Mit einem breiten glücklichen Lächeln begrub ich die kleine Camelia-Carmelita in meiner Umarmung. Wie doch die Zeit verging. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie noch ein Kind gewesen. Aber damals schon so ausgesprochen musikalisch (meine Nichten waren überhaupt allesamt ganz ungeheuer begabt.)
"Allerdings, die Überraschung ist dir gelungen!" bestätigte ich, "Das war wundervoll!" und entließ sie auf ihren scherzhaften Protest hin lachend aus meinen Armen. Doch dann rügte mich Valentina, dafür sie nicht vorgestellt zu haben, zwar nur dezent, aber ich war doch etwas zerknirscht...
Während Valentina und Camelia sich selbst bekannt machten, nahm ich das Geschenk, das Casca uns überreicht hatte, zur Hand um es mir endlich mal in Ruhe anzuschauen, doch dann schallte schon Dives eloquenter Trinkspruch durch den Garten, mit einem – wie ich herauszuhören meinte – Unterton von Gereiztheit, und so kam ich doch noch nicht dazu, mich richtig dem Geschenk zu widmen, stellte es wieder beiseite, denn nun mußte ich natürlich auch einen Becher ergreifen, um ihn zu Ehren des Gottes zu erheben.
"Dem glänzenden Apoll!" rief ich mit den anderen, doch uns alle übertönte Licinus' kraftvoll das Peristyl erfüllende Kasernenhofstimme.
"Oh ja, was wir früher alles angestellt haben..." alberte ich mit meinem alten Kameraden herum, stumpte ihn übermütig, auf seinen Scherz von geradeeben hin, "Wir wilden Gesellen. Den Puls haben wir uns immer mit einem Pfund Schuhnägel gewürzt, damit er auch schmeckt. Weißt du noch? Die Feinde haben wir totgebissen, und um uns die Reste aus den Zähnen zu pulen nahmen wir als Zahnstocher immer die Pila muralia. Jaja, das waren noch Zeiten!"
Aber hatte Dives da gerade echt seinen ganzen Wein ausgeschüttet? Er erntete allerlei hochgezogene Augenbrauen. Aber es war ja auch nicht so verwunderlich, dass er heute abend etwas grimmig war. Schließlich sah er hier gerade, wie es auch laufen konnte, wenn man sich nicht von einer zänkischen Megäre zur Ehe erpressen ließ, sondern statt dessen eine so großartige, sanfte, gute, sittsame, kluge, würdevolle, traditionelle (doch zugleich tolerante) und wunderschöne Frau wie Valentina zur Gemahlin gewann. Voll Mitgefühl für ihn, dem seine Misere so vor Augen geführt wurde, stellte ich meinen Wein ab, griff selbst nach der Karaffe und füllte Dives höflich den Kelch wieder auf. Ebenso auch den anderen Gästen.
"Apoll gebührt die glühendste Verehrung." stimmte ich Dives verträglich zu. "Doch lasst uns auch auf Minerva trinken, vor deren waffenklirrendem Schwung der Erdkreis einst erstarrte - und dann aufatmete als sie den Speer niederlegte. Auf die weiseste Göttin, die Wirrnis zu Klarheit wandelt, die uns zu wohlbedachten Entschlüssen geleitet, und... -"
Ich sah zu Valentina, und auch ihr Blick traf mich. Wie glücklich ihre Augen funkelten. Ein Leuchten war um sie! Sanft legte ich meinen Arm um die Schultern meiner rosenbekränzten Verlobten, so sacht als wäre sie ein kleines Rotkehlchen, zerbrechlich unter dem weichen Gefieder.
"... und auf deren großem Eulenfest meine carissima Valentina eingewilligt hat, wirklich und wahrhaftig meine Frau zu werden."
Strahlend drückte ich ihr einen Kuss aufs blonde Haar, zwischen die duftenden Rosen.
"Der helläugigen Minerva!" rief ich, den Kelch erhebend, einen Opferschluck vergießend, dann bot ich den Kelch erst Valentina an bevor ich selbst daraus trank.
"Aaaaber," fuhr ich fort, denn nun war ich gut in Schwung, und zuviel minervagesandte Klarheit war einem Fest ja auch nicht unbedingt zuträglich,
"Um die Trias des Abends vollständig zu machen, sollten wir nun dringend auch dem Bacchus unsere Huldigungen zukommen lassen!
Io Bacchus, tanzender Gott, nächtlicher Thyrsusschwinger," schmetterte ich, den Kies mit einem weiteren reichlichen Schluck tränkend,
"feueratmender Sterne Chorführer, den so mancher den größten aller Götter nennt!
Lass uns dir huldigen indem wir deinen Gaben die höchste Ehre erweisen!"
Es wurde weiter ausgeschenkt und reichlich aufgetischt, viel am Meeresfrüchten, Pasteten und knusprig Gegrilltem. Weitere Gäste kamen hinzu, unter anderem die gute Matrone Ursania Dentata, die uns förmlich gratulierte, dann mein Libertus Ravdushara und mein Serapisgefährte Castus, mit Auloi und Tambura behangen, der sich, in seinem schlichten leinernen Tempelgewand und mit seinem bis auf eine einzelne Strähne rasierten Schädel, interessant von der Festgesellschaft abhob.
Nachdem der Massiker geleert war, servierte unser kleiner Mundschenk Silas uns einen feurigen Spitzen-Caecuber, dessen Würze er mit etwas Honig verfeinerte... Doch bevor er ihn ebenso verdünnen konnte wie den vorigen Wein, hielt ich ihn auf und forderte die Gäste übermütig auf:
"Lasst uns jetzt den Rex bibendi dieses Abend wählen! Oder die Regina bibendi! Sagt, wer soll die Majestät sein? In wessen Hände sollen wir dieses hochedle Amt legen?!"
Die vornehmste Aufgabe des Trinkkönigs war es ja bekanntlicherweise, das Mischverhältnis zwischen edlem Wein und Wasser zu bestimmen (nur Barbaren soffen den Wein pur), dazu hatte er auch weitreichende Vollmachten uns alle zu fröhlichem Unsinn, Wettrinken, Spielen und Unterhaltung, sei sie geistreich oder flach, tiefsinnig, albern, oder alles zugleich, zu verleiten.....
Bei all den Gästen hatte ich längst den Überblick verloren – doch einer stach heraus, noch weit mehr als Tempelbruder Castus. Das war doch... Valentinas Ex-Verlobter. Der Germanicus, Germanicus Aculeo. Verblüfft sah ich ihm entgegen. Er hatte, wie soll ich sagen, durchaus etwas unheimliches an sich, dieser Überraschungsgast. Halb schützend, halb besitzergreifend legte ich wiederum den Arm um meine Verlobte, raunte ihr leise zu: "Hast du ihn eingeladen?"
Trotzdem begrüßte ich ihn höflich (er war ja auch höflich zu mir gewesen, bei unserer seltsamen Begegnung damals):
"Salve Germanicus Aculeo. Ähm... Willkommen, und hab Dank für deine Glückwünsche" Ich reichte auch ihm einen Kelch Caecuber. "Es hieß du hättest die Stadt verlassen? Nun, am Ende kehren wir doch alle immer wieder zurück, nicht wahr?"