Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Was hatte er denn jetzt auf einmal? Er war es, der sich angeschlichen hatte, obwohl er doch genau wußte, dass ich bei sowas überhaupt gar keinen Spaß verstand...
    ...
    Naja. Eigentlich war mir schon klar was er hatte.
    Mit langem Gesicht sah ich von ihm zu dem Korb und wieder zurück. Meinte er jetzt: eine Verwendung für die leckeren Sachen im Korb, oder meinte er: für die die le...- ähm, will sagen, überteuerten Sklaven des Händlers?
    "Borkan..." sprach ich beschwichtigend, meine Stimme dämpfend, denn dies hier ging niemanden ausser uns etwas an, "Borkan... Jetzt warte doch mal, komm schon, bitte, jetzt lass mich doch nicht einfach stehen..." Sachte legte ich ihm die Hand auf den Arm.
    "Hör mal, es tut mir doch leid, ich bin einfach... schreckhaft bei so was. Ich muß jetzt in die Castra, aber... sehen wir uns heute abend? Kann ich dich zum Essen einladen heute abend? In aller Ruhe, dann, dann können wir auch viel besser reden als, ähm, hier... also.." Zerknirscht schlug ich ihm eines meiner Lieblingslokale vor, die exotische Caupona: "Im Irem auf der Tiberinsel? Zur Hora dudecima? Ja...?"

    Meine Argumente trafen auf taube Ohren. Ich verschloß ein Seufzen tief in meiner Brust, als ich erkannte: Unser lächelnder neuer Kaiser, Liebling der Götter, schien sich für unverwundbar zu halten. Was gab es schöneres als Leibwächter, als für die Sicherheit von jemandem verantwortlich zu sein, der in einer Schlangengrube Vertrauen über Sicherheit stellte.
    "Meine Männer werden dich und deine Familie mit Leib und Leben verteidigen, zu welchen Mitteln deine Feinde auch greifen mögen. Wenn du es ihnen nicht gestattest, ihre Rüstungen zu tragen, dann werden sie dich selbstverständlich auch mit blanker Brust schützen." antwortete ich ernst. Wen interessierte es schon, ob ein Prätorianersoldat abgestochen wurde, Hauptsache die zimperlichen alten Senatoren fanden nichts zu meckern.
    Weiterhin gab ich höflich zu bedenken:
    "Bräuche ändern sich mit den Jahrhunderten. Du bist als Kaiser des Reiches ungleich mehr als ein Konsul, bist zugleich Oberbefehlshaber des Exercitus romanus. Diesen Aspekt, und die dir daraus entstehende Herrschaftsmacht, auch symbolisch im Auftritt deiner Eskorte auszudrücken, würde lediglich das Ausmaß deiner Stärke darstellen, und einem starken Kaiser schenken die Bürger gerne ihr Vertrauen. - "
    Ein jeder Römer von heute wußte doch, wie sehr die Rede vom "Ersten unter Gleichen" Augenwischerei war.
    "Auch die Stadtkohorten patrouillieren ja mittlerweile gerüstet durch die Stadt, ohne dass Anstoß daran genommen wird. Weil es praktikabler ist, Stärke zeigt, Übergriffe von vorneherein massiv abschreckt. Soldaten im Friedenskleid sind etwas Schönes in goldenen Friedenszeiten, doch wie du selbst sagtest, Imperator, die Wunden des Krieges sind tief, das Reich noch immer zerrissen. Die Gefahr einer weiteren Verschwörung, eines weiteren Putschversuches durch die Frevler unter den Senatoren, die sich in der Vergangenheit daran gewöhnt haben, ihnen mißliebige Kaiser mitsamt Familie ungestraft zu ermorden, diese Gefahr ist real."
    Sah er das denn nicht? Kassandra, arme Kassandra, du Schwester im Geiste, ich kann nachvollziehen wie dir das damals ging... Als sie das Pferd in die Stadt zogen, und alle dir sagten: Hab doch Vertrauen, stell dich doch nicht so an, was soll schon sein.
    "Darum möchte ich dich, bei allem Respekt Imperator und allein im Hinblick auf deine und deiner Familie bestmögliche Sicherheit respektvoll darum ersuchen, Vertrauen nur denen gegenüber an den Tag zu legen die es verdienen... Und vielleicht, wenn es dir genehm ist, dir auch die Frage des Zivilkleides in diesem Lichte noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen in den nächsten Tagen, eventuell auch eine etwas flexiblere Regelung in Betracht zu ziehen, bei der dem Pomerium ebenfalls der gebührende Respekt erwiesen wird, doch auf andere Weise, etwa durch eine spezielle Lustratio für die Gardisten die dort Dienst tun, oder durch einen weißen Mantel über dem Harnisch, der diesen und die Waffen größtenteils verdeckt, und somit, ohne die Kampfkraft zu schmälern, der ehrwürdigen Tradition symbolisch genüge tut? Oder etwas ähnliches."
    Tiberius Aquilius Severus Augustus, strahlende Hoffnung Roms, war es dem Reich verdammt noch mal schuldig, alles zu tun um sich nicht ermorden zu lassen! Und dazu gehörte es auch, die Garde einfach ihre Arbeit machen zu lassen, anstatt zuallererst unser unter den vorigen Herrschern entstandenes Gewohnheitsrecht zu beschneiden.
    "Finden die anderen Sicherheitsmaßnahmen von denen ich sprach deine Zustimmung?"

    "Die Fakten sprechen für sich, Imperator." bemerkte ich trocken. Treue wem Treue gebührte. Und einem Palma-Funktionär wie Maevius, der in seiner Hohlheit und personalen Substanzlosigkeit – Eigenschaften, die die Zeit seines Aufstieges ja reichsweit geprägt hatten - nur ein Hemmklotz für das Wohl der Garde und den Weg deutlich besserer Männer war, dem gebührte nur eines: auf dem Müllhaufen der Geschichte zu landen. Natürlich lag eine unfreiwillige Komik darin, dass ein Sich-raus-Halter wie Aquilius - der berühmte Bezwinger der Daker, der tatenlos zugesehen hatte, als Palmas Aufständische gegen Rom gezogen und die Ewige Stadt geschändet hatten - mir jetzt etwas von Loyalität meinte erzählen zu können. Doch ich goutierte diese Komik still und nahm lediglich einen etwas angespannteren Schluck des vorzüglichen Weines. Ich war ja Profi, nicht wahr? Und ich wollte zurück zur Macht.
    Zumindest auf die Idee, unser Fahnenheiligtum zu beehren, sprang Aquilius an. Das würde den Männern gefallen. "Verstanden Imperator."


    Während ich meine Gedanken ordnete, um ihm auf seine zweite Frage umfassend Antwort zu geben, fuhr der Imperator schon fort. Erleichtert stellte ich fest, dass meine Worte eben wohl doch nicht, wie es zuerst geschienen hatte, überhört worden waren – er stimmte der Rekrutierungsoffensive zu. Gut. Vielleicht könnte ich ihn ja überzeugen, Schirmherr der Wettkämpfe zu werden, die ich auszurichten gedachte. Wenn es soweit war.


    Als ich von Traditionen gesprochen hatte, hatte ich gewiss nicht die antiquierte Toga-Tradition im Sinne gehabt. Symbolik in allen Ehren, doch der Imperator schien mir etwas arg sorglos...
    "Ich verstehe, Imperator. Die Heiligkeit des Pomeriums ist ein hohes Gut. Wenn du erlaubst, möchte ich zu bedenken geben, dass es, dessen eingedenk, doch wichtig ist deinen persönlichen Schutz angepasst an die Sicherheitslage zu gestalten. Die Männer der Garde stehen bereit, dich jederzeit mit Leib und Leben gegen einen Angriff zu beschirmen – und vermögen dies in stählernem Harnisch noch weitaus effektiver als mit blankem Leib. Stärke zu demonstrieren steht auch einem Wahren Herrscher wie dir, bei dem der Verdacht der Tyrannei fern liegt, gut zu Gesicht, und die jüngere Vergangenheit hat ja leider gezeigt mit welch leichtfertiger Frevelhaftigkeit sich manche der Mächtigen des Reiches über die Heiligkeit des Pomeriums hinwegsetzen, und auch dort nicht vor Blutvergießen zurückschrecken. Manche der Männer, die sich dieses Frevels schuldig gemacht haben, besetzen noch immer hohe Positionen, stehen ständig dicht in deiner Nähe."
    Namen mußte ich da wohl keine nennen.
    "Wenn ich es einmal drastisch ausdrücken darf, Imperator: du bist im Senat umgeben von Männern, die sich schon einmal die Hände mit dem Blut eines römischen Kaisers und seiner Familie befleckt haben, die dieses absolute Tabu gebrochen haben, weil sie mit manchen Entscheidungen des Kaisers nicht einverstanden waren. Du bist umgeben von Männern die dann auch seinen Nachfolger gewaltsam stürzten. Es ist wohl anzunehmen, dass diesen Männern der Gedanke, so einen Frevel noch ein weiteres mal zu begehen, so sie meinen, Anlass zur Unzufriedenheit zu haben..." Und welcher Herrscher mußte nicht mal auch unpopuläre Entscheidungen treffen. "...nicht gänzlich fern liegen dürfte. - So wie man einen Hund, der einmal - oder gar zweimal! - schon seinen Herrn gebissen hat, nicht frei laufen lassen wird..." Sondern totschlagen. Aber das schien er ja nicht vorzuhaben. "...so würde ich an deiner Stelle gegenüber diesen Personen stets wachsam und auf größte Sicherheit bedacht sein."
    Jetzt sprach ich natürlich nicht mehr nur von der Ausrüstung der Prätorianer...
    "Damit meine ich zum einen den bestmöglichen persönlichen Schutz für dich und deine Familie durch eine starke und wenn von nöten auch wohlgewappnete Garde, durch genaue Überprüfung der Menschen, die in deine Nähe kommen, durch sorgfältige Auswahl der Dienerschaft, und auch durch Vorkoster, die sich routinemäßig immer erst einmal vergewissern dass du deine Speisen und Getränke auch bedenkenlos zu dir nehmen kannst.
    Natürlich rate ich auch entschieden dazu, die Männer, die jene Frevel gegen deine Vorgänger begangen haben, von Positionen, die militärische Schlagkraft beinhalten, fern zu halten. Sowie, sie genau im Auge zu behalten, damit, falls der Funke des Aufstandes gegen dich entspringen sollte, dieser sofort ausgetreten werden kann, bevor er eine weitere verheerende Feuersbrunst entfacht."

    Der Schoß war fruchtbar noch, aus dem dies kroch.
    "Ich habe deine inspirierende Rede vernommen, Imperator, und ich sehe deine Vision von der Überwindung der Kluft, die der Bruderkrieg durch das Reich geschlagen hat, von der Versöhnung des Reiches, hin zu Stärke und Einheit. Ich will dies mit dir tragen, und meinen Beitrag dazu leisten, ohne die wertvollen Lektionen der Vergangenheit dabei ausser Acht zu lassen. Um deine Vision zu verwirklichen, den Frieden zu festigen und Rom zu neuer Einigkeit zu führen, muß zuallererst deine Sicherheit und die deiner Familie gewährleistet sein. Denn alle Hoffnungen verkörpern sich in deiner erhabenen Person, ruhen auf deinen Schultern."
    Wenn auch ihn jemand ermorden würde, und wieder Krieg ausbräche, das wäre der allerschlimmste Albtraum...





    edit: Satzbau...^^

    Zu Tode erschrocken von diesem plötzlichen Überfall zuckte ich zusammen, wirbelte blitzschnell herum und packte den Mann hinter mir kräftig am "Waffenarm", während meine andere Hand ganz von allein zum Pugio fuhr.
    "Bei Plutos stinkendem Atem!" fluchte ich, als ich sah, und mir überhaupt erst klar wurde, wer sich da angepirscht hatte. Kein Attentäter, von einem meiner Feinde gesandt, sondern: Borkan, mein Liebster.
    "Was zum Cerberus fällt dir ein, dich so anzuschleichen?!" fuhr ich ihn aufgebracht an, selbst erschrocken, dass ich ihn so gepackt hatte, dann ließ ich ihn mit einer gemurmelten Entschuldigung los, nahm die Hand vom Dolch, und wies meine Leibwächter zornig zurecht:
    "Wofür, bei allen Keren,bezahle ich euch eigentlich, ihr Galgenstricke? Damit ihr Löcher in die Luft starrt?!"
    Was hatte Borkan gesagt – Appetit für den Abend? Hatte er das eben etwa mitbekommen?! Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoß, eine Schamesröte, die sich nicht allein aus dieser eher harmlosen Begebenheit geradeeben speiste. Na großartig. Mies hatte der Tag begonnen, und wurde immer mieser.
    "Darf ich mich nicht mal nach ein paar neuen Sklaven umsehen?" erwiderte ich unduldsam. "...Was führt dich denn hierher?"

    Früher, da hatte ich die Nächte durchfeiern, und durchzechen können und am nächsten Tag gleich frisch und fröhlich weitermachen können (zumindest in meiner Erinnerung), aber diese Zeiten waren wohl vorbei... mit solch unlustigen Gedanken in meinem matten Schädel kam ich schleppenden Schrittes von meinem Dienst, der heute alles andere als die reine Freunde gewesen war.
    Im Gang vor meinem Zimmer traf ich auf meine Schwester. Gestern erst war sie ja angekommen, und wie ich sie nun wieder erblickte, die so lange fort gewesen und so schwer vermißt worden war, zog ein warmes Lächeln auf meinem Gesicht auf.
    "Schwesterherz...! Schön dich zu sehen!"
    Ich zückte einen Schlüssel und öffnete das höchst moderne Schloss, mit dem ich die Türe meines Zimmers stets versperrte wenn ich nicht da war.
    "Ähm... magst du reinkommen? Ist aber nicht so wirklich aufgeräumt."
    Um genau zu sein, hatte sich das Chaos, das aus meinem dringenden Mangel an einem vertrauenswürdigen neue Leibsklaven einstanden war, mittlerweile springflutartig im ganzen Raum verteilt. Es störte mich ja selbst, aber ich hatte immer viel wichtigeres zu tun. Trotzdem ließ ich Seiana hinein, schließlich kannte sie alle meine dunklen Geheimnisse schon, und würde sich wohl auch hiervon nicht erschüttern lassen. Ich räumte ihr einen Sitzplatz frei, und begann meine Tribunenkluft abzulegen.
    "Wie geht es Silana? Ich wollte gestern wegen der vielen Ohren nicht fragen. Geht es ihr gut?"

    Prompt empfahl der Centurio mir einige seiner Milites als Gardekandidaten. Ich ließ meinen Beneficiarius die Namen notieren. Auf diese Männer würde ich ein Auge werfen. Ich nickte erfreut, als Iunius mir den Bericht anbot. Je mehr Auskünfte um so besser.
    "Gern!"
    Doch es blieb nicht dabei. Ich meinte einen Anflug von Zögern zu erkennen, dann schlug er mir seinen Optio vor.
    "Optio Titus Germanicus Antias." wiederholte ich nachdenklich. Aber sicher erinnerte ich mich an den kantigen jungen Mann, damals Miles, der mich dort hinter den Kulissen aufgespürt hatte. Den Schreck den er mir da eingejagt hatte, den würde ich wohl mein Lebtag nicht vergessen. Auch an den alerten Blick, mit dem er das Geschehen verfolgt hatte, erinnerte ich mich und daran wie es ihm gelungen war, als Iunius und ich noch damit beschäftigt gewesen waren, wie die Steinböcke in den Pyrenäen die Hörner gegeneinander zu knallen, durch eine höfliche Frage nach meiner Expertise die Lage in deutlich sachlichere Gefilde zu wenden. Hmm... Interessant!
    "Er hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, ja."
    Darauf bedankte mich ehrlich bei Iunius, das sprach ja schon von Größe mir so freigiebig Vorschläge zu machen. "Danke Centurio! Wir werden sehen."
    A propos Theater:
    "Das bringt mich gleich zum zweiten Punkt. Was gibt es neues, bei den Ermittlungen über die wir damals sprachen ?"

    "Tu das. Aber Bona Dea, Casca! Es geht hier nicht um eine Herzensangelegenheit, sondern darum wo du dem Reich am besten dienen und deiner Familie Ehre machen kannst!" rückte ich meinem verträumten Cousin energisch den Kopf zurecht. Es war ja nun nicht so, dass ich ihn nicht irgendwie auch verstanden hätte. Aber gerade darum, gerade weil diese Weichheit, die ich auch einmal besessen hatte, mir sub aquila ausgetrieben worden war, wollte ich ihm solche Flausen nicht durchgehen lassen. Wirklich ein Jammer, dass Casca nicht zum Rekruten taugte – der Schliff dort hätte auch ihn ganz fix aus den Wolken runter ins wahre Leben purzeln lassen.


    "Nepomuk, bring uns bitte etwas Obst. Pfirsiche, wenn welche da sind." wies ich seinen Sklaven an. Und fuhr, sobald er entschwunden war, mit der Lebenslektion fort:
    "Das Herz ist ein schlechter Ratgeber, Cousin Casca. Rate mal, wohin mein Herz in meiner schwärmerischen Adoleszenz so feurig hinstrebte" Mit einer flüchtigen Kopfbewegung zu seinem Ovid verriet ich es ihm: "Unter uns gesprochen, Casca: Ich wollte unbedingt Poet werden, damals. Ich sah mich schon emporgehoben, wie Bellerophon auf des Pegasus Rücken, im Wahren und Klaren nach dem Wesen der Schönheit jagen, sah mich Verse schmieden, die selbst Steine zum Weinen bringen würden. - Naja." Mit einem spöttischen Auflachen setzte ich meinen Becher an die Lippen und trank einen guten Schluck. "Ich bin heilfroh, dass ich nicht dieser 'Neigung meines Herzens' gefolgt bin, sondern etwas vernünftiges getan habe, sonst wäre ich heute nämlich nur ein schlechter Poet unter tausenden. So habe ich mein wahres Können entdeckt, Rom an vielen Fronten wacker verteidigt, habe die Höhen der Militia Equestris erklommen, weiter als ich es mir je hätte erträumen können." (Meine allerkühnsten Träume waren immer gewesen: Kommandant einer Ala miliaria, wie Onkel Magnus.) "Und nebenbei verdiene ich ein Heidengeld."
    (Gefallen war ich zwar auch, tief, aber das tat jetzt nichts zu Sache.)
    "Lange Rede, kurzer Sinn: Lass das seufzen, lass das viele denken, mach einfach.-"
    Und wenn ich gerade schon mal dabei war...
    "Und was deinen Leibsklaven angeht: du mußt die Zügel straffer halten. Wenn man euch beide sieht, dann fällt gleich auf, dass nicht du es bist, der den Ton angibt. Sklaven brauchen Führung. Sonst schwingen sie sich nämlich auf und übernehmen diese Rolle selbst, ohne böse Absicht, vielleicht sogar, weil sie glauben uns beschützen zu müssen - aber so kommt alles durcheinander. Sklaven sind, auch wenn es immer wieder schwer fällt sich das klar zu machen, keine Freunde. Auch wenn das manchmal so scheint, auch wenn es verlockend ist sie so zu betrachten. Sie können gar keine echten Freunde für uns sein, denn sie sind in jeder Hinsicht abhängig von uns. Ich sage nicht, dass du deine Sklaven schlecht behandeln sollst, nein, aber gib ihnen klare Anweisungen, sorge dafür, dass diese auch befolgt werden, belohne gelegentlich, bestrafe wenn nötig, bestehe darauf dass sie dir den gebührenden Respekt erweisen, indem sie sich korrekt verhalten."

    "Jawohl Imperator."
    Die Kolonne formte sich auf meinen Befehl, die langen Kerle der Ersten Centurie marschierten stramm vorneweg und bahnten die Schneise über die Länge des Forums. Ehrfurchtsvoll umrahmt wurde die kaiserliche Familie in die Mitte des Zuges genommen, das Tempo ihrem würdevollen Schreiten angepasst.
    Mit dem Tschingderassa-Tröt-Tröt der Tubae und Cornua ging es durch die jubelnde Menschenmenge, in der sich Hälse reckten, Hände winkten, Augen groß wurden, Kinder auf die Schultern gehoben wurden, jeder noch einen Blick erhaschen wollte. Viele schlossen sich auch am Ende der Kolonne an, um den Zug zu begleiten, der dann zwischen dem Vestatempel und dem Tempel von Castor und Pollux das Forum verließ, und der Straße, welche sich von da zum Palast hinauf wand, folgte...

    "Das werde ich tun." Das war ja praktisch, dass der Procurator a libellis auch die rustikalen Genüsse des Lebens zu schätzen wußte. Ich würde gleich nachher zu unserer alten Kellermeisterin gehen, und einen unserer schönsten Tempranillo-Weine auf den Weg schicken. Es ging ja sowieso mehr darum, dem Empfänger einen Hinweis zu geben, dass ich mir dessen, dass eine Hand die andere wusch, durchaus bewußt war.


    "Noch etwas anderes würde ich gerne besprechen. Es geht... um eine Person, die auch unter deinem Patronat steht, aber viel kürzer. Sergia Fausta. Ich habe einiges bedenkliches über diese Frau erfahren." begann ich vorsichtig. Manches mal kam ich mir vor wie eine (männliche, römische) Kassandra. Immer dabei, unschöne Wahrheiten auszusprechen, die keiner hören wollte. Aber das war wohl mein Los. Zu ermitteln, das bedeutete eben auch, die Steine aufzuheben und von allen Seiten zu betrachten, und an der Unterseite der Steine klebten ja oftmals irgendwelche Asseln und bleiches Gewürm.
    "Schon vor längerem hatte ich mitbekommen, wie sie einen Freund von mir skrupellos erpresst hatte. Später dann hörte ich von dem Prozess, den sie gegen den jüngeren Senator Germanicus geführt hat. Ich war nicht dabei, wahrscheinlich weißt du da mehr, aber alle die davon sprachen, meinten, dass es da um eine belanglose kleine Lex-Mercatus-Geschichte ging, um eine lächerlich geringe Summe, und es den Anschein machte, als würde Sergia das Gericht mißbrauchen, um eine persönliche Fehde austragen."
    Ich mochte den Germanicer ganz und gar nicht, aber als ich das gehört hatte, da hatte er doch ein bisschen mein Mitgefühl. Einfach furchtbar, dieses Weib.
    "Und nun ist vor einiger Zeit ein syrischer Händler auf dem Markt ermordet worden, am hellichten Tage, von einem Meuchelmörder der sich seltsamerweise sofort danach selbst erstochen hat. Ich habe etwas nachgeforscht in der Sache, und auch mit den ermittelnden Urbanern gesprochen. Es ist eine lange Geschichte, anscheinend eine komplexe Intrige. Hast du denn noch etwas Zeit, jetzt? Dann erzähle ich sie dir gerne in allen Details. Die Quintessenz meiner Nachforschungen ist: es sieht ganz so aus, als habe die Sergia diesen Händler ermorden lassen, weil er ein Gerücht, möglicherweise auch eine Tatsache, über die mangelnde Sittsamkeit ihrer Stieftochter, damals Vestalin in spe, mittlerweile Vestalin, verbreitete. Und es sieht auch so aus, als habe Sergia die Inszenierung mit dem Attentäter, der sich gleich darauf selbst tötete, genutzt, um den Verdacht auf jemand anderen, unbescholtenen, abzulenken. Ganz und gar eindeutige Beweise habe ich leider nicht gefunden, die Urbaner ermitteln auch noch, aber die Indizien sprechen sehr stark dafür, dass Sergia tatsächlich die Urheberin dieser schmutzigen Intrige ist."

    "Seiana!!" jauchzte ich, und fiel meiner Schwester um den Hals, überglücklich dass sie den Weg auf sich genommen und es hierher zu uns geschafft hatte. "Das ist ja furios! Ich dachte schon du könntest dich von deinem ländlichen Idyll gar nicht losreißen. Ich freu mich so!"
    Ich drückte sie an mein Herz und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie wirkte verhalten, mußte wahrscheinlich, wie das so ist wenn man von draussen in eine schon feuchtfröhliche Gesellschaft hineinstolpert, erst mal ein bisschen auftauen.
    "Meine wundervolle Verlobte Quintilia Valentina – meine großartige Schwester Decima Seiana" stellte ich die beiden fröhlich einander vor, und mächtig stolz dazu, auf die eine so wie auf die andere: "Ich habe Valentina schon von dir erzählt, Schwesterherz, es ist nämlich so, stell dir, vor, dass sie dem Haus ihrer Gens vorsteht, hier in der Stadt, und alles am Laufen hält, genauso wie du es früher so lange hier in der Casa gemacht hast."
    Jetzt brauchte Seiana erst mal etwas zu trinken: "Hier..." drückte ich ihr einen Kelch Caecuber in die Hand. Und einen Festkranz brauchte sie auch... Ich suchte einen aus Olivias Korb aus, die Auswahl war zwar nicht mehr so groß, ich fand aber noch einen sehr schönen aus Lilien, mit goldgelben, sich in elegantem Schwung wölbenden Blüten, aus deren feuerrot angehauchtem Ursprung sich bebende feine Staubfäden erhoben. "Und hiermit...", ich krönte Seiana damit, und verkündete auch ihr, übermütig grinsend "...wirst auch du dem Genius des Festes geweiht!"
    Natürlich hätte ich sie gerne gefragt, wie es meiner umwerfenden kleinen Silana-Nichte ging, aber das mußte ich mir wohl für später aufheben.
    "Wie war deine Reise? Sieh nur wer alles hier ist! Ich hätte echt nicht geahnt... wie viel Liebe die Welt einem schenkt sobald man mit ihrem Strom schwimmt..." vertraute ich ihr nur halb ironisch mit gedämpfter Stimme an. "Warte, ich muß dir noch jemanden vorstellen..."
    Und Valentina bat ich lächelnd: "Entschuldige mich bitte einen Augenblick, Carissima."
    Die beiden, die sich sicher bestens verstehen würden, so viel wie sie gemeinsam hatten, kurz verlassend, trat ich an den Rande des Geschehens zu: na wem wohl, Borkan. Ich setzte mich neben ihn auf die halbrunde Bank, und hob meinen Kelch, stieß nun endlich richtig, nicht nur aus der Entfernung mit ihm an, trank einen Schluck.
    "Corazón" nannte ich ihn leise, "Alles in Ordnung?" Gut, die Frage war vielleicht etwas hochgegriffen... "...soweit? - Meine große Schwester ist gerade angekommen, ich möchte dich gerne mit ihr bekanntmachen. Kommst du?"

    Dagegen war ich machtlos.


    "Manius, was... -


    "... wir sollten besser nicht... -"


    "Mhmmm.... aber.... -"


    "Lass... nein... ja.... komm... hier?... ja..... -"


    "...so... gut... -"


    "...Oh Manius!"


    "......"


    Dagegen war ich machtlos. Ich war sein. Und als ich mich endlich von diesem Tisch aufrappelte – von seinem höchst seriösen Schreibtisch, in seinem geheiligten Officium, in dem er mich früher nicht mal hatte küssen wollen, und auf dem die Wogen unserer Leidenschaft nun ein herrliches Chaos hinterlassen hatten – da war ich auf eine ganz irrsinnige Weise glücklich, so leicht und frei war ich wie ein Tänzer auf dem Seil ganz ungeheuer oben, und leise lachend zog ich meine Tunika zurecht, schlang die Arme um ihn. Die Reue konnte später kommen, würde später mit aller Macht zuschlagen. Jetzt aber ließ ich mich durchglühen von dem Strahlen unserer Seligkeit.
    "Ich liebe dich auch, Manius. Immer!"
    Draussen rauschte der Regen. die Schönheit des wahren Seienden erblickt Wie er doch immer die wunderbarsten Worte fand. Ich wollte nicht reden. Nur meine Augen schließen, meinen Kopf an seine Schulter legen, und so verharren. Für immer. Oder zumindest solange wie möglich. Solange eben bis es auffällig würde, dass mein Besuch sich so lange hinzog und ich würde nach hause gehen müssen...


    Auf Manius Erklärung war ich nicht gefasst. Ich war auf überhaupt nichts gefasst gewesen, von dem was geschehen war, seitdem ich das Siegel seines Briefes gebrochen hatte.
    Das Korrelat seiner Seele... Mich wählen...?"
    Mir wurde schwindlig, mein Atem stockte. Unzählige Male hatte ich mir dies hier gewünscht, es mir vorgestellt, sehnsuchtsvoll vor dem inneren Auge ablaufen lassen... und dann brach der Krieg mit all seiner Verheerung herein und es war aus mit uns gewesen, und Borkan war es, der meine Gebeine aufgesammelt und erneut mit Fleisch umkleidet und mir neuen Atem eingehaucht hatte, und nun stand ich hier, überwältigt, und mit einem mal lag die alte Sehnsucht zum greifen nah vor mir... und ich bekam eine Scheiß-Angst.
    Bedenke gut, was du dir wünschst, es könnte wahr werden. Alles um uns herum rückte weit, weit fort, die Wände des Hauses öffneten sich, bogen sich beiseite, und Manius und ich standen allein zu zweit in einer schwarzen Unendlichkeit. Ferne Sterne taumelten vorüber. Ein kalter Schauer lief über mich, ich trat ganz dicht an ihn heran und suchte seinen Halt, barg mein Gesicht an seinem Hals, in seiner Nähe, seiner Wärme, dem geliebten Geruch seiner Haut.
    "Es geht nicht" flüsterte ich bang, "Ich wage es nicht. Ja, ich habe es dir zum Vorwurf gemacht, die Heimlichkeit, aber im Grunde... bin ich derjenige, der es nicht wagt. Ich habe Angst. Sie würden sich wie Hyänen auf uns stürzen. Sie alle. Niemanden zerfleischen sie lieber, als die, zu denen sie einmal aufgesehen haben. Ich weiß was es heißt geächtet zu sein. Damals dachte ich zuerst auch es würde mir nichts ausmachen. Ich hatte ja meine Ehre mir bewahrt, und ich dachte das wäre genug, und wir, wenn wir das wirklich tun würden, wir hätten unsere Liebe die uns umgiebt - aber dann, Stück für Stück, schabt es einem doch den stolzen Harnisch weg, wenn alle sich abwenden, immer wieder, und wenn die, die du für Freunde hieltest, dich fallen lassen, und dann schabt es dir Stück für Stück die Haut immer dünner, und irgendwann stehst du bloß und wund, wenn die Gespräche verstummen sobald du hinzutrittst und hinter deinem Rücken gehässig wieder aufflammen, wenn die Familie schwer an der Last trägt einen wie dich... solche wie uns... in ihrer Mitte zu haben. -
    Die Worte hetzten furchtsam und leise aus meinem Mund. Ich bewegte mich nicht. Mein Kopf lag an seiner Schulter. Es war unausweichlich dass wir auseinander gehen mussten, aber jetzt, jetzt in diesem Augenblick war er mir so nahe, konnte ich ihn spüren.
    "Die Familie." flüsterte ich stockend, "Wir haben beide Menschen, die sich auf uns verlassen, deren Wohlergehen von uns abhängt, und du bist Senator, hochangesehen, bald Konsul, es ist deine Berufung... Und ich, ich fasse gerade wieder Fuß in der Garde, endlich wieder, und ich will und werde sie zu ihrem alten Glanz zurückführen. Und... heiraten werde ich, und... Ich bin mit Borkan zusammen. Ich kann ihn nicht fallen lassen. Ich will ihn nicht im Stich lassen. Ihn so verraten. Ich kann doch nicht einfach, ich meine, wir können doch nicht einfach alles, ALLES hinter uns lassen und...... Ich meine, was sollen wir denn tun – durchbrennen?!"

    Nachdem wir die Augusta in allen Ehren hierhergeleitet hatten, übernahm ich wieder den Befehl über die ganze Abteilung, ließ sie auf die Bewegungen der kaiserlichen Familie reagieren und sich um die Rostra herum formieren. Ich bezog Position rechts des Karrees, der Trecenarius links. Vom Pferderücken aus überblickte ich das Forum, hörte die Rufe und Gesprächsfetzen. Der Auftritt der Kaiserin bewegte die Gemüter besonders. Gewagt war er gewesen, das stand fest, doch dass die Menschen sich mehr über diese Fußnote des heutigen Tages ereiferten als über das historische Geschehen, war bezeichnend.
    Der Kaiser hielt eine Rede, kurz, kraftvoll und absolut mitreißend. Es war als spräche er tatsächlich zu einem jeden einzelnen Bürger Roms, als beschwöre und erwecke er hier und jetzt erneut die Urkräfte, die unser Reich so groß und stolz gemacht hatten.
    (Jedoch wäre seine Rede noch weit vortrefflicher gewesen, hätte er nicht, mit dem germanischen Pöbelbarbaren, ausgerechnet diesen Schandfleck der Palmazeit als einen der besten Männer angeführt. Da erstarrte zeitweilig nicht nur mein Gesicht in Unglauben.)
    Aber wie auch immer. Alles andere gereichte dazu, Begeisterung und Zuversicht zu wecken, für unseren neuen Herrscher, für einen Kaiser mit dem Rom durch dick und dünn gehen konnte, und voll Hoffnung applaudierte auch ich, in dem frenetischen Jubelsturm der sich über dem Forum erhob, und rief, und gab den Soldaten den Ruf vor:
    "IMPERATOR AQUILIUS VIVAT!!!
    AUGUSTA VIVAT!!!
    CAESAR VIVAT!!!"

    schmetterten die Prätorianer.

    Was wußte so ein Püppchen schon von Passion? Wovon sie allerdings etwas verstand, das war es, Händler an der Nase herum zu führen. Staunend mußte ich mit ansehen, wie der zuvor so firm erscheinene Grieche sich der tolldreisten Erpressung des kleinen Mädchens ergab. Ich kratzte mich hinter dem Ohr – Erpressung schien schwer in Mode zu sein unter den jungen (und nicht mehr ganz so jungen) Damen der Stadt - und schüttelte den Kopf. Es war wohl der alte Name, obgleich hinter dem schon längst keine reale Macht mehr steckte. Auch wenn der Patrizierstand seine Führungsrolle längst verloren hatte, längst von der Nobilitas überflügelt worden war und zunehmend verarmte (kein Wunder, wenn sie alle das Geld so rauswarfen) – die alten Namen tönten eben noch immer ausgesprochen imposant.
    "Eine unkluge Entscheidung war das, Polycles." meinte ich kalt zu dem unverschämten Händler. Und mit einer knappen Kopfbewegung zu dem Sekretär: "Dieses Geschäft kannst du vergessen."
    So würdevoll wie der Fuchs, der sich von den sauren Trauben abwendet, verließ ich, von meinen Custodes gefolgt, den Stand. Zeit meinen Dienst anzutreten. Ich sagte mir natürlich, wie froh ich sein konnte, heute morgen so viel Geld gespart zu haben, und wie glücklich, zudem eine Klippe umschifft zu haben, die scharfkantig ins Fahrwasser von Borkans und meinem gemeinsamen Boot hineingeragt hatte. Trotzdem warf ich noch einen Blick über die Schulter zurück, sah wehmütig dem Schönen nach...
    Und dachte: Ach.

    "Eine Quelle."
    Ganz wie er meinte. Ich nickte zu seinen Überlegungen – "Gute Idee.", und verzichtete darauf, ihm auf die Nase zu binden, dass er natürlich nicht der einzige sein würde. Doch ihm konnte ich vertrauen, und so konnte ich durch den Vergleich mit den von ihm gelieferten Fakten ausserdem noch die Zuverlässigkeit der anderen Informanten überprüfen.
    "Ja, zufrieden, Compagnero! Danke." antwortete ich lächelnd. Dann zeigte ich ihm für alle Fälle noch, wie er wichtiges per Theokleia-Methode ver- und entschlüsseln konnte, und machte einen Satz Schlüsselworte mit ihm aus.
    Ich wußte ja, dass Massa keine langen tränenreichen Abschiede mochte, darum folgte auch diesmal nur eine kurze Umarmung, und dann war er schon wieder weg und stach kurz darauf in See...

    Ruhig hörte meine Schwester sich das alles an. Dass es in ihr drin ganz anders aussah konnte ich mir denken, doch ihre Selbstbeherrschung war immer wieder beneidenswert.
    Möglichkeit Nummer zwei war wohl das naheliegendste... nur widerstrebte mir die schnöde Vorstellung, meine fantastische kleine Nichte als entfernte Verwandte zu deklarieren.
    "Ähm... Ja, das könnte ich behaupten. Aber selbst wenn wir auf diese Ausschmückung verzichten, die Hauptsache ist dass sie, wenn wir sagen dass ich 'damals' das Kind als meines akzeptiert habe, doch ganz normal als Decima gilt. Es hätte nichts skandalöses, während... ähm...naja."
    Es wurde eben mit zweierlei Maß gemessen – was ja auch ganz normal war. Nur dass dieses Maß jetzt wie ein Damoklesschwert über dem Ruf meiner Schwester (und ein Stück weit auch über dem Ruf unserer Familie) schwebte.
    "Du bist die Mutter. Silana ist eine Decima. Es ist allein deine Entscheidung. Ein Mann, der nicht hier ist, der seine Verantwortung nicht wahrnimmt, der nicht den Schneid hatte, dich auf der Stelle vom Fleck weg zu heiraten, der... hat jedes Recht dir irgendwie reinzureden verwirkt!" sprach ich bitter und eindringlich.
    "Weißt du, ich habe früher auch einmal große Stücke auf Iunius Seneca gehalten. Anders als du natürlich, ich schätzte ihn für sein Ermittlertalent, seine Tatkraft und... seine Loyalität. Er war ein verdammt guter Prätorianer. Ich habe ihn gefördert, ihm die Gelegenheit gegeben sich auszuzeichnen und ihm schließlich das ermöglicht wonach jeder Soldat sich die Finger leckt: den Aufstieg zum Centurio. Und was tut er? Unterhält heimlich ein Verhältnis zu meiner Schwester! Ein Verhältnis, das dir gesellschaftlich das Rückgrat brechen kann. Und – ja, ich weiß du willst das nicht hören Seiana, aber lass mich einmal Klartext reden, danach bin ich still, versprochen! – was die Loyalität des Centurio Iunius Seneca zu mir, seinem Kommandanten und Förderer angeht: sie verflog spurlos in dem Augenblick als es schwierig wurde. Er lief sofort über. Und nach meinem Fall machte er keinen Finger krumm. Nichts, gar nichts. Keine Spur von Beistand, oder Hilfe, nicht mal Anstalten irgendeiner winzigkleinen Geste. Nicht während meiner erbärmlichen Kerkerhaft. Nicht danach. Nie wieder habe ich auch nur ein einziges Wort von ihm gehört."
    Und da war er beileibe nicht der einzige. Zentnerschwer, wie eine erstickende Last, so grau wie der Nebel der uns umwallte, lag die Enttäuschung über den massenhaften feigen Verrat den ich erlebt hatte auf meinen Schultern, meiner Kehle, meiner Stimme. Ich starrte auf den Hals meiner Stute, ihre strähnige Mähne, die Ohren, die bei jedem Schritt auf und ab gingen.
    "Menschen zeigen ihr wahres Gesicht immer erst dann wenn es hart auf hart kommt. Der Iunier hat keinen Schneid, Seiana. Halte ihn dir als Liebhaber, wenn er dir Freude macht, aber erwarte nichts von ihm, lass ihn nicht über Silana entscheiden, baue nicht auf ihn, du baust auf Sand. Sei mir nicht böse, Schwester dass ich dir das jetzt so sage, so, ähm, unverblümt. - Aber ja, ich mache mir Gedanken, und ich will das beste für dich und die Kleine. Ich stehe zu dir, das ist doch klar, so wie du immer zu mir gestanden hast, und Livianus, wenn du dich entscheidest ihn einzuweihen, wird ganz gewiss auch zu dir stehen. Am Ende ist es doch die Familie... und allein die Familie... auf die man sich immer verlassen kann."




    Ob womöglich Germanicus Aculeo der Rivale war, gegen den Valentina sich entschieden hatte, als sie meinem Antrag zustimmte? Ich musterte ihn argwöhnisch, sah seitlich zu ihr, dann wieder zu ihm.
    "Ein später Caecuber ist das, vom Südhang unseres campanischen Weingutes." gab ich ihm Auskunft über den guten Tropfen. Hispanische Weine in allen Ehren, doch für einen verfeinerten Gaumen ging dann eben doch nichts über die Gaben, die die campanische Vulkanerde uns schenkte.
    Der Überraschungsgast bat Valentina um Verzeihung und sprach uns Glückwünsche aus. Sie klangen ehrlich. Und etwas traurig.
    "Hab Dank, Germanicus Aculeo."
    Ich hatte schon ein verdammtes Glück, Valentina für mich gewonnen zu haben...


    Gerade hatte ich mir einen der Spieße geschnappt, um den elegant der Tentakel eines Octopus drapiert war, und ein paar Bissen gegessen, da ging ein Raunen durchs Periystyl, ein Liktor erschien, weiße Vestalinnengewänder schimmerten und die allervornehmste meiner Nichten hatte ihren Auftritt.
    "Messalina, na sowas! Salve!" Messalinilla nannte ich diese würdevolle Erscheinung nur noch wenn wir unter uns waren. Lächelnd ging ich ihr entgegen, ergriff ihre Hände mit den meinen und drückte sie warm. "Dankeschön, meine liebe Nichte. Was bringst du für einen Glanz hier auf unsere kleine Feier. Wie schön dass du vorbeischaust. Wie geht es dir? Ihr müßt doch zur Zeit bis zu beiden Ohren in den Festvorbereitungen stecken, nicht?" Die Vestalia standen ja vor der Türe.
    Voll Stolz machte ich sie mit Valentina bekannt:
    "Lass mich dir meine Verlobte vorstellen: Quintilia Valentina! Ich hatte dir ja kurz von ihr geschrieben, und von dem Minervafest wo wir dann zusammen waren." Ach, da war ja noch das kleine Mitbringsel von dort für Messalina, das sollte ich nicht vergessen, da würde ich gleich einen Sklaven danach schicken.
    "Valentina, Carissima, dies ist meine Nichte, die vestalische Jungfrau Decima Messalina."
    Ich rückte Messalina einen Korbstuhl zurecht, auf einen lauschigen Ehrenplatz neben dem Springbrunnen und inmitten des Geschehens.


    Da sich schon die nächsten Ehrengäste zeigten, beschloß ich, Cousin Casca zu Messalinas Unterhaltung einzuspannen. Ich ging zu ihm – er plauderte gerade mit seinem Sklaven - und legte ihm die Hand auf die Schulter, beugte mich zu ihm und bedankte mich endlich:
    "Casca, vielen Dank für die Quadriga! Da hast du mir Streitwagen-Freund genau das richtige geschenkt. Manche sagen ja auch, eine Ehe, das sei so ähnlich wie vier feurige Rösser zugleich zu bändigen... Ich hoffe sie haben Unrecht damit..." Ich lachte (beklommen) und klopfte Casca auf die Schulter.
    "Hör mal, sei doch bitte so nett und leiste unserer Nichte Messalina etwas Gesellschaft. Ich fürchte ihre Würde erlaubt es ihr nicht, sich so locker wie wir unter die Gästeschar zu mischen, aber du könntest ihr ja ein paar interessante Gäste vorstellen, damit sie sich nicht langweilt."
    Auf der Kline neben ihm erblickte ich eine heiter-kontemplative Carmelita, und sogleich kam mir in den Sinn:
    "Carmelita, Nichtchen, kennst du überhaupt schon Messalina? - Casca muß euch unbedingt einander vorstellen" beschloß ich enthusiastisch, mit wieder einem Seitenblick zu meinem Cousin. So, das wäre delegiert. Ich kehrte zu Valentina zurück, um mich mit ihr gemeinsam der größten Herausforderung dieses Abends zu stellen.


    Livianus' Umarmung war herzlich, vielleicht etwas demonstrativ, aber nun ja, er war eben Politiker und sich stets seinen Auftrittes bewußt. Ich umarmte ihn ebenfalls kräftig, und antwortete fröhlich:
    "Aber nein, ihr kommt gerade recht. -" Und verbesserte mich lächelnd: "Doch ein Lied habt ihr verpasst, das uns deine Großnichte Carmelita wunderschön auf der Kithara vorgetragen hat. Aber vielleicht läßt sie sich ja überzeugen es später nochmal zu wiederholen."
    Seine Präsenz, die eines Familienpatriarchen durch und durch, schien Valentina ein wenig zu überrumpeln. Freundschaftlich legte ich ihr die Hand auf den Rücken, um ihr zu verstehen zu geben dass sie nicht alleine stand.
    "Carissima, darf ich dich mit meinem Vater bekannt machen: Marcus Decimus Livianus. Dem ich natürlich schon von dir vorgeschwärmt habe."
    Von ihrer Sittsamkeit, Würde, Anmut und so weiter hatte ich ihm berichtet. Aber ich unterstelle mal, dass Livianus das alles ziemlich gleich war - Hauptsache ich kam nicht auf die Idee, meinem Geliebten einen flammendroten Schleier überzuwerfen und mit ihm Hochzeit zu halten. Wehmütig suchte mein Blick nach Borkan, doch in dem Gästegetümmel konnte ich ihn gerade gar nicht ausmachen. (Wie schön wäre es doch, wenn all die Freunde und Familienangehörigen, die sich hier und heute so mit Valentina und mir freuten, sich ebenso sehr freuen würden wenn ich mich auf die selbe Weise mit Borkan zusammentun würde. Aber das war... Utopie. Eutopie. Träumerei...)


    An Livianus' Seite war seine neue Ehefrau, die edle Aelia Vespa auf uns zu getreten. Es war schon schön die beiden so zu sehen, aber ich war mit ihr, mit meiner... Stiefmutter... noch nicht so recht warm geworden. Sie war ja kaum älter als ich – womöglich sogar jünger - ich hatte sie nicht gefragt, ich würde mich ja hüten sie sowas zu fragen - zudem ungeheuer distinguiert, und es irritierte mich jedesmal sehr, an sie als 'meine Stiefmutter' zu denken.
    "Dankeschön." Sie machte sich mit Valentina bekannt, und ich stellte sie ihrerseits vor: "Und dies ist... meine Stiefmutter Aelia Vespa."
    Ein Geschenk? Meine Neugier wuchs, während sie es langsam auspackte und dazu erzählte, dann erblickte ich die Elefanten. Was für eine schöne Metapher! Genau das war es doch, was ich mir wünschte, für Valentina und mich. Feurige Liebesglut hatte ich ihr nicht zu bieten, dafür aber verlässliches Zusammenhalten. Wie die Elefanten. Entzückt ergriff ich eine der kleinen durchscheinend weißen Figuren, strahlte Valentina verschmitzt an, und probierte es einmal aus, die Rüssel der Figuren ineinander zu verschlingen.
    "Großartig! Vielen Dank, Vespa. Das... das passt perfekt." bedankte ich mich, und, ja, ich gebe zu, ein bisschen gerührt war ich schon, dass sie etwas so treffendes für uns ausgesucht hatte.

    "Salve, Centurio Iunius Avianus." erwiderte ich den Gruß des jungen Urbanercenturios. "Steh bequem. Ich habe dich aus zwei Gründen hergebeten. Zum einen, weil die Garde wieder einigen Männern der Cohortes Urbanae die Ehre erweisen wird, sie in ihre Reihen aufzunehmen. Da du selbst ehemaliger Prätorianer bist, weißt du ja worauf es dabei ankommt. Sag mir: von den Männern unter deinem Kommando, welche von ihnen würdest du als würdig für die Garde des Kaisers erachten?"
    Die Besten ziehen zu lassen, das war natürlich jedesmal hart. Doch für die Leibgarde unseres Imperators waren eben nur die Besten gut genug. Und es war ja immer auch eine Auszeichung für den Befehlshaber, der stolz sein konnte, die Männer unter seinem Kommando zu so exzellenten Soldaten geformt zu haben.

    "Oh je." entfuhr es mir bestürzt, als er mir die schrecklichen Zustände in der Tonstrina schilderte. Ich würde Rhea gleich nachher anweisen, ihm aus der Truhe im Tablinum eine ordentliche Unterstützung auszuzahlen.
    "Renovieren ist das eine. Du solltest aber auch die haarigen Gehilfen gegen adrette austauschen, und einen fähigen Sklaven oder Freigelassenen als Geschäftsführer einsetzen, der sie alle auf Trab hält. Damit der Laden nicht gleich wieder so verkommt." riet ich ihm in all meiner Weisheit.


    Die Frage nach seinen Plänen schien einen noch wunderen Punkt getroffen zu haben. Betroffen folgte mein Blick seinem Deuten auf das Knie, dann den lebhaften Händen, fixierte sich zuletzt auf seiner weich melancholisch sich vorwölbenden Unterlippe. Ich runzelte die Stirn und widersprach ihm schroff:
    "Blödsinn. Larmoyanter Blödsinn, Cousin Casca. Auch mit deinem invaliden Knie bist du ein Decimer, gebildet, eloquent, mit Stil und einer der mächtigsten Familien des Reiches im Rücken. Und wenn du erst einmal deinen Allerwertesten hoch bekommst, kannst auch du alles erreichen, kannst dir Rang und Namen machen wie es einem Decimer gebührt. "
    Nebenbei ließ ich heimlich meine Syrinx unter einer Torsionsgeschütz-Prototyp-Skizze verschwinden, denn es passte so irgendwie gar nicht, ihm diesen strengen Vortrag zu halten, während ich eine Panflöte in der Hand hielt.
    "Dass es dich nicht in den Senat zieht ist verständlich. Dieses Gremium ist doch nur noch ein verstaubtes Souvenir der Republik, und entscheidet schon längst nichts bedeutsames mehr. Die Macht liegt allein beim Princeps, und dem Stand der seine Herrschaft direkt stützt – dem Ritterstand! - gehört die Zukunft. Verwaltung oder Cultus deorum sagst du? Gut, in beiden Bereichen kannst du dir Verdienste erarbeiten. Als nächstes wählst du dir dann einen passenden Patron, und zu gegebener Zeit kannst du dann mit Unterstützung der Familie auf die Ritterwürde hoffen. Und wenn du erst mal Ritter geworden bist, dann steht dir sowieso alles offen. Also, was soll es sein?"
    Mein Cousin hatte schon lange genug gezaudert, ich würde ihm jetzt einen heilsamen Schubs verpassen.
    "Die kaiserliche Kanzlei? Der Procurator a Libellis ist ein Klient von Livianus. Durch ihn können wir dich gewiss dort unterbringen. Da kannst du als Scriba beginnen und von der Pike auf lernen. Die Nähe zum Kaiser kann deiner Laufbahn sehr zuträglich sein.
    Oder die kaiserliche Finanzabteilung? Unser Cousin Varenus ist der Primicerius dort und kann dich dort einführen.
    Wenn du aber im Cultus Deorum dienen willst... und ich muß sagen, ich glaube dass du und deine Beredsamkeit dort sehr gut aufgehoben wären... dann geh morgen früh zur Salutatio des Pontifex Flavius Gracchus. Ich werde dich mit einem Empfehlungsschreiben versehen, und auch wenn er selbst keine Zeit für einen Discipulus haben sollte, wird er dir sicher einen guten Mentor verschaffen."

    Gedichte schrieb er. Das sprach für Feinsinn, und ich hörte es gern. Mit Pferden kannte er sich auch aus... Ein feinsinniger Roßknecht, von der klassischen Schönheit einer griechischen Mamorstatue... Er wäre perfekt um sich um meine edlen Zweigespanne zu kümmern! Und wenn er mit mir auf dem Streitwagen stünde, dann würden wir beide ein Bild abgeben, ich genau wie ein achaischer Heroe vor den Mauern von Ilion, mit ihm, meinem getreuen Schildträger... (Da konnte Borkan doch nichts dagegen sagen, wenn ich einen Roßknecht kaufte. Ich brauchte wirklich einen. Damon konnte ja nicht alles alleine machen. Meine edlen Rösser brauchten nun mal besondere Pflege...)


    Die anderen Interessenten wandten sich nun außerdem einem weiteren, offenbar hochgebildeten Sklaven zu, doch leider vergaßen sie darüber nicht den Schönen. Mit einem mal ging es ums Kastrieren, und zwar so plastisch, dass es selbst mir, der ich doch nur daneben stand, dabei etwas unwohl um die Lenden wurde.
    Was für ein Jammer wäre denn das, den Schönen so zu verstümmeln?! Es auch nur in Erwägung zu ziehen! Ein degenerierter Banause war dieser Mann, ohne Frage. Der arme Sklave war ja totenblass geworden. (Da konnte Borkan doch echt nichts dagegen sagen, wenn ich einen Landsmann von ihm kaufte, um diesen vor solch schrecklichem Schicksal zu bewahren...)


    "Nun." wandte ich mich entschlossen an den Händler Polycles, meine Worte bedächtig setzend, um mir nicht anmerken zu lassen wie hingerissen ich von dem Schönen war, "Seine Ausbildung ist zwar etwas dürftig, doch ein Roßknecht ist mir nützlich, und er ist ja noch jung und formbar. Der Sekretär, den du mir vorgeführt hast, ist hingegen schon recht bejahrt. Doch solide. Ich weiß ja, dass du, Polycles, ein ehrlicher Geschäftsmann von untadeligem Renommee bist," so lobte ich ihn, fügte darauf mit kühlem Lächeln hinzu, den Daumen lässig in den breiten, beschlagenen Militärgürtel um meine Hüften einhakend, "...dem es auch stets daran gelegen ist, sich das Wohlwollen der Autoritäten dieser Stadt zu erhalten. Auch mein Vater, der Stadtpräfekt Decimus Livianus schätzt ja die Qualität deiner Waren. - Darum mache ich, der Gardetribun Decimus Serapio, dir, Polycles, ein überaus faires Angebot" kündigte ich an, mit einem leicht herablassenden Blick zu dem älteren Herrn, der - geschickt feilschend, das mußte man ihm lassen - gleich vier Sklaven für fünfzig Aurei haben wollte, plus...brr!... "schnippschnapp".
    "Ich kaufe dir diese zwei Sklaven, den Sekretär und den Orientalen gemeinsam, für fünfzig Aurei ab."
    Das war ja nun wirklich ein gutes Angebot für gute Ware, und mit selbstsicherer Gebärde hielt ich dem Händler die Hand zum Einschlagen hin....