liegen, so als notdürftige Geste der Entschädigung falls er wollte, drehte mich dann um und ging hinaus zu den anderen. Durch Strassen in denen die Sonne flirrte und waberte verliessen wir Edessa und kehrten zurück zur Castra. Schweigend und bedrückt und ein Mann weniger als auf dem Hinweg.



    ~ ~ ~ ~ ~



    Es war am darauffolgenden Tag. Verax' Leichnam war gestern noch verbrannt worden, am Abend. Und nicht weit von seinem Scheiterhaufen, in Sichtweite unserer Zelte, hatte man den zweiten Rebellen, den wir gefangen hatten, wie zu erwarten ans Kreuz geschlagen. Ein mieser Drecksparther war er nur gewesen, aber sein Leiden war doch zum Göttererbarmen gewesen. Naja, als wir bei Morgengrauen vom üblichen Schmettern der Cornicen geweckt wurden, war er jedenfalls endlich tot. Ein Geier hockte oben auf dem Kreuz, mit Fleischfetzen im Schnabel, einer von diesen hässlichen, schwarzen, buckligen Unglücksboten, die sich auch über den (noch lebendigen) Centurio hatten hermachen wollen, in den Hügel als wir nachts überfallen wurden. Schaurig, diese Tiere.


    Was Ziaar anging, so war es mir zum Glück gelungen, Sparsus und meine Contubernales davon zu überzeugen, dass der MIR gehörte, deshalb hatten wir ihn nicht als "Rebellen" zur Kreuzigung abgeliefert, sondern als "Sklaven" in einen der Käfige für die Gefangenen gesteckt. Er war noch sehr benommen gewesen, am Vortag, trotzdem hatten wir ihm die Fesseln nicht abgenommen, nur ein bisschen gelockert damit ihm nicht die Hände und Füsse abstarben. Die Kopfwunde hatte ich ihm gesäubert und mit einem Stoffstreifen verbunden, und ich hatte ihm auch eine Decke gegen die Kälte übergelegt. Ich hoffte, dass die Kopfverletzung nichts ernstes war, denn schliesslich wollte ich ihn noch als Sklaven.
    Am liebsten hätte ich ihn als Knecht für unser Contubernium behalten, ich stellte mir das wunderbar vor, jemanden zu haben, der für uns das Korn mahlte, und das Wasser holte, und überhaupt so lästige Arbeiten übernahm. Ich brachte die Sprache darauf, als wir alle verschlafen herumsassen und unseren Morgen-Puls assen. Aber Musca erlaubte es nicht, und als Contuberniumsältester hatte er da leider ein Wörtchen mitzureden.


    "Das geht nicht", meinte er bestimmt, "die Offiziere wollen das nicht. Verstehst Du, Serapio, sie haben einfach etwas dagegen dass wir die Arbeit an andere abgeben. Die sind der Meinung Arbeit ist ein Grundpfeiler der Disziplin. Legionäre die ständig schuften müssen, die kommen gar nicht auf dumme Gedanken. Müssiggang ist aller Laster Anfang, besonders bei Soldaten - glauben jedenfalls die Offiziere. Deshalb auch die Strafen wenn sie uns dabei erwischen würden wie wir unser Korn im Trosslager gegen fertiges Brot eintauschen. - Ausserdem, so ein wilder Parther, das ist doch sowieso eine Schnapsidee. Wovon willst du ihn überhaupt ernähren? Du kannst ihn nicht hierbehalten."
    Basta. Ich seufzte geknickt. Den Gefangenen wollte ich nicht hergeben! So einen exotischen Krieger zu besitzen, das war doch sowas von angesagt, einfach ein tolles Prestigeobjekt! Jedenfalls in Rom. Vielleicht sollte ich ihn Lucilla schicken? Aber bei so Sklaventransporten starben die armen Sklaven ja wie die Fliegen, das war mir eigentlich zu riskant. Was sollte ich nur mit ihm anfangen?
    "Vielleicht..." überlegte ich, "vielleicht sollte ich ihn einfach dem Centurio überlassen. - Während des Feldzuges jedenfalls..."
    "Willst Dich wohl einschmeicheln!", versetzte Rupus grob.
    Aber Musca sah das ganz pragmatisch.
    "Es ist nie verkehrt, sich mit dem Centurio gut zu stellen.", bemerkte er weise. Und da hatte er recht.


    Jedenfalls wollte ich den Gefangenen nicht verhungern lassen. Ich füllte eine Holzschale mit warmem Puls, und eine Kanne mit Wasser, und ging ein Stück, bis zu dem Käfig. Es war nur einer von vielen, er stand neben einem Maultierpferch, am Rande irgendwelcher Vorratslager-Zelte, und war leer bis auf Ziaar. Vor dem Käfig blieb ich stehen und blickte den Parther nachdenklich an. Sesterzen hin oder her, womöglich wäre es doch besser (und vor allem sicherer!) ihn einfach auch als Rebellen hinrichten zu lassen? Es war ein komisches Gefühl, so über einen anderen Menschen entscheiden zu können. Stumm beugte ich mich vor und schob ihm Essen und Wasser durch die Gitterstäbe hindurch.

    Zusammen mit Sparsus tauchte auch ich vor dem Prätorium auf. Ich ging langsam, denn ich war ziemlich mitgenommen von meiner Verletzung, die pochte, und wehtat wenn ich zu tief einatmete oder den Oberkörper beugte. Am Tag zuvor hatte ich sogar heftig Fieber bekommen; heute war ich zwar noch ziemlich blass, verfroren und matt, aber es ging mir doch schon wieder ein gutes Stück besser als gestern. Ausserdem war ich froh und glücklich über den Ruhm, den unser kleiner Trupp sich verdient hatte. Immer wieder wollte jemand von den Kameraden die Geschichte aus erster Hand hören, und ich genoss es wirklich sehr mich als unerschrockenen Streiter Roms zu fühlen. Ja, ich gebe zu, vielleicht stieg es mir sogar ein bisschen zu Kopf. Meine Verletzung trug ich jedenfalls wie ein Ehrenmal, und versuchte mir von den Schmerzen nichts anmerken zu lassen, als ich mich zu den anderen gesellte. Ich lächelte Imperiosus und Licinus zu, denen ich mich seit dem Einsatz wirklich verbunden fühlte, und salutierte vor dem Tribun und vor dem Primus Pilus. Dann stellte ich mich neben Sparsus auf, und vertrieb mir die Wartezeit indem ich den Primus Pilus, mein Idol, heimlich betrachtete und dabei aufmerksam seine Körpersprache studierte.

    Zitat

    Original von Marcus Iulius Sparsus


    Es war doch deprimierend! Da hatte ich mir solche Mühe gegeben, mich nicht zu verraten! Sogar zu den Trosshuren war ich mitgegangen, obwohl sie mich gar nicht reizten. Und jetzt sagte Sparsus es mir ganz selbstverständlich ins Gesicht, gerade so als ob hier alle darüber Bescheid wüssten. Vage, verschwommen hinter einem Opiumschleier, erinnerte ich mich schon, dass er mich mal in einer engen (wenn auch harmlosen) Umarmung mit Lucullus angetroffen hatte, aber trotzdem... Ich seufzte, machte einen Schmollmund und fragte vorwurfsvoll:
    "Bin ich denn so einfach zu durchschauen...?! - Oder hat etwa Catinus was rumerzählt? Ach, dieser Schwätzer, ich hätte mich lieber gar nicht erst mit ihm einlassen sollen."
    (Es war nur ein schwacher Moment gewesen, da hatte ich mich halt mal rumkriegen lassen. Aber ich hätte mir denken können dass Catinus es nicht für sich behalten würde, dafür war er einfach zu sehr ein Prahlhans.)
    Andererseits, sagte ich mir, war es doch gut dass Sparsus es wusste und trotzdem ganz locker blieb. Und sein Ratschlag klang auch sehr verständig, noch dazu sah er mich dabei irgendwie so einfühlsam an, das ermunterte mich richtig, ihm noch mehr zu erzählen, von meiner geheimen Leidenschaft für den feschen Optio. Ja, endlich hatte ich einen Zuhörer gefunden! Jemanden vor dem ich offen und ehrlich und ausführlich :D mein ganzes Gefühlswirrwarr ausbreiten konnte. Ich war SO glücklich darüber! :]


    "Also -" hob ich an, beugte mich vertraulich zu ihm vor, damit die anderen nicht mithören konnten, und setzte wieder das Schermesser an seine Wange - "Du hast wirklich recht, es ist nichts weniger als einfach! Ich meine, Du kannst Dir gar nicht vorstellen wie kompliziert es ist. Was wenn er sich beleidigt fühlen würde, es sind ja leider SO viele Leute SO prüde, gerade hier in der Legio... Und einfacher Miles ist er nicht, und ob er auch nen Hang zu Männern hat - keine Ahnung, ich zerbreche mir seit Monaten den Kopf darüber. Seit Antiochia, um genau zu sein, da war so ein Moment, da..." - ich wedelte mit dem Pugio, um die Intensität jenes Momentes zu untersteichen - "da ist es einfach passiert..."
    Ich seufzte schwärmerisch und brachte die Klinge wieder unter Kontrolle, fasste kurzerhand Sparsus' Kinn und drehte es in die richtige Position. Im Takt meines Redeschwalls schabte ich munter weiter, ging immer schwungvoller gegen das Bartgestrüpp vor.
    "...er hat so wunderschöne Hände! Die sind mir zuerst aufgefallen. Kräftig aber zugleich, wie soll ich sagen, so beherrscht, so feinfühlig. Ich denke, er ist bestimmt ein ganz... feinsinniger Mensch, so innendrin, auch wenn er ja doch ziemlich zurückhaltend und nüchtern wirkt, oder vielleicht sollte ich eher sagen 'in sich ruhend fröhlich', ja ich denke damit kann man ihn gut beschreiben. Und sein Humor, den finde ich auch so klasse, er scheint niemals niedergeschlagen zu sein, oder mutlos, einfach unverwüstlich, aber naja, das ist ja auch seine Aufgabe, denke ich, uns immer Zuversicht zu vermitteln, und das macht er so gut... - Es ist Optio Priscus...."
    Ich hauchte den Namen andächtig und blickte Sparsus in die Augen um zu sehen wie er auf diese Enthüllung reagierte, was mich aber nicht davon abhielt zugleich feurig weiterzureden:
    "Was würde ich drum geben zu wissen ob ich bei ihm eine Chance habe! - Aber ich kann ihn einfach nicht einschätzen. Ich hab mich 'n bisschen umgehört, aber ausser dass er nicht gerade zu denen gehört die oft ins Lupanar gehen, konnte ich so gut wie nichts in Erfahrung bringen. - So fertig."
    (Mit der Rasur, nicht mit dem Herz-Ausschütten.)
    "Und bisher - bisher hab ich mich einfach nicht getraut es ihm zu sagen. Ich meine, ich hab schon oft Anlauf dazu genommen, aber, ach... Was meinst Du, Marcus?! Glaubst Du ich hab eine Chance bei ihm??!"

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    Original von Naevius
    "Aaaaaappell. Alle Mann vor das Zelt des centurios. Aber hurtig!"


    Was für ein Gekrächze. Aber es konnte ja nicht jeder so eine iuppitergleiche Stimme haben, wie der Praefectus Matinius. (Obwohl ich nicht vergessen hatte, dass der meine Familie des Obstklaus bezichtigt hatte, musste ich zugeben, dass in der Legion etwas fehlte, seitdem er versetzt worden war.)
    Grinsend, und milde über Naevius spottend, der nicht gerade besonders beliebt war, erhoben meine Zeltgenossen und ich uns von unserem Lagerfeuer, warfen uns in die Rüstungen und eilten hurtig zum Zelt des Centurios. Ich reihte mich ein, spitzte die Ohren ob irgendjemand wusste worum es ging (aber vergeblich), und sah neugierig nach vorne.

    Wie lange Licinus und ich da standen und verbissen darum kämpften das Tor zu öffnen, und dabei nicht ins Gras zu beissen, das kann ich nicht sagen. Jedenfalls kams mir vor wie eine Ewigkeit. Mit dem Rücken an das Holz gepresst, ausser Atem und so hart bedrängt, dass ich fast nicht mehr ausholen konnte mit dem Gladius, hatte ich die Hoffnung, das irgendwie zu überstehen schon fast aufgegeben. Doch dann näherte sich das Trampeln von Caligae, wurde immer lauter, und es war das schönste Geräusch der Welt. Rüstungen klirrten, die Stimme des Primus Pilus hallte durch die Nacht, und dann waren sie da. Wie von einer Lawine von Stahl wurden unsere Gegner überrannt und niedergemacht; von einem Moment auf den anderen war der Kampf vorüber, und Soldaten strömten in Massen in die Stadt.
    Ich wich ein Stück zur Seite, schwer atmend. Die Aufregung ebbte ab, der Schmerz meiner Verletzung kam heftig zurück, und auf einmal wurden, so im nachhinein, meine Knie ganz weich. Ich sank gegen die Mauer, hielt mir die blutende Seite, atmete tief durch und konnte gar nicht glauben dass ich noch am Leben war. Musca und Silio tauchten bei mir auf und klopften mir kräftig auf die Schulter (und machten Witze über den Zustand meiner Garderobe), dann war auch schon ein Capsarius da und verarztete mich erst mal an Ort und Stelle.
    Ich sah mich natürlich nach Sparsus um, und nach den anderen Kameraden in unserem kleinen Kommandotrupp, und, welch eine Erleichterung, sie weilten alle noch unter den Lebenden. Wir hatten die Parther hier wohl wirklich kalt erwischt. Immer mehr Truppen kamen nun in die Stadt, und so langsam wurde mir wirklich bewusst: Wir hatten es geschafft! Ich lächelte in mich hinein, war erschöpft aber vor allem stolz, so richtig stolz auf uns, und auf das Gelingen unseres tollkühnen Unterfangens.

    Es knirschte, und der Riegel glitt endlich zur Seite. Mit doppeltem Ingrimm stürmten die Wächter auf uns los. Es war ein wildes Hauen und Stechen, da im Dunkeln, rein gar nicht wie das geordnete Kämpfen in der Schlachtreihe. Ohne Schild, ohne Rüstung - ich fühlte mich nackt! Metall klirrte, Leder knarrte, die Wächter - und es waren viele, wenn auch nicht gerade koordiniert - gaben alles um uns niederzumachen. Wenn die Kameraden jetzt nicht ganz schnell hier auftauchten, dann konnten wir schon mal eine Passage auf Charons Kahn reservieren. Die Enge unter dem Torbogen verhinderte immerhin dass sie alle gleichzeitig an uns rankamen. Ich suchte Schulterschluss mit Licinus, wehrte Hiebe ab, und teilte aus, und drückte mich mit dem Rücken fest gegen das Tor. Riegel und Balken waren weg, warum ging es nicht auf?? Hatten wir etwa was übersehen, im Dunkeln?
    Dann, ganz träge, bewegte sich der schwere Torflügel! Langsam, in den Angeln ächzend, schwang er ein Stück auf, ich erhaschte einen Blick auf die mondbeschienene Strasse davor. Die sah verdammt leer aus. Bona Dea, wir waren doch nicht etwa am falschen Tor gelandet, und die Kameraden warteten woanders? Bei den verschlungenen Gassen war das gar nicht so abwegig.
    Zwei Handbreit weit öffnete sich das Tor, bevor einer der Parther es packte, und wieder zu schliessen versuchte. Ich stach ihn nieder, fühlte zugleich einen heissen Schmerz in meiner Seite - ein Speer schrabbte da an meinen Rippen vorbei. Ich keuchte, fühlte wie es da ganz warm und nass wurde, aber in dem rasenden Ungestüm des Kampfes rückte der Schmerz einfach an den Rand. Schnell packte ich den Speer am Schaft, stach auf den Parther ein, der ihn geschwungen hatte, bis er zurückwich. Rücklings, und mit aller Kraft, warf ich mich nochmal gegen den Torflügel, der durch Licinus' und meine Bemühungen nun langsam immer weiter aufschwang.

    Dunkel war es unter dem Torbogen. Die beiden Flügel des Stadttores ragten vor uns auf, hoch, massiv, mit Eisenbändern beschlagen, dazu und kreuz und quer mit Brettern verstärkt. Von innen waren mehrere Balken schräg dagegen gestemmt, die sollten wohl die Wucht des Rammbockes abfangen. Der Stein des Bogenrundes war kunstvoll gemeisselt, verziert mit Figuren die an Löwen erinnerten, oder an Drachen (so genau sah ich das nicht, es war ja auch in dem Moment ganz und gar nicht mein Hauptinteresse). Sie starrten uns verschlagen an, diese Statuen, als ob sie gleich lebendig werden wollten, um ihre Stadt gegen uns Eindringlinge zu hüten.
    Vom Platz her, aus Richtung der Ställe, erklangen Rufe und Fussgetrappel. Ich stürzte zum Tor, wusste Licinus neben mir, und sah was es verschlossen hielt: ein grosser Querbalken war vor die Torflügel gelegt, so ein Riesending, das man auch zum Hausbau hätte verwenden können. Dann war da noch ein eiserner Riegel, auch er gross und schwer, der dagegen aber ganz harmlos aussah.
    Auf Drei! - Es war gut dass Licinus so besonnen befahl. Sofort steckte ich das Schwert in den Gürtel, und packte das rechte Ende des Balkens mit beiden Händen.
    "Eins, Zwei, Drei!", zählte ich mit, und wuchtete den Balken so gut ich konnte in die Höhe. Er war bleischwer und ich bin beileibe kein Herkules, aber ich biss die Zähne zusammen bis sie knirschten, stemmte meine Schulter gegen das Holz und drückte es verbissen empor. Mit vereinten Kräften hoben Licinus und ich den Balken hoch und aus der Halterung hinaus.


    Weitere Wächter stürmten auf uns zu, in den Torbogen hinein. Speere wurden geschwungen, Säbel fuhren sirrend aus den Scheiden, kehlige Rufe erklangen. Nur einen Wimpernschlag lang sah ich wieder zu Licinus, unsere Blicke trafen sich - und ich glaube, wir dachten in dem Moment das selbe (also ich denke es, wissen kann ich es natürlich nicht) - "Eins,zwei,drei!!", stiess ich wieder zwischen den Zähnen hervor, dann gab ich meinem Balkenende mit aller Kraft einen Schubs. Halb warf ich es, halb liess ich es fallen gegen die anstürmenden Wächter. Das massige Holz polterte gegen sie und zu Boden, was uns einen weiteren, winzigen Moment zum Handeln verschaffte... Ich hängte mich an den Riegel. Der ruckte ein kleines Stück auf, dann bewegte er sich kein Stück mehr - klemmte wohl, oder so. Aber gemeinsam würden wir das verdammte Ding doch bestimmt aufkriegen!
    "Der Riegel..." zischte ich, und zog und zerrte, da sauste schon ein Säbel auf mich zu! Ich riss den Oberkörper zur Seite, und die Klinge traf klirrend auf einen der Eisenbeschläge, schlug Funken in der Nacht. Der Torbogen schien jetzt voll zu sein von Gestalten die uns bedrängten, ich riss das Schwert aus dem Gürtel, konnte den nächsten Schlag gerade noch abwehren, und versuchte entschlossen wieder nach dem Riegel zu greifen...

    Wir langten in der Gasse hinter dem Haus an, und der Centurio erteilte Licinus und mir stumm, nur mit knappen, klaren Gesten den Befehl voranzugehen. (Die hatten wir natürlich vor Aufbruch geprobt. Jedes lateinische Wort könnte uns ja verraten!) Ich zog mir den dreckigen Chiton zurecht - es war lange her, dass ich zuletzt so ein Kleidungsstück getragen hatte, und es war unter den von heute denkbar verschiedensten Umständen gewesen - und machte mich auf, in die Richtung die der Centurio uns wies. Ich schwitzte Blut und Wasser, als wir so offen durch die Gassen schritten, und auch immer mal wieder Menschen begegneten. Viele waren hier heute Nacht auf den Beinen... Und sie ahnten nicht, dass wir uns eingeschlichen hatten, in ihre Stadt, wie Wölfe in den Pferch der Schafherde. Möglichst unbefangen ging ich durch die Strassen und Gassen, die Waffen hatten wir unter unseren Schafspelzen verborgen, und keiner schien Verdacht zu schöpfen. Als ich schon zweifelte ob wir das Tor überhaupt finden würden, in diesem Gewirr von Gassen und Gässchen, da öffnete sich vor uns auf einmal ein Platz - mit dem Tor. Oder einem Stadttor jedenfalls.
    Wir verharrten im Schatten eines Hauses. Ich spähte angestrengt zum Tor, versuchte im Mondschein die Bewacher zu zählen. Da waren so einige. Eine Wolke schob sich vor den Mond, verdunkelte den Platz. Ich nahm das mal als Zeichen dass die Götter auf unserer Seite waren. Jetzt galt es! Mit vor Aufregung glänzenden Augen umfasste ich das blanke Schwert unter dem Gewand, berührte mit der anderen das Ancillium-Amulett um meinen Hals, und sandte ein stummes Stossgebet zu Mars. Mars, grosser Mars steh uns bei! Schliesslich waren wir ja - wie man immer wieder hörte, und sogar in der Acta lesen konnte - seine tapferen Söhne. (Hoffentlich würde der Gott Verständnis haben für so eine Kriegslist.)


    Age! Ich blickte kurz zu Licinus, setzte mich dann in Bewegung, und pirschte mich am Rande des Platzes entlang, im tiefen Schatten... Ställe waren daneben gebaut. Es roch nach Pferd und nach Mist. Aus einem trüben Fenster drang Licht, bildete einen verwaschenen Fleck auf dem Pflaster des Platzes. Ich duckte mich unter dem Fenster hinweg, drückte mich schnell in eine Ecke, als ein junger Mann die Treppen des Wehrganges herunterlief. Er verschwand im Stall, und ich bewegte mich weiter, auf die Wächter am Tor zu. Zwei waren uns jetzt ganz nah, sie sassen auf Stohballen neben einem Fass mit einer Öllampe darauf. Sie murmelten irgendwas in ihrer kehligen Sprache. Einer hatte einen Speer neben sich an der Mauer lehnen, der andere hatte ihn sich quer über die Knie gelegt. Ich spannte mich an, sah wieder zu Licinus neben mir, um mich mit ihm abzustimmen. In dem Moment waren meine Gedanken und meine Ängste wie ausgeschaltet, das Blut rauschte in meinen Ohren, ich nahm alles ganz intensiv wahr und dachte nur: DAS TOR. DAS TOR MUSS AUF, sonst gar nichts.
    Von oben, vom Wehrgang her, rief auf einmal eine tiefe und befehlsgewohnte Stimme etwas herunter. Das wars wohl mit der Heimlichkeit. Die beiden Wächter vor uns merkten auf und griffen nach ihren Waffen - schnell jetzt! Aus dem Schatten heraus stürzte ich mich entschlossen auf den nächsten. Ich riss das Gladius unter dem Gewand hervor, schlang von schräg hinten den Arm um den Mann herum und zog es ihm, da ich einen Lederharnisch unter seinem Umhang erspürte, über die Kehle. Drecksparther! Ich hatte ihn überrumpelt (und wahrscheinlich war er auch geblendet gewesen von dem Licht neben sich), jedenfalls ging er anstandslos zu Boden. Die Hände triefnass vom Blut - wie sagt Optio Priscus noch so gerne "Keine Angst vor Blut, Blut ist warm" - trat ich über ihn hinweg, hinein in den überdachten Bogen des Tores...

    Kein überflüssiges Wort wurde gewechselt, als Imperiosus und ich blutbefleckt wieder zur Truppe stiessen. Erst jetzt sah ich, dass der Optio bei dem Gerangel was abgekriegt hatte, eine Schmarre an der Stirn. Er verband sie sich flüchtig, und schon ging es weiter. Wie befohlen bildeten wir beide die Nachhut. Ich spitzte die Ohren und lauschte in die Dunkelheit hinter uns. Mal war da ein Echo, mal klang es als würde jemand wispern, aber die Stimmen von zuvor konnte ich nicht mehr hören.
    Dann endlich - frische Luft! Flink erklomm ich die Sprossen, die uns aus den stinkigen Eingeweiden der Stadt wieder an die Oberfläche führten, kroch vorsichtig durch die Öffnung des Schachtes. Der Mond stand am Himmel, die Zweige des Baumes, in dessen Schatten wir uns verbargen, rauschten leise, und die Nachtluft roch ungeheuer gut und sauber. Die Welt hatte uns wieder.
    Die Gedanken an den alten Mann, den wir gerade abgestochen hatten, die liess ich einfach zurück, da unten in den Gängen, bei den Ratten und dem Gestank, sie versanken sozusagen, genau so wie sein Kadaver in der Dreckbrühe versunken war. Nachdem Imperiosus auch hinaufgestiegen war, schloss ich den schweren Deckel der Luke - nicht dass da noch jemand drauf aufmerksam wurde - ganz vorsichtig und langsam, damit die rostigen Scharniere nicht zu viel Lärm machten. (Und seltsam, es beruhigte mich irgendwie, diese solide, metallene Barriere zwischen mir und dem Toten da unten zu wissen.)
    Unser Trupp verbarg sich im Schatten. Ich drückte mich gegen den Stamm des Olivenbaumes, die Hand am Gladius, stand ganz still und hielt mich bereit. Die Art des Innenhofes erinnerte mich an das Haus in Edessa, in dem sich die Rebellen verborgen hatten. Von der Strasse her erklangen Rufe und Lärm. Was war das für ein Aufruhr?! Wussten die etwa, dass wir hier waren? Angespannt umgriff ich mein Schwert fester, und blickte den dreien nach, die uns den Weg bereiten sollten. Hoffentlich ging alles glatt! Die einheimischen Gewänder waren ja eine gute Tarnung, doch so besudelt vom Dreck der Kanäle wie wir alle waren, befürchtete ich ersthaft, dass der Gestank uns verraten könnte.

    Wie eine Woge eisigen Wasser brandeten die Worte des Tiberiers über mich hinweg, schnarrend und frostig, und wuschen mir ordentlich den Kopf. Im ersten Moment fühlte ich mich wirklich am Boden zerstört, ich biss mir zerknirscht auf die Unterlippe und grämte mich, wie ich das ja oft tue: Faustus, Du bist ja so ein Weichling, Faustus, Du packst das alles nicht... und so weiter und so fort.
    Aber dann spürte ich, wie etwas in mir aufloderte - das war mein iberisches Temperament - und ich statt dessen wirklich wütend wurde. Meine Schultern spannten sich an und wurden ganz hart, meine Lippen schmal, und meine Augen funkelten zornig. Das war ja so unfair was der Mann da sagte! Natürlich war Livianus noch immer mein Onkel, auch wenn er mein Legat war - vielleicht vor allem anderen mein Legat war - aber trotzdem! Eine Sonderbehandlung hatte ich ganz gewiss nie gewollt, und auch nie bekommen. Aber Familie bleibt Familie!
    Was denkt der Mann, etwa dass man die Verwandten im Rekrutierungsbüro abgibt wenn man Soldat wird?! Und die Gefühle gleich dazu?!
    Ausserdem hatte ich gar nicht vor dem Kaiser geweint! Zuvor schon, aber als ich vortreten musste hatte ich es mir verbissen - gerade so, das geb ich ja zu, aber doch erfolgreich verbissen. Ich wusste es besser, als dem Tiberier da zu widersprechen - mit Widersprechen hatte ich ja ganz schlechte Erfahrungen gemacht, in der Armee. Egal ob einer behauptet, Deine Familie würde Kirschen klauen, sich im Schiff zu irren wäre Fahnenflucht, oder Du hättest vor dem Imperator ein Meer von Tränen geheult - zu Widersprechen rächt sich leider immer.


    Trotzdem konnte ich das nicht wortlos hinnehmen, diese vernichtende Tirade. Ich hatte wie alle anderen in der Schlacht mein Leben für den Kaiser riskiert, ich hatte gerade erst das ungeheuer verlockende Angebot der Prätorianer ausgeschlagen, und dabei sogar dem stets finsteren Tiberier ein kurzes Aufblitzen von Stolz in den Augen entlockt. Decimus Serapio, mögest du deinen Dienst in der Prima weiter mit Ehre und Ruhm versehen, hatte er selbst zu mir gesagt, oder jedenfalls so ähnlich. Ja, ich hatte doch wirklich gezeigt dass ich ein Legionär der Prima war und "Treue, Ehre, Mut" auch für mich inzwischen keine leeren Worte mehr waren! Das gab mir Auftrieb und Selbstbewusstsein.
    Ich atmete erstmal tief durch, dann erklärte ich feurig und unerschrocken:
    "Legat Tiberius. Ich verdanke dem Legaten Decimus Livianus von früher her sehr viel! Er hat für mich gesorgt, früher, nachdem mein Vater gefallen war. - Die Nachricht vom plötzlichen Verschwinden des Legaten und von seinem ungewissen Schicksal hat mich natürlich erschüttert. Ich bedaure es, wenn ich in jenem Augenblick nicht das makellose Bild geboten habe, das Du von einem Legionär der Prima erwartest. Aber ich schäme mich nicht meiner Bestürzung und meiner Sorge in dem Moment, als ich hörte, dass dieser grosse Mann entweder tot ist, oder in der Hand des Feindes!"

    Zitat

    Original von Marcus Iulius Sparsus


    Stimmt, die Kameraden waren gefrässig wie ein Schwarm Heuschrecken. Der Warnung von Sparsus folgend legte ich das Tuch mit den kostbaren Knabbereien ganz getarnt neben den Stein auf dem ich sass. Aber natürlich würde ich noch mit meinen Zeltgenossen teilen. War ja auch Unsinn es sich aufzusparen - wenn mich zum Beispiel morgen ein Pfeil aus dem Hinterhalt ins Jenseits befördern würde, dann hätte ich gar nichts mehr davon!
    "Nimm Dir nur. - Klar das richte ich ihr aus, da wird sie sich freuen! Sie ist nämlich Expertin im Schnüren von Päckchen für arme Soldaten fern der Heimat", erklärte ich fröhlich, und spielte kurz mit dem Ancillium-Amulett, das an einem Lederriemen um meinem Hals hing. Ich trug es ständig, und es hatte mich bisher wirklich tadellos beschützt.
    "In Ordnung."
    Genüsslich an ein paar Apfelringen knabbernd lehnte ich mich ein bisschen zurück, und präsentierte Sparsus vertrauensvoll mein Haupt. Während er mir sorgfältig die Läuse rauskämmte betrachtete ich die Kameraden beim Baden. Auch der Centurio hatte sich dazu gesellt, er schwamm und tauchte wie ein Seehund. Ich aalte mich in der Sonne, plätscherte mit den Füssen im Fluss, und genoss einfach diesen herrlich trägen Moment. Hin und wieder sah ich verstohlen, so unter halbgesenkten Wimpern, zu dem feschen Optio und schwärmte innerlich ein bisschen vor mich hin.


    "Danke! Du bist ein wahrer Freund", grinste ich, als Sparsus dann fertig war mit dem Kämmen und Läuse-Vernichten. Das war doch ein echter Freundschaftsdienst gewesen. Ich nahm den Dolch und prüfte die Schärfe mit dem Daumen. Rasiermesserscharf, auf jeden Fall.
    "Entspann Dich, ich mach das schon. Kinn zurück und Stillhalten..."
    Mit einer Handvoll Wasser befeuchtete ich ihm die Wangen und das kantige Kinn, setzte dann die Klinge an, straffte die Haut ein bisschen, und schabte langsam und mit viel Gefühl die Bartstoppeln ab. Geschickt bin ich ja zum Glück, und so arbeitete ich mich ruhig Stück für Stück vor, ohne das es Sparsus einen einzigen Tropfen Blut kostete.
    "Sag mal...", meinte ich nach einer Weile konzentrierten Schaffens, "kann ich Dich mal was fragen?" (Das war eher rhetorisch, denn der Dolch, der gerade, wenn auch behutsam, über seine Kehle schabte, liess ihm wenig Chance etwas zu erwidern.) "Also... wenn Du Dich verguckt hättest, in eine Person, so unterwegs hier auf dem Feldzug - eine Person, die das aber gar nicht weiss... aber eigentlich gäbe es da eine andere Person, in Rom, auf die Du wirklich stehst... ähm, ja also was würdest Du da machen...? Es ihr sagen? Auch wenn es vielleicht richtig Schwierigkeiten geben könnte.....?"
    Gespannt sah ich ihn an, mit einem schiefen, halb verlegenen Lächeln, löste dann die Klinge von seinem Hals und zog sie ein paarmal über den Schleifstein, um sie wieder zu schärfen, bevor ich auch noch die zweite Kinn-Hälfte in Angriff nahm.

    Zitat

    Original von Tiberius Artorius Imperiosus


    Ein paar Tritte bekam ich ab, der Stock traf schmerzhaft meine Schulter, doch dann hatte Imperiosus den Mann gepackt, und hielt ihn fest. Schnell fasste ich den Stock und entriss ihn seinem Griff, damit er keinen Lärm mehr damit machen konnte. Das Wasser rauschte an uns vorbei und ich hoffte, dass es die Geräusche des Kampfes einigermassen übertönt hatte... Doch da waren wirklich Stimmen, und sie schienen lauter geworden zu sein!
    Der Mann versuchte noch immer sich zu wehren, fuhr mir mit den gekrümmten Fingern ins Gesicht, aber ich packte sein Handgelenk bevor er mir die Augen auskratzen konnte, und nun hatten wir ihn wirklich festgenagelt.
    Nimm Deinen Dolch, befahl der Artorier, und bring ihn zum Schweigen.
    Mit der freien Hand griff ich meinen Pugio - es war doch gut dass ich ihn zwischen die Zähne genommen hatte, so kam ich auch in der Enge gleich dran - und führte die Klinge gegen die Brust des Mannes...


    Das ist ein Zivilist! Das ist ein alter Mann!, durchzuckte es mich da plötzlich. Ich zögerte. Der Mann gab erstickte Laute von sich und bäumte sich vergeblich gegen uns auf. Mein Blick irrte zu Imperiosus, der mir den Befehl gegeben hatte. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Auch nicht das unseres Gefangenen. Es lag alles im Dunkeln.
    Wir haben keine Zeit. Wir könnten ihn niederschlagen, fesseln, knebeln, aber wir haben keine Zeit... dürfen uns nicht aufhalten lassen... keine Zeit... kein Risiko... reiss Dich zusammen... nur ein Drecksparther... die Stimmen... da ist wer... wenn wir entdeckt werden können wirs vergessen!... die Kameraden zählen auf uns... unsere Mission...!
    Das Blut rauschte in meinen Ohren. Dann biss ich die Zähne aufeinander und stiess einfach zu. Bis zum Heft versenkte ich die Klinge in der linken Seite seiner Brust. Er zuckte und erschlaffte. Das wars. Was für eine Heldentat. Der Leichnam rutschte in das Dreckwasser, als wir ihn losliessen, trieb ein Stück in die Richtung aus der wir kamen, versank dann in der dunklen Brühe.
    Ich presste mir die Hand vor den Mund, und kämpfte gegen den Würgereiz. Aber kaum waren wir leise ein Stück zurückgekrochen, weg von den Stimmen, drehte sich mir doch mit aller Gewalt der Magen um. Überwältigt von Ekel kotzte ich in den Kanal, spuckte angewidert alles aus.
    Reiss Dich zusammen!, sagte ich mir wieder und wieder, Reiss Dich zusammen!!, und zwang mich weiterzukriechen. Ich wischte mir den Mund ab, wischte auch das Blut von meinem Dolch, und kehrte - kreidebleich - mit Imperiosus zu den anderen zurück.

    Schnappt ihn euch! So schnell ich konnte krabbelte ich hinter dem zerlumpten Mann her, schob mich über den Sims, robbte, ohne noch einen Gedanken daran zu verschwenden, mitten durch den Dreck. Wenn der uns entkäme! Dann könnte unsere Mission ganz schnell ein böses Ende nehmen!
    Wieselflink, oder vielleicht eher schlankenflink, kroch der Mann vor Imperiosus und mir her, bog flugs um eine Ecke herum - der schien sich auszukennen. Ich musste an all das Gelichter denken, das sich in Rom so gern in den Kanälen herumtrieb, an die Gerüchte vom Mann mit der Vogelmaske, und fragte mich, ob es hier wohl auch so was gab... oder gar schlimmeres... Die Stadt war uralt, das hatte ich erst Tags zuvor in meinem Characeos gelesen, sie hatte schon zur Zeit von Reichen existiert, die längst Vergangenheit waren. Vielleicht hatten ja die Assyrer diese Röhren hier gebaut, oder die Chaldäer, und wer weiss was noch überdauert hatte, aus dieser Zeit der Mythen und vor allem der monströsen Ungeheuer, hier, tief unter der Stadt.....


    Waren da nicht Stimmen, irgendwo da vorne?! Oh verdammt! Der Kanal verbreiterte sich jetzt ein klein wenig, er war hier leicht gebogen, und von weiter vorne fiel ein schwacher, rötlicher Lichtschein hinein. Die Gestalt des Flüchtenden warf einen verzerrten Schatten auf die dreckverkrustete Wand. Wir kamen dem Mann immer näher. Über die Schulter hinweg sah er gehetzt zu uns zurück. Ich konnte seinen Atem hören, ein hartes Keuchen. Verbissen schnellte ich mich vor, und bekam seinen Fuss zu packen! Den umklammerte ich fest - so kam er schon mal nicht weiter - und hoffte, dass Imperiosus das ausnutzen könnte. Der Mann trat nach mir, stiess dann wild dem Stock nach uns beiden. Er war alt, aber er kämpfte mit aller Kraft um sein Leben, wie ein in die Enge getriebenes Tier.

    Ich wuchs so ungefähr eine Handbreit in die Höhe, als der Tribun Terentius mir auf die Schulter klopfte. Wäre ich eine Laterne gewesen, dann hätten die Parther uns jetzt auf der Stelle entdecken müssen, so sehr strahlte ich, glücklich über diese kleine, anerkennende Geste.
    Der Centurio brach das Gitter ein Stück heraus und kroch als erster hinein - es passte knapp - verschwand ohne Zögern in den stockfinsteren Schacht. Ich gebe zu, mir wurde schon mulmig, als nach einigen anderen dann die Reihe an mir war. Letzter wollte ich aber auch nicht sein. Ich fasste mir ein Herz und nahm, so wie der Centurio es vormacht hatte, erst mal mein Pugio zwischen die Zähne. (Es schmeckte absolut scheusslich, denn ich hatte es vor dem Aufbruch Sparsus gleichgetan und die Klinge mit Russ geschwärzt. Das wirkte so professionell, fand ich.) Dann kroch auch ich hinein. Mich am Gitter vorbeizuwinden war gar kein Problem. Auf allen vieren krabbelte ich vorwärts, durch die widerlich stinkende Brühe... schon komisch, wie sehr man seinen Ekel beiseite schieben kann, wenn es wirklich sein muss, finde ich. Ein lauteres Rauschen von vorne kündigte einen grösseren Kanal an. In dem schummrigen Schein der Blendlaterne, die uns hier 'unter Tage' das absolute Minimum an Licht spendete, um nicht blind wie die Maulwürfe zu sein, erblickte ich dann die Kreuzung vor uns. Wohin jetzt? Unser Führer schien sich nicht sicher zu sein. Den Mann fand ich immer zwielichtiger. Einer der seine eigenen Leute verrät... wenn das hier eine Falle war, dann sassen wir jetzt wirklich darin wie die Ratten.


    Wir warteten. Nervös liess ich den Blick wandern, über die Wand der Schächte - grobes Mauerwerk und Stein, an manchen Stellen durchbrochen von Wurzeln. Schimmel wuchs da, und irgendwelche schleimigen Algen. Das Wasser floss träge, und es war ganz gut dass man nicht so genau sehen konnte, was darin alles trieb. A propos Ratten - ein räudiges, fettes Exemplar schwamm auf einmal an mir vorbei, ganz nah. Ich zuckte zusammen und zog meine Beine enger an mich, biss auf den Dolch um einen Laut des Erschreckens zu unterdrücken. Wi-der-lich...
    Unser Führer hatte sich nun entschieden und zeigte nach rechts. Doch bevor ich mich wieder in Bewegung setzen und weiterkriechen konnte, hörte ich ein ganz beunruhigendes Geräusch. Nicht das Trippeln einer Ratte, oder das Tropfen von Wasser, nicht das unterdrückte Fluchen eines meiner Kameraden... es hörte sich eher so an, als ob etwas hartes über Stein streichen würde. Und es kam nicht von uns!


    Fast im selben Moment kam Bewegung in den Gang gegenüber von uns. Auf dem Sims am Rande des Dreckwassers schälte sich auf einmal eine Gestalt aus der Dunkelheit. Reglos hatte sie bisher am Boden verharrt, hatte wie ein Schatten gewirkt, oder wie Teil des Mauerwerkes. Vage nur war ein Mann zu erkennen, zerlumpt und mit wirrem Bart. Er warf eine Decke zurück - hatte er etwa da geschlafen? - starrte uns wild an und umfasste einen Stock, der an einen Bettelstab erinnerte. Das Holz schabte über den Stein und machte das Geräusch, das gerade schon erklungen war, als er hastig vor uns zurückwich, sich dann umwandte und in dem niedrigen Gang Hals über Kopf vor uns zu fliehen versuchte. Auf allen Vieren, und so eilig als wären sämtliche Ungeheuer des Tartarus hinter ihm her....

    Es musste eine Taktik sein, die von Legat zu Legat weitergegeben wurde - die Soldaten erst gebieterisch herbei zu zitieren, und wenn sie dann da waren, sich erst mal noch den Unterlagen zu widmen, seelenruhig, als ob sie gar nicht da wären. Mein Onkel hatte das ganz genauso gemacht. Ob es eine Strategie zur Verunsicherung war? Oder zur Demonstration wie bedeutungslos die Soldaten gegenüber ihrem Befehlshaber waren? Aber eigentlich hatte man das als Legat doch gar nicht nötig. Vielleicht lag es einfach daran, dass man in dieser Position so viel Schreibtischarbeit hatte. Wenn ich mir da diese Gebirge von Schriftrollen anschaute...
    Mit solcherlei Gedanken vertrieb ich mir die Zeit, während ich wartete, dass der Legat unser Erscheinen zur Kenntnis nahm. Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass ich wie auf glühenden Kohlen stand. Als er dann schliesslich sprach, beantwortete das aber keineswegs die Frage, die ich mir schon die ganze Zeit stellte. Nein, statt dessen stellte nun er mir eben genau jene Frage. Das beruhigte mich allerdings insofern ein bisschen, als es ganz und gar nicht wie der Auftakt zur Verkündung einer schlechten Nachricht klang. Verwundert blickte ich ihn an - diese eisigen Züge waren so unheimlich, fast als trüge der Mann stets eine Maske vor dem Gesicht, eine eisig-eiserne Maske - dann richtete ich die Augen starr nach vorne, und achtete auch darauf, weiterhin ganz gerade und stramm zu stehen, als ich, mit etwas fragendem Unterton, antwortete:
    "Ich nehme an, es ist etwas wegen meinem Onkel, Legatus."


    "...........Patán! Gillipolas! Tonto!"
    Die Schimpfwörter gingen mir irgendwann aus, in dem wilden iberischen Wortschwall den ich diesem Schweinehund hinterher schickte. Ich bemerkte, dass ich mich zu wiederholen begann und verstummte. Da sass ich, im Strassenstaub von Edessa, hielt mir das Kinn und hätte heulen können vor Wut. Ich hasse solche Leute, solche primitiven Grobiane die zum Spass Schwächere vermöbeln, und sich dabei noch ganz toll vorkommen. Ganz besonders wenn ich dieser Schwächere bin, versteht sich. Das ist doch das Letzte, wirklich.
    Langsam rappelte ich mich auf. Ich schmeckte Blut im Mund und betastete mit der Zunge meine Zähne, ob sie alle noch da waren wo sie hingehörten. Das fieseste an der Geschichte war doch: ich konnte mich nicht wehren. Wer würde mir schon gegen den Protegé des Tribuns beistehen? Und sich zu beschweren, über sowas, so ganz offiziell, das sah bloss weichlich aus (und würde doch eh nichts bringen.)


    Trübsinnig klopfte ich mir den Staub ab. Da kam der Kerl auf einmal zurück! Wahrscheinlich weil ich ihn so beschimpft hatte, wahrscheinlich wollte er mir jetzt den Rest geben, dachte ich und schluckte heftig. Doch statt dessen druckste er herum und brachte irgendwas hervor, in dem man mit viel Mühe so eine Art mehr als halbherzig Entschuldigung ausmachen konnte. Bitte was? Ich starrte ihn komplett entgeistert an und verspürte einen humorlosen Drang zu Lachen, angesichts dieser absurden Vorstellung.
    Das war natürlich Manias Werk, ging mir auf. Gut dass sie wieder auf den Beinen war. Ich war schwer beeindruckt wie sie diesen primitiven Fleischberg gezähmt hatte, und es war wirklich nett von ihr. Aber trotzdem, ich hätte den Kerl jetzt am liebsten kopfüber in einer Latrinengrube stecken sehen!


    Mit dem Rest meiner Würde erwiderte ich höflich Manias Nicken zum Abschied, dann wandte ich mich ab, sammelte meinen Schild auf und trollte mich, zurück zu den anderen. Erzählen würde ich aber nichts von diesem Zwischenfall, beschloss ich, denn ich hatte schon den Schaden, da wollte ich nicht auch noch den Spott. Geknickt schlurfte ich über den Markt, hielt Ausschau nach den Zutaten, die ich fürs Backen brauchte, und vor allem nahm mir eines ganz fest vor: nie wieder versuchen Schicksalsbote zu spielen, mich nie wieder in die Angelegenheiten anderer Leute einzumischen. Das gab doch nur Ärger!

    Leise huschte ich hinter dem Centurio her, immer bemüht den schlammigen Stellen auszuweichen. Da war was auf der Mauer! Ein Wächter! Mit hart klopfendem Herzen verharrte ich in der Deckung, bis der Schemen vorrüber war. Das war... aufregend! Ein echtes Abenteuer. (Natürlich war mir klar, dass es jeden Moment in blutigen Ernst umschlagen konnte, trotzdem erfüllte es mich richtig mit Euphorie, bei so einer wichtigen Mission dabeizusein. Der Kitzel der Gefahr, schätze ich.) Ich bemerkte auch dass meine Lippen sich immerzu zu einem seltsamen, nervösen Lächeln verzogen, fast als hätten sie ein Eigenleben.
    Wir kamen immer näher an die Befestigungsanlagen heran, die hier bis zum Ufer reichten. Hohe Mauern bauten sich neben uns auf, massig und dunkel. Grosse Felsklötze waren Teil des Fundamentes. Ob es diesen Durchgang wirklich gab?


    Der Centurio bedeutete uns mit Gesten danach zu suchen. Sparsus und ich schlichen zum nächsten Mauerabschnitt - gaaanz leise, ganz dicht an der Mauer. Die Vorstellung, dass vielleicht gerade jemand da oben auf dem Wehrgang stand und den Bogen spannte - oder auch den Pechtopf köcheln liess - die liess mir einen kalten Schauder über den Rücken laufen. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf. Nun war die Hälfte meines Blickfeldes - die Mauer, im Schatten - ganz schwarz, tintig schwarz, dann kam die scharf gezackte Grenzlinie der Zinnen, vom bläulichen Schimmer des Mondes wie herausgemeisselt, dann der unendliche, sternklare Nachthimmel. Ich atmete tief ein und pirschte mich weiter, schob vorsichtig das Gestrüpp am Fusse der Mauer beiseite und suchte nach dem geheimnisvollen Zugang. Nichts...
    Dann kam eine Stelle, an der die vorgeschobene Mauer einen Knick machte, und dort von den Fluten des Euphrats beleckt wurde. Ganz langsam, um nicht zu plätschern, watete ich hindurch, eine Hand an der Mauer, eine am Schwert. Tief sanken meine Füsse in den Schlamm und das Wasser schwappte um meine Waden herum.
    Es roch modrig hier, nach Schlamm und Fäulnis, und meine Hand berührte glitschige Flechten, die die Mauer überzogen. Brr. Aber ich sagte mir: da musst Du durch, (und versuchte nicht daran zu denken was für giftiges Schlangenviehzeug hier unterwegs sein mochte).


    Da fiel mir mit einem mal etwas auf - eine Stelle am Ufer, halb im Schatten eines grossen Gebüsches mit wild verschlugenen Wurzeln, wo die Wasseroberfläche sich ein klein bisschen kräuselte, wie von einer einmündenden Strömung. Das Spiegelbild des Mondes sah dort so aus, als wäre es in viele Teile zerbrochen. Mondscherben dachte ich, und trat heran, da spürte ich die leise Strömung an meinen Beinen. Könnte es das sein? Wieder warf ich einen vorsichtigen Blick hinauf zur Mauer - und diesmal schien sich da jemand zu nähern. Eine dunkle Silhouette. Schnell duckte ich mich unter das Gebüsch, wartete still wie ein Häschen in seiner Kuhle bis sie wieder verschwunden war...
    Der Boden war wieder etwas fester hier. Ich tastete um mich herum. Da war ein stinkiges Rinnsal, das hier in den Fluss einmündete, in einem fast versandetes Bachbett. Oder war es mal ein Kanal gewesen? Am Rand meinte ich die verwitterten Reste einer steinernen Umfassung zu spüren. Ich verfolgte es mit den Händen, bis zu der Stelle wo es aus der Mauer herauskam. Schlingpflanzen und Gestrüpp hatten es überwuchert, ein Dorn riss mir die Hand auf - aber da war eindeutig ein Loch in der Mauer! Ein Gitter war darin, doch es fühlte sich verrostet an und schien an der Seite, meinem flüchtigen Eindruck nach, etwas Platz zu lassen. Womöglich konnte man sich da hindurchzwängen.
    HEUREKA!
    Fortuna war wieder mal mit mir. Ich tauchte unter dem Busch auf und zeigte Sparsus ganz aufgeregt die Stelle, dann huschte ich zurück, in Richtung der anderen, und bedeutete ihnen eifrig, nur mit Gesten natürlich, den Weg zu dem Durchschlupf.

    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides


    Familientradition, ja, wahrscheinlich traf das am Ende ganz gut den Kern in meinem wirren Wust von Motiven, die mich irgendwie dann doch hierher gebracht hatten, auf den Spuren meiner glorreichen Sippschaft, mitten hinein in dieses ungeheure, eigentlich unfassbare, sich-gegenseitig-Abschlachten... Zwar war es mir nicht gelungen, das zu erringen, was ich eigentlich wollte - die Anerkennung von Onkel Livianus - aber dafür hatte ich hier andere Sachen gefunden, die, wenn ich mal so recht drüber nachdachte, doch eigentlich viel besser waren: richtige Freundschaft, und zum ersten Mal das Gefühl dass mir jemand was zutraut! Das war neu, und ich spürte eine Woge der Dankbarkeit, als der Centurio so ernst mit mir über das Soldatsein sprach, mir dann sogar ausmalte, wie ich - ich - selbst irgendwann Centurio wäre. Und er machte sich nicht über mich lustig, als er das sagte.
    Ich wäre durch Feuer gegangen, für meinen Centurio, in diesem Moment! Verliebt sah ich ihn an - nein, nicht wirklich verliebt natürlich, ich sollte wohl eher sagen: "erfüllt von grenzenloser Loyalität".
    Dass er anscheinend zu seiner Zeit aus einem, meinem gar nicht so unähnlichen, Grund heraus sub aquila gegangen war, verblüffte mich gewaltig. Und auch dass er, der mir einmal so in etwa gesagt hatte "Die Parther sind keine richtigen Menschen, nicht so wie wir", sich anscheinend doch viele Gedanken über das Töten machte. Wahrscheinlich hatte er es damals nur gesagt, damit ich es nicht zu schwer nahm.
    Ich nickte stumm. Nicht grübeln, einfach machen. Nicht über Himmel und Erde und Tote und Dinge, die eh nicht in meiner Macht lagen, nachdenken. Einfach nur - Wache halten.
    "Ja Centurio!", sagte ich tiefempfunden, "Das werd ich. Und vielen Dank."
    Er führte seine Runde fort, und ich wandte nun wirklich meine Aufmerksamkeit ganz der Umgebung zu, konzentrierte mich mit aller Kraft auf die Formen in der Nacht, die Schattierungen, die Umrisse, die Geräusche und Gerüche, spähte wie ein Argos hinaus ins Feindesland und hielt so die Erinnerungsfetzen an den heutigen Tag im Schach.
    Nur nicht nachdenken.

    "Ja, ich will unbedingt noch sehen wie das ausgeht!", murmelte ich, als Sparsus mit dem Pugio wiederkam, und betrachtete völlig gebannt die Szene zwischen Iulia Helena und meinem frechen Zeltgenossen. Nicht schlecht wie sie Haltung bewahrte, und gleich ripostierte - Neben Deinem grossen....ego... Ich begann schallend zu lachen. Silio, der Gute, schien das allerdings als ein Kompliment aufzufassen. Er grinste stolz, so richtig von einem Ohr zum anderen, und verkündete uns allen im Brustton der Überzeugung:
    "Die Kleine steht auf mich!"
    Dann zwinkerte er seiner Kontrahentin aufdringlich zu und liess sich wieder in die Fluten zurückfallen. Die Vorstellung war wohl zu Ende, jedenfalls seinerseits. Ich riss mich los, meinte zu Sparsus: "Ich schau mal eben ob ich den Kamm auftreiben kann, bin gleich wieder da" und watete an Land. Ich zog meine Tunika über und machte mich auf die Suche nach Vocusus.


    Vor dem Zelt seines Contuberniums, zwei Zelte neben dem unserigen, fand ich ihn, wie er gerade seine Tuniken zum Trocknen aufhing. Gegen eine kleine Spende lieh er mir dann auch anstandslos den Läusekamm aus. Als ich an unserem Zelt vorüberkam rief mich Musca an - verletzungshalber hatte er aufs Baden verzichten müssen, der Arme.
    "He Serapio, für Dich ist Post gekommen."
    Er deutete auf ein verschnürtes Päckchen im Zelteingang, und grinste verschwörerisch - auch er nutzte ja die unbürokratischen, wenn auch nicht so ganz astreinen Wege der Sklavenhändler von TundT, die noch immer wie die Hyänen dem Heer folgten
    Post! Wie ein Habicht stürzte ich mich drauf. Von Tante Lucilla!
    "Juhu!"
    Übers ganze Gesicht strahlend knotete ich die Schnüre auf - Schnur konnte man immer gut gebrauchen - schlug die Umhüllung beiseite. Kekse! Kekse mit Pistazien, Apfelringe, getrocknete Kirschen und Pflaumen - was für ein Schatz! Was für ein Luxus, nach all dem Darben! Musca bekam gleich so ein gieriges Funkeln in den Augen. Ich gab ihm natürlich etwas ab, und knabberte dann selber einen Keks - hmm... - während ich den Brief meiner Tante las.




    An Faustus Decimus Serapio
    Lager der Legio I Traiana Pia Fidelis,
    Parthia oder darüber hinaus



    Mein lieber Faustus,


    Ich hoffe so sehr, dass es dir gut geht. Ich werde gleich nach diesem Brief zum Marstempel gehen und ein Opfer für dich und Livianus darbringen. Hast du schon Neuigkeiten von ihm? Wie geht es dir? Hier in Rom kommen überhaupt keine Meldungen mehr an, nicht einmal über die Acta Diurna - vermutlich ist der Korrespondent aus dem Kriegsgebiet geflohen.


    Dass du Armillae bekommen hast, wundert mich gar nicht. Du bist immerhin ein Decimus, die Tapferkeit und der Mut und die Kämpferkraft und all dieses Zeug liegt dir im Blut. Pass aber trotzdem weiterhin gut auf dich auf, Faustus, die Parther kennen die Decima doch noch gar nicht und wissen ja nicht, dass sie dir besser aus dem Weg gehen sollten.


    Meine Hochzeit war sehr schön, aber natürlich habe ich euch vermisst. Mittlerweile wohne ich auch in der Casa Germanica, Briefe kannst du demnächst also direkt dorthin schicken. Den letzten hat Meridius vorbei gebracht, ich glaube, er war ganz froh, dass er Postbote spielen und dabei nachschauen konnte, dass es mir auch ja gut geht. Du kennst ihn ja. Seine Sorgen sind allerdings völlig unberechtigt. Mir geht es hier sehr gut. Ich habe auch ständig so viel zu tun, ich habe sogar den Posten der Auctrix der Acta Diurna aufgegeben, um mehr Zeit für die Ehe und die Familienplanung zu haben. Außerdem fängt natürlich nun als Matrone mein politisches Leben an, ich sage dir, das ist vielleicht anstrengend. Avarus hat auch gleich zum Aedil kandidiert und wurde gewählt. Na ich habe natürlich all meine Freundinnen beschwatzt, und diese wiederum ihre Senatoren-Männer, wie das eben so läuft.


    Ansonsten passiert in Rom nicht allzu viel. Die üblichen Feste natürlich, gerade an den Saturnalia musste ich auch viel an dich denken. Nächstes Jahr gehen wir zusammen zum Opfer, man kann dort wunderbar neue Leute ganz ungezwungen kennen lernen. Dieses Jahr habe ich sogar mit einem Patrizier geplaudert, stell dir das nur vor.


    Beiliegend habe ich dir noch ein paar Kekse und etwas Dörrobst eingepackt. Ich hoffe, es kommt an. Pass gut auf dich auf und melde dich, sobald du kannst, damit ich weiß, dass es dir gut geht.


    Dein Tantchen
    Lucilla


    Dea Dia, sie hatte wirklich geheiratet! Wie doch die Zeit verging. Ich grinste bei der Vorstellung wie sie energisch die Karriere ihres Mannes in die Hand nahm, und beim Kränzchen mit ihren Freundinnen Stimmung für ihn machte. Ja, wenn Lucilla sich was in den Kopf gesetzt hat! Wahrscheinlich würde sie es fertigbringen, und sogar noch so eine verkrachte Existenz wie mich erfolgreich in den Senat bugsieren, wenn sie es drauf anlegen würde!
    Auch ihre Eloge auf uns Decimer brachte mich zum Lächeln. Es war toll dass sie an mich glaubte. Und gut zu wissen, dass sie an mich dachte und für uns opferte. Bestimmt konnte Livianus, wo immer er auch war, das auch sehr gut gebrauchen... Wenn er noch lebte. Ich seufzte schwer. Blöder Krieg. Niemals hätte ich gedacht, dass es ihn erwischen könnte, ihn den Feldherren, so souverän, umgeben von seinen Leibwächtern, im Glanze seiner Macht... während ich mich dagegen, abgesehen von ein paar fast verheilten Blessuren (und den Läusen), eigentlich bester Gesundheit erfreute.
    Aber es nützte nichts sich den Kopf zu zerbrechen. Wie sagte der Centurio noch - zuviel Grübeln hat einem Mann doch immer nur geschadet, oder so ähnlich. Ich packte einen Teil der Knabbereien in ein Tuch, nahm mein Pugio, einen kleinen Schleifstein und natürlich den Kamm mit und kehrte zum Fluss zurück. Bestimmt wunderte Sparsus sich schon wo ich blieb.


    "Marcus!" Ich winkte ihm mit dem Kamm zu, und setzte mich auf einen Stein am Ufer. So ein grosser, runder, sonnenwarmer Stein war das, auf dem man wie eine Eidechse die Wärme von oben und unten zugleich geniessen konnte.
    "Komm her wenn Du Dich traust!", grinste ich, hielt ihm das Tuch hin und bot ihm von den Früchten und Keksen an. Auch ich verschlang gleich noch einen Keks - vom Baden werde ich ja auch immer so hungrig - und schwärmte mit vollem Mund:
    "Das hat mir meine Tante geschickt, ist das nicht toll?! Sie hat mir geschrieben, und sie hat geheiratet, es ist so schade dass ich nicht dabei sein konnte, aber es geht ihr wohl sehr gut, ach manchmal hab ich schon Heimweh. - Wer soll anfangen? Kämmst Du mir erst mal die Läuse aus, vielleicht? Aber nicht die Haare schneiden, naja, allerhöchstens die Spitzen ein bisschen."

    Das mit dem Ausräuchern schien dann doch nicht so einfach zu gehen - aber jetzt wussten wir endlich womit wir es hier zu tun hatten! Schnell schnappte ich mir wieder mein Scutum und reihte mich ein, direkt hinter Sparsus. Einen kurzen Blick warf ich noch über die Schulter zurück, zu dem seltsamen Griechen und zu dem eigensinnigen Händler. An dessen Stelle würde ich mich jetzt schleunigst aus dem Staub machen. Ich würde es Sparsus glatt zutrauen, dass er sonst seine Drohung mit dem Kreuz wahr machte.
    Kampfeslustig drängte ich mich hinter Sparsus, und hielt den Atem an, als der Parther Ziaar verwegen auf ihn lossprang - aber Sparsus schmetterte ihn Mars-sei-Dank wuchtig mit dem Schild zur Seite. Das war meine Chance! Ich schob mich in die schummrige Kammer und stürzte mich, Schild voran, auf diesen Hurensohn. Der war ja eigentlich mein Eigentum! Das wollte ich zurück, oder mich wenigstens rächen! Er war zu Boden gegangen von Sparsus Stoss, und ich hatte nicht die geringsten Skrupel das auszunutzen. Diese langen Säbel, die sehen zwar unschlagbar gefährlich aus, und - wenn ich es auch ungern zugebe - viel eleganter und kühler als unsere Gladii... - aber sie brauchen Raum. Flink war ich an ihm dran, unterlief den Schwung seines Säbels, und stiess mit aller Kraft mit dem Schild nach ihm, wollte ihm den metallenen Rand gegen den Kopf rammen!