Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Ohne einen blassen Schimmer worum es ging, folgte ich meinem Centurio durch das Lager. Als er dann das Praetorium ansteuerte, stieg allerdings eine Vermutung in mir auf... Warum sollte er mich zu dem Nachfolger meines Onkels mitnehmen, wenn nicht weil es Neuigkeiten von seinem Verbleib gab! Gute oder schlechte... Ob der Centurio schon was wusste? Ich suchte in seinem Gesicht nach einer Regung, vermochte dort aber nur Abgespanntheit zu lesen. Er schien sich, trotz seiner Verwundungen, mit grimmiger Entschlossenheit aufrecht zu halten. Und mit Hilfe eines Beutels, in den er immer wieder griff.
    Auch die Gesichter der Wächter vor der Unterkunft des neuen Legaten verrieten mir nichts, und schon gar nicht die tumbe Visage des Bucco - dieses Schwachkopfes, der in Edessa auf mich losgegangen war - der wohl so eine Art Mädchen für alles und heute der Türhüter war.
    Er machte uns den Weg frei. Eine Art Schicksalsergebenheit erfüllte mich, als ich im Kielwasser meines Centurios in das Zelt trat. Selbst schlimme Nachrichten waren doch besser als die grosse Ungewißheit. Ich stand stramm, grüsste "Ave Legatus", salutierte und harrte angespannt der Dinge die da kamen.

    Ha! Ich hatte Sparsus, diesen Muskelprotz, mal locker zu Fall gebracht! Das 'Blub, Blub' war Musik in meinen Ohren. Ich fiel zwar selber mit rein, aber egal. Mit einem breiten, triumphierenden Grinsen richtete ich mich wieder auf. Aber er schien nicht so erfreut zu sein - Nachtwache, Latrinendienst, das meinte er doch nicht ernst, oder? Oder doch? Bestürzung vertrieb das Grinsen von meinem Gesicht, ich schob kläglich die Unterlippe vor und sah ihn mit herzerweichendem, blauäugigem Hundeblick an. Da hatte er keine Chance, und folglich wurde er auch wieder vernünftig. Fast vernünftig.
    Meine Haare?! Oooh nein - ich war gerade froh dass sie wieder ein ganz klein bisschen gewachsen waren, und so schlimm wars doch gar nicht. Schliesslich sahen wir alle, die wir seit Monaten unterwegs waren, nicht mehr ganz wie aus dem Ei gepellt aus. Ich schielte zu der Strähne, die er aufgenommen hatte.
    "Pff, Du klingt ja schon wie meine Mutter: 'Faustus, Du siehst bald aus wie ein Grieche!'" Ja, die Kämpfe damals, als ich mir das Haar hatte wachsen lassen. "Oder meine Tante: 'Faustus, was hast Du denn da für einen Besen auf dem Kopf'", rieb ich ihm frech unter die Nase. "Ne ne, die sind gerade richtig. Sonst friere ich immer so an den Ohren."
    Stattdessen tippte ich ihm mit dem Zeigefinger gegen das Kinn und behauptete felsenfest:
    "Du solltest Dich lieber um dieses wild wuchernde, un-durch-dringliche Gestrüpp sorgen, das da sich da auf deinem Kinn breitmacht!"
    Aber ach, da juckte es schon wieder in der Scheitelregion. Ich kratzte mich am Kopf und verzog das Gesicht.
    "Ich hab jetzt auch Läuse, glaub ich", seufzte ich. "Kannst Du mal gucken ob Du was siehst, was Krabbelndes?" Vielleicht bildete ich es mir ja auch nur ein! "Aber die kann man auskämmen, da muss man nicht die Haare abschneiden! Dings, Vocusus hat so nen Kamm mit ganz feinen Zinken, den werd ich mir gleich mal ausleihen. Hilfst Du mir? Gegenseitig rasieren könnten wir uns auch, ja? Ich bin auch gaaanz vorsichtig, versprochen."


    Während wir uns da so balgten und kabbelten, drehten sich ein paar Köpfe in Richtung des Ufers. Ich tat es den anderen gleich, und sah in einiger Entfernung Iulia Helena stehen, die schöne Matrona und Adoptiv-Mutter der Prima, in Begleitung des Tribuns Terentius, der sich nun aber entfernte. Es sah tatsächlich ein klein bisschen so aus, als ob sie sich mit dem Gedanken tragen würde, gleich auch ins Wasser zu springen! Ich musste grinsen bei der Vorstellung. Silio dagegen - irgendwie war es doch immer der selbe, immer Silio, der solche Sachen machte! - tauchte unverfroren aus dem Wasser auf, stand großspurig, leicht breitbeinig im seichten Wasser des Ufersaums, und präsentierte sich ihr in seiner ganzen (zugegebenermaßen... nicht gerade unansehnlichen) Pracht.
    "Kannst ruhig rein kommen," trompetete er dazu,"...hier is genug Platz, hehe, wenn wir'n bisschen zusammenrücken auf jeden Fall!"
    Gelächter und beifällige Rufe lohnten ihm seine Dreistigkeit.

    Schlechte Nachrichten? Ich starrte auf das Papyrus, und sagte ziemlich entrückt, mehr zu mir selbst:
    "Ich weiss nicht..."
    Verwirrende Nachrichten vor allem.
    Ein Glück, dass das nicht durch die Zensur gegangen ist!
    Hannibal - ein Sklave?! Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Er war so souverän, geradezu erhaben, und, ja: edel!
    Dass Sklaven auch Menschen sind, das war für mich nie eine Frage, ist ja klar - aber zumeist doch eher, nun ja, primitivere, wenig differenzierte Menschen. Kein Vieh eben, aber halt doch nicht so wie wir.... (Der Gedanke, unsere Sklaven wären genauso wie wir, der hat ja auch ein un-ge-heu-res Umsturz-Potential.)
    Hannibal war ein Sklave! War ich oberflächlich, weil mich diese Enthüllung gerade so aus der Fassung brachte? Es änderte ja nichts daran, was zwischen uns gewesen war. Ich vergrub die Finger in meinem, inzwischen doch nicht mehr ganz so kurzem Haar und las den Brief zu Ende. So schöne Sätze... Ein Juwel nannte er mich, einen Saphir, und sagte dass er an mich denke, für mich beten würde... mein Erastes! Ich spürte, wie mir das Herz aufging, und meine Augen feucht wurden. (Ob in Freud oder Leid, ich hab einfach viel zu nah am Wasser gebaut.) Wie tragisch, wie entsetzlich war es, dass solch ein hochherziger, seelengrosser Mensch sein Leben in der Sklaverei fristen musste!
    Aber ein Sklave konnte freigelassen werden. Der Centurio war doch kein Unmensch, beileibe nicht, bestimmt würde er ihm irgendwann die Freiheit schenken. Oder vielleicht war an mir ihn zu retten?!
    Ja - ich würde Hannibal retten, ihm beistehen so wie er mir beigestanden hatte. Ohne ihn wäre ich bestimmt irgendwann tot in der Gosse gelegen. Sobald wir wieder in Italia waren, MUSSTE ich ihn retten! Und wenn ich schamlos meine Familie anschnorrte, zu diesem Zweck. Nec Dominus, nec Servus! Universell ist das Band der Freundschaft, und auch der Liebe, es vereint die Menschen über die Standesgrenzen hinweg! Die Freundschaft tanzte den Reigen um die Welt und ruft uns allen zu, aufzuwachen, zum Preise des glücklichen Lebens - Epikur war mir eh immer am sympathischsten. (Und die Kyrenaiker.) - Naja, ich hatte mit Ziaar ja auch schon einen Sklaven gekauft. Aber das war natürlich ganz was anders. Dieses miese Partherschwein hatte es einfach verdient.


    Beseelt von meinem hehren Entschluss erhob ich mich, schauderte kurz als meine bloßen Füsse den kalten Boden berührten, und faltete das Papyrus sorgsam zusammen.
    Süß. Der Centurio sah richtig niedlich aus, wie er da am einschlummern war, die Wange an die Hand der Iulia Helena geschmiegt. Hatte er sie gerade "mein Sonnenschein" genannt? Ich musste schmunzeln. Der würde morgen einen stattlichen Kater haben.
    "Jo. Wir wolln dann mal nicht stören...", liess sich Silio vernehmen, und verliess anzüglich grinsend das Zelt. Dieser Trottel. Ich gab dafür ein besonders wohlerzogenes und artiges: "Vale werte Iulia, Gute Nacht noch" zum Besten, und folgte ihm hinaus. Zurück zum Zelt, das inzwischen glücklicherweise wieder stand, wenn auch etwas schief. Ich rollte mich im Stroh zusammen, zog meinen Umhang über mich und versuchte noch eine Mütze Schlaf zu bekommen. In dem Zustand zwischen Wachen und Schlafen wanderten meine Gedanken sofort wieder zu Hannibal... wie er mich in dem alten Tempel beschützt hatte... wie er mich damals in der Spelunke am Kanal auf seinen Schoss gezogen hatte.... seine Küsse, Hach!... Ich musste einfach am Leben bleiben, um ihn wiedersehen zu können! Und gleich morgen, da würde ich mir unverzüglich eine kleine Tasche in die Tunika nähen, direkt über dem Herzen, um seinen Brief immer darin zu verwahren! Dies beschloss ich noch, dann schlief ich ein, mit einem schwärmerisch-verklärten Lächeln auf den Lippen.

    Entlang des Euphrat bewegte sich unser Trupp, heimlich und leise wie Diebe in der Nacht. Der Mond spiegelte sich in den schwarzen Fluten des Flusses, das Wasser rauschte an uns vorbei. Ein Vogel schreckte auf, in einer der Schilfbänke entlang des Flusses als wir uns vorüberschlichen, schnatterte kurz verschlafen und verstummte wieder... Das andere Ufer, das Westufer des Euphrat war nicht zu erkennen in dieser dunklen Nacht, nur Sandbänke, die sich flach im Wasser ersteckten. Wir kamen an Feldern vorbei, und an Plantagen, durchzogen von einem fein verästelten Netz von Kanälen, von Rohren und Bewässerungsanlagen, mit denen die Menschen hier der Wüste das fruchtbare Land abtrotzten. Der Wüste, dieser steinigen Einöde die sich jenseits des fruchtbaren Bandes des Euphrats immens und unendlich ersteckte...
    Sand und Kieselsteine knirschten leise unter unseren Sohlen. Die Gestalten meiner Kameraden waren wie Schatten in der Nacht. Ohne unsere klirrenden Rüstungen, dunkel gekleidet und ohne Licht unterwegs - ja, da vermochten auch wir Römer uns still und heimlich an den Feind heranzupirschen.


    Circesium! Das war unser Ziel. Schon zeichneten sich in der Dunkelheit vage die Mauern der Stadt ab - diese Mauern hinter denen sich die Bewohner anscheinend so sicher fühlten, dass sie sich geweigert hatten sich unserem Imperator zu ergeben. Kein Heer zu ihrer Verteidigung schien in der Nähe zu sein, und doch waren die Stadttore verschlossen gewesen. Was für eine bodenlose Dummheit! Das mussten wirklich Fanatiker sein. Wir waren immerhin (noch fast) zwei Legionen, mit Hilfstruppen, und Edessa war nach der Kapitulation ja auch glimpflich davongekommen.
    Doch anstatt in offenem, verlustreichen Kampf die Mauer zu bestürmen, gab es andere Befehle. Ich kannte nicht die Ausmasse des Manövers, wusste nur dass heute nacht auch noch andere Trupps unterwegs waren. Wir jedenfalls, unser kleiner Trupp unter dem Kommando des Tribun Terentius, hatten die Aufgabe heimlich reinzukommen in die Stadt, um von innen die Tore zu öffnen. Auf ein Zeichen hin würde die Stadt dann erstürmt werden. Ein Kinderspiel...


    Nur geflüstert wurden Befehle weitergegeben. Wir machten halt, in Deckung von so einer Art grossem Mühlrad, das sich quietschend drehte und Eimer für Eimer Wasser in die Bewässerungsgräben schaufelte. Ich sah zu unserem Befehlshaber dem Tribun, zu meinem Centurio, zu Andronicus und den anderen die heute nacht hier mit unterwegs waren. Alle freiwillig. Ich kaute kurz nervös auf meiner Unterlippe und fragte mich, warum nochmal ich Feuer und Flamme gewesen war und sofort 'Hier! Ich!' geschrien hatte als der Trupp zusammengestellt wurde. Um zu zeigen dass ich auch was draufhabe, wahrscheinlich, und um mir zu beweisen, dass ich doch mutig sein kann wenn es drauf ankommt. Mein Mund war trocken vor Aufregung, aber ich war ganz konzentriert, hellwach, und begierig darauf diesen elenden, hinterhältigen Parthern, die die Zehnte am Fluss so heimtückisch massakriert hatten, zur Abwechslung mal so richtig in den Arsch zu treten.

    Mir war, als würde ich den Hauch des Schicksals spüren, als leise, kaum hörbar, drei Namen den welken Lippen der alten Frau entwichen, und der Hüne bestätigte: es war wohl wirklich so. Kein Missverständnis, statt dessen ein Zusammentreffen nach Jahrzehnten, ein epochales Wieder-Kreuzen der Wege, wahrlich ein besonderer Moment! Ich schauderte andächtig, freute mich für die liebenswerte alte Dame, und war schon ein bisschen stolz, dass ich in diesem schicksalhaften Gefüge auch eine kleine Rolle hatte spielen dürfen. Faustus, Gehilfe der Parzen, Faustus der Glücksbringer.
    Als der Zyklop Mania einfach auf die Schulter nahm bekam ich aber wieder einen Schreck. Gut, ganz so tollpatschig schien er dann doch nicht zu sein, aber das wirkte trotzdem verdammt gefährlich, ausserdem konnte er die Arme doch nicht einfach so davontragen... Ich winkte ab als er vom Dank sprach, das schmeichelte mir zwar, aber ich hatte ja nur Mania beistehen wollen. Und in dieses Hochgefühl hinein, traf mich dann unvermittelt, völlig aus heiterem Himmel auf einmal seine Faust wie ein, ich sag mal: Schmiedehammer!


    Sterne explodierten in meinem Kopf, mein Kinn knirschte, mein Kopf wurde in den Nacken zurückgeworfen, und dann lag ich längelang auf dem Pflaster des Marktplatzes, völlig benommen, und hörte mein eigenes Ächzen wie aus weiter Ferne.
    Wieso? Wieso hatte dieser Spinner mir eine reingehauen? Mir, einem Kameraden der Prima. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Hielt mir das schmerzende Kinn, betastete es bang, stützte die andere Hand auf das Pflaster und richtete meinen Oberkörper wieder auf, während die Welt um mich herum schwankte und waberte.
    "Aaauu...! Spinnst Du? - Du fieses Schwein... Drecksack, cabrón" zischte ich, "Du hast sie wohl nicht mehr alle! Mala leche! Du hast überhaupt keinen Grund... - Aaauu..."
    Nur weil ich 'vorsicht zerbrechlich' gesagt hatte war der ausgetickt! Solche Leute sollte man nicht frei rumlaufen lassen, solche tollwütigen Kotzbrocken. Mein armes Gesicht! Er stapfte einfach davon, und ich blieb auf dem Boden sitzen und fluchte ihm hinterher, schimpfte wie ein Rohrspatz, betrachtet von ein paar feixenden Stadtbewohnern, die das wohl urkomisch fanden, dass ein Römer einen anderen zu Boden geschlagen hatte.
    "Imbecil! Bucco! Tonto! Pendenciero, die Eier sollen Dir abfaulen! Perro asqueros!!!"

    Herrlich war das, da einfach so am Flussufer herumzuliegen. Ich blinzelte in die Sonne, deren schräge Strahlen honiggolden das Tal des Chaboras erfüllten, hörte das Plätschern des Wassers, das Lärmen der Kameraden und das Rascheln des Schilfs... Das alles verschmolz ineinander, zu einer heiteren, friedlichen Geräuschkulisse, und ich liess sie wohlig über mich hinwegrauschen. Die Sonne trocknete mich schnell, wurde schon wieder zu heiss, und so streifte ich die Tunika wieder ab, die ich mir so schamhaft umgelegt hatte, und watete nochmal ein Stück hinein in den Fluss.
    Etwas abseits von uns fröhlich Badenden übergab gerade ein Soldat mit bekümmertem Gesicht dem Fluss eine hölzerne Schale mit einem Löffel dazu. Ein kleines Opfer für einen Gefallenen. Die Schale trieb ein Stück auf der Wasseroberfläche, schaukelnd, wie ein Boot, dann versank sie in den Fluten. Wieviele tote Kameraden mochten am Ort des Hinterhalts am Grunde dieses Flusses liegen, die Leichen beschwert von den Rüstungen, aufgedunsen und angeknabbert... Ach! Weg mit diesen Gedanken! Heute wollte ich mir allerhöchstens wegen meiner Läuse Sorgen machen!


    Der Anblick meines Optios, der nicht weit von mir im Wasser stand, lenkte mich ganz wunderbar ab. Verstohlen betrachtete ich ihn, so aus den Augenwinkeln, ganz hingerissen davon wie durchtrainiert er doch war.... ein Mann aus Stahl! Aber er sah angespannt aus, fand ich, wahrscheinlich machten dem Armen seine Verletzungen zu schaffen. Verträumt liess ich die Finger durchs Wasser gleiten und dachte ganz versunken darüber nach wie ich mich wohl an ihn ran machen könnte, und ob ich vor allem jemals den Mut dazu aufbringen würde - als ich auf einmal von den Füssen gerissen wurde!
    "Hey...!", rief ich, da fand ich mich schon unter Wasser wieder, wusste gar nicht wie mir geschah. Ich zappelte und wand mich wild, Luftblasen stiegen aus meinem Mund auf und trudelten in einem silbrigen Strom fröhlich hinauf zur wogenden Wasseroberfläche. Dann ging's wieder nach oben.
    "Marcus!", prustete ich verdattert und wischte mir das Wasser aus dem Gesicht, "Wie, was Nachtwache nee! Du alte Kanaille, das wirst Du büssen!" Ich sprang ihn an, ganz plötzlich, gab ihm einen Schubs und hängte mich wie eine Mischung aus einem Mühlstein, einer Klette und einem Klammeraffen an ihn dran, versuchte lachend ihn mit ins Wasser zu ziehen.

    Wie auf dem Schlachtfeld, schoss es mir durch den Kopf, als sie die Reiter abgeschossen haben! Die Parther präsentieren sich als leichte Beute, und wenn man zugreift schlagen sie heimtückisch zurück...
    Öl, Stroh? Mein Gesicht leuchtete auf. Was für eine gute Idee!
    "Ja natürlich!", rief ich, und sah beifällig zu Sparsus, dem Listenreichen, "Wir räuchern sie aus! Wir treiben sie wie die Kaninchen aus ihrem Bau."
    Mit Silio und Rupus an seiner Seite rückte er gleich vor. Das versetzte mir schon einen Stich. Mich rief er zurück, aber die beiden sollten an seiner Seite kämpfen! Tja, Faustus, den lässt man besser hinten, Faustus, der Kleine, der ist mehr so als Maskottchen dabei! Genau wie der Primus Pilus auf der Rettungsaktion... keiner traute mir was zu. Beleidigt schürzte ich die Lippen. Wie sollte ich denn jemals zeigen, dass ich auch was draufhabe, wenn ich immer in Deckung warten muss?
    Naja, diesmal lag es wohl mehr daran dass ich dolmetschen sollte, aber trotzdem traf es meinen wunden Punkt. Ich bestürmte den Händler mit den Fragen nach Brennbarem, aber nach Silios glorreichem Auftritt schien er vollkommen die Schotten dicht gemacht zu haben, und starrte mich nur stumm und hasserfüllt an. Der Apfel-Mann hingegen sah vor allem verwirrt aus.
    ~"Öl, Stroh, Heu, Fackeln, Zunder - gibt es hier irgendwas in der Art?? Rede, Händler, Du kommst ans Kreuz, wenn Du uns jetzt nicht hilfst!"~


    Nichts zu machen. Keiner nahm mich ernst hier. Oder vielleicht verstand er mich auch gar nicht. Dasius wühlte derweil in den Haufen von Regaltrümmern und Kisten auf dem Boden. Eilig sah ich mich um. Zwei funzelige Öllämpchen standen zu beiden Seiten des Verkaufstisches. Ich steckte mein Schwert in die Scheide und schnappte mir die Lämpchen, riss dann kurzerhand einen schweren Behang von bunt gemustertem Stoff vor der Wand und kippte das Öl darüber. Vom Boden hob ich ein langes Stück Holz auf, wickelte den ganzen ölbefleckten Stoff drumrum um ihn zu beschweren, und entzündete das Gebilde. Die Flammen umhüllten es so rasch, dass ich mir fast die Finger verbrannte, und es rauchte und qualmte ordentlich. Dasius riss gleich ein Fenster auf.
    "Sparsus, Rupus! Vorsicht, macht mal eine Lücke zwischen euch!", rief ich aufgeregt, und trat hinter sie. Hastig - es war schon fast unmöglich geworden ihn zu halten - schleuderte ich den brennenden Stoff von mir, warf ihn zwischen den beiden hindurch und mitten hinein in diesen ominösen Durchgang. Der war ja zum Glück nicht gerade schwer zu treffen. Es polterte, als das Holz auf den Boden traf, und als die durch den Wurf gedämpften Flammen wieder aufloderten fiel der Lichtschein auf ockerfarbene Kacheln, auf den Parther Ziaar und.....

    Wunderschön ist die grossartige Lucilla. Aber Holla! Ich machte grosse Augen. Der Centurio hatte natürlich recht - sie ist nicht nur die schönste, sondern auch die klügste und energischste und überhaupt eine Wucht... - Aber wie kam er dazu, sie so in höchsten Tönen zu rühmen? Perplex fuhr ich mir durch zerzauste Haar. In Vino Veritas, was? Ich musste ihr unbedingt gleich schreiben, was für einen glühenden Verehrer sie hier hatte! Oder - war es womöglich kein heimlicher Verehrer, hatte sie womöglich was mit ihm? Meine Tante? Nein, das konnte nicht sein.
    Ich fragte mich, ob ich jetzt nicht ihre Ehre verteidigen musste. Auf iberische Weise: So, Compagnero, Dir gefällt also meine Tante? Ich geb Dir gleich 'meine Tante'! - an dieser Stelle zückt Messer-Serapio, der iberische Bravo, Tarracos tollkühnster Tunichtgut, dann kühl sein Klappmesser mit den drei dutzend Kerben am Griff und hält es dem erbleichenden Widersacher unter die Nase - Da hast Du 'meine Tante'! (...)
    Naja, Messer-Serapio tat das natürlich nicht wirklich, er stand mehr da und kratzte sich konfus am Kopf. Und schon prasselte die nächste Enthüllung auf ihn herab.


    "Hannibal?!" widerholte ich aufgeregt, spürte wie mir das Blut in die Wangen stieg, und hauchte: "Oh."
    Schlief ich etwa noch immer, träumte ich? Ich hätte nicht gedacht, von ihm noch mal zu hören, hatte geglaubt er hätte mich abgeschrieben oder meinen Brief aus Ravenna damals - schien mir schon eine Ewigkeit her zu sein, dabei wars gar nicht so lang - gar nicht erst bekommen.
    Voller Erwartung trat ich schnell zu dem Möbelstück auf das der Centurio gewiesen hatte. Ein Stuhl? Ach nein - der Sklave des Centurios zeigte es mir - die Kiste dahinter.
    "Achso", sagte ich, "Dankeschön", schnappte mir einen Kerzenleuchter und machte mich flink, mit fast fiebrigen Fingern, ans Suchen. Da! Da war der Brief für mich. Ich ergriff ihn andächtig, und als ich Hannibals Schrift auf der Hülle sah, wuchs die Spannung wirklich ins Unermessliche. Was mochte er mir zu sagen haben? Ich hatte mich ja ziemlich, nun ja, entblösst, in meinem Schreiben. Hoffentlich fand er das nicht albern, und dann war da ja auch diese Geschichte mit seiner mysteriösen neuen Freundin gewesen...


    Für meine Umgebung verlor ich in diesem Moment jeden Sinn. Nur halb bekam ich mit, dass Silio und Iulia Helena ins Zelt hereinkamen. Ich kauerte mich auf einen Stuhl, zog die Knie an mich, unter die wollene Tunika, und entrollte das Papyrus. Im Kerzenschein begann ich begierig zu lesen. Ach - ein verträumtes Seufzen entschlüpfte mir - schon bei der Anrede schmolz ich dahin! Niemand konnte jemals so charmant sein wie Hannibal! Weltvergessen erinnerte ich mich der traumverlorenen Nächte mit ihm, in jener zugleich rauschenden und elenden - naja, meistens doch eher elenden - Zeit. Hannibal! Er war mein Retter gewesen, mein mysteriöser Geliebter, romantisch umflort von seinen finsteren Geheimnissen, um so attraktiver ob der immer wieder aufflackernden Ahnung schrecklicher Verbrechen und bodenloser Abgründe... Ich las.



    HANNIBAL FAUSTO DECIMO SERAPIO SUO SD.
    LEGIO PRIMA


    SYRIA


    Etairos emos, Faustus, Eromenos emos,


    die Strahlen Eos offenbarten sich in dem Moment als mir der Brief eines Adonis in die Hände fiel. Ich war durchaus überrascht eine Nachricht von Dir zu erhalten, zudem auch noch derartige Offenbarungen, die Du so freigiebig mit Tinte in Wort und Schrift gebannt hast. Faustus Decimus Serapio und nicht mehr Flosculus. Die schöne Blume bei der Legion? Was für eine Verschwendung. Tatsächlich, Faustus, war das mein erster Gedanke als ich von der Kunde Deines Verbleib las. Wohl wahr, sagte ich Dir nicht schon früher, daß Du an die Subura, den Aventin und die elenden herunter gekommenen Spelunken nur verschwendet bist, auch was Du sonst nächtlich in der ewigen Stadt getan hast? Du trägst viel Potenzial in Dir und wenn der Name Flosculus bereits von der Zeit und dem Wind verweht ist, entsinnt man sich an einen Faustus Decimus Serapio, der doch so viel in seinem Leben bewirkt hat. Die Kraft das zu Leisten hast Du allemal dafür, Faustus. Zu dem Zeitpunkt, an dem mich Dein Brief erreicht hat, wirst Du schon auf hoher See sein, auf dem Weg nach Syria. Du kannst sehr stolz auf Dich sein diesen Schritt gegangen zu sein, den Morast von Rom hinter Dir gelassen zu haben und sogar dem elenden Zeug, das nur falsche Träume beschert, abgeschworen hast. Gerade dieser Verzicht ist bewundernswert und war eine richtige Tat von Dir. Dennoch muss ich auch sagen, dass ich durchaus besorgt bin, wenn Du, Faustus, in den Krieg ziehst. Es können doch nur wenige Wochen sein, in denen Du all das erlernen musst, was ein Soldat in Jahren erfährt. Das Handwerk des Krieges ist nicht einfach und das Schicksal nimmt keine Rücksicht auf all jene Menschen, die sich frisch den Herausforderungen stellen. Ich hoffe, Du bist an einen guten Ausbilder gelangt, der Dir vernünftig den Umgang mit Schild und Waffe beibringt und auch den Kampf in Formationen. Es gibt in der Legion, der Prima, womöglich jemand, der Dir eine Hilfe und ein Freund sein könnte. Deine Offenheit ist es, die mich bewegt, Dir das selbige zu erwidern. Womöglich mag es jedoch schnell Deine Meinung über mich ändern.


    Die Villa Flavia ist mein Heim, nicht, weil ich selber ein Flavier bin. Bei den Göttern, bei weitem nicht, auch nicht, weil ich als Klient oder Angestellter unter diesem Dach lebe, sondern weil ich unfrei geboren wurde und schon mein ganzes Leben lang der Familie der Flavier diene. Ich stehe bei den Flaviern so lange im Dienst, dass ich ein Teil von ihnen geworden bin ohne dass jemals die Kluft der Geburt überbrückt werden kann. Aber ich bin nur wenige Monate nach meinem Herrn geboren worden und mit ihm zusammen aufgewachsen. Auch wenn weder er noch ich jemals vergessen, dass er der Herr und ich der Sklaven bin, sind wir doch gute Freunde geworden und er hört auf mich, wenn ich ihn um etwas bitte. Eben dieser Herr dient ebenfalls in der Legio, der Du Dich angeschlossen hast. Sein Name ist Marcus Flavius Aristides und er ist Centurio. Wenn es mich nicht täuscht, dann in der ersten Kohorte und zwar die zweite Centurie dort. Wenn Du in Not bist oder Hilfe bedarfst, dann wende Dich an ihn.


    Du fragst Dich sicherlich, warum ich derart frei in der Subura auftreten konnte. Mein Herr wußte gar nicht um all das, was ich dort getan habe, einige Dinge sind ihm später bekannt geworden, meine Rolle in dem Lupanar beispielsweise, aber nicht, was wir sonst noch teilweise an Angelegenheiten erledigt haben, so man es so nennen darf. Ich wäre Dir sehr verbunden, wenn Du meinem Herrn nicht von all den Wendungen und insbesondere der Beugung so manch eines Gesetzes erzählst, dessen ich mich in der Zeit bedienen musste. Ich möchte meinen Herrn nicht in Schwierigkeiten damit bringen, wenn er darüber Bescheid weiß. Mittlerweile habe ich aber, ähnlich wie Du, das Leben der Subura hinter mir gelassen. Meine Arbeit bei den Flaviern erlaubt mir diese Nebenbeschäftigung nicht mehr, was auch ganz gut ist. Es hat mich stets angewidert, mich mit solchen krummen Geschäften abzugeben. Waren doch meine Geschäftspartner meist nicht nur dubiose Gestalten, sondern der Abschaum der Menschlichkeit. Nur wenige Rubine und Edelsteine von Seele und Gestalt ließen sich in diesem Sumpf finden. Und Du, Faustus, warst einer dieser Saphire. Der Glanz Deiner Augen vermisse ich auch sehr, doch ich bin froh, dass ein Mensch wie Du sich aus dem Abfall Roms erhoben hat. Ich bin mir sicher, dass das Strahlen des Juwels noch mehr leuchten wird, wenn Du aus dem Krieg zurück kehrst.


    Noch dringen keine Nachrichten über euer Verbleib nach Rom. Ich hoffe, Faustus, dass es Dir gut ergeht, sofern man in einem Krieg davon sprechen kann. Ich werde stets fort ein Opfer darbringen, damit die Götter auf Dich achten. Selbst wenn es nur die Gebete eines Unfreien sind, womöglich erhören die Unsterblichen mich dennoch. Und geleiten Dich sicher wieder nach Rom zurück, mit einem Kranz des Triumphes und einer neuen Zukunft, die Dich, Faustus Decimus Serapio, erwartet.
    Ein an Dich denkender Erastes, sofern Du es noch willst.
    Dein
    Hannibal



    WAS???
    "Bona Dea. Das gibts doch nicht."
    Ein Sklave???
    Mein düsterer Held der Nacht war gar kein Inkognito-Patrizier. Er war nur ein Sklave. Entgeistert liess ich das Blatt sinken. Ich schluckte. Und fühlte mich ziemlich verschaukelt.

    "Decimus Serapio." sagte ich eingeschnappt zu diesem groben Klotz, der mich nicht mal einer Antwort gewürdigt hatte. Pff! Immerhin geruhte er, seine gewaltige Muskelmasse in Bewegung zu setzen, und ging sich Mania mal angucken. Ich blieb neben ihm stehen, die Hände in die Seite gestemmt. Wie die alte Frau da unter den Mimosen lag, noch immer in meinem Schild, ganz blass und bewusstlos, sah sie sehr hilflos aus. Mir wurde angst und bang als der grobschlächtige Hüne sie zu rütteln begann. So täppisch wie er eben dem armen Händler den Weinbecher zerdeppert hatte, schien es mir, dass er seine Kräfte nicht so recht einzuteilen vermochte.
    "Vorsicht!" entfuhr es mir. "Zerbrechlich!"
    Nicht dass er ihr noch aus Versehen einen Knochen brach!

    Ich war schwermütig und verzagt seit der Hiobsbotschaft vom Verschwinden meines Onkels. Was sollte ich bloss nach Hause schreiben? Ich wusste ja selbst nicht was passiert war. Und meine Wange schmerzte auch arg, seitdem mir ein Capsarius heute ruppig die Fäden gezogen hatte. Ständig wollte ich hinfassen, aber ich durfte ja nicht, und es raubte mir den letzten Nerv, dieses ständige Pochen und Ziehen mitten im Gesicht.
    Gegen Abend war es, dass ein Sklave des Centurio vor unserem Zelt aufkreuzte und mich zu ihm rief. Ich zog meine Tunika zurecht, band das Focale ordentlich und folgte dem Mann mit schleppenden Schritten. Der Centurio stand vor seinem Zelt. Ich salutierte und meldete mich, nicht gerade überschäumend vor Elan, mit dem originellen Sprüchlein:
    "Centurio. Miles Decimus Serapio meldet sich wie befohlen."
    Der Braune neben seinem Zelt, der gerade stampfte und sich widerborstig gebärdete, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein schönes Tier, das fiel mir nicht zum ersten Mal auf, und ich meinte hispanisches Blut in ihm zu erkennen. Die breite Brust, die wohlbemuskelte Kruppe, und vor allem diese stolzierende, erhabene Art die Hufe zu setzen - ja, die Iberer das sind einfach die Schönsten. Und die Zähesten. (Vielleicht nicht immer die Allerschnellsten.) Auf jeden Fall aber die Stolzesten!

    Das hätte ich jetzt nicht sagen sollen. Der Centurio brauste auf - So ein Unsinn, Miles! - und ich zog den Kopf ein und dachte mir: Wann lernst Du's endlich, Faustus, in der Armee, da hält man einfach die Klappe, punktum! - da lenkte er auf einmal ein. Nannte mich sogar Faustus! Das erstaunte mich, und zugleich gefiel es mir natürlich, weil es wieder so was väterliches an sich hatte. Seine Worte bauten mich auch auf, ich wollte ihm ja auch unbedingt glauben dass es am Gelände lag, und überhaupt. Bei Edessa hatten wir doch auch gesiegt.
    Mit den Augen folgte ich seiner Geste hin zu den Bergen, spähte zu den schroffen Umrissen der Kämme und Gipfel. Das Land. Partherland.
    Ich atmete tief ein und fragte mich, was ich eigentlich erwartet hatte. Dass wir wie das Heer Alexanders des Grossen im Sturm den ganzen Orient erobern würden? Unschlagbar, unverwundbar, unsterblich? Das war natürlich Quatsch. Solche Helden gab es nur in den Sagen, und in unseren Träumen, nicht im wahren Leben. Und wahrscheinlich war der Krieg auch zu Alexanders Zeiten nicht so glorreich und sauber gewesen, wie man heute lesen konnte.
    "Ja", sagte ich nach einer Weile, und mir war wirklich schon wieder deutlich zuversichtlicher zu Mute, "Entschuldigung. Ja natürlich, wir haben eine Schlacht verloren, heute, aber nicht den Krieg."
    Grosse Worte. Aber verzagen und rumheulen war ja wirklich unsinnig. Ich straffte mich und dachte über seine Frage nach, also darüber wie er sie wohl gemeint hatte. Ich hatte nämlich das Gefühl, da so ein 'warum ist ein Hasenfuss wie Du eigentlich sub aquila gegangen?' herauszuhören. Oder war es doch nur Interesse?


    "Ja also..."
    Ich zögerte, aber angesichts von soviel Sterben heute verschoben sich die Dinge irgendwie, und gewannen eine andere Relevanz. Also verzichtete ich gleich mal auf ein strammes: 'Auch ich möchte meinen Beitrag leisten, für Kaiser, Volk und Vaterland!', und gestand dem Centurio in einem Anfall von Ehrlichkeit:
    "...ich war in meinem Leben in so einer Art Sackgasse. Hatte meine Familie enttäuscht und so, und wusste nicht mehr weiter." (Die Opium- , Sicarii- und Urbaner-Geschichte liess ich aber doch lieber weg.) "Da dachte ich, bei der Armee und im Krieg könnte ich etwas sinnvolles tun, etwas Richtiges... Und meine Familie vielleicht doch noch irgendwie stolz machen, meinen Onkel vor allem." (Was ja schon mal nicht geklappt hatte.) "Wir haben da eben so eine ganz starke Familientradition."
    Ich zuckte die Schultern, senkte kurz den Kopf und rieb mir verlegen den Schmiss an der Wange. Was den Centurio - als Patrizier, als Flavier - seinerseits dazu bewogen hatte, hätte ich natürlich auch furchtbar gerne gewusst. Wahrscheinlich feste Überzeugung, sonst hätte er sich ja bestimmt einfach einen gemütlichen Tribunenposten verschaffen lassen können.
    "Und darf ich fragen, Centurio, wie es, ähm, bei Dir war?", fragte ich schüchtern, weil ich mir nicht sicher war, ob die Frage nicht arg ungehörig, weil zu persönlich war. Aber heute fiel ja sowieso der ganze Tag aus dem Rahmen.

    Eine stinkende und struppige Bande waren wir inzwischen, wir glorreichen Streiter Roms, dreckig und verschwitzt, und so wurde ich geradezu enthusiastisch, als sich nach dem Schanzen die Möglichkeit auf ein Bad im Fluss auftat.
    "Aaaahhh..." seufzte ich glücklich, als ich in das Wasser hineinwatete, die glatten Kiesel unter meinen Füssen spürte, und das herrlich kühle Wasser meine Beine umfloss. Es war ganz klar. Ein Schwarm winziger silbriger Fischchen stob vor mir davon. Ich kratzte mich am Kopf und sah zu meinen Kameraden, viele von ihnen stürzten sich gerade ebenso begierig wie ich ins Wasser, andere blieben vorsichtig am Rand zurück. Einige wuschen ihre Tuniken, andere fischten mit einem Netz, das sie aus dem Fischerdorf geklaut hatten, einer rief sogar, er habe Reusen gefunden, voll mit Fischen.
    Was ein Glück dass der Fluss so schön breit war, zu breit für Pfeile, und das Gelände hier neben dem Lager doppelt und dreifach abgesichert, sonst hätten wir nicht so sorglos dem Badespass frönen können. Ich stürzte mich in die Fluten, und schwamm mit Genuss ein bisschen hin und her. Dann tauchte ich, und glitt ganz dicht über den Boden entlang, sah dabei verschwommen die Beine der anderen, zappelnd wie Frösche. Übermütig packte ich einen Fuss und zog den Besitzer - Dasius - kurz unter Wasser, dann tauchte ich auf, prustend und lachend, und natürlich stürzte er sich gleich auf mich und versuchte sich zu rächen.. Wir waren nicht die einzigen, die hier herumtollten und planschten. Schon komisch, vor ein paar Tagen noch die schreckliche Schlacht, und jetzt alberten wir hier herum, ganz unbeschwert sah es aus. Aber man konnte ja nicht immer nur an Tod und Leid denken.


    "Ein Krokodil! Vorsicht, ein Riesen-Krokodil!", erklang es auf einmal.
    Bona Dea! Erschrocken brachte ich mich am Ufer in Sicherheit, und der Spassvogel, der den Warnruf ausgestossen hatte, brach in schallendes Gelächter aus. Mit vereinten Kräften warfen ich und die anderen die drauf reingefallen waren ihn daraufhin in den Fluss.
    Dann wusch ich mich gründlich, rubbelte mir mit Sand den ganzen Schmutz ab. Dicke schwarze Ränder waren unter meinen Fingernägeln, bestimmt noch der Russ der Feuerlohe. Wie schwielig meine Hände inzwischen geworden waren. Richtige Männerhände, befand ich zufrieden, nicht länger jünglingshaft.
    Aber ach, mein Kopf juckte. Ich kratzte mich und wollte es zuerst gar nicht wahrhaben. Aber dann musste ich es mir eingestehen:
    "Läuse. Ach nein."
    Jetzt hatten sie mich auch erwischt. Wie die Pest hatten sie sich in den letzten Tagen hier im Lager verbreitet, kaum einer in meiner Umgebung war davon noch verschont geblieben. Was tun? Ob man Läuse vielleicht ertränken konnte?


    "Nette Tätowierung", sprach da eine Stimme neben mir, und ich erkannte einen Mann, so einen vierschrötigen den ich bisher nur vom Sehen kannte, aus der vierten Centurie glaube ich, der interessiert das Bild musterte, das ich mir zu einer anderen Zeit in einem anderen Leben in die Haut hatte stechen lassen: die Mohnblume, ein Stück über der Hüfte, eine filigrane, verschnörkelte Zeichnung, die mir eigentlich immer noch gut gefiel.
    Nur passte sie jetzt gar nicht mehr zu dem was ich sein wollte. Und ausserdem hatte der Typ auf einmal was sehr anzügliches in seinem Blick. Er grinste mich an und machte fragend eine eindeutige Geste. Ich war schon überrascht, ich meine natürlich lief auch hier was unter Männern, und vor allem seitdem es schwieriger geworden war aus der Castra rauszukommen um zu den Trosshuren zu gehen - aber doch sehr verstohlen. Es war ja verpönt, dank der allgegenwärtigen Prüderie. Ich schüttelte den Kopf und machte ein abweisendes Gesicht. Das war mir zu riskant, am Ende noch zum Gespött der Leute zu werden. Ausserdem sah er grob aus, nicht wirklich mein Typ. Er zuckte die Schultern und zog ab. Ich kratzte mich am Kopf, sah aufs Wasser und kam mir irgendwie prüde und langweilig vor.
    Dann schlang ich mir die Tunika um die Hüften - weg mit dem Bild - und sah mich nach einem Kameraden um, vorzugsweise einem mit ruhigen Händen, mit dem ich gegenseitig das Rasieren in Angriff nehmen konnte.

    Ein schneller Schlagabtausch war das, da in der dunklen Ecke, zwischen Rupus und mir und dem Parther. Der war verdammt gewandt, ein fantastischer Schwertkämpfer, wich aus und setzte nach. Hastig stiess ich den Schild gegen seine Klinge und blockte so den Schlag. Metall klirrte, Holz knirschte, und viel zu eng wars. Eine Ecke meines Schildes verhakte sich beim zurückziehen an einer der Kisten, und der Parther warf sogar ein grosses schweres Holzregal um. Mit viel Getöse zerkrachte es auf dem Boden.
    Ich war wirklich scharf darauf mich zu rächen, es dem Bastard mal so richtig zu zeigen wie Soldaten der Prima (wenn sie nicht gerade volltrunken waren...) kurzen Prozess mit dem Feind machen, vergass jede Vorsicht und wollte schon nachsetzen als Sparsus uns streng zurückpfiff. Oh, der klang wirklich sauer.
    Zähneknirschend leistete ich dem Befehl folge. Meine grösste Sorge war in dem Moment, der Parther - der schon wieder so fies grinste - könnte glauben wir hätten Angst vor ihm. Wutentbrannt starrte ich ihn an. Sparsus winkte ihn herausfordernd mit dem Schwert herbei doch der Parther zog es vor, sich wieder tiefer in diesen dunklen Winkel zurückzuziehen. Naja, das hätte ich wohl genauso gemacht, trotzdem höhnte ich:
    ~"Komm raus du Feigling!"~


    "Da is'n Durchgang dahinter", teilte ich dann Sparsus das mit, was ich bei unserem 'Vorstoss' gerade gesehen hatte. Und betreten machte ich mir klar, dass da bestimmt noch andere Feinde waren, sonst hätte sich der Parther Ziaar doch wohl nicht so verdammt selbstgefällig für uns in Pose gestellt. Oder er bluffte. Oder er war einfach ein unschlagbarer Schwertkämpfer - so wie in den Mythen, die von der kunstvollen, götterbeseelten Kampfkunst aus dem Osten erzählen - und traute es sich zu uns alle miteinander im Alleingang niederzumachen. 8o
    Und jetzt?
    Für einen Moment kehrte in den Wirbel hektischer Bewegung, der hier losgebrochen war, seit dem Pfeil, der Verax das Leben gekostet hatte, Ruhe ein. Wir standen uns gegenüber und keiner schien den ersten Schritt tun zu wollen. Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, die schräg in den Raum hineinfielen, und ein leises Summen drang an mein Ohr, eine kleine Melodie, aus Richtung des seltsamen Griechen. Das machte mich ganz nervös, dieses Summen...


    Dann brüllte von draussen Musca, er käme da nicht weg aus seiner Deckung, der Schütze habe ihn genau im Visier. Daraufhin packte Silio den Händler, der sich unter seinem Verkaufstisch verkrochen hatte, am Kragen und zerrte ihn hervor, stiess ihn trotz Zetern in die Ecke wo sich der Grieche verschanzt hatte. Mit dem blanken Schwert fuchtelte er grosspurig vor den beiden herum, stiess wilde Drohungen aus.
    "Sag dem Schweinehund, Kleiner, wenn er nich zack, zack da rauskommt, mach ich Hackfleisch aus den beiden Zivilisten hier!"
    Silio zog eine fiese, blutgierige Grimasse, zeigte mit dem Gladius erst auf den Griechen, setzte dann dem parthischen Händler die Schwertspitze an die Kehle.
    "Wegen Verstecken eines Rebellen gegen das Imperium", fügte er hinzu, "nein...Sympathisieren mit empörerischen rebellischen Kräften!"
    Stolz auf seine Formulierung wiederholte er sie genüsslich noch zwei, dreimal.
    Ich schluckte. Das meinte er doch nicht ernst!
    "Lass sie doch in Ruhe, Silio, vielleicht haben sie gar nix damit zu tun", widersprach ich zaghaft. Aber seine Gesten sprachen ja für sich, da musste ich gar nicht übersetzen. Ich redete mir ein, dass es ganz sicher nur eine Finte war, und rief dann doch auf Griechisch zu dem Parther hinüber:
    ~"Ergib Dich Ziaar. Dann passiert auch dem Händler da nichts. Gegen uns kommst Du eh nicht an."~

    Auch Centurio Flavius sah so richtig mitgenommen aus, blutig, rußig und erschöpft... Er machte keine Anstalten mich zurechtzuweisen, also wandte ich mich schnell wieder Richtung der Palisade, sah darüber hinweg zu den Bergen, und tat so als wäre ich die Wachsamkeit in Person. Der Centurio blieb stehen und hob das Gesicht zum Himmel hinauf. Aus den Augenwinkeln sah ich zu ihm, und fragte mich wie das wohl war, so viel Verantwortung zu tragen, für so viele Männer. Ich dachte mir auch dass ich, wenn man die Legio wirklich als Familie sehen konnte, den Centurio gerne als Vater gehabt hätte. Ja, so einen Vater hätte ich mir wirklich gewünscht. Mein eigener ist so früh gefallen. Vielleicht wäre ich ja eine härtere Natur geworden, wenn ich mit einem richtigen Vater aufgewachsen wäre, nicht nur mit meiner Mutter und all den Tanten und weiblichen Bediensteten, halt mit lauter Frauen um mich rum (und einschüchternden Onkels in der Ferne).
    "Ja." Ich nickte aufgewühlt. "Ganz schlimm..."
    Der Klang der Worte war mehr als banal in meinen Ohren, angesichts dessen was heute passiert war. Der Feind hatte die Zehnte aufgerieben. Die Decima. Ein abergläubischer Schauer lief mir über den Rücken. Aber komisch... heute hatte trotz allem zum ersten Mal mein Magen standgehalten. Es stimmte also wohl, das Grauen des Krieges, das Blutvergiessen und Gemetzel war, wie so vieles anderes, Gewöhnungssache.


    ...Hufschlag, grelle Schreie... Reiter die gegen uns branden, scharfe Schwerter, hassverzerrte Gesichter... der Boden übersät von Gefallenen, Verstümmelten... eine verkrümmte Hand, ohne Arm daran, schlaff, halb in die Erde getreten...


    Ich blinzelte, biss mir auf die Lippen und konzentrierte mich ganz fest auf meine Umgebung, versuchte nur das hier und jetzt zu sehen. Der Centurio muss an diesem Abend auch sehr erschüttert gewesen sein, denke ich, sonst war er immer viel distanzierter.
    "Wie Geister", sagte ich leise, "sind die Parther, tauchen plötzlich auf und sind schon wieder weg. Böse und verschlagen. Aber sie kämpfen ja auch für ihr Land."
    Der kalte Wind strich über uns hinweg. Ich stand neben mir, irgendwie losgelöst von allem, und hörte mich auf einmal sagen, so als hätte jemand anders es mir in den Mund gelegt:
    "Zwei Legionen, angeschlagen und tief im parthischen Reich. Der Kaiser verwundet... Wir kommen hier nicht mehr lebend raus, oder Centurio?"
    Im Nachhinein erschrak ich über diese defätistischen Worte. Aber ich wandte den Kopf und sah den Centurio direkt an, eindringlich und fragend. Ich wollte wissen was er dachte. Auch wenn ich natürlich hoffte er würde jetzt sagen es sei alles in Ordnung, der Kaiser schon wieder wohlauf und Verstärkung unterwegs.

    Es hatte sich doch gelohnt über meinen Schatten zu springen, dachte ich, und lehnte mich erleichtert wieder zurück, als Andronicus so locker reagierte. Jetzt konnte ich wirklich unbeschwert feiern, und das tat ich auch, bis dann - nur zu bald - Optio Priscus uns zum Aufbruch nötigte. Tja, so umwerfend ich ihn fand... manchmal erinnerte er mich (nur ein klitzekleines bisschen) an mein Kindermädchen in Tarraco, früher als ich klein war. Die hat mich auch immer so resolut zum Aufräumen oder Früh-ins-Bett gehen gescheucht.
    Ich erhob mich und streckte mich, um mich dann von allen zu verabschieden und gemeinsam mit dem Optio und mit Sparsus brav zu unseren Zelten zurückzukehren. Das war wirklich ein schönes Fest gewesen, und auch ein Abend an dem ich mal nicht ständig an die Schlacht und den ganzen blöden Kriegs-Kram hatte denken müssen. Die Kameradschaft hier war schon was ganz besonderes!


    Aber ach, wenn es doch in einem gewissen Fall ein gewisses Interesse an mehr als Kameradschaft gegeben hätte... Angetrunken, wenn auch nicht richtig betrunken, konnte ich meine Augen kaum von dem schneidigen Optio lassen, während ich ihm durch die Lagergasse folgte. Kurz hüllte das Licht einer Fackel sein markiges Gesicht zur Hälfte in ein verwegenes, düsteres Rot, und sein Schatten huschte über den Boden hinweg, folgte ihm und verschmolz dann wieder mit dem schwarzen Schatten eines Zeltes. Ich malte mir aus, wie ich mir ein Herz fassen und ihm kühn meine Gefühle gestehen würde! Wie er mich glutvoll ansehen, und mir gestehen würde, dass er genau das selbe empfand! Oder wie er mich ansehen würde wie ein Pferd und sich dann vor Lachen krümmen würde. Oder schlimmeres...
    Unzählige Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab, während wir da entlang gingen, Dramen, Tragödien und Burlesken, mal sah ich mich unehrenhaft entlassen, mal einsam schmachtend, mal von allen verlacht, mal in seinen Armen den Heldentod sterbend, mal in höchsten Liebesglück! Und Optio Priscus - Priscus, was für ein wunderschöner, klangvoller Name war das doch... - ging direkt neben mir und wusste gar nichts von der Hauptrolle, die er in all diesen hochdramatischen Geschichten spielte. Aber ich traute mich einfach nicht... und sagte lediglich (jedoch mit klopfendem Herzen):
    "Gute Nacht Optio", wobei ich ihm scheu zulächelte.
    Und auch meinem heute so ganz ungewöhnlich in sich selbst versunkenen Freund Sparsus wünschte ich ein "Gute Nacht, Marcus", dann schlüpfte ich schnell ins Zelt. Wo mich sogleich vertraut und heimatlich das vielstimmige Schnarchen meiner Contubernales umfing.

    So ein Mist, das hatte ich jetzt davon, dass ich mal wieder zu vorlaut gewesen war. Einmal Freigang in Edessa, seit Zeugma zum ersten Mal wieder ein bisschen Freigang, und ich hatte nichts besseres zu tun als mich freiwillig zu exponieren, so dass ich jetzt zurück in die Castra marschieren sollte, in der Hitze, und dann auch noch den furchterregenden Tribunus laticlavius behelligen sollte. Was wenn die alte Dame sich irrte, oder alles nur ein Mißverständnis war? Der würde mir bestimmt den Kopf abreissen, so grimmig wie der immer dreinblickte.
    "Jawohl Tribun", sagte ich gehorsam, aber dass ich nicht gerade begeistert war konnte man mir doch anmerken. Mit Hilfe eines Kameraden hob ich die alte Dame, die noch immer keine Anstalten machte aufzuwachen, auf meinen Schild, und wie auf einer Bahre trugen wir sie zu einer Bank am Rande des Platzes, wo eine Gruppe feinfedrig belaubter Mimosen angenehmen Schatten warf.
    "Mania? Kannst du mich hören? Geht's wieder?", fragte ich besorgt, stellte den Korb neben sie ab und fuhr fort, ihr Luft zuzufächeln und die Schläfen zu kühlen. Misstrauisch beäugt von ein paar Einheimischen. Die sahen mich an als hätte ich der alten Dame höchstpersönlich etwas zuleide getan. Eine ungemütliche Situation war das, und Mania schien noch immer tief in der Ohnmacht gefangen. Ich nahm ihr Schultertuch und schob es ihr unter den Kopf wie ein Kissen, dann setzte ich mich seufzend auf die Bank um einfach abzuwarten.
    Da wurde ich auf einen langen Kerl aufmerksam, nicht weit von mir, der laut ein paar Männer herumkommandierend über den Markt zog. Ach... das war doch einer der Leibwächter (oder Handlanger) des Tribuns um den es hier die ganze Zeit ging. Dem könnte ich doch meine Botschaft aufs Auge drücken, dachte ich und sprang auf.


    "Salve!", rief ich und trat schnell zu ihm hin. Mann, war der riesig. Ich bin ja nun kein Zwerg - und wenn mich die Kameraden gemeinerweise ständig 'Kleiner' nennen, muss das einen anderen Grund haben als meine Grösse, die ist nämlich gutes iberisches Mittelmass - aber als ich zu diesem Giganten aufsah, musste ich beinahe den Kopf in den Nacken legen.
    "Salve, hast Du einen Moment Zeit? Du arbeitest doch für den Tribuns laticlavius, nicht wahr? Ich habe hier nämlich zufällig eine Frau getroffen, die wohl, also wie es scheint jedenfalls, eine alte Bekannte von ihm ist, die es nach Edessa verschlagen hat... Mania ist ihr Name."
    Ich wies mit der Hand zu der darnieder gestreckten Dame unter den Mimosen und bat den Polyphem höflich:
    "Könntest Du vielleicht so nett sein, und dem Tribun das weitersagen? Ich denk mal, das wird ihn doch bestimmt interessieren."

    Ob man wohl eines Tages in den Geschichtsbüchern über diese Schlacht lesen würde? "Die verheerende Niederlage am Chaboras", ob man sie womöglich in Zukunft einmal in einem Atemzug mit Carrhae nennen würde? Wahrscheinlich wurde hier Geschichte geschrieben, in diesen Tagen. Ich hoffte so sehr, dass diese Geschichte am Ende doch noch halbwegs gut für uns ausgehen würde.
    Die Nacht brach herein. Ich stand auf dem Vallum unseres hastig errichteten Marschlagers, denn ich war zur Nachtwache eingeteilt. Die Arme auf meinen lädierten, vorne schwarz angekohlten Schild gestützt, starrte ich stumpf vor mich hin. Meine Kehle war kratzig, ich spürte noch den ganzen Rauch und Qualm den ich geschluckt hatte, und von Zeit zu Zeit musste ich husten. Die Bilder des Tages jagten, wirbelten, hetzten in meinem Kopf herum.


    Waffenlärm...Eine Lanze die auf mich zu rast... dann einen anderen erwischt... ein Kamerad der unter die Hufe geraten ist.... er schreit....


    Ich versuchte einfach nicht daran zu denken, und mir statt dessen etwas schönes vorzustellen, aber was heute alles passiert war kam immer wieder an die Oberfläche, so hartnäckig, so klebrig wie Pech haftete es an meinen Gedanken und liess mich einfach nicht los... Ich selbst hatte mal wieder unverschämtes Glück gehabt und nicht viel abgekriegt, nur ein paar Schrammen und leichte Verbrennungen wie fast alle Männer der 'Lösch'-Centurien, und ausserdem einen oberflächlichen Schnitt an meinem Schwertarm, von dem ich beim besten Willen nicht mehr wusste wie ich ihn erhalten hatte. Er war verbunden und schmerzte dumpf. Ob die Parther heute Nacht nachsetzen, ob sie uns wieder angreifen würden? Ich starrte auf die schwarzen Umrisse der Berge, in denen sie sich vielleicht schon irgendwo zusammenrotteten, um uns heute Nacht den Rest zu geben.


    Tote, unzählige Tote auf der Strasse und dem Ufer... und Sterbende... die Überreste einer stolzen Legion... ein Leichenteppich... tote Römer, tote Parther, tote Pferde, leere Augen, und um sie herum die vielen Blumen am Ufer... wie Grabschmuck...


    Es hiess, der Kaiser sei verletzt! Aber was genaues wusste keiner. Erst verschwand unser Legat, dann wurde unser Imperator - der Mann für den wir hier kämpften, das Herz unserer Legion, das Herz des Imperiums, unser Gott - getroffen. Die Angst dass wir hier zum Scheitern verurteilt wären, die Angst dass ich hier in diesem fremden, feindseligen Land mein Leben lassen müsste, wühlte in meinen Eingeweiden. Was wenn wir, die Prima, heute hinten marschiert wären...? Ich spürte mein Herz schlagen, schnell und hart, rieb meine Hände aneinander und atmete ein paarmal tief ein und aus, wie um mich selbst zu vergewissern, dass ich tatsächlich noch am Leben war.


    Die Formation... immer die Formation halten... Befehle, Signale.... Parther sprengen in uns hinein, Reiterabwehr, Druck von hinten, die Pilumspitzen versinken im Bauch der Pferde... das Wiehern, so schmerzlich... Gladii die auf und nieder gehen... der Ansturm der Feinde, bis wir uns dann zurückziehen... die Toten bleiben zurück... sie werden keine Scheiterhaufen bekommen...


    Immer heftiger, immer greller blitzen die Bilder vor mir auf. Ich umkrallte fest den Rand meines Schildes. Der Wind, der kalt durch das Flusstal wehte, riss an meinem Mantel und jagte Kälteschauer durch mich hindurch.


    Verkohlte Körper in schwelender Glut, groteske schwarze Gebilde die gerade eben noch Menschen waren... Schilf und Bambus wogt im Wind an einem kleinen Seitenarm des Flusses, voller Leichen liegt er, blutverfärbt das Wasser... ein toter Soldat auf einem Bett von Röhricht, die blutigen Pfeilwunden wie frisch erblühter roter Mohn, Fliegen kriechen in seinen toten Augen, die weit offen in den Himmel starren...


    Ich vergrub das Gesicht in den Händen, krümmte mich zusammen, achtete nicht mehr auf meine Umgebung. Ich wollte nichts mehr sehen, nichts mehr spüren. Ich wollte nach Hause. Ich hätte niemals zur Legio gehen sollen. All das Sterben. All die Toten. Krieg war einfach nur furchtbar. Die Schreie hallten wieder in meinen Ohren, Brandgeruch und Blut meinte ich erneut zu riechen.


    ...ein verwundeter Parther, wehrlos am Boden, halb zerschmettert, eingeklemmt unter dem Körper seines toten Rosses... keine Gefangenen, der Befehl lautet keine Gefangenen... ich hole aus mit dem Gladius... er sieht mich an... braunglänzende Augen verfolgen meine Bewegung... ich steche es ihm in den Hals, das Gladius... das rote Blut... die Augen brechen... Blut läuft die Klinge entlang, fällt in dicken Tropfen zu Boden...


    Das Geräusch von Schritten neben mir, schweren Schritten, drang durch den Strudel, den Mahlstrom der Bilder. Ich zuckte zusammen, lies die Hände von meinem Gesicht sinken und sah auf. Es war mein Centurio. Der Schreck dass er mich auf Wache so unaufmerksam - so überwältigt von meiner persönlichen Verzweiflung, so pflichtvergessen angesichts meiner, ich würde mich nicht scheuen zu sagen: individuellen Dramatik - erwischt hatte, durchfuhr mich, und ich starrte ihn mit weitgeöffneten glasigen Augen an, führte dabei ganz automatisch die rechte Faust zur Brust und salutierte.
    "Centurio. Ave Centurio...", sagte ich erschrocken, mit vom Rauch rauher Kehle.

    "Salve! Ein herrlicher Tag heute, nicht wahr!", grüsste der apfelwangige Ladenbote von Thyrsus et Telestas.
    Nachdem er sich versichert hatte, dass nicht rein zufällig gerade irgendwelche Militärs in der Nähe herumlungerten, trat er in die Mansio, und übergab ein paar Briefe an den Angestellten des CP. Darunter war auch einer aus der Feder des Decimus Serapio, der für dessen Verhältnisse ungeheuer kurz war, und an die alte Adresse der Decima Lucilla gerichtet war.


    An
    Decima Lucilla
    Casa Decima Mercator
    Roma


    Liebe Lucilla,
    ich habe leider schlechte Nachrichten. Livianus ist verschollen. Er ist von einem Ausritt in der Nähe von Edessa einfach nicht zurückgekommen, haben sie uns gesagt. Es gibt wenigstens keine Anzeichen dafür dass er tot wäre. Aber ich mache mir natürlich trotzdem grosse Sorgen. Ich weiss auch nicht, ob sie uns wirklich die ganze Wahrheit sagen. Noch am selben Tag haben sie ihn sofort als Legatus ersetzt, durch den bisherigen Tribunus laticlavius.
    Ich habe sogar den Imperator selbst gefragt. Denn das wurde uns alles verkündet bei einer Zeremonie wo Auszeichnungen vergeben wurden, und ich habe auch Armillae bekommen, wenn ich auch nicht wirklich weiss wofür. Da war ich nah an ihm dran und hab einfach gefragt. Der Imperator sagte dann, wenn Livianus zu den Parthern gegangen wäre, dann würde die Prima ihm nachfolgen. Und wenn er über den Styx gegangen sei, dann würden wir für ihn weiterleben.
    Ich weiss nicht was ich sagen soll. Ich mach mir auch Vorwürfe, dass ich ihn immer nur enttäuscht und wütend gemacht habe. Aber ich glaub nicht dass er tot ist, Livianus lässt sich nicht so einfach von den Parthern umbringen! Und wenn er in Gefangenschaft geraten ist, dann doch bestimmt als Geisel, und wir haben ja auch hohe Gefangene, bestimmt kann er in einem Austausch zurückkehren. Ich will nicht die Hoffnung aufgeben.
    Vale Lucilla, ich umarme Dich ganz fest.
    Dein Faustus



    Der Ladenbote bezahlte und nahm die angekommene Post entgegen. Er plauderte noch ein wenig über das Wetter, den Wasserstand des Euphrat und den Fortgang des Krieges, bevor er sich wieder auf den Weg machte, und mit einem fröhlichen "Vale und Danke, bis zum nächsten Mal, einen schönen Tag wünsche ich noch!" wieder verschwand.


    Sim-Off:

    Porto ist überwiesen :)