In einem Augenblick hielt ich sie für eine raffinierte Elite-Spionin, im nächsten erschien sie mir als weltfremdes Mädchen, das sich einfach nur weit überschätzte. Sie glaubte doch nicht wirklich, dass ich Beweise brauchte um sie festzunehmen?!
"Hochverräter werden seit jeher zur Rechenschaft gezogen, und ebenso ihre Unterstützer." schnaubte ich. Ich könnte sie knebeln. Ja, das sollte ich, nicht dass sie unterwegs die Leute zusammenschrie... Und sie dann verschwinden lassen. Wenn sie erst mal im Carcer war, ging das sehr leicht... ein kleines Malheur beim Verhör und Adios Aurelia. Aber... ich wünschte doch, es gäbe einen anderen Weg, und ich wäre nicht dazu gezwungen, zu solch gräßlichen Mitteln zu greifen um Manius und mich zu retten.
Briefe mit meiner Handschrift... Oh nein. Meine Briefe! Meine liebestrunkenen Sehnsuchtsergüsse, meine intimsten Geständnisse! Das konnte doch nicht wahr sein... Ich fühlte mich auf einmal so... nackt und bloß und scheußlich durchschaut, bei dem Gedanken, dass dieses Biest da meine innersten Regungen kannte. Wie konnte sie nur! Aber dann erkannte ich: immerhin, sie wußte gar nichts davon, dass ich Manius bei mir versteckt hielt, sie war anscheinend nur über die alten Briefe gestolpert. (Den letzten Brief hatte ich ihm vor der Abreise nach Syrien, also lange vor dem Kaisermord, geschrieben...) Das hieß, dass unser Leben gar nicht unmittelbar auf dem Spiel stand, "nur" mein Ruf. Und – den Göttern sei dank! - Ravdushara hatte mich nicht verraten.
So seltsam es klingt, ich atmete erst mal auf... obgleich die Lage noch immer schlimm genug war. Nicht auszudenken wenn Teile der Briefe an die Öffentlichkeit kämen, ich wäre gesellschaftlich sowas von erledigt... Zwar würde es niemand wagen, offen über den Gardepräfekten herzuziehen, aber... das Problem mit diesen Briefen war, nicht nur dass sie an einen Proskribierten gerichtet waren, was mich anschwärzen könnte, sie sprachen ausserdem nur allzu deutlich von meiner Hingabe. Manius war älter, war Senator... man würde mich natürlich in der passiven Rolle sehen, und das war (ganz anders, als wenn ich mir selbst einen schönen blonden Jüngling entführte) für einen freien Römer wie mich zutiefst ehrenrührig. So bescheuert ich das auch fand, in der Hinsicht hatte Aurelia recht, ich wäre das Gespött der Stadt. Und wenn es eines gibt was ich hasse, dann ist es ausgelacht zu werden!
"Warte." Wo wollte sie denn jetzt hin? Ich umfasste ihren Arm um sie zurückzuhalten, was ich zu sagen hatte war nicht für die Ohren anderer bestimmt, und versicherte: "Wir können uns sicher... irgendwie arrangieren! "
Nur dass der Kaiser mir befohlen hatte, sie festzunehmen. Was nützte es mir, wenn ich meinen Ruf wahrte, und dafür beim Kaiser in Ungnade fiel?! Gehetzt jagten meine Gedanken, suchten verzweifelt nach einem Ausweg...
"Aber wer sagt mir, dass diese... Briefe.... wirklich noch immer in deiner Hand sind, und du nicht bloß irgendwann mal einen Blick darauf geworfen hast? Ich will sie sehen! Erstmal will ich sie sehen, und wenn du mich diesmal nicht angelogen hast, Aurelia, werden wir diesen Weg den du da vorschlägst zusammen suchen..."
Es ging mir gewaltig gegen den Strich mit dieser falschen Schlange irgendwie gemeinsame Sache zu machen... aber ich hatte wohl keine Wahl. Jedenfalls nicht im Moment.