Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    [Blockierte Grafik: http://img443.imageshack.us/img443/921/soeldnerfuehrerca1.jpg| Xvásak


    Den Sogden sagte man im Allgemeinen einen Hang zum Verrat nach. Xvásak war Sogde, und er sah sich nicht im geringsten als Verräter. Auch nicht als Deserteur. Er war einfach nur schon lang genug in dem Geschäft, um zu wissen dass Ruhm und Ehre niemanden satt machten. Zusammen mit seinem Bruder führte er eine Rotte von Söldnern, kampferprobte Eisenfresser aus den verschiedensten Ecken des parthischen Grossreiches, die sich ihre Narben im Laufe der Jahre in Gefechten von Hyrkanien bis zum Indus zugezogen hatten. Sie waren mit dem Satrapen Surenas geritten, aber das hatte ihnen bisher wenig eingebracht - bei Edessa hatten sie tatenlos zugesehen wie die Armee von Osroëne von den Römern geschlagen wurde, am Chaboras hatten sie zwar gesiegt und ganz gut Beute machen können, vor allem Sklaven, doch dann hatte der Satrap sein Heer wieder zurückgepfiffen und sich nach Dura zurückgezogen anstatt den Römern den Rest zu geben. Xvásak missbilligte diese Taktik, ausserdem fehlte ihm und seinen Männern die Geduld sich auf unbestimmt Zeit in der Stadt zu verschanzen. Deshalb hatten sie sich eines Nachts verabschiedet ohne auf Wiedersehen zu sagen, um ihr Glück weiter im Süden zu versuchen, in einem der ewigen Grenzkonflikte zwischen den nabatäischen Adeligen, oder indem sie den schwerbepackten Karawanen die trotz des Krieges von der Hauptstadt nach Palmyra zogen die Last etwas erleichterten...
    Dummerweise hatte einer der Generäle des Satrapen ihren Abschied tatsächlich als Desertieren interpretiert! Man hatte sie verfolgt, sie hatten sich der Verfolger entledigt, dabei aber auch Federn lassen müssen. Avíl, ein alter Haudegen der von Anfang an in ihrer Truppe dabeigewesen war, hatte es dabei schwer erwischt. Vor zwei Tagen war das gewesen, jetzt hatte er Wundfieber bekommen, redete wirres Zeug, ächzte und schien jeden Moment die Brücke der Seelen überschreiten zu wollen.
    Aus diesem Grund hatten sie hier halt gemacht, in diesem gottverlassenen Dorf im tiefsten Mesopotamien. Einer der jüngeren Rekruten stammte aus der Gegend, er hatte mit dem Dorfvorsteher in einem schier unverständlichen Dialekt lange palavert, so waren sie zu einem Arrangement gekommen. Sie hatten nicht marodiert, und sich mitsamt der Pferde einfach in einer grossen Scheune einquartiert.


    Durch die groben Bretterwände drang das Licht in den weiten, halbdunklen Innenraum, es malte schmale Streifen auf den strohbedeckten Boden, und strahlte die Staubkörnchen an, die langsam durch die Luft schwebten. Auf einer Decke ausgestreckt lag Avíl im Sterben, er murmelte leise vor sich hin, sah hin und wieder mit weitaufgerissenen Augen um sich. Ein Freund kühlte ihm die schweissige Stirn und redete ihm gut zu, der Rest der Rotte wartete, ruhte sich aus nach dem harten Ritt. Ein paar schliefen, auf dem Boden ausgestreckt, die Köpfe auf den Satteltaschen. Die Pferde standen im hinteren Teil, zermahlten das Stroh mit den Zähnen und schlugen träge mit den Schweifen. Eine Fliege surrte um Xvásak herum, ein lästiges, hartnäckiges Ding. Er zog den Dolch aus dem Gürtel und begann sich einen runzeligen Maschansker (noch aus Edessa) zu schälen, löste spiralförmig die Schale von der Frucht, sah immer mal wieder zwischen den Brettern hindurch hinaus. Sein Bruder war im Dorf unterwegs, wollte was zu essen auftreiben, ausserdem hatte er die Trossjungen ausgeschickt, die nach Verfolgern Ausschau halten sollten. Und einer von denen kam jetzt angelaufen, brach aufgeregt in die Ruhe in der Scheune hinein.
    "Savaran Salar, es kommt etwas!", sprudelte der Junge schnell hervor, "Die Bauern kommen vom Feld gelaufen, ich habe eine Staubwolke gesehen und Eisen in der Sonne glänzen!"
    "Auf Männer, zu den Waffen!", kommandierte Xvásak auf der Stelle, und winkte dem Jungen ihn die Schnallen des Panzerhemdes zu schliessen. "Ihr sattelt die Pferde, Du berichtest meinen Bruder, ihr geht raus und späht die Lage aus! Auf, los!"
    Ob der Satrap sie noch weiter verfolgen liess? Wäre ganz schön unversöhnlich. Sie mussten auf jeden Fall wissen was sich da näherte, um zu entscheiden ob das Heil wiederum in einer schnellen Verabschiedung lag - oder ob sich da vielleicht ein lohnendes Ziel bot.

    Ein Appell ist wie der andere, dachte ich, während ich mit all den anderen in Reih und Glied stand und das Erscheinen des Legaten erwartete, man putzt sich heraus, marschiert eilig hin, dann steht man da und wartet.
    Der Morgen brach an, und die Silhouette von Dura auf seinem Plateau zeichnete sich immer deutlicher, und gar nicht so weit weg von uns, malerisch gegen den Himmel ab. Hinter vorgehaltener Hand unterdrückte ich ein Gähnen. Ob wir wohl heute die Stadt angreifen würden, jetzt gleich im Morgengrauen?
    Ein allgemeines Recken der Köpfe zeigte das Erscheinen des Legaten an. Er sprach. Wir von der Secunda der Prima der Prima standen ja sehr weit vorne, so konnte ich seine Worte gut hören... Hören ja, aber nicht wirklich glauben.
    WAS?! Der Imperator... TOT??!!!
    Eine Welt brach zusammen. Ja, es war im Lager herumgegangen dass seine Verletzung ihm zu schaffen machte, aber... Per omnes deos! Ich wurde blass und presste die Hand vor den Mund, wie betäubt von dieser entsetzlichen Nachricht. Der Imperator, der Herrscher über die zivilisierte Welt, der Mann dem wir Treue geschworen hatten, der Mann dem wir hier in die feindliche Einöde gefolgt waren, für den wir gekämpft und geblutet hatten... tot. Einfach tot. Einem Partherpfeil erlegen. Wie so viele einfache Soldaten.
    Ich stand wie erstarrt, und spürte wie die Kälte mir in alle Glieder kroch. Um mich herum herrschte schockiertes Schweigen. Dann sprach einer, irgendeine Stimme in den Reihen, es aus, leise noch, scheu und voll abergläubischer Furcht:
    "Die Götter haben uns verlassen."

    In hochgespannter Erwartung hing ich förmlich an den Lippen meines Idols, hoffte darauf dass er mich seiner Weisheit würde teilhaftig werden lassen. Aber so einfach war das nicht... Ich weiss es nicht sagte er, und Jeder auf seine eigene Weise. Enttäuscht senkte ich den Blick, biss mir grübelnd auf die Unterlippe. Wie konnte es sein dass er das Geheimnis nicht kannte, oder bestand das Geheimnis vielleicht darin dass es gar keines gab...? Auf eine gewisse Weise schien er mir auf einmal entzaubert, der Praefectus, aber auch menschen-näher als ich ihn zuvor gesehen hatte.
    Mit den Augen folgte ich seinem Deuten, und nickte als ich Fuscus erkannte. Ein angenehmer, stiller Zeitgenosse. Auch den Optio auf dem Wall begutachtete ich kurz, und krauste die Nase bei der Charakterisierung. Klar, der Krieg zog die Leute, die sich um jeden Preis profilieren wollten, an, so wie ein Kadaver die Fliegen.
    Nachdenklich spielte ich mit dem Ancillium-Amulett um meinem Hals, tippte mit dem Fingernagel auf das kühle Metall von dem ich mir ganz sicher war dass es mich schon oft vor Üblerem beschirmt hatte. Ich sann darüber nach, wieviel von dem Wesen der Soldaten hier damit zusammenhing dass, wie der Praefectus meinte, eben jeder seine eigene Art hatte mit dem Krieg irgendwie klarzukommen.
    Die Saufgelage von Centurio Flavius, die distanzierte Ironie von Optio Priscus, das witzige auf die leichte Schulter nehmen von Sparsus, Silios Prahlereien, Rupus' Rohheit, vielleicht sogar die unheimliche kalte Leere die der neue Legat um sich herum verbreitete - ob das womöglich alles Ausdruck davon war? Aber vielleicht war das auch übertrieben es so zu sehen, oder es machte keinen Sinn da zu trennen zwischen dem eigenen Wesen, und dem Weg den man sich gesucht hatte.


    "Pflicht.", wiederholte ich. Darauf lief es irgendwann immer hinaus. Die Worte prägten sich mir ganz tief ein.
    Ich habe eine Pflicht zu erfüllen. Nur das zählt...
    Ein sprödes Geheimnis, eine glanzlose Offenbarung. Erinnerte mich an meinen Centurio, der sah das ja auch so ähnlich.
    "Es ist einfach... wenn ich die ganzen Toten sehe, bei uns und bei ihnen, dann... dann frage ich mich was alles verloren gegangen ist, mit diesen Menschen, mit jedem einzelnen - jeder war anders, jeder irgendwie besonders, hatte Pläne für die Zukunft oder Freunde denen er wichtig war oder Familie natürlich, aber der Krieg verschlingt sie einfach, ohne Unterschied, wie ein Götze, ein blutiger Moloch, der sich von den Gefallenen ernährt... gierig und fett..."
    Ich schluckte und versuchte dieses beklemmende, ghoulische Bild vor meinem inneren Auge zu vertreiben. Passend war es natürlich nicht gerade mich dem Praefectus so anzuvertrauen, aber es war die ruhige Freundlichkeit mit der er mir begegnete, und dann auch der Moment, so an der Grenze zwischen Tag und Nacht, an der Grenze zwischen dem festgefügten Lager und der vagen Unendlichkeit der Wüste, der mich meine Gedanken einfach aussprechen liess.
    "Ich schreibe immer alles auf. Und ich bin auch wirklich froh über die Kameradschaft hier. - Die Pflicht, also die Pflicht an sich, werde ich dann versuchen noch mehr zu verinnerlichen... Vielen Dank Praefectus, für Deine Zeit und Deinen Rat."

    Ha! Wie es schien hatte meine kleine Ansprache ihre Wirkung nicht verfehlt. Zwar hüllte sich der Parther weiterhin in hochmütiges Schweigen, aber als ich 'ROM' sagte, da sah er nicht mehr so gänzlich unbeeindruckt wie zuvor aus. Ja, ROM, das war eben das Zauberwort, das Barbaren in aller Welt zuverlässig in Angst und Schrecken versetzte.
    "Rom...", sagte ich noch mal, und wünschte mir in dem Moment sehnlich ich könnte einfach dem Krieg den Rücken kehren, und nach Hause gehen. Ich erhob mich, streckte mich und legte mir die Hand in den Nacken, bewegte den Kopf langsam nach rechts und nach links bis es knackte. Wie schön wäre es, mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen... Aber wie um mich wachzurufen aus diesen Träumereien bliesen in dem Moment die Tubae und Cornicen zum morgendlichen Antreten. Der Parther schien seinen Gleichmut wiedergefunden zu haben, er blickte zum Himmel und lächelte unergründlich vor sich hin. Ich zögerte kurz, dann wandte ich mich ab, und marschierte wieder davon, sputete mich, um noch rechtzeitig zum Morgenappell zu kommen.


    Den ganzen Tag, während ich Wache schob und stupide Arbeiten erledigte, ging mir dieser Parther im Kopf herum. Ich schwankte zwischen der Wut auf diesen Feind, dem Wunsch mich zu rächen dafür dass er mir in der ersten Nacht so einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte, dem Zorn auf seinen Kumpan der Verax abgeschossen hatte, der Trauer um Lucullus, der hilflosen Sorge um meinen verschollenen Onkel... und auf der anderen Seite dachte ich auch was wenn ich an seiner Stelle wäre, das muss scheusslich sein in so einem Käfig rumzusitzen, und dann auch noch verschleppt zu werden ans andere Ende der Welt... Aber er hätte sich eben nicht gegen ROM auflehnen dürfen! Ich beschloss hart zu bleiben. Ausserdem - wenn ich ihn freilassen würde, dann würde er uns in der nächsten Schlacht doch bestimmt wieder gegenüberstehen, oder würde die Bevölkerung aufwiegeln, oder Partisanen rekrutieren oder sonstwas. Nein, der musste eindeutig aus dem Verkehr gezogen werden!


    Am Abend schrieb ich nach langem Überlegen und auf-dem-Schreibrohr-kauen ein kleines Briefchen, kratzte meinen Sold zusammen, und überzeugte Rupus und Silio mir bei der Aktion zu helfen, denn ich erinnerte mich an den Aufstand, den der Parther beim Sklavenhändler gemacht hatte und wollte diesmal kein Risiko eingehen! Wir waren zu dritt als wir ihn aus dem Käfig holten, dann bestach ich die Wachen am nächsten Tor damit sie uns rausliessen, machte noch ein paar Besorgungen im Lager des Trosses, und kurz darauf kreuzten wir genau bei dem Sklavenhändler auf, wo ich den Parther zu Anfang der ganzen Geschichte erworben hatte.
    "Salve Miles, aber es gibt kein Recht auf Rückgabe der Ware", begrüsste mich liebenswürdig einer der Herren die mir den Parther verschachert hatten.
    "Ich will ihn nicht zurückgeben - auch wenn ich allen Grund dazu hätte, der Mann ist ein Raubtier! - ich will ihn nach Rom schicken. Aber so dass er auch in gutem Zustand da ankommt, genug zu essen bekommt und nicht gepeitscht wird wenn es nicht unbedingt sein muss, und vor allem nicht unterwegs krepiert. Macht ihr sowas?"
    "Aber sicher. Kostet nur ein bisschen."
    Wir handelten ein Weilchen hin und her bis wir uns einig waren. Die Sache ging echt ins Geld! Aber es ging mir nun mal ums Prinzip. Silio und Rupus hatten solange ein Auge auf den Parther. Dann setzte der Sklavenhändler einen richtigen Überführungs-Vertrag auf, den unterzeichneten wir beide, und ich bezahlte schon mal die Hälfte. Hoffentlich würde der Sklave dann auch da ankommen wo ich wollte!
    Ich übergab dem Händler den Brief und das Paket, das ich mitschicken wollte. Darin war das prächtige Krummschwert, das ich dem Parther abgenommen hatte - ich konnte es ja schlecht mitschleppen in meinem Marschgepäck, ausserdem gehörte es irgendwie zu dem Parther dazu, fand ich- und ausserdem ein Satz farbenprächtiger orientalischer Gewänder komplett mit barbarischen Pluderhosen und ulkigen Schnabelschuh-Stiefeln, denn schliesslich sollte Ziaar angemessen exotisch daherkommen.
    Den Vertrag in der Hand zusammenrollend, trat ich vor den Parther. Zwei Schergen - keine Ahnung ob das auch die selben waren wie in der Nacht, so Schränke eben - übernahmen ihn von meinen Kameraden, aber ich winkte ihnen noch kurz zu warten.
    ~"Diese Leute hier bringen Dich mit der nächsten Karawane nach Antiochia, und dann nach Rom."~ erklärte ich dem Parther, sehr zufrieden damit wie ich das organisiert hatte, ~"Ich hab ihnen gesagt dass sie Dich gut behandeln sollen. Du sollst ausserdem wissen, dass meine Familie nicht ohne Bedeutung ist in Rom."~
    Er sollte ja nicht glauben dass er zu irgendwelchen Kuhhirten käme, denen er auf der Nase herumtanzen könnte, also brüstete ich mich ein bisschen:
    ~"Mein Onkel Meridius ist ein grosser Feldherr. Und Triumphator! Mein anderer Onkel in Rom ist unter anderem Entdecker und hat schon all die eisigen Länder des Nordens bereist. Und meine Tante Lucilla steht persönlich der imperialen Zeitung vor! - Aber ich will vor allem dass Du meiner Schwester Seiana dienst, also wenn sie in Rom sein sollte jedenfalls."~
    Tante Quinta hatte mir da ja sowas geschrieben. Hoffentlich würde Seiana sich freuen, hoffentlich würde sie darin mein schüchternes Versöhnungsangebot erkennen. Gutgebaute Parthersklaven wie Ziaar waren doch jetzt sicherlich der letzte Schrei, das "muss-ich-haben"- Accessoire der Saison sozusagen...

    "Helden von Circesium" - wie pompös! Ich verbiss mir ein Grinsen bei diesem drolligen Titel; ob wir Helden waren, das lag zweifellos im Auge des Betrachters. Die Armillae nahm ich natürlich trotzdem gerne. Bloss dass sie aus der Hand des Mannes kamen, der mich bei Edessa auf so befremdliche Weise wegen der letzten Auszeichnung angegangen hatte, der meinem Onkel nachgerückt war und ihm in meinen Augen doch niemals das Wasser reichen würde - das gefiel mir nicht. Aber tja, ich sagte mir dass ich, ebenso wie meine Kameraden die in jener Nacht zur Eroberung der Stadt beigetragen hatten, die Armillae schon verdient hatte, Legat hin oder her, und so brachte ich die Zeremonie der Übergabe schneidig und ohne mir was anmerken zu lassen hinter mich. Als ich dann wieder neben Sparsus in der Reihe stand, drehte ich die Armreifen an meinem Handgelenk ein wenig hin und her, sah wie sie silbern in der Sonne glänzten, und freute mich dass sie - ausser ruhmreich natürlich - auch so ausgesprochen schmuck waren!
    Ja, wie war es schön sich lobpreisen zu lassen und sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Hätte ja auch schief gehen können, das Manöver. Ich spürte kaum mehr die Verletzung an meiner Seite, so erfüllt war ich von der Freude und dem Stolz über unseren Erfolg. Die Vergabe der Auszeichnungen nahm ihren Lauf, die Spannung stieg und gewisperte Mutmaßungen huschten durch die Reihen - was für eine Belohnung würde wohl unser Anführer, der Tribun Terentius, erhalten?

    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides und Gaius Tallius Priscus


    Sparsus Optio! Ich Tesserarius! Ich wurde rot vor Freude, war so überwältigt dass ich kaum ein paar Dankesworte hervorbrachte. Doch bei der Verabschiedung von Optio Priscus wurde mir sehr wehmütig zumute. Nicht nur weil ich für ihn schwärmte, sondern weil ich ihn auch abgesehen davon sehr mochte, ja, eigentlich konnte ich mir die zweite Centurie gar nicht ohne ihn vorstellen! Mal streng, mal freundlich hatte er uns während des Feldzuges bei der Stange gehalten, Sorgen mit seinem trockenen Humor davongejagt, und mir so viel beigebracht... Auf den Gesichtern der Kameraden um mich herum sah ich ähnliche Gefühle, aber wie zu erwarten vertrieb Optio Priscus die traurigen Anwandlungen lächelnd mit ein paar nicht-zu-gefühlvollen Worten.
    Und der Centurio liess sich nicht lumpen, zum Abschied. Ich schnappte mir erst mal einen Becher kräftig gewürzten Wein. Die Sonne ging hinter den Bergen unter, und ihr Purpurschein, die Melancholie des Abschiedes, der Stolz der Beförderung und der würzige Geschmack des Weins vermischten sich für mich zu einem ganz besonderen Moment, elegisch zugleich und voller Verheissungen. Was mochte uns noch erwarten, hier in diesem endlose, schroffen, unbekannten Land...
    "Herzlichen Glückwunsch, Optio Sparsus!", gratulierte ich meinem Freund dann von ganzem Herzen und grinste: "Der Stab steht Dir gut."
    Dann machte ich mich auf, um bis zu Optio Priscus vorzudringen, mit dem jetzt natürlich alle gleichzeitig sprechen wollten.
    "Wir werden Dich sehr vermissen, Optio Priscus!", beteuerte ich, als ich endlich mal bei ihm stand, aber da er sich ja die traurigen Abschiedsworte verbeten hatte, verkniff ich mir weitere.
    "Und ich danke Dir für alles was Du mir beigebracht hast, vom Tunika-Nähen bis zum Gladiuskampf! Gerade der Stoss unter dem Schild hindurch" - den er ja so geduldig mit mir geübt hatte - "der hat mich inzwischen wirklich schon oft gerettet!"
    Strahlend (und wie immer etwas schwärmerisch) lächelte ich ihn an, und wünschte ich könnte meiner Begeisterung für den Mann irgendwie unverfänglich Ausdruck verleihen. Aber da fiel mir nichts ein, also lächelte ich nur und trank ihm zu.

    Zum ersten Mal, seit der Nacht nach der Schlacht in der ich mit dem Parther Ziaar zusammengetroffen war, konnte ich ihn mir mal in aller Ruhe ansehen. Das tat ich dann auch, während er den Puls verspeiste, ich sah ihm zu, etwa so wie ich früher gerne dem Panther im Käfig in den Horti Luculliani bei der Fütterung zugesehen hatte, und machte mir Gedanken was ich mit ihm anstellen sollte. Er wirkte gleichmütig, stolz, trotz seiner aussichtslosen Lage, das fand ich ziemlich beeindruckend, zugleich reizte es mich aber auch, ihn mal ohne diese hochmütige Gelassenheit zu sehen. Ich meine - er war besiegt! Gefangen! Mein Sklave! Trotzdem aß er den Puls mit einer Miene als würde er eine Feinschmecker-Cena chez Pollux goutieren... (Das war jedenfalls meine Assoziation.)
    Ich räusperte mich und sagte mit feindseliger Stimme: ~"Du und Deine Spiessgesellen, ihr habt gestern einen Kameraden von mir getötet. Heimtückisch. Siehst Du das Kreuz da drüben?"~
    Mit ausgestrecktem Arm wies ich über die Zelte hinweg, deutete auf das Kreuz mit den Überresten eines der anderen Aufrührer, dass sich ein Stück ausserhalb des Lagers erhob. Der Geier hatte sich inzwischen davongemacht, war wohl sattgefressen, und kreiste erstaunlich elegant hoch oben im klaren, zartblauen Morgenhimmel.
    ~"Wenn Du nicht mein Sklave wärst, wärst du jetzt auch Futter für die -"~ Mist, wie sagt man 'Geier' auf Griechisch?! ~"...Fleisch-Fresser-Vögel!"~
    Konnte nicht schaden, ihm das unter die Nase zu reiben. Ich fuhr mir über den verkrusteten Schnitt an der Wange - unterdrückte den Impuls zu kratzen - und fixierte den Parther mit schmalen Augen.
    ~"Ich lasse Dich nach Rom bringen."~, beschloss ich dann spontan. Ihn auf dem Feldzug mitzuschleifen... nun ja, er sah einfach nicht so aus als würde er sich mitschleifen lassen. Musste ich halt das Risiko mit dem Transport eingehen. Aus Rom zu fliehen, Tausende von Meilen von seinem Land, das würde ihm dann sicher schwerfallen.
    ~"Rom."~ wiederholte ich, wie einen Urteilsspruch. ~"Und da wirst Du meiner Familie dienen."~
    Geschah ihm recht! Und meine Lieben zu Hause, energisch wie sie waren, würden ihn bestimmt bändigen können. (Ausserdem konnten sie dann gleich mit eigenen Augen sehen, was für einen gefährlichen Feind ich zur Strecke gebracht hatte!)


    Irgendwie sah Sparsus angesichts meines Wortschwalles ein wenig ... gequält aus. Seltsam, konnte ich gar nicht verstehen, an so einem schönen Tag, bei so einem netten Gespräch.
    "Ach..." Ich seufzte enttäuscht, auf seine Beteuerungen hin. "Du glaubst also ich hab keine Chance", fasste ich das zusammen, was ich darin verstanden zu haben meinte, wenn auch rücksichtsvoller formuliert.
    "Sag es ruhig, naja, wahrscheinlich hast Du recht und es wäre nicht so klug..."
    Ich warf ihm einen waidwunden Blick zu, setzte mich dann auf dem Stein zurecht und präsentierte ihm mein Kinn.
    "Eigentlich gibt's da ja auch jemanden in Rom..." - an den ich gerade erst einen überschwänglichen Brief zu formulieren begonnen hatte - "...aber Rom ist so weit weg."
    Ich zuckte die Schultern und kratzte mich am Scheitel, war einfach mal wieder verwirrt von meinem Gefühlswirrwar. Dann tippte ich mir mit dem Zeigefinger rechts seitlich unter das Kinn und bat Sparsus:
    "Sei bitte vorsichtig, da an der Stelle. Sieht man da noch was? Ist schon ein bisschen her, aber es ist immer noch, ähm, empfindlich."
    Und allein von der Erinnerung an den Vorfall wieder ganz empört und voller Groll, schüttete ich meinem Freund mein Herz aus und beklagte mich inbrünstig:
    "Dieser Tonto, dieses Cabrón, der Leibwächter von dem neuen Legaten, der hat mir da voll eine reingehauen. Einfach so, ohne Grund! Ich dachte mir fliegt gleich der Kopf weg. Dieser Koloss, der immer bei ihm rumhängt, der so aussieht als ob er nicht auf drei zählen könnte, der war das, weisst Du. Ist echt ein fieser, mieser, brutaler Halunke, der Mann."

    Ich errötete leicht, als der Erste Speer mich wegen der Gerüchte, über die ich mich da ausliess, zurechtwies. Hoffentlich sah man's nicht, bei dem Zwielicht. Ich war ja nicht so abergläubisch! Normale Pfeile... ja, wer hätte je davon gehört dass böse Geister ihre Opfer mit normalen Pfeilen niederstreckten. 'Es waren die Parther', das so felsenfest vorgebracht zu hören, war gut, das wollte ich ja glauben, und beschloss es auch zu glauben, die Alternative wäre zu schändlich. Ich mag ja manchmal naiv sein, aber ich sehe (meistens) einfach lieber das Gute in den Menschen die mir begegnen.... Und wieder war ich überrascht, man hätte meinen könne er versuche mich aufzumuntern.
    "Danke Praefectus.", sagte ich tiefempfunden, auf seine Versicherung mir Bescheid geben zu lassen wenn es etwas neues gab, und war dankbar dass auch er offenbar nicht die Hoffnung aufgegeben hatte. Ja, einen Augenblick lang stutzte ich, fragte mich: Was ist denn da los? Ist das derselbe der ohne mit der Wimper zu zucken Gefangene zur Folter schickt, Soldaten bei Widerworten die Knochen bricht, Köpfe abhacken lässt und so weiter... Was ist mit dem Damoklesschwert Artorius Avitus passiert, dass er auf einmal so nett ist?
    Aber schon im nächsten Augenblick, entsprach er schon wieder voll und ganz meinen Erwartungen. Ein eisiger Schauer rann mir über den Rücken, als er so gleichgültig, so völlig gnadenlos-kaltblütig über die Geiseln sprach. Was für ein unheilvolles Versprechen von Grausamkeit schwang da mit, in dieser Aussage. Brr, ich unterdrückte ein Frösteln. Das mit dem feindlichen General wusste ich, hatte ich ja noch so halb mitgekriegt, nachdem Sparsus mich zum Adler geschleift hatte... Das brachte mich quer auf den Gedanken an die Acta, und ich überlegte, ob man da nicht vielleicht mal ein patriotisches Portrait über den Praefectus bringen sollte, so mit ein paar Fragen und Antworten gewürzt? - Wäre bestimmt interessant! Ich sollte Lucilla mal fragen. Spannender als die Berichte über glattzüngige, stromlinienförmige Politiker jedenfalls, und es wäre eine gute und unverfängliche Gelegenheit ihn auszufragen... Musste ich unbedingt im Auge behalten, die Idee.


    Oh, und dann kam was, das ging mir runter wie Honig! Mich bewiesen, mir einen Namen gemacht - ich lächelte breit, und meine Augen strahlten nur so, als er das sagte. Der Ruhm von Circesium war mir ja schon ein wenig zu Kopfe gestiegen, jetzt sowas vom Pri-äh, Praefectus zu hören, das war als hätte mir einer einen Lorbeerkranz aufs Haupt gedrückt. Ich fühlte mich leicht, beschwingt, luftig als würde mich gleich der nächste Windstoss vom Boden abheben lassen. (Dass Fortuna da mitunter stark ihre Hände im Spiel gehabt hatte, dass hatte er gut erkannt - aber wen kümmert das schon?)
    Was die Vergeltung anging, so hatte ich immer gedacht ich wäre für sowas überhaupt nicht der Typ. Aber seit Livianus' Verschwinden, Lucullus' Tod, den verbrannten Kameraden am Chaboras, verspürte ich das ein oder andere Mal doch den überwältigenden Drang es den Parthern nach Strich und Faden heinzuzahlen. Wie in Circesium, da hatte ich mich schlussendlich auch mitreissen lassen, in dem üblen allgemeinen Rausch des Plünderns und Widerständler umbringen - wollte gar nicht mehr daran denken.
    Die Ernüchterung kam zuletzt. Ach so. Enttäuscht erkannte ich - es ging ihm natürlich nicht um mich, den einzelnen Soldaten, sondern nur um die Moral der Truppe. Prompt hatte ich wieder Bodenhaftung. Lass Dich nicht umbringen, Faustus, es könnte Deinen Kameraden den Tag verderben. Einen Moment später musste ich leise schmunzeln darüber - das klang einfach so typisch für die Legion! Aber bestimmt war das kein Scherz gewesen, also verbarg ich es hinter einem Reiben des Kinns mit der Hand und gelobte dann, wieder ganz ernst:
    "Jawohl Praefectus, ich werde mich ganz auf die Sache konzentrieren! Und mich nicht ablenken lassen, von Dingen die ich sowieso nicht ändern kann. Zu wissen dass ich nicht unwissend bleibe, wenn es etwas gibt, das beruhigt mich schon ein Stück weit.... - Darf ich Dich noch etwas fragen, Praefectus?"
    Die Gelegenheit war so günstig. Und von Onkel Meridius, der mir vielleicht auch Antwort hätte geben können, hatte ich leider nichts gehört. Ich stiess ein kleines Steinchen mit der Fusspitze weg, blickte zu den Wachen auf dem Wall in einiger Entfernung, dann weiter hinauf zum Himmel, auf dem sich immer mehr Sterne abzeichneten, atmete tief die kalte, trockene Luft ein.
    "Gibt es ein Geheimnis?", stellte ich dann, beinahe drängend, die Frage aller Fragen, die mir schon seit dem ersten Scharmützel auf der Seele lag. Unverwandt heftete ich die Augen auf ihn. Wenn es eines gab, dann musste er es kennen!
    "So etwas wie einen Schlüssel, oder... eine praktische Philosophie, um angesichts des ganzen hier - des Krieges, des Tötens - so gelassen zu sein, so... gar nicht davon berührt zu werden, wie Du Praefectus?"

    Wieder einmal brachte ein Angestellter von Sklavengrosshandel Thyrsus et Thelestas einen Schwung Briefe von der Front vorbei, die auf inoffiziellem Wege, zusammen mit einer Karawane von Sklaven aus dem eroberten Circesium, entlang des Euphrat ihren Weg nach Zeugma gefunden hatten. Darunter waren auch drei aus der Feder Decimus Serapios, alle nach Rom, einer an die Casa Decima Mercator, einer an die Casa Germanica, und einer an die Villa Flavia in Rom gerichtet. Wortkarg aber routiniert bezahlte der Sklaventreiber die Gebühr, nahm die eingegangene Post für T&T gleich mit und verschwand wieder.



    An
    Decima Seiana
    Casa Decima Mercator
    Roma


    Liebe Seiana,
    sicher wunderst Du Dich von mir zu hören, und ich weiss auch gar nicht ob Du überhaupt von mir hören willst. Wenn nicht, naja, dann musst du den Brief ja nicht lesen... Ich wollte nur sagen dass es mir sehr leid tut dass ich Dich in Tarraco allein gelassen habe. Aber ich wusste wirklich nicht wie schlimm es um Mutter stand! Tante Quinta hat mir dann alles geschrieben. Auch wie Du Mutter beigestanden hast. Es ist schrecklich. Ich würde es verstehen wenn Du nichts mehr von mir wissen wolltest. Aber Du musst mir glauben, ich bereue es wirklich! Ich habe mich sogar zur Legion gemeldet, wie sie es immer wollte. Das mit der Künstlerkarriere war sowieso nix. Zur Prima bin ich gegangen, und schwupps war ich mitten meiner Grundausbildung schon mitten im Krieg. Aber Fortuna steht mir zur Seite, wie früher schon immer, und das ist das wichtigste. Am Anfang dachte ich, ich packe es nicht, das Soldat sein. Der Drill ist echt mörderisch und manche Sachen einfach komisch, die Auswüchse der Hierarchie zum Beispiel. Aber ich hab mich durchgebissen, und mich irgendwie an all das gewöhnt.
    Zwei Schlachten habe ich schon überstanden! Richtige Freunde hab ich hier auch gefunden, und ich bin Tesserarius geworden, und ich bin sogar ausgezeichnet worden, mit Armillae, aus der Hand des Imperators persönlich, nicht schlecht oder? Wir ziehen immer weiter in das Partherland hinein. Du solltest die Landschaften hier sehen, sie sind meistens schroff und karg aber absolut grossartig. Ich hoffe aber dass der Imperator bald entscheidet, dass wir genug Städte eingenommen und Heere zerschmettert haben, und wir dann wieder nach Italia zurückkehren können. Ich vermisse dich, Schwesterchen, und ich hoffe es geht Dir einigermassen gut. Ich würde mich natürlich wahnsinnig freuen von Dir zu hören, was Du so machst und wie es Dir geht (ich bin übrigens in der zweiten Centurie, erste Kohorte der Legio Prima). Und grüsst Du bitte Scaurus von mir?
    Vale!
    Dein Faustus



    An
    Decima Lucilla
    Casa Germanica
    Roma


    Liebe Tante Lucilla,
    wir marschieren immer weiter und weiter, in diesem fremden Land. Trotzdem wir in der Zwischenzeit auch eine schlimme Niederlage haben einstecken müssen, herrscht hier noch immer eine grosse, stürmische Siegesgewissheit. Es wird viel gesungen während des Marschierens, und meine Kameraden machen schon wilde Pläne, was sie alles mit den Schätzen anstellen wollen, die uns gehören werden, wenn wir erst mal Cthesiphon geplündert haben. Ich bin auch zuversichtlich. Wir werden es den Parthern schon zeigen, hoffentlich schnell so dass wir bald wieder zurückkehren können. Der Imperator ist zwar verwundet worden, aber er lässt sich nicht unterkriegen, und reitet manchmal sogar schon wieder in unserer Mitte, wie ein Sinnbild für die Unverwüstlichkeit Roms.
    Über Deinen Brief und die tollen Kekse und Kabbersachen habe ich mich riesig gefreut, und meine gefräßigen Zeltgenossen auch. Mein bester Freund, Marcus Sparsus, lässt Dir übrigens ein dickes Lob für das Pistazien-Gebäck ausrichten. Ich fand es auch ganz himmlisch!


    Lucilla, Lucilla, ich kann es kaum glauben dass du nun wirklich geheiratet hast. Meinen aller-allerherzlichsten Glückwunsch!!! Dein Senator kann sich wirklich glücklich schätzen, einen so guten Fang wie Dich gemacht zu haben. Aber ist das nicht langweilig, mit der ganzen Politik die Du nun betreiben musst? Immer auf dem Laufenden sein und so... Ich meine - die Senatoren und Politiker, die reden doch nur und reden und reden (mehr oder weniger) schön, aber was wirklich wichtig ist entscheidet dann sowieso der Imperator. - Das Prestige ist natürlich trotzdem enorm, klar.
    Also - zur Hochzeit bekommst du von mir zuerst mal ein paar Körner Sand, die sich hier in den Umschlag gestohlen haben... (der Sand findet seinen Weg überallhin, das ist echt zum wahnsinnig werden)... natürlich ist es Sand von frisch dem Imperium hinzugefügtem, dem parthischen Feind entrissenen Land! Na? Freust Du Dich? Ist das nicht ein patriotisches Geschenk? - Quatsch, natürlich bekommst du noch was zum Sand dazu. Es wachsen hier entlang der Flüsse so wunderschöne, ganz exotische Blumen, von denen hab ich Dir Samenkapseln gesammelt und ganz viele Blumenzwiebeln und -knollen ausgegraben, und sie mit etwas Erde sorgfältig verpackt. Ich hoffe mal, ein paar davon überstehen den Transport. Falls du Lust zu gärtnern hast.


    Leider gibt es von Livianus keine Neuigkeiten. Stell Dir vor, sein Nachfolger findet, dass es mich gar nichts angeht was mit meinem Onkel passiert ist! Er glaubt, dass Familienbande mit dem Eintritt in die Legio gefälligst zu existieren aufzuhören haben, und ich hab sogar richtig Ärger bekommen deswegen. - Aber keine Neuigkeiten sind wenigstens auch keine schlechten Neuigkeiten, sage ich mir.

    Liebes Tantchen, halt die Ohren steif! Bis zum Triumphzug, Vale,
    Dein Faustus



    An
    Hannibal
    Villa Flavia
    Roma


    Liebster Hannibal, meum cor, meum savium,
    Deine Worte sind für mich wie Sonnenstrahlen die mich wärmen und mir Licht geben, jedesmal wenn ich sie erneut lese. Die Sehnsucht Dich wiederzusehen, Dich wieder zu spüren, brennt wie eine Fackel in meiner Seele!
    Bei Eros und Anteros, ich habe um mich herum unzählige schmucke Männer aber ich verzehre mich jeden Augenblick nach Dir! Oh hätte ich doch Schwingen wie der Schütze der mich mit seinen Pfeilen getroffen hat, ich würde jede Nacht den Euphrat überqueren, und über Syrien und das Mittelmeer hinweg eilen, um zu Dir zu gelangen und von Deinen Lippen Linderung für mein Fieber zu trinken, in Deinen Armen die Welt zu vergessen!
    Du schläfst - oh sänk ich jetzt auf Dich hernieder
    leicht wie ein Hauch,
    darf doch des Schlafes Flügel Deine Lider
    berühren auch.

    Wie sehr ich ihn doch beneide, den Schlaf! - Ich will ganz ehrlich sein, mein Hannibal, ich war schon erst mal ein bisschen verstört von Deiner Enthüllung. Ich hatte nämlich gedacht Du wärst wahrscheinlich ein Patrizier, nur incognito. Aber es ändert gar nichts an meinen Gefühlen! Und wenn ich wieder zurückkomme nach Italia, dann müssen wir das angehen, ich meine ein Mann wie Du, das ist doch eine Verirrung des Schicksals dass Du ein Sklave bist, das ist doch widersinnig, das muss man ändern, und das werden wir schon hinkriegen zu ändern so wahr ich ein Decimer bin.
    Stell Dir vor, Dein Besitzer von dem Du mir erzählt hast, ist mein Centurio, ist das nicht ein Zufall? Er hat mir sehr viel beigebracht, und ist ein toller Anführer. Natürlich hab ich ihm nichts gesagt, ich bin doch kein Tratschweib, oder sagen wir lieber: ich kann auch schweigen.
    Mittlerweile läuft es gut für mich bei der Legio, ich bin gerade Tesserarius geworden und freu mich sehr darüber, aber am Anfang war es ganz schrecklich, knochenhart, die Märsche mit dem zentnerschweren Gepäck durch die Hitze, und dann noch der Drill, ich dachte ich muss sterben. Ich habe inzwischen zwei Schlachten und ein paar Scharmützel überstanden ohne schlimme Verletzungen, und ich sage Dir, das will etwas heissen, denn die Parther sind nicht gerade von gestern und erst ihre Panzerreiter - furchterregend!
    Aber nicht unbesiegbar, und wir haben es ihnen auch schon ganz schön gezeigt. Ich hoffe wir zerschmettern sie bald mal endgültig (oder kehren einfach so wieder um) - denn ich fiebere dem Moment unseres Wiedersehens so glühend entgegen, mein Erastes, dass ich fürchte es könnte mich verbrennen wenn ich zu lange darauf warten muss.
    Fühle Dich innig umarmt, und feurig geküsst! Vale!
    Dein Faustus



    Sim-Off:

    Ist überwiesen. Danke. :)

    Nichts neues... Und es klang nicht so als würde er mir was verheimlichen. Ich nickte stumm, senkte den Kopf und starrte geknickt auf den Sand der Lagerstrasse über den wir hinwegschritten. Viele Fusspuren von Caligae zeichneten sich darin ab, und ich dachte an die Spuren, die mein Onkel hinterlassen hatte durch seine Taten, grosse, ehrenhafte, heroische Spuren, die mich immer so eingeschüchtert hatten. Ein kalter, trockener Wind strich durch das Lager, er verwehte die Fussabdrücke im Sand. Ich fragte mich, ob die Spuren, die mein Onkel hinterlassen hatte, genauso vergehen würden, irgendwann...
    Der Erste Speer blieb stehen und sprach mich wieder mit Namen an. Ich sah auf und begegnete seinem Blick. Er war Klient von Livianus? Verwundert hörte ich seine freundlichen, verständnisvollen Worte, die hätte ich aus dem Mund dieses Mannes gewiss nicht erwartet! Aber sie taten mir wirklich gut, und obwohl er mir nichts sagen konnte das Anlass zur Hoffnung gegeben hätte, war es doch ein Trost schon allein zu wissen dass es noch andere gab die sich sorgten, und dass daran nichts unnormales oder unsoldatisches war. Ja, die Ungewissheit, ich hasste diese Ungewissheit, sie lag wie ein Nebel über dem Verschwinden meines Onkels, ein Nebel den mein Blick nicht durchdringen konnte und hinter dem ich mir darum um so schlimmere Dinge ausmalte.
    "Ich wünschte ich könnte irgendwas tun...!", entfuhr es mir leise - aber was?
    (Mich als Parther verkleiden, im Alleingang in die Hauptstadt einschleichen - ein Leichtes für einen iberischen Bravo - dann in den Palast eindringen, dem Grosskönig auf seinem Thron den Dolch an die Kehle setzen und eiskalt verlangen: "Gib meinen Onkel heraus, Drecksparther, oder dein letztes Stündlein hat geschlagen!" - Nnnnein, besser nicht.)


    Er ging weiter und ich neben ihm her. Ein paar Soldaten kamen vorüber und grüssten ihn, dann waren wir schon fast am Ende der Lagerstrasse, vor uns lagen der breite Streifen des Intervallums und die Porta Pricipalis Dextra, jenseits die endlose Wüste.
    "Nun, was der Imperator sagte, dass er von einem Ausritt nicht zurückkam, das weiss ich natürlich, Praefectus - und ich habe auch mit einem aus seiner Eskorte gesprochen," - und mit vielen anderen die mir nichts hatten sagen können oder wollen - "...der meinte, sie seien nur ein Stück vorausgeritten, und als sie zurückkamen waren alle tot, erschossen, und vom Legaten keine Spur."
    Rätselhaft, das ganze. Wirkte so gezielt. Dann waren da natürlich Gerüchte, und die beliebte Frage cui bono. Oder es war nur Pech, eine Laune Fortunas vor der auch die Mächtigen nicht gefeit sind.
    "Es gibt natürlich die verschiedensten Gerüchte", erzählte ich, ein wenig sarkastisch, "eines wilder als das andere, von bösen Geistern die ihn entführt haben, von einem parthischen Spion in seiner Umgebung der ihn verraten habe, manche glaube sogar die Götter hätten ihn sich als Opfer genommen, im Gegenzug für unseren Sieg vor Edessa."
    Irgend so ein Armleuchter hatte tatsächlich gewagt zu behaupten, Livianus sei in Wirklichkeit zu den Parthern übergelaufen, deshalb so spurlos verschwunden und deshalb so sang und klanglos ersetzt worden! Aber den hatte prompt ein ausgerenkter Kiefer davon abgehalten weiter Verleumdungen zu verbreiten. Ich nahm die Arme, die ich unwillkürlich auf dem Rücken verschränkt hatte, wieder nach vorne, und rieb mir nachdenklich den Schmiss an der Wange.
    "Ich frage mich warum die Parther, wenn er ihnen in die Hände gefallen ist, noch keine Forderungen gestellt haben, für einen Austausch gegen ihre Leute, Praefectus."
    Sogar in dem schlimmen Fall dass er tot war, könnten sie doch immer noch etwas für seine sterblichen Überreste verlangen. Bestimmt würde der Imperator dafür sorgen wollen, dass sein treuer General in der Heimat die letzte Ruhe fände.
    Oder gab es da noch etwas zu wissen? Fragend blickte ich den Praefectus an, und hoffte irgendwie doch immer noch, dass dieses Rätsel sich lösen, und Onkel Livianus heil und gesund wieder auftauchen würde. Ich meine - man hört doch zum Beispiel allenthalben von Leuten die durch seltsame Umstände ihr Gedächtnis verlieren, und nach langer Zeit, schon totgeglaubt, sich doch wieder erinnern und zu ihren Lieben zu Hause zurückkehren. Wahrscheinlich waren das nur Sensations-Geschichten, so wie die von fliegenden Kühen und Seeungeheuern im Tiber, aber ich klammerte mich halt an jeden Strohhalm.

    ...gruben wir in der Erde. Spitzhacken brachen den trockenen, steinigen Boden auf, Schaufel um Schaufel Erde wurde heraufgeholt, die Gräben wurden tiefer, wuchsen zusammen so dass man schon die Form des inneren Ringes, der die Stadt umschliessen sollte, erkennen konnte, Felsbrocken wurden aufeinandergetürmt, die Wälle wuchsen in die Höhe und wurden von Palisaden gekrönt. Es war ein gigantisches Vorhaben, die ganze grosse Stadt abzuriegeln, aber keiner war wohl besser dazu geeignet es umzusetzen als wir, die Soldaten des Kaisers.
    Welch ein Glück dass es wenigstens nicht mehr so heiss war. Und welch ein Unglück für mich dass, kaum war ich Tesserarius und damit Sesquiplicarius, der neue Primus Pilus die Order ausgab dass zur Feier des Tages, zur Bewältigung der enormen Arbeit, alle bis hin zu den Duplicarii schanzen mussten. Nun ja. Ich spuckte eben in die Hände und grub wie eh und je. Es war ganz ungewohnt, dabei ohne die launigen Kommentare von Optio Priscus zu sein, aber Sparsus machte das natürlich auch sehr gut, und der Centurio beaufsichtigte alles mit gewichtiger Miene.
    Zum Klingen der Spitzhacken und Schaben der Schaufeln kam auch das Hallen von Axtschlägen. Pfosten wurden angespitzt, in den Boden gerammt oder miteinander verkeilt aufgestellt, gut gegen die feindlichen Reiter. Aber Holz war verdammt knapp. Es wuchsen fast nur kümmerliche Büsche hier, hier und da mal ein paar Tamarisken, die alle schnell dran glauben mussten.


    Meine neuen Pflichten waren für mich, ja, eben noch neu und ungewohnt, aber ich nahm sie sehr gewissenhaft. Und meine Kameraden machten es mir zum Glück nicht schwer, auch wenn ich ja zu den Jüngsten in der Centurie gehörte, wir waren durch das was wir alle zusammen durchgestanden hatten einfach sehr gut zusammengeschweisst. Ich kümmerte mich also um das Werkzeug, und wenn etwas kaputt ging sorgte ich dafür dass es repariert wurde, oder ersetzt, und ich achtete darauf dass nach der Arbeit nichts liegenblieb, verloren ging, oder sich zur Nachbarcenturie verirrte.
    Und dann war da natürlich der Wachdienst, und damit verbunden meine edelste Pflicht - das Überbringen der Parole. So stiefelte ich auch an diesem Abend nach dem Schanzen los, und begab mich zu dem Tribun, der die Losung für heute ausgab. Ich erhielt sie, notiert auf der Tessera, und trug diese dann durch das Lager, zurück zu meiner Einheit, bereit die kostbare Parole mit meinem Leben zu verteidigen. Dabei spitzte ich die Ohren, und lauschte auf die Gespräche um mich herum, tauschte mich natürlich auch mit den anderen Tesserarii aus, so kam man immer an die neuesten Gerüchte.
    An diesem Abend wurde viel vom Kaiser gesprochen, es hiess es ginge ihm schlechter, es sei wirklich ernst. Dabei war er doch vor kurzen noch hoch zu Ross unter uns geritten! Ich machte mir Sorgen, und war sehr gedrückter Stimmung als ich die Parole erst dem Centurio überbrachte, dann an die Wachhabenden weitergab. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass unser Imperator, unser Feldherr, der erhabene Genius unserer Legion, sich von einer Verletzung unterkriegen liess. Bestimmt würde er bald wieder wohlauf sein.

    Es freute mich, dass er meinen Namen noch wusste. Und natürlich war ich erleichtert nicht gleich den Kopf abgerissen zu bekommen, weil ich ihn störte, beim was auch immer, inspizieren oder spazieren - oder vielleicht sogar beim grübeln...? Ja, er sah irgendwie so nachdenklich aus, heute, der Erste Speer (für mich war er das und würde es in Gedanken wohl auch bleiben), aber nein, ich musste mich irren. So ein eisenharter Mann grübelte nicht, der handelte, der nahm die Dinge wie sie kamen, unerschütterlich, stoisch, echt römisch.
    Er begann die Via Principalis entlangzuschreiten, und ich ging neben ihm her, und suchte - durch die Begegnung mit dem Legat Tiberius vorsichtig geworden - nach Worten um meine Frage einwandfrei zu formulieren. Links und rechts von uns erstreckten sich endlose Zeltreihen, gleichförmige spitze Winkel, ein wenig dunkler als der dämmerblaue Abendhimmel in dem blass die ersten Sterne blinkten. Lagerfeuer glommen, knisterten und der Rauch stieg mir in die Nase. Das Dornengestrüpp das hier wuchs gab einfach kein anständiges Feuer, es loderte schnell hoch, dann war es schon ausgebrannt.
    Ich bemerkte, dass ich unwillkürlich beim Gehen fast genau die Körperhaltung des Artorius Avitus angenommen hatte. Manche Schauspieler meinen ja, dass man eine Rolle verinnerlicht, sie überhaupt erst versteht, indem man sich deren Bewegungen, also die charakteristischen aneignet. Deshalb war ich immer aufmerksam dabei ihn zu beobachten, die Art wie er sich bewegte, die Weise in der er sprach, und versuchte mich danach zu richten - ich hoffte ein wenig, dadurch hinter sein Geheimnis zu kommen, das Geheimnis des perfekten Soldaten sozusagen. Aber in seiner Gegenwart mochte das seltsam wirken, also liess ich es schnell wieder sein.
    "Danke Praefectus. Es ist wegen des verschollenen Legaten. Ich bin sein Neffe, und ich wollte mich erkundigen, also wenn Du gestattest, ob es vielleicht irgendwelche Erkenntnisse gibt inzwischen, oder Hinweise auf das was mit ihm passiert ist, oder wo er ist und natürlich... ob er noch am Leben ist."
    Bang blickte ich ihn von der Seite an. Der Schein eines Lagerfeuers an dem wir vorbeikamen beleuchtete seine gestrengen Gesichtszüge, und ich versuchte krampfhaft in ihnen zu lesen, zu erkennen ob sich da nicht irgendwo eine Regung zeigte und mir etwas verriet was er mir nicht sagen wollte.

    An Hannibal zu schreiben, das war auch gar nicht so einfach. Einerseits ging mir das Herz auf, ja, strahlte ich wie ein Honigkuchenpferd, wenn ich an ihn dachte, andererseits - wie sagt man "es macht mir fast nichts aus dass Du nur ein Sklave bist", ohne den anderen zu verletzen? Später. - Aber Lucilla! Da floss es mir nur so aus der Feder. Jedenfalls zu Beginn.


    Liebe Tante Lucilla,
    wir marschieren immer weiter und weiter, in diesem fremden Land. Trotzdem wir in der Zwischenzeit auch eine schlimme Niederlage haben einstecken müssen, herrscht hier noch immer eine grosse, stürmische Siegesgewissheit. Es wird viel gesungen während des Marschierens, und meine Kameraden machen schon wilde Pläne, was sie alles mit den Schätzen anstellen wollen, die uns gehören werden, wenn wir erst mal Cthesiphon geplündert haben. Ich bin auch zuversichtlich. Wir werden es den Parthern schon zeigen, hoffentlich schnell, so dass wir bald wieder zurückkehren können. Der Imperator ist zwar verwundet worden, aber er lässt sich nicht unterkriegen, und reitet manchmal sogar schon wieder in unserer Mitte, wie ein Sinnbild für die Unverwüstlichkeit Roms.
    Über Deinen Brief und die tollen Kekse und Kabbersachen habe ich mich riesig gefreut, und meine gefräßigen Zeltgenossen auch. Mein bester Freund, Marcus Sparsus, lässt Dir übrigens ein dickes Lob für das Pistazien-Gebäck ausrichten. Ich fand es auch ganz himmlisch!


    Lucilla, Lucilla, ich kann es kaum glauben dass du nun wirklich geheiratet hast. Meinen aller-allerherzlichsten Glückwunsch!!! Dein Senator kann sich wirklich glücklich schätzen, einen so guten Fang wie Dich gemacht zu haben. Aber ist das nicht langweilig, mit der ganzen Politik die Du nun betreiben musst? Immer auf dem Laufenden sein und so... Ich meine - die Senatoren und Politiker, die reden doch nur und reden und reden (mehr oder weniger) schön, aber was wirklich wichtig ist entscheidet dann sowieso der Imperator. - Das Prestige ist natürlich trotzdem enorm, klar.
    Also - zur Hochzeit bekommst du von mir zuerst mal ein paar Körner Sand, die sich hier in den Umschlag gestohlen haben... (der Sand findet seinen Weg überallhin, das ist echt zum wahnsinnig werden)... natürlich ist es Sand von frisch dem Imperium hinzugefügtem, dem parthischen Feind entrissenen Land! Na? Freust Du Dich? Ist das nicht ein patriotisches Geschenk? - Quatsch, natürlich bekommst du noch was zum Sand dazu. Es wachsen hier entlang der Flüsse so wunderschöne, ganz exotische Blumen, von denen hab ich Dir Samenkapseln gesammelt und ganz viele Blumenzwiebeln und -knollen ausgegraben, und sie mit etwas Erde sorgfältig verpackt. Ich hoffe mal, ein paar davon überstehen den Transport. Falls du Lust zu gärtnern hast.


    Leider gibt es von Livianus keine Neuigkeiten. Oder jedenfalls nichts, das ich hätte in Erfahrung bringen können. Sein Nachfolger ist nämlich der Ansicht, dass Familienbande mit dem Eintritt in die Legio gefälligst zu existieren aufzuhören haben. Stell Dir vor, er findet, dass es mich gar nichts angeht was mit meinem Onkel los ist! Ich hab sogar richtig Ärger bekommen deswegen. Deshalb kann ich Dir leider nichts neues sagen. Das Land hier ist so weit, so endlos, manchmal denke ich es hat Livianus einfach verschluckt, Und wird auch uns verschlucken wenn wir uns nicht rechtzeitig besinnen und wieder umkehren. Aber das liegt natürlich nicht in...


    Wieder liess ich das Schreibrohr sinken. Das klang viel zu defätistisch, Lucilla machte sich sicher auch schon so genug Sorgen. Ausserdem - ich hatte zwar herumgefragt und mich umgehört, wegen Livianus, aber alles hatte ich noch nicht versucht. Beim Legaten nachzufragen, dass würde ich nach dessen Tirade, da bei Edessa, mich natürlich nicht trauen - wäre ja auch sinnlos - aber vielleicht... beim neuen Praefectus Castrorum? Der war zwar auf seine Art noch viel furchterregender, aber er war fair, das hatte ich bei der Sache nach dem Überfall mit den Brandpfeilen ja gemerkt. Ja, warum nicht!


    Ich fasste mir ein Herz, warf das Schreibzeug ins Zelt, und machte mich erst mal präsentabel. Mein Cingulum klimperte munter, als ich in der Dämmerung die Gasse zwischen den Zelten entlang ging, auf die Via Principalis zu. Aber ich musste gar nicht weit gehen, schon an der nächsten Kreuzung erblickte ich den Artorier, wie er durch das Lager schritt. So unnahbar. Mit klopfendem Herzen trat ich näher. Hab Dich nicht so, Faustus!, befahl ich mir streng, und führte, als er mich dann wohl gesehen hatte, die rechte Faust zur Brust, salutierte schneidig vor ihm.
    "Ave Pri-... Praefectus!"
    Ups.
    "Hättest Du vielleicht einen kurzen Moment Zeit für mich, Praefectus?"
    , fragte ich in respektvollem Tonfall.

    Nach einer Weile hatte es sich ausgesungen, und ich beschloss jetzt wirklich mal ein paar Briefe nach Hause zu schreiben. Auf meinem Schild als Unterlage legte ich mir Schreibzeug zurecht, nahm ein paar leere Bögen Papyrus aus meinem (zerfledderten und angekohlten) Tagebuch, strich sie glatt und legte sie vor mich. Ich tauchte das Schreibrohr in die Tinte und begann.


    Liebe Seiana,
    sicher wunderst Du Dich von mir zu hören, und ich weiss auch gar nicht ob Du überhaupt von mir hören willst. Wenn nicht, naja, dann musst du den Brief ja nicht lesen... Ich wollte nur sagen dass es mir sehr leid tut dass ich Dich in Tarraco allein gelassen habe. Aber ich wusste wirklich nicht wie schlimm es um Mutter stand! Tante Anteia Quinta hat mir dann alles geschrieben. Auch wie Du Mutter beigestanden hast. Es ist schrecklich.
    Ich würde es verstehen wenn Du nichts mehr von mir wissen wolltest. Aber Du musst mir glauben, ich bereue es wirklich. Ich habe mich sogar zur Legion gemeldet, wie sie es immer wollte. Das mit der Künstlerkarriere war sowieso nix. Zur Prima bin ich gegangen, und schwupps war ich mitten meiner Grundausbildung schon mitten im Krieg. Aber Fortuna steht mir zur Seite, und das ist das wichtigste. Am Anfang dachte ich, ich packe es nicht, das Soldat sein. Der Drill ist echt mörderisch und manche Sachen einfach komisch, die Auswüchse der Hierarchie zum Beispiel. Aber ich hab mich durchgebissen, und mich irgendwie an all das gewöhnt.
    Zwei Schlachten habe ich schon überstanden! Richtige Freunde hab ich hier auch gefunden, und ich bin sogar ausgezeichnet worden, mit Armillae, aus der Hand des Imperators persönlich, nicht schlecht oder? Und ich denke, wir tun hier schon das Richtige, schliesslich haben die Parther ja als erste das Imperium attackiert, oder jedenfalls ein Klientelkönigreich von uns, jedenfalls wenn ich das recht verstanden habe. Wir schützen also das Imperium. Es ist ein gutes Gefühl mal etwas zu tun was einfach richtig ist und...


    Ich stockte. Das klang ja wie ein Anwerbe-Plakat für die Legion, was ich da gerade fabriziert hatte. Das meinte ich doch nicht wirklich so. Weil ich verlegen war und mich schämte gegenüber Seiana, deshalb drosch ich leere Phrasen. Ich kaute auf meinem Schreibrohr herum und dachte darüber nach wie das Soldat-sein das Denken veränderte. Die Anerkennung und die Kameradschaft fand ich toll, aber dass wir hier in einem fremden Land Leute umbrachten die uns persönlich nichts getan hatten, das nicht so wirklich. Oder gar Zivilisten wie beim Einsatz in Circesium. Das war eigentlich ziemlich abscheulich. Das knifflige daran war, dass dies alles zusammengehörte. Ich seufzte und beschloss meine individuellen Zweifel, meine "individuelle Dramatik" sozusagen, nicht en détail vor Seiana auszubreiten. Wenn sie noch immer so zornig auf mich war, oder mich abgeschrieben hatte, dann wollte sie das sicherlich nicht hören. Neuer Anlauf also. Ich strich die letzten Zeilen aus; sowieso würde ich das alles noch mal abschreiben müssen.


    ...Zwei Schlachten habe ich schon überstanden, und auch richtige Freunde gefunden. Wir ziehen immer weiter in das Partherland hinein. Du solltest die Landschaften hier sehen, sie sind meistens schroff und karg aber absolut grossartig. Ich hoffe aber dass der Imperator bald entscheidet, dass wir genug Städte eingenommen und Heere zerschmettert haben, und wir dann wieder nach Italia zurückkehren können. Ich vermisse dich, Schwesterchen, und ich hoffe es geht Dir einigermassen gut in Tarraco. Ich würde mich natürlich wahnsinnig freuen von Dir zu hören, was Du so machst und wie es Dir geht. Und grüsst Du bitte Scaurus von mir?
    Vale, Dein Faustus


    Ob ich das abschicken konnte? Ich dreht das Papyrus in der Hand hin und her und besah es unsicher. Mal sehen. Rom war so weit weg gerückt, und Tarraco erst...

    Einen nach dem anderen von uns, die wir da angetreten waren, sah der Primus Pilus an. Ich straffte mich noch etwas mehr, als ich seinen Blick auf mir spürte, und versuchte ernst und stoisch dreinzuschauen. Aber als er dann sprach - gar nicht so streng wie sonst, und des Lobes voll - da erschien ein strahlendes Lächeln auf meinem Gesicht. Ich war ja so stolz, entzückt, euphorisch geradezu, vom Primus Pilus - der für mich der Inbegriff des Soldaten war, und der Inbegriff eines Mannes dem Autorität einfach im Blut lag - gelobt zu werden! Heldentaten sagte er...
    Die Erwiderung meines Centurio liess auch mich emphatisch nicken. Oh ja, wenn die Erste Kohorte nicht so schnell und entschlossen dagewesen wäre, dann wären wir jetzt bestimmt allesamt tot, von einer Überzahl an Parthern aus der Stadt aufgerieben. Das würde sich in einer Heldengeschichte zur Erbauung und seelischen Stärkung der römischen Jugend zwar noch viel besser machen - also wenn wir bis zum letzten Blutstropfen das Tor gegen die Parther verteidigt hätten, der letzte von uns es sterbend noch für die Kameraden offengehalten hätte, und als sie in die Stadt einmarschierten seinen letzten Atemzug getan hätte... aber nein. Dies hier war das wahre Leben, und ich war dem Primus Pilus und Optio Priscus seeehr dankbar, dass sie die Centurien rechtzeitig auf den Plan gebracht hatten, und ich es noch eine Weile geniessen durfte! (Eigentlich fand ich, dass Optio Priscus hier fehlte, unter den hier versammelten Akteuren jener Nacht.) Ich bemerkte wie ein paar Soldaten zu unserer kleinen Versammlung hinübersahen, anerkennend und, wie mir schien, nicht ohne etwas Neid. Glücklich lächelnd sonnte ich mich im Glanze unseres Ruhms.

    Wir zogen durch die endlose Einöde. Immer weiter, immer tiefer in das fremde Land hinein. Auf der einen Seite sah man immer mal wieder die Mäanderschlingen des Flusses, 'Parthias grosser Strom' mit seinen fruchtbaren Ufern, auf der anderen war nur Weite. Endlos, unbegrenzt, trocken erstreckte sich die Wüste, eine windgepeitschte Ebene bedeckt mit Stein, Fels und Geröll, hin und wieder einem verdorrten Gewächs... Bis zum Horizont schweift das Augen sucht nach einem Punkt an dem es sich festhalten kann, vergeblich. Für einen wie mich, aufgewachsen in Tarraco nahe der Berge, war das beunruhigend, schwindelerregend. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass dieses Land uns einfach aufsog. Es zog einem den Boden unter den Füssen weg, machte einen klein, machte einen bedeutungslos. Wir würden immer weiter marschieren, immer weiter, und in dieser Steinwüste einfach verschwinden, vergehen wie eine dieser Luftspiegelungen wenn man sie aus der Nähe betrachten will. Nur ein paar Schritt musste man sich vom Lager entfernen, schon war man wie losgelöst, stand inmitten der Leere, hatte eine Ahnung von der Unermesslichkeit.


    Und dann das Licht! Die Sonnenuntergänge, die den Himmel in ein Meer von Feuer tauchten. Das blaue Licht am Morgen, wenn du die Zeltplane aufschlägst, das Leder knarren hörst, siehst wie jedes Steinchen einen langen Schatten wirft und die Kälte sich erst mal an dir festkrallt. Dann der goldene Schimmer wenn die Sonne höher wandert. Schnell überflutet sie alles mit ihrem Licht, es wird immer klarer, dann immer greller, hat zu Mittag eine schneidende Stärke, ein weisses Flirren darin, ein Strahlen das alles zu durchdringen scheint. Es war gar nicht mehr so heiss wie zu Beginn des Feldzuges. Aber das Licht, das Licht der Wüste... Wieder einmal wünschte ich mir, dies alles malen zu können, um es denen die in Rom geblieben waren zeigen zu können. Mit Worten kann man das nicht wiedergeben. Aber mit Malfarben wahrscheinlich genausowenig.
    Die Wüste zog mich an. Ich stellte mir vor wie ich mich verlöre, in dieser archaischen Landschaft, wie ich verschwinden würde, in ihr aufgehen, nicht einsam sondern als ein Teil der Einsamkeit selbst... es war ein träumerisches Spiel von dem ich niemandem erzählte. Nachts träumte ich andere Sachen. Von dem Feuer am Chaboras, von den toten Kameraden. Auch von meinem eigenen Sterben träumte ich ein paar Mal, es war immer der selbe Panzerreiter der mich verfolgte, mich niederritt, mich mit der Lanze tötete. Ein wirklich mieser Traum. Ich versuchte nicht zu viel drüber nachzudenken.
    Der Feldzug hatte uns alle verändert. Manchmal kam ich mir selbst fremd vor. Ich schmetterte beim Marschieren mit den anderen die Lieder, war durch meine neue Aufgabe sowieso ganz ausgelastet. Ich nahm das sehr erst, Tesserarius zu sein, und machte akribisch ausgetüftelte Wachpläne, an denen ich lange herumfeilte. Nur merkte ich schnell, dass ich es leider trotzdem niemals allen recht machen konnte.


    Eines Abends, ich war für heute fertig mit der Arbeit, nahm ich wieder mal die Flöte zur Hand, die ich einem der Maultiertreiber abgeluchst hatte. Im Schneidersitz hockte ich mich neben unser Lagerfeuer. Es war die Dämmerstunde, ein mildes Zwielicht herrschte in den Lagergassen. Ich dachte an meine Familie, an zu Hause, und spielte leise eine kleine Hirtenweise. Musca hörte mir angetan zu, er flickte gerade gewissenhaft und in aller Ruhe sein Subarmalium, mit einer Ahle, einem Stück Leder und festem Zwirn.
    Ich spielte so vor mich hin, Melodien aus meiner Heimat, und dachte dabei seit langer Zeit einmal wieder an Tarraco, früher, und auch an meine Schwester, meine liebe Seiana. Ob ich ihr vielleicht mal einen Brief schreiben sollte? Es einfach wagen? Aber was sollte ich ihr schon sagen, wahrscheinlich wollte sie nach allem was passiert war sowieso nichts mehr von mir wissen. Der Gedanke tat richtig weh. Früher waren wir meistens ein Herz und eine Seele gewesen, meine grosse Schwester und ich. Sie hat mich immer beschützt. Wenn ich allein dran denke wie sie die Fischerjungs verprügelt hat, als die mir meine neue Mütze geklaut hatten, damals, da war ich glaub ich sieben oder acht... Ich hatte sehr lange versucht jeden Gedanken an Seiana zu vermeiden, einfach auszublenden, weil es mir jedesmal so die Kehle zuschnürte, wenn ich daran dachte wie wir im übelsten Zank auseinander gegangen waren. Oder bessergesagt - wie ich einfach weggegangen war, abgehauen weil Mutter mir nicht erlauben wollte Poet zu werden. Tja, jetzt war ich doch Soldat, wie sie's immer gewollt hatte. Ob Mutter wohl stolz auf mich wäre, wenn sie noch leben würde und von unserem Bravourstück in Circesium erführe? Wahrscheinlich schon.
    Ich merkte, dass ich inzwischen, ganz ohne es zu merken, von der Melodie her auf das Lied "Von den Küsten von Britannia" umgeschwenkt war, dass wir ja so ziemlich den ganzen Tag gesungen hatten. Und weils so schön war, sangen Musca und Dasius gleich mit, und dann stimmten auch noch ein paar andere ein.
    "...und wir tragen stolz den Namen einer römischen Legion - einer römischen Legion!", erklang es vielstimmig zu meinem Flötenspiel, und dann noch die vielen anderen Strophen, eine patriotischer als die andere. Ich mochte das Lied.