Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Ich hatte einen Traum... einen Tagtraum... Wie wäre es, dachte ich so bei mir, wenn alle Kämpfe, alle Kriege, ja, alle Auseinandersetzungen auf die selbe Weise gelöst würden, wie wir gerade die unsere gelöst hatten? Kämpfe würden durch Leidenschaft beigelegt, Blutvergießen durch Liebe unnötig und unmöglich gemacht. Eros würde herrschen anstelle von Mars, über eine Welt, eine bessere Welt, in der die Liebe an die Stelle des Krieges getreten war, und.... -
    "Können wir dann?" fragte Dives ungeduldig, und riss mich damit abrupt aus diesen mehr als unsinnigen Hirngespinsten. Wie kam ich da jetzt bloß wieder drauf...?! Vielleicht weil Dives mich ein klein bisschen an mich selbst, früher, erinnerte, als ich noch viel mehr dazu geneigt hatte, mich in solch träumerischen Utopien zu verlieren, bevor ich sub aquila gegangen war und gelernt hatte wie die Welt wirklich war.
    "Ja."
    Ich folgte ihm hinaus. Er klang mit einem Mal viel weniger entspannt als eben noch. Vielleicht bereute er es schon... Ich konnte diese Momente nicht ausstehen, hatte sie noch nie ausstehen können, in denen die Zweisamkeit, die, wenn auch nur ganz kurz, so selbstverständlich und unbedingt gewesen war, wenn diese berauschende, natürliche Einheit verging, und wieder zerfiel in ihre Einzelteile, die nichts mehr miteinander zu tun, sich nichts mehr zu geben oder zu sagen hatten.
    Unbehaglich fuhr ich mir durch die Haare, und spürte wieder die Blume – das war's natürlich, das hatte ich vergessen! Wäre ja ein schönes Bild, wenn ich so vor meine Soldaten treten würde. Ich entfernte sie, und verbarg sie mit einem melancholischen Lächeln wieder in einer der tiefen Falten meiner Toga.
    "Mach es gut..." sagte ich noch leise zu ihm, streifte kurz seinen Arm, dann ging ich.


    Tief durchatmen. Nicht zu ihm zurückblicken. Das Lächeln verbannen. Die Gedanken einsammeln, sie wieder in einigermaßen disziplinierte Bahnen lenken. Ich ging die Treppe hinab, trat aus dem Bühnengebäude heraus, fand meine Sklaven und meine Eskorte wieder. Schweigsam verließ ich mit ihnen das Theater. Zuerst stand noch die Inspektion unserer Posten am Hafen auf der Tagesordnung – die ich recht geistesabwesend hinter mich brachte – dann begaben wir uns zum Domus Calamis, dem Bauerngehöft meiner Familie, wo wir alle übernachten würden, um am nächsten Morgen früh nach Rom zurückzukehren.

    Das hörte ich gern, und ein noch viel größeres Kompliment war dieses... Leuchten in den Zügen meines Gespielen. Das tat meinem Ego unheimlich gut, es war ja doch arg gebeutelt gewesen, nach dem unbefriedigenden Intermezzo in Misenum, und dem auf der Pelagia, und dem in Antiochia, und... und... und das war nun ein für alle Mal vorbei! Innerlich jubilierend grinste ich nur, als er mich freundlich einen Spinner nannte, dann warf ich ihm, die Blume spielerisch zurechtrückend, einen koketten Blick über die Schulter zu.


    Er half mir mit der Toga, zum Glück sehr geschickt, wobei ich mich im wahrsten Sinn des Wortes umgarnt fühlte. Ich genoß diese flüchtigen Berührungen, Dives hatte wirklich etwas an sich...
    "Nicht schlecht! Ich würde dich glatt einstellen." scherzte ich, und dann dämpfte ich unwillkürlich ebenfalls die Stimme und antwortete: "Natürlich..."
    Doch erstmal verharrte ich noch so, denn es war ein schöner Moment, den ich nicht vorschnell beenden wollte. Ich hob die Hand, strich ihm leicht durch das Haar, das zerzauste ordnend, auf das niemand auf falsche Gedanken kam. Er hatte sehr blaue Augen, und es war schon merkwürdig da hineinzublicken... Eigentlich stand ich ja viel mehr auf dunkle Augen, aber dies hier war faszinierend... als würde ich in einen Spiegel sehen.
    Mit dem Daumen strich ich sanft die Linie seiner Unterlippe entlang. Da war eine Stelle, die ich wundgeküsst hatte, die sich rot von der hellen Haut abhob. Ich hauchte einen Kuss auf seine Lippen, und ich war schon schwer in Versuchung, nach einem Wiedersehen zu fragen. Aber das wäre sehr dumm gewesen... denn er war ein Römer aus gutem Hause, kein Sklave, kein Peregriner, mit denen ich machen konnte was ich wollte ohne dass es jemanden interessierte. Und ich würde schon bald Gardepräfekt sein, total exponiert im öffentlichen Leben, und da konnte ich mir keine heimliche Liebschaft leisten, und noch viel weniger einen Skandal. (Wobei.... würde es überhaupt noch jemand wagen, mit dem Finger auf mich zu zeigen, wenn ich Präfekt sein würde?)


    Für den Augenblick obsiegte mein Verstand, ich verschloß mich vor der Versuchung und riss mich los, konzentrierte mich ganz fest auf die Toga. Gar nicht so einfach, doch schließlich hatte ich auch ihn gut umwunden. Ich ordnete die Falten, so wie Ravdushara das immer bei mir tat, dann betrachtete ich Dives von Kopf bis Fuß.
    "Ja. Doch. Wenn du jetzt noch das selige Lächeln aus dem Gesicht bekommst, dann wird keiner sich wundern." sagte ich, barscher als ich fühlte. "Das war eine... ähm, aussergewöhnliche, nein, ich kann schon sagen unvergessliche Theatervorstellung, Dives, ich danke dir. Also dann, vale..."
    Damit wandte ich mich zum Gehen, das Bedauern lag mir dabei wie ein schwerer Klotz im Magen, und irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas vergessen zu haben?
    "Ach ja, der Schlüssel noch..." Den gab ich ihm natürlich wieder zurück, doch ohne ihm dabei in die Augen zu sehen, ich fürchtete beinahe, mich dann wieder zu irgendwelchem Blödsinn hinreißen zu lassen. Und wieder wandte ich mich zum Gehen... und wieder zögerte ich. War da nicht noch irgendwas?

    Vollkommen gebannt beobachtete ich die kultische Fütterung. Auch wenn ich den Auguren vorher beschenkt hatte, es blieb ja letztlich immer noch ein Orakel der unsterblichen Götter, und meine Erleichterung war groß, nein grenzenlos, als ich erkannte, dass ich kein böses Omen zu befürchten hatte. Die braven Tiere! Wie schön glänzte ihr Gefieder, wie melodisch erklang ihr Gackern. Und die Verkündung des Auguren war dann noch viel mehr Musik in meinen Ohren...

    "Salve Stellula..." Frisch gewaschen und wohlduftend nach einer entspannenden Zimtöl-Massage betrat ich den Raum, gekleidet in eine türkisblaue Synthesis mit silbrig durchwirkter Bordüre.
    "Du bist doch nicht etwa aufgeregt?" neckte ich sie, dann hob ich die Nase in die Luft und versuchte die Düfte aus der Küche zu erschnuppern. Doch es waren zu viele, um sie genauer zu identifizieren. "Sag mal... wen hast du nochmal eingeladen für heute?" Ich hatte ihr zwar zugesagt, aber da war ich wohl gerade ein bisschen geistesabwesend gewesen.

    "Genau..." stimmte ich zu, als Seiana so treffend meinen Satz vollendete. Ja genau, meine Schwester verstand mich, und sie war nicht mal pikiert über mein Geheimnis, auch wenn sie jedes Recht dazu gehabt hätte. Ich seufzte schwer und lehnte mich traurig in ihre Umarmung hinein. Das tat gut, allein dass sie da war und ich meinen Kummer mal aussprechen konnte. Na gut, bei Ravdushara hatte ich mich auch schon endlos über Massa beklagt, aber der zählte ja nicht. Ausserdem verdächtigte ich ihn, dass er heimlich zu Massa hielt... aber das war nur so ein Gefühl.
    "Ja, ganz sicher." seufzte ich. "Geschrieben hat er's natürlich nicht... das ist nämlich genau das Problem! Er sagt mir immer nur das was ich hören will! Aber er meint es nicht so, er sagt es nur. Er ist feige. - Nicht im Kampf. Aber... bei so was. Nur.. dass er sich anderweitig umsehen will. Das schreibt er... na, ist ja wohl klar genug..."
    Nachdem er mir zuvor noch treuherzig versichert hatte, er habe keinen anderen!
    "Und er hat sein Versprechen gebrochen! Wenn ihm noch was an mir läge, dann hätte er sein Versprechen gehalten! - Und in seinem Brief: kein Wort darüber! Nicht ein EINZIGES Wort darüber dass er mir gesagt hatte, ja, er will nach Rom, ich soll ihn nach Rom holen, er freut sich schon drauf! Da geht er einfach darüber hinweg! Als wär nie was gewesen. Schiebt Rangfragen vor, was absolut lächerlich ist! So ein Blödsinn, so ein aus-ge-mach-ter Schwachsinn, das ist so... schnöde, so grausam von ihm! Er hat mich belogen und betrogen."
    Trostbedürftig legte ich meine Stirn an Seianas Schulter. Aber dann fiel mir auf, dass ich in ebendieser Pose an Massas Schulter verweilt hatte, beim eben letzten Zusammentreffen, das verstörte mich und ich hob meinen Kopf wieder abrupt in die Höhe.
    "Und selbst wenn! Selbst wenn er wieder ankommen würde 'oh, ich hab's nicht so gemeint, sei doch nicht so dramatisch'. Selbst dann! ICH will mit ihm NICHTS mehr zu tun haben!"
    Unwillkürlich malte ich mir diese Szene aus, und wie ich ihm die kalte Schulter zeigen würde, und dieser Gedanke bot mir eine gewisse, wenn auch schwache Genugtuung.

    Phuuuhhh... stieß ich langsam zwischen halboffenen Lippen die Luft aus, als ich wieder alleine im Tablinum war. Dann ließ ich mich den großen Scherenstuhl des Hausherrn fallen. Durch den Bürgerkrieg wurde dieses Haus immer bevölkerter... und manchmal, zum Beispiel jetzt, fühlte ich die Verantwortung schwer auf meinen Schultern. Ich blickte zu den Auszeichnungen an der Wand, und ließ mir von dem Anblick der meinigen – es waren nämlich gar nicht so wenige – neuen Mut machen. Besonders die Hasta Pura in ihrem matten Silberganz hob meine Laune sehr zuverlässig.
    Aber was Petronia Romana anging, da mußte ich unbedingt noch Seiana zu Rate ziehen. Zum einen weil mein Mißtrauen sich noch immer nicht vollständig gelegt hatte. Zum anderen weil ich mir dachte, dass Seiana vielleicht besser mit dem zarten Mädchen klar käme, nachdem ich sie nun, wenn auch ohne es zu wollen, so verschreckt hatte.

    Im niemals enden sollenden und doch jedesmal endenden Rausch... wie lange wir so miteinander zugange gewesen waren – keine Ahnung, doch auf jeden Fall zu kurz, als die Ekstase ihn erfasste und... sein ungehemmter Genuß gab mir vollends den Rest... wie glutweiße Wogen auf mich übergriff, ein letztes Aufbäumen, ein letztes verschmelzen, verströmen, kehliges Keuchen, dionysische Unendlichkeit. Und dann wars auch schon wieder vorbei.
    Schwer atmend stützte ich mich auf ihn, während meine Sinne langsam wieder zu mir zurückkehrten. Das war furios gewesen.... und so unendlich nötig.... Lob und Preis dem großen Priapus! Und dem schönen Dives.... Ich gab ihm einen weichen Kuss auf die Schulter, strich ihm kurz mit den Händen über den verschwitzen Rücken, dann löste ich mich von ihm. Wohlige Zufriedenheit erfüllte mich, und selbst der wiederkehrende Gedanke daran, dass es nicht die feine Art war, solcherlei Situationen so auszunutzen, konnte mein seliges Ausgeglichensein nicht berühren. Schließlich hatte er auch seinen Spaß gehabt. Während ich müde meine Kleidung richtete, langsam das Subligaculum neu wand, die Tunika zurechtzog, ließ ich meinen Blick genießerisch über ihn schweifen. Das Bild war hinreißend, er so ermattet durch mich, zerzaust, mit den erhitzten Wangen...
    "Mmh..... du siehst echt heiß aus, so zerwühlt."
    Ich grinste ihm zu, und mir fiel noch so einiges ein, was ich, bei Gelegenheit, gerne mit ihm anstellen würde. Aber ein Blick auf unsere auf dem Boden traut vereinten, halb zertrampelten Togen, brachte mich wieder ein Stück mehr in die Zwänge des Alltags zurück. Ich hob meine auf, schüttelte sie aus, und sammelte die Schriftrollen zusammen, die bei unseren Aktivitäten aus dem Regal gefallen waren. Auch eine mittlerweile schon leicht welke weiße Dianthusblume kam wieder zum Vorschein. Ich hob sie auf und steckte sie mir hinters Ohr. Dann hielt ich unschlüssig die alleine nicht zu bändigende Stoffmasse der Toga in den Händen. Daran hatte ich zuvor natürlich nicht gedacht.
    "Kannst du mir mal mit der Toga helfen, bitte?"

    Mit angespannter Miene hörte ich ihr zu, wie sie nun endlich anfing zu erklären. Und seltsamerweise schlug meine Stimmung mit einem Mal um... denn die mütterliche Fürsorge, die nahm ich ihr absolut ab, und ich muß zugeben, es rührte mich, das zu sehen. (Und erinnerte mich an meine Mutter, obgleich die ja viel strenger gewesen war.) So ganz verstand ich zwar immer noch nicht, warum die Sklavin, wenn sie doch solchen Wert darauf legte, ihre Herrin schonend auf die Ehe vorzubereiten, das bisher versäumt hatte. Jedoch... sie war eine Frau, und die sind nun mal in vieler Hinsicht, und in jedem Alter, rätselhafte Wesen. Vielleicht wollte sie ihr Herzblatt nicht hergeben und schob den Augenblick der Wahrheit darum vor sich her. Oder so.
    "Entschuldige dich nicht bei mir, Nuha, entschuldige dich bei deiner Herrin." sagte ich schon beinahe versöhnlich, "Sie hat sich ja ziemlich erschrocken. Du tust ihr keinen Gefallen wenn du sie so verhätschelst." Jede Frau mußte heiraten, wenn sie nicht als alte Jungfer enden wollte! Mal von den Vestalinnen abgesehen. Talent für die Kunst war ja eine nette Sache, aber Status und Sicherheit erwarben sich nur die kinderreichen Matronen. Selbst meine herausragend kluge Schwester mit all ihren Ämtern hatte in diesen sauren Apfel gebissen. Wobei er für die meisten Frauen wohl weniger sauer war.
    "Ihre erste Hochzeit wird das bedeutsamste Geschäft sein, das sie in ihrem ganzen Leben abschließt. Von daher solltest du sie wirklich an diesen Gedanken gewöhnen!"
    (Und ich würde mich... irgendwann... auch daran gewöhnen müssen, schoß es mir durch den Kopf. Furchtbar.)
    "Du kannst dann wieder zu ihr gehen."

    Wir sollten diesen Luxus, dass wir beide in Rom waren, wirklich mehr ausnutzen. Ich lehnte mich zurück und trank einen Schluck, während Seiana kurz erzählte.
    "Ich kann mir Terentius überhaupt nicht als Zivilist vorstellen..." bemerkte ich. Aber vielleicht war er ja ganz froh jetzt endlich mal seine Ruhe zu haben? Wie mein Centurio damals, der schien das Militär später gar nicht zu vermissen... Doch ich war nicht vollkommen Ohr, mein eigener Kummer lag mir zu arg auf dem Herzen, und es fiel mir schwer, mich auf alles was nicht mein eigener Kummer war zu konzentrieren. Kaum hatte ich die Gelegenheit dazu, sprudelte es schon aus mir heraus.
    "Ach Seiana! Ich bin so unglücklich! Da hab ich diesen unglaublichen Rang, und wahnsinnig viel zu tun, und alles mögliche wirklich wichtige, und hab eigentlich überhaupt keine Zeit für so... blödsinniges Zeug, aber...... aber ich muß die ganze Zeit an Massa denken! Ich vermisse ihn so, und ich versteh das einfach nicht, ich hätte ihm alles zu Füßen gelegt, aber er trampelt einfach darauf herum, er.... war nicht ehrlich zu mir, und ich bin.... maßlos enttäuscht, und... Naja, also, sei bitte nicht schockiert oder so, aber... also, ich war doch wohl ziemlich in ihn verliebt, aber wie sehr, das merk ich erst jetzt, wo er nichts mehr von mir wissen will!!"
    Meine Augen wurden schon wieder feucht... Ich fuhr mir mit den Händen über das Gesicht, und empfand mit finsterer Klarheit wie lächerlich es war, dass ich in meiner Position, mich wegen sowas, wegen ihm, so grämte – aber das machte es nun mal nicht besser.
    "Und ich bin so... WÜTEND!" fuhr ich dann wieder auf. "Dass er mich angelogen hat! Ich fass es einfach nicht! Ich dachte ich kann ihm endlos vertrauen! Mich auf ihn verlassen... Darum wollte ich ja dass er kommt... naja, also nicht nur deswegen natürlich, aber..... " Schon war die Wut wieder fortgeweht, ich schluckte, und schloß mit hängenden Schultern: "Wahrscheinlich ist es so besser. So Sachen sollte man echt nicht vermischen... weiß ich ja eigentlich, aber........."
    Mir fiel kein gültiges 'aber' ein, und mein Satz verlor sich in Schweigen, und einem Schulterzucken. Meine Gedanken kreisten konfus immer um das selbe... der Morgen in Misenum, sein Brief, mein Brief den ich besser nicht geschrieben hätte, denn er verriet viel zu viel. Ich war so unglaublich wütend gewesen.

    Ich erwartete den Besuch meiner Schwester schon ungeduldig, und als sich vom Gang her Schritte näherten, trat ich schnell in die offene Tür.
    "Ah, da bist du...!" Ich schloß sie in die Arme, voll Erleichterung sie zu sehen. Die letzten Tage, seit dem Brief aus Misenum, die waren nicht so gut gewesen... ich stand ein wenig neben mir. Aber Seiana war mein Fels in der Brandung.
    Komm rein!" Ich schickte die Sklaven weg und schloß die Türe hinter uns. Dann auch das Fenster, damit nichts von unseren Worten in den Innenhof drang.
    "Irgendwie... scheinen wir uns fast nur dann zu sehen, wenn irgendwas nicht stimmt." bemerkte ich ein wenig betreten, während ich ihr einen Becher hinstellte, uns verdünnten Wein einschenkte, mich dann auf die Fensterbank setzte. "Danke dass du gleich gekommen bist... ich bin gerade... ein bisschen ratlos... - Aber sag erstmal wie es dir überhaupt geht!"

    Allein daraus könnte ich ihm schon einen Strick drehen. Er verließ sich wohl darauf, dass ich ihn als angeheirateten Onkel nicht ans Messer liefern würde.
    "Dir ist schon klar, Germanicus Avarus, dass einer der beiden längst in das Exil verschifft wurde?"
    Das war kein Geheimnis. Warum also tat er so, als ob er das nicht wüßte...? Ich nahm ein Stückchen Dorsch, und bestrich es langsam und systematisch mit Garum bevor ich es verspeiste.

    Decima Seiana
    Casa Terentia


    Liebe Seiana,


    ich würd gern mal wieder mit Dir sprechen, hast Du morgen abend Zeit bei uns vorbeizukommen? Sonst sag mir wann es Dir passt.
    Massa hat die Versetzung verweigert, was ich absolut nicht fassen kann... er hatte mir versichert, dass er nach Rom will, aber das hat er sich anscheinend gleich darauf wieder anders überlegt!! Ich hoffe Du hast ihm noch nicht den Brief geschrieben, um den ich Dich gebeten hatte... war eine dumme Idee von mir, entschuldige. Sein Wankelmut macht mich echt stinkwütend... Soll er doch in Misenum versauern, offensichtlich will er ja nichts mehr mit uns zu tun haben.
    Und dann ist da eine Cousine angekommen, die ich Dir gerne mal vorstellen würde. Petronia Romana aus Germanien, sie sagt sie sei die Tochter von Decima Atilicina. Und irgendwie... bin ich ein wenig mißtrauisch geworden. Leider erinner ich mich nicht mehr so wirklich an Atilicina... hast du da ein klareres Bild vor Augen? Und selbst wenn nicht, wär ich Dir dankbar wenn Du Dir die Petronia mal ansehen würdest, und mir sagen könntest wie DU sie einschätzt.
    Vale!


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    Eines mußte ich ihr lassen, sie setzte sich wirklich für ihre Herrin ein. Aber was mir wirklich übel aufstieß, das war dieses wehleidige: "Es war falsch, direkt hier her zu kommen und zu glauben oder zu hoffen ... deine Gens würde sich ihr annehmen und es ließe sich eine Basis finden".
    Hatte ich sie etwa nicht mit offenen Armen empfangen?! Oh doch, bis zu dem Moment, wo auf einmal solch ungebührliche Forderungen gestellt wurden und ihre Geschichte merkwürdig wurde.
    Ich atmete tief ein und sagte mir ruhig Blut Faustus, es ist eine alte Frau, du kannst sie nicht rauswerfen. Immerhin gab sie jetzt zu, dass es nicht in Ordnung war, das Mädchen ohne Mitgift zum Verheiraten zu verschicken. Und immerhin entschuldigte sie sich, was mich ein wenig besänftigte.
    "Wie ich schon anfangs sagte... deine Herrin ist hier willkommen. - Aber du Nuha hast immer noch nicht meine erste Frage beantwortet. Ich stelle sie nun noch einmal, und zwar zum letzten Mal:" betonte ich, mittlerweile selbst halb resigniert, halb genervt darüber hier meine Zeit mit dieser aufmüpfigen Alten vergeuden zu müssen. Die war ja noch viel schlimmer als Pontia, oder gar Corythia... - "Also warum hast du es ihr verheimlicht?"

    Bona Dea, was für ein starrsinniges altes Weib. Ich hatte nicht übel Lust sie hochkannt rauszuwerfen!
    Und es war fast unheimlich, wie sie die Zweifel, die ich gar nicht laut ausgesprochen hatte, sondern nur in Gedanken formuliert hatte, erahnt hatte. Dummerweise hatte ich keine klare Erinnerung an Atilicina, ich war noch zu klein gewesen als sie aus Hispania wegging und den Caecilier heiratete.
    "Du vergreifst dich im Ton, Serva." wies ich sie herrisch zurecht. "Und du wirst mir jetzt auf der Stelle meine Fragen beantworten. Glaub mir, es liegt sehr in deinem Interesse, mir diese krude Geschichte endlich ordentlich zu erklären. Also noch einmal: warum die Heimlichtuerei? Und wie kommen die Petronier darauf, dass wir Decimer sie verheiraten sollen? Was ist der Grund für dieses... sagen wir, unkonventionelle Ansinnen?!"

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    Acestes, der Cursor der Gens Decima, überbrachte Decimus Massa ausserdem einen zweiten Brief. Bei dem sprach bereits das schiefe Siegel, dann die wild hingekritzelten Buchstaben, davon, dass er im Zorn niedergeschrieben worden war:



    An
    Appius Decimus Massa
    Villa Decima Maretima
    Misenum



    Salve Massa,


    ich weiß nicht was mich mehr enttäuscht, deine Dummheit oder deine Lügen. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dir glaube, du hättest geglaubt, als Miles zu wechseln. Du weißt ganz genau dass ich mich für dich einsetze, und du hättest als Optio ad spem gewechselt, das hatte ich Octavius schwarz auf weiß geschrieben. Und wenn dich das wirklich zurückgehalten haben sollte, dann hättest du mich direkt fragen können, oder mir einen Brief schreiben können und nachfragen, anstatt so blödsinnig zu sein, dir das Angebot deines Lebens zu zerschlagen. Nein, ich erkenne da nur eine eine faule Ausrede, und ich bin bodenlos enttäuscht!


    Wir hatten doch alles besprochen!! Du hast JA gesagt! Du weißt dass ich dich brauche! Die Flotte hat mehr als genug däumchendrehende Soldaten, aber ich brauche dich, hier, weil ich dir vertrauen kann, oder jedenfalls glaubte es zu können, ich werde der neue Praefectus Praetorio und brauche jemanden dem ich vetrauen kann. Du hast es mir zugesichert!! Ansonsten hätte ich mich nie und nimmer in den Scheiss-Aufwand gestürzt, für dich einen Platz in der Garde zu erobern.
    Du, Appius Decimus Massa, bist ein Lügner. Du hast mir ins Gesicht gelogen. Vielleicht weil du es nicht übers Herz gebracht hast, mich von Angesicht zu Angesicht abzuservieren, aber ich kann dir sagen, auf diese feige Weise schmerzt es um so mehr. Das ist so erbärmlich!


    Dann bleib doch als drittklassiger Adjutant bei deiner drittklassigen Einheit! Die Garde kannst du für den Rest deines Lebens vergessen! Ausserdem täuscht du dich gewaltig, wenn du etwa glaubst, ich hätte dich angefordert, um dich in mein Bett zu holen. Das hab ich nicht nötig. Ich hab mich von dem Fluch befreit und hab nun Abwechslung genug, was mich zu dem Schluß bringt, dass es wahrscheinlich doch an dir lag. Du kannst mir ein für alle mal gestohlen bleiben! Vale.




    Müde von der Last des Tages betrat ich mein Cubiculum. Heiß und schwül war es heute, ausserdem hatte ich wieder echt unangenehme Stunden in den Tiefen der Castra verbringen müssen, Befragungen und Verhöre... ich sehnte mich nach einer kühlen Waschung und einer entspannenden Massage vor der Cena. Am liebsten mit Zimtöl.
    Ravdushara half mir die Rüstung abzunehmen und verstaute sie auf dem Rüstungsständer, dann streifte ich das durchgeschwitzte Subarmalium ab und warf es achtlos auf den Boden. Meine Leinentunika klebte förmlich am Körper. Ich öffnete die Fenster, doch von draussen kam nur ein stickiger Luftzug. Warum nochmal hatten die Senatoren im heißen Hochsommer Sitzungspause, während wir Equites durcharbeiten mußten?! (Natürlich weil unsere Arbeit wichtig war, während man auf den Senat leicht verzichten konnte, trotzdem war es nicht fair...)
    "Du hast Post aus Misenum." machte mich Ravdushara auf einen Brief aufmerksam, der auf dem zierlichen Tischchen am Fenster meiner harrte.
    "Oh!" Eilig ergriff ich ihn, brach das Siegel, lächelte breit als ich Massas Handschrift erkannte. Ich erwartete ihn schon ungeduldig, sicher kündigte er mir hier seine baldige Ankunft an.
    Dann las ich, und meine Miene wurde starr. Und starrer.
    Er schrieb:


    "Salve Faustus, dein Befehl ist hier eingetroffen. Ich habe ihn dem Praefecten vorgelegt. Im Gegenzug hat er mich vor die Wahl gestellt. Classis oder Praetorianer. Du hast dich in deinem Brief nicht weiter dazu geäußert. Also nehme ich an, dass ich als Miles beim Skorpion angefangen hätte. So wie es die Regel ist. Einen Rang niedriger als man besitzt. Allein die Ehre zu den Praetorianern zu gehören. Du hast dich für mich eingesetzt und ich schulde dir einen Großen Gefallen. Ich weiß nicht, ob ich das je wieder gut machen kann. Es war wahrscheinlich die einzige Chance für mich, nach Rom und in deine Nähe zu kommen. Warum habe ich mich dazu entschlossen bei der classis zu bleiben. Ich habe dem Praefecten viel zu verdanken. Bin quasi seine rechte Hand. Er vertraut mir. "


    Eine kalte Hand griff nach meiner Brust. Bleich ließ ich mich in den nächsten Stuhl sinken, und starrte ungläubig auf die Worte. Aber... das konnte doch nicht wahr sein.
    Du hättest es wissen müssen, Faustus. Du bist ein dummer Narr, Faustus. Hast du es nicht gewusst, schon an dem Morgen in Misenum?! Hast du es nicht gewußt, schon in dem Moment als er dir sagte 'ja', dass er nach Rom kommen wird?! Du bist selbst schuld Faustus, du hast dir wieder einmal etwas vorgemacht, das kannst du ja wirklich gut...
    Eine Träne rollte mir über die Wange, dann noch eine... Ich blinzelte, las die restlichen Worte wie durch einen verschwommenen Schleier.


    "Würde ich jetzt gehen, wäre es für mich wie die Flucht vor dem Feind. Auch wenn du sagst in Rom ist es nicht minder gefährlich. Der Gedanke allein, den Praefecten, die Kameraden hier im Stich gelassen zu haben, würde mich ewig verfolgen.
    Dazu kommt, das ich mich in Rom nur wie ein Gast und Freund des Hauses fühlen würde.
    Hier in Misenum bei der classis wartet viel Arbeit auf mich, die beste Möglichkeit, den Grübeleien zu entfliehen. Du fehlst mir. Ich zehre von unserem letzten Zusammentreffen. Du hast recht, ich sollte mich in der Stadt nach einer Ablenkung umsehen. Bis wir uns wieder sehen, wird eine Menge Zeit ins Land und über Wasser gehen.
    Mögen dich die Götter schützen, Fortuna mit dir sein. Vale bene. Appius Decimus Massa."



    "Wie kann er mir das antun..." flüsterte ich, den Brief langsam mit unsäglichem Grimm zwischen den Fingern zerknüllend. "Und nicht ein Wort, nicht ein einziges Wort... Ich bau ihm goldene Brücken und reiß mir den Arsch für ihn auf und tu alles und er... er lügt, er serviert mich gnadenlos ab... wie... - Wie, bei Eros und Anteros kann er mir das ANTUN??!!!" Es riss mich auf die Füße, und mit einer einzigen Bewegung, warf ich das zerknitterte Ding zu Boden, fegte den Tisch hinterher, so zornentbrannt dass das zierliche Stück zerbrach und die Zitrusholz-Splitter in alle Richtungen flogen.
    "Das sind doch SCHEISS-AUSREDEN!! Ich kann es nicht FASSEN, DASS ER MICH SO BETROGEN HAT!!!" heulte ich auf, und Ravdushara ging in Deckung, aber ich stand nur noch da, mit geballten Fäusten, zitternd vor Zorn... bis ich schließlich in mich zusammensank, und das Gesicht in den Händen verbarg. Das durfte nicht wahr sein. Das sollte nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein. Er hatte es mir doch versprochen. Er hatte doch ja gesagt. Es war doch schön gewesen, nebeneinander aufzuwachen. Du warst in meinem Traum, das hatte er gesagt. Doch was war es in Wirklichkeit gewesen?! Leere, leere Worte, Leere, die ich mit meinen Wünschen angefüllt hatte, das war bei Hannibal so gewesen, das war bei Aton so gewesen, das war bei Massa so gewesen, und jetzt... wieder........


    >>

    An
    Procurator a Libellis Gaius Pompeius Imperiosus
    Kaiserliche Kanzlei



    Salve Procurator Pompeius,


    Ich danke dir für deine Gratulation. Deine Anliegen werde ich gerne mit dir besprechen, du kannst mich zu diesem Zweck morgen zwischen der dritten und der sechsten Stunde des Tages in der Castra Praetoria aufsuchen. Zeige den Wachen dieses Schreiben, und sie werden dich anstandslos zu mir geleiten.



    [Blockierte Grafik: http://img291.imageshack.us/img291/1040/fds1.png]



    [Blockierte Grafik: http://img379.imageshack.us/img379/4679/praefectuspraetoriopv0.gif]


    ANTE DIEM XIV KAL IUL DCCCLXII A.U.C.

    Die Geschichte klang für mich beileibe nicht überzeugend. Mißtrauen erwachte... war ich womöglich einer Hochstaplerin aufgesessen? Einer, die sich als unbekannte Cousine ins gemachte Nest setzen und profitabel verheiraten lassen wollte, wohl wissend dass die Postwege zwischen den Provinzen zur Zeit keine rasche Nachfrage in Germanien erlaubten?!
    "Ach ja? Und warum hast du deine Pflichten so sträflich versäumt, Nuha?" fragte ich die Sklavin weiter aus, wobei ich sie mit Prätorianertribun-beim-Verhör-Blick kalt fixierte. "Was verschweigst du mir? Hat sie einen unstandesgemäßen Geliebten in Germanien? Gab es ein Skandal? Ist Crispus pleite? Raus mit der Sprache. Sofort!"

    Wie hatte ich es nur geschafft zu überleben, ohne dies... Mein Blut pulste wild durch meine Adern, ein Feuerstrom, der uns erfasste, und mit sich forttrug, immer heißer und schneller, ein Tanz zugleich, in meinem Takt, ich führte ihn, mein Rhythmus, der seinen Körper durchdrang, der ihn erbeben ließ, ihn, der sich so begierig hingab, ihn, der mich tief umfangen hatte, ihn, köstliche Hitze, köstliche Enge, köstliche Verworfenheit, aufreizende Hingabe, drängende Finger in meinem Haar, salzige Haut zwischen meinen Zähnen... und Talent für Alliteration – suavis, nein, suavis mochte ich hin und wieder sein, aber nicht jetzt, ein Impuls des Aufbegehrens, der mich ungestümer und rücksichtsloser vorwärtsstürmen ließ, kehlig aufkeuchend, Serapis, ja, der war ich, der die Gestirne an das Firmament gesetzt hatte, Serapis dem Meereswogen und Lavaströme untertan waren... so wie er mir untertan war, jede meiner Bewegungen mit mir vollführen mußte, er war mein, und ich durchwühlte sein Haar mit den Lippen und ja, ich suchte seine Lippen, fand den einen Mundwinkel, ihn küssen, im Taumel, im Tanz, mein heißer Atem verschmolz sich mit dem seinen, meine Zunge stieß hemmungslos vor, ich wollte ihn haben, ganz, ihn besitzen, ihn trinken, ihn verschlingen... schmale Hüften, von meinem Händen gepackt, fast grob, heftig an mich gezogen, kein Raum mir auszuweichen, und tiefer drang ich, und kehliges Keuchen, den Raum erfüllend, im Gleichklang mit dem Aufeinanderklatschen des Fleisches, jagend nach dem Höchsten, nach der Erfüllung die doch schon die Saat der Ernüchterung in sich trägt... seine Lippen, feucht, zuckend unter meinen Stößen, die Weichheit seiner Unterlippe, als meine Zähne wild damit spielten, und nichts, nicht das noch existierte, ausser diesem Raum, ausser unseren Körpern, im Einklang, sich aneinander verzehrend im niemals enden sollenden Rausch.