Am nächsten Morgen brachen wir auf. Wir verschlossen die Hüttentüre und schlugen zu Pferd den Weg ins Tal ein. Zum Abschied beschenkten uns die Montes Lucretili mit einem milden Herbstmorgen. Hinter uns schob sich die Sonnenscheibe über die Gipfel, und das bunte Laub der Bäume säumte unserem Pfad mit blassem Gold. Wir ritten unseren langen Schatten hinterher und sprachen wenig.
Der vergangene Tag erschien mir unwirklich. Vier waren wir gewesen auf dem Hinweg. Jetzt nur noch drei. Ich hatte miserabel geschlafen in der letzten Nacht, und geträumt der rachsüchtige Geist des mörderischen Sklaven wäre aus der Schlucht herausgestiegen, um mich zu erdrosseln. Schaurig! In Wahrheit jedoch ging es meinem Hals wieder viel besser, zwar prangten an ihm fette blaue Würgemale wie eine besonders ausgefallene Halskette, aber meine Stimme war wieder zu gebrauchen, wenn auch heiser. Manius führte in sich gekehrt die Zügel seines Rosses. Liebevoll sah ich ihn, und zugleich mit anderen Augen. Ohne Zögern hatte er den irren Sklaven – der zugleich sein langjähriger... länger als wir uns kannten... Vertrauter gewesen war – in den Abgrund gestoßen. Für mich. Und ich sah, wie ihn das erschütterte, aber zugleich fand ich es ungeheuer romantisch! Ja, es war so ziemlich das Romantischste, das jemals jemand für mich getan hatte... (Wobei man bei sowas wohl keine Vergleiche anstellen sollte.) Wie in aller Welt sollten wir jetzt einfach zum Alltag zurückkehren?
Ich hatte keine Ahnung. Aber bei einer anderen Sache war ich mir ganz sicher: ich musste Armastan loswerden. Er wußte zu viel. Viel zu viel! Nicht nur kompromitierendes, damit war ja zu rechnen gewesen, auch peinliches... Undenkbar, ihn in die Casa Decima wieder mitzunehmen.
Am schlausten wäre es gewesen ihm die Kehle durchzuschneiden, aber dafür war ich nicht der Typ. Auch die sizilianischen Schwefelminen, mit denen ich gerne mal drohte, waren, nun ja, doch eher eine leere Drohung, in Wirklichkeit hatte ich noch nie jemanden dorthin geschickt. Und wenn ich ihn als Gladiator verkaufte... bestand die Gefahr, dass er siegreich überleben und berühmt wurde, und irgendwann seine Memoiren veröffentlichen würde, gewürzt mit einer pikanten Anekdote von den amourösen Eskapaden eines gewissen F.D.S., Prätorianer, mit einem gewissen M.F.G., Pontifex.
"Armastan." Ich trieb mein Pferd an, neben seines. Wir ritten auf einem Weg mit tiefen Karrenspuren und sahen am Horizont schon den Rauch der Herdfeuer von Tibur. Das Bergparadies lag hinter uns.
"Ja Herr?" Mein Custos erschien wie immer recht unbeteiligt. Ich hätte ja schon etwas Zerknirschung erwartet, schließlich hatte ein Leibwächter, der meinen Leib nicht bewacht hatte, nicht unbedingt einen Lorbeerkranz verdient. Aber Sciurus hatte uns alle hinters Licht geführt.
"Was würdest du tun, wenn du ein freier Mann wärst?"
"Frei? Heimkehren. Und wiederfinden... zurückerobern... mein... Tlwarysan... Wie sagt ihr..."
Oase? Kamelherde? Mandeläugige Herzallerliebste?
"Seele."
Aha. Na dann.
"Ich lasse dich frei, unter der Bedingung, dass du Italia auf schnellstem Wege verlässt. Ich schenke dir das Pferd, für deine treuen Dienste. Du kannst damit deine Schiffspassage bezahlen. Wenn du aber jemals zurückkehren solltest, lasse ich dir die Kehle aufschlitzen, von hier..." Ich zeigte auf sein eines Ohr. "... bis hier." Ich zeigte auf sein anderes Ohr. "Verstanden?"
Nun kam doch eine Bewegung in seine stoische Miene, Überraschung, Freude, ungläubiges Erstaunen. Er schien etwas fragen zu wollen... sprach dann aber nur:
"Ich habe verstanden. Mein Schweigen... es wäre dir auch ohne dies sicher."
"Tja, manchmal hat man eben Glück im Leben."
Verkündete ich, und zwinkerte dem edlen Barbaren gönnerhaft zu. Es war schon sehr schade, meinen Garamanten, der sich in meiner Sammlung exotischer Schöner so gut machte, so schnell wieder loszuwerden... aber ich könnte mir ja einen neuen kaufen. Er war mir nicht mal einen Bruchteil so unersetzlich, wie es das Rabenaas Sciurus für Manius gewesen war.
In Tibur rasteten wir, und dort besorgte ich mir auch Schreibzeug und setzte eine Freilassungsurkunde für Armastan auf. Er nahm sie, führte sie an sein Herz und ritt davon. Nun waren Manius und ich nur noch zu zweit, auf dem weiteren Weg zurück nach Rom.
Aus Geheimhaltungsgründen wäre es wohl besser gewesen, sich vor der Stadt zu trennen, aber nach all dem Durchgestandenen... und da es schon sehr spät war, ritten wir einfach zusammen weiter, nebeneinander auf der Via Tiburtina. Ich band mir ein Tuch um den Hals, wie ein Focale, bevor wir im letzten Licht des schwindenden Tages die Porta Viminalis durchquerten. Wir stiegen ab und führten die Pferde hinter uns. Am Fuß des Quirinal war es Zeit, auseinander zu gehen. Wie gerne hätte ich meinen Geliebten noch einmal in meine Arme geschlossen und mit Küssen überschüttet, aber dafür war hier zu viel Öffentlichkeit. Wie wir es uns geschworen hatten, gingen wir nicht auseinander, ohne das nächste Treffen zu verabreden, leise und schon jetzt wieder sehnsüchtig. In einer Woche, in der Villa Eutopia.
Berauschend schön und unvermittelt mörderisch war diese unsere "Jagdpartie" gewesen, und nun war sie zu...
