Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Das nahm ich ihm nicht ab. Wenn er sich wirklich für das Schicksal der Vinicier interessierte, dann wüßte er bescheid. Mein Argwohn wuchs noch ein wenig mehr. Angeheirateter Onkel hin oder her, er war ein Germanicer, und da würde ich mir gewiß keine Blöße geben.
    "Die Gefangenen haben genau die Haftbedingungen, die sie verdienen." antwortete ich recht unzugänglich. Dass ich bereits eigenmächtig dem Vinicier eine gesündere Zelle und gute Versorgung verschafft hatte, das behielt ich mal lieber schön für mich.

    Es war nur eine kleine Berührung an meinem Arm, aber es half mir. Da steckte so viel drin, das Wissen, dass Seiana da war, auf meiner Seite, und vor allem dass sie mich nicht im Stich gelassen hatte und niemals lassen würde. So langsam kam ich wieder ein Stück runter. Und die junge Helvetia schien meine Worte gar nicht unsinnig zu finden, und machte mir ein linkisches Kompliment, was ich irgendwie ganz nett fand, gerade weil es so wenig geschliffen rüberkam. Ich hatte sie wohl in Verlegenheit gebracht. Also für sie war ich jedenfalls nicht unsichtbar.


    Doch ein silberhelles Lachen durchdrang wie ein spitzer Speer meinen neu aufgebauten Schildwall.
    "Welchen Mann meinst du? Ich habe keinem Mann." kicherte die Petronia, und schon hatte ich, obwohl ich doch nicht wollte, nicht sollte, zu den beiden rübergeblickt. Und mit mahlenden Wangenknochen mußte ich Massas Spiel mit der Weintraube ansehen, ein Spiel dass unser Spiel gewesen war, und das er jetzt hier, provokativ wie nur was, vor mir und vor allen veranstaltete, mit diesem Mädchen...
    Das war, als würde eine eisige Klinge in mein Herz hinein fahren. Und dann hielt eine große Kälte Einzug, kroch in alle meine Glieder, bis in die Fingerspitzen, bis unter die Haarwurzeln. Es rauschte in meinen Ohren, und selbst mein Atem schien gefroren zu sein... die Luft schnitt mir in die Lungen wie bei klirrendem Frost. Es war überhaupt nicht mehr die Frage was ich tun sollte, oder wie ich ihm Kontra geben sollte, oder dass ich die Fassung bewahren mußte, das alles war wie hinter einem Nebel.
    Ich sah mich selbst, wie aus weiter Ferne, sah mich aufstehen, konnte mir richtig selbst dabei zusehen wie ich mich von der Kline erhob.
    "Entschuldigt mich bitte einen Augenblick." sagte dieser Faustus mit tonloser Stimme und ging durch die Türe zum Peristyl hinaus. Ohne Schuhe.
    >>

    Ich schmunzelte über ihren Zuspruch, das war lieb, aber ich fand doch, dass eine Kombination aus meiner Erfahrung und Seianas kühlem Kopf, dazu noch zehn Jahre älter und eine Handbreit größer, den perfekten Präkten ergeben hätte. Aber sie als meine Beraterin zu haben, war wohl die zweitbeste Option.
    "Marcus Vinicius Licinus." antwortete ich mit leise gedämpfter Stimme. "Er gehört zu den Verschwörern. Ich hab so getan als wäre ich auf ihrer Seite, und prompt hat er sich verraten. Also.... eigentlich ist ganz klar was ich nun zu tun habe. Aber... Bona Dea, wenn ich dir das jetzt so erzähle, klingt alles so klar. Aber als ich da bei ihm unten im Kerker war, da hatte ich den Eindruck, dass der Mann.... wirklich geglaubt hatte, das Beste für Rom zu tun... dass er auf seine Weise ein Patriot ist. - Was das Verbrechen nicht weniger schrecklich macht!"
    Zögernd fuhr ich mir mit den Fingerspitzen über die Stirn hinweg, versuchte vergeblich Worte zu finden für das, was mich bei dieser Sache dazu brachte, es als ganz und gar nicht so klar zu empfinden.
    "Nur... für einen Augenblick dachte ich... als ich da unten bei ihm war.... da hatte ich einfach Skrupel. So ein alter, elender, halbtoter Mann. Ein Senator, Konsular, der sich zu seiner Zeit nicht scheute, auch mal klare Worte aususprechen... wie Livianus. Und der Bruder von Lucillas Patron, der mir damals den Ritterstand verschaft hat. Aber es wäre vollkommen falsch ihn zu schützen, oder?! Sein Verbrechen verlangt doch nach Strafe. Und viel zu gefährlich wäre es....... findest du nicht auch?"

    Am Morgen schon hatte das wichtigste Ritual, die endgültige Consecratio des Tempels stattgefunden. Der alte Pontifex hatte das Gebäude damit endgültig aus unserer mundanen Welt heraus gelöst, es gehörte nun der Göttin Fortuna. Darauf folgte das Einweihungsopfer, bei dem eine ganze Schar weißer Lämmer ihr Leben lies.
    Mittlerweile aber war der Pontifex schon längst wieder abgezogen, der Mamorboden wieder weiß geschrubbt, und die ausgeweideten und zerlegten Lämmer brutzelten über dem Feuer und verbreiten einen köstlichen Geruch. Nur die Aeditui waren noch da, und die Tempelmusiker, die begleiteten mit den zarten Klängen ihrer Flöten und Lauten die Opferhandlungen der Besucher. Der Altar war schon ganz übersät von den vielen Gaben.


    Ich selbst lehnte gerade an einer der Tempelsäulen, und lies meinen Blick langsam über das bunte Treiben schweifen. Die Menschen waren fröhlich, bummelten zwischen den Buden herum, ließen sich von unseren Sklavinnen bewirten oder wagten sich an die Spiele. Es waren viele einfache Leute gekommen, viele Kinder waren unterwegs, sie rannten herum und trieben Schabernack. Die Sonne schien mir ins Gesicht, der Mamor war blendenweiß, und überall leuchten die Blumen in all ihrer Farbenpracht. Es war ein schönes Bild, gerade dafür geeignet, das Gemüt hoch emporzuheben und alle dunklen Gedanken zu vertreiben. Aber es schien mir, wie ich da so stand, ein wenig... unwirklich, ich vermochte nicht so recht zu spüren, dass all dies um mich herum körperlich und greifbar war... es war einfach zu verschieden von den dunklen Gewölben der Castra und den unschönen Dingen die dort geschehen mußten. Dazu kam noch das letzte Desaster, was mir noch immer schwer im Magen lag.
    So lehnte ich also, nicht so recht heiter aber auch nicht unzufrieden, an der Säule. Neben mir stand Rhea, unsere gute Vilica, die das ganze hier nach meinen Wünschen auf die Beine gestellt hatte, etwas abseits hielten sich meine Leibwächter. Ich verfolgte mit den Augen eine der vielen Helferinnen, die sich mit einem großen Korb zwischen den Menschen bewegte. Sie war, wie sie alle, als Fortunadienerin verkleidet, als guter Genius in sie luftig umwallenden hellen Gewändern (aber nicht zu freizügig, denn war ja Fors Fortuna, nicht die Floralia), und mit Kronen aus Blüten und Kornähren auf dem langen offenen Haar. Einige von ihnen verteilten Speisen aus ihren Körben, andere schenkten Wein in glasierten Tonbechern aus (die natürlich auch zum mitnehmen waren). FORS FORTUNA DCCCLXII A.U.C. stand auf den Bechern geschrieben. Und das Mädchen, das ich eben betrachtete, gehörte zu jenen, die die ankommenden Besucher des Festes mit Blumenkränzen versorgte. Sie stand an einem der großen Zugangswege, und verteilte die bunten Gewinde an jung und alt, groß und klein, froh und griesgrämig... einfach an alle. :D


    Sich bekränzen hieß ja, sich für Fortuna zu schmücken, um ihr auf ihrem Fest zu huldigen... an ihrem Feiertag, der sich von den gewöhnlichen Tagen eben dadurch unterschied, dass die Pflicht in den Hintergrund trat, die Sitten etwas freier wurden, die Sklaven genau wie die Freien feierten, und auch gestandene Männer sich bekränzten... bevor morgen wieder alles seinen gewohnten Gang gehen würde.
    Auch mir hatte der gute Genius schon einen Kranz verpasst, einen aus tiefblauen Glockenblumen. Ansonsten trug ich – man sollte schon sehen wer ich war - angedeutet Rüstung, einen leichten Harnisch aus gehärtetem Leder, kunstvoll beschlagen, über einem Subarmalium mit schnittigen Schuppen. Nicht zu prunkvoll, denn es war ja ein volksnahes Volksfest, aber schneidig. Ausserdem hatte ich meine Armillae angesteckt.
    "Wie sieht das Programm aus?" erkundigte ich mich bei Rhea.


    [Blockierte Grafik: http://img853.imageshack.us/img853/2552/rheavilica.jpg| Rhea, Vilica


    "Erst einmal ist Zeit zu opfern und für die Spiele. Zwischendurch gibt es Auftritte der Schausteller. Ich habe unter anderem eine großartige Tänzerin engagiert, und, genau wie du wolltest, einen der mit kleinen Hunden Kunststücke macht."
    "Sehr gut. Das gefällt immer." Mir jedenfalls.
    "Dann die große Verlosung, und wenn es dunkel wird ein Feuerspektakel. Einige Vigilen werden sich das auch ansehen, für alle Fälle. Du wirst nur für die Verlosung gebraucht, Herr."
    "Ich sehe du hast an alles gedacht."
    Damit war ich frei zu tun was ich wollte. Ich überlegte, dass es ganz gut wäre, für mein Bild in der Öffentlichkeit, wenn ich mit irgendeinem hübschen Mädchen über das Fest spazieren würde... meine Alibifreundin weilte ja noch immer in Ägypten (hoffentlich spionierte sie fleißig für mich). Schon auf den ersten Blick sah ich, von meiner erhöhten Position aus, viele Mädchen, mit denen man sicher wunderbar herumspazieren könnte, eine hübscher als die andere. Aber irgendwie konnte ich mich dann doch nicht dazu entscheiden, und blieb weiter da stehen wo ich war...

    Es war eine häßliche, übelriechende Tiefe, in der sich die Wahrheit verbarg, und aus der ich sie nur fetzenweise herauszerren konnte. Manchmal war es mir, als sei ich selbst schon Teil dieser Unterwelt geworden, dann sah ich auch nachts im Traum wieder die labyrinthischen Gewölbe, die hohläugigen Gefangenen, und die, auch bei den größten Grausamkeiten, gleichmütigen Wächter. Ich war jedesmal heilfroh wenn ich wieder hinauf an die frische Luft, zurück in die Welt der Lebenden steigen durfte. Und doch mußte ich, solange das Mosaik noch nicht passte, immer wieder hinab zu den Lemuren, und mit der Zeit - es verging viel Zeit - fügte sich das Geschehen immer weiter zusammen, Fetzen für Fetzen, oder sagen wir, Mosaiksteinchen für Steinchen:



    "Trotz der Saturnalien, alle meine Leute waren auf ihren Posten, keiner hat sich einer Pflichtvergessenheit schuldig gemacht!" sagte der Centurio, der den Kaiser an jenem Tage vergebens bewacht hatte. "Es ist niemand von aussen eingedrungen, das ist ausgeschlossen! Meine Jungs sind gute Soldaten, was auch immer geschah, wir hatten keine Chance es zu verhindern. Sie tragen keine Schuld."



    "Ich habe nichts getan! Ich habe wie jeden Tag das Essen serviert! Nein, ich habe nichts bemerkt, gar nichts, der Kaiser hat uns nach dem Auftragen weggeschickt... ich habe erst später den Lärm gehört..." schluchzte eine der Haussklavinnen des Kaisers, ein todgeweihtes Mädchen. "Ich kann nichts dafür, ich habe dem Kaiser treu gedient, oh bitte, bitte Herr, lass es nicht zu dass sie mich kreuzigen...!"



    "Der Kaiser war guter Dinge, er trug einen Pilleus und legte sich mit seiner Familie zum Mahl." berichtete ein Miles der im Speisesaal selbst auf seinem Posten gestanden hatte. "Der Vorkoster hat alles zuerst probiert. Sie unterhielten sich über die Feiertage, und Maioranus bat ein Wagenrennen besuchen zu dürfen... Aber dann, sie waren schon beim Nachtisch, begann Maioranus, auf einmal zu klagen ihm sei nicht gut, und er hatte Krämpfe in den Gliedern... Sie haben dann nach den Medici geschickt, mein Mitwächter ist gleich losgerannt, aber dann... ging es sehr schnell, der Junge wurde ganz schlaff, und rang verzweifelt nach Luft. Es war schrecklich, ich kann sein Röcheln jetzt noch genau hören..."



    "Als ich eintraf" hörte ich von dem griechischen Medicus, "war der Knabe bereits verschieden. Seine Mutter wand sich schreiend im Krämpfen, und der Kaiser, selbstverständlich galt meine oberste Sorge dem Kaiser, litt schon an einer fatalen Dyskrasie mit Phlemaüberschuss, er war ganz weiß im Gesicht, konnte sich kaum mehr regen, kämpfte mühsam um jeden Atemzug. Der Vorkoster war da, glaube ich, auch schon tot, aber auf ihn habe ich nicht geachtet, nur auf den Kaiser. Ich brachte ihn sofort zum Erbrechen und verabreichte ihm Theriaca andromachi , doch es war bereits zu spät, sein Leib hatte zu viel Schaden genommen, das Herz hörte alsbald auf zu schlagen. Kurz darauf verschied, trotzdem meine Kollegen und ich alles versuchten sie zu retten, auch seine Frau."



    "Es war ein extrem starkes Gift" ergänzte sein syrischer Kollege, "merkwürdig daran ist, dass es so langsam wirkte, will sagen, dass die Wirkung verspätet, dann jedoch mit massivem Effekt einsetzte. Ich nehme an, dass ein solches gewählt wurde, um den Vorkoster nicht frühzeitig dahinzuraffen.... sondern erst dann, als es für alle bereits zu spät war. Eine pernizöse Vorgehensweise. - Ich darf doch annehmen, Tribun, dass meine Kollegen und ich, die wir dir mit all unseren Geisteskräften bei der Aufklärung des infamen Verbrechens behilflich sind, bald freikommen werden?"



    "Ich vermute, dass diese Verzögerung nicht dem Gift innewohnte, sondern der Verabreichungsform." mutmaßte wieder der Grieche, "Ein derart starkes Agens sollte sonst schon im Munde eine geringe Wirkung entfalten, und sei es nur ein bitterer Geschmack oder eine Taubheit der Zunge, die Aufnahme würde nicht unbemerkt bleiben. Möglicherweise wurde es von einer anderen Substanz umhüllt, welche erst nach gewisser Zeit, wenn die Körpersäfte wirken, das Gift freigibt... von einer Art Ummantelung oder Kruste..."



    "Der Speiseplan?!" echote der kaiserliche Koch, der von der Haft schwer gezeichnet war. Nur fahrig brachte er die Worte zusammen. "Es war ein einfaches Mahl, wegen des Feiertages. Zu Beginn gab es Eier, dann Gänseleberpastete und... geröstete Siebenschläfer... Ingwerkapaun und zuletzt Obst und Saturnaliengebäck. Was genau? Das war... geschichteter Honig-Kuchen, mit Rahm-Mandel-Sauce, gehackte Mandeln in lydischer Zuckerkruste, mein höchsteigenes Rezept... - Wer die Süßspeisen zubereitet hat? Die Handgriffe ausgeführt hat der Küchensklave Berisades."



    ".... aufhören! Nein... nein bitte.... nur endlich aufhören..." wimmerte schließlich der Küchensklave Berisades, oder das was von ihm übrig war, nachdem der Folterer sich ausgiebig mit ihm beschäftigt hatte. "... ja, ja... ich hab es in die Sauce getan... das Gift... da hinein getan, aber ich wollte es nicht, er hat mich gezwungen, es war Ulpianus, nicht ich, ich WEISS NICHT WARUM, nur, eine bedeutende Person steht dahinter hat er gesagt, MEHR WEISS ICH NICHT... eine bedeutende Person in Rom... aufhören, bitte... Ulpianus Venox... er war es, nicht ich...
    nicht ich... aufhören... bitte...
    Aufhören!!
    ...bitte..."



    Und die Jagd auf Ulpianus Venox begann...





    Ruhig Blut Faustus. Ganz ruhig. Immer ganz ruhig. Du brauchst ihn nicht. Soll er doch machen was er will. Soll er doch... - ....direkt vor mir der Petronia schöne Augen machen?! NEIN! Das ist zuviel, das... - ruhig Blut Faustus. Du brauchst ihn nicht. Er verdient es nicht, dass du dich wegen ihm grämst. - Ich gräme micht nicht! Ich zürne gerecht! - Ja... so ist es... und nun ruhig Blut. Immer ganz ruhig...
    Eine Frauenstimme rückte mir näher, mit verschleierten Augen blickte ich in das verschmitzte, mir viel zu nahe, Gesicht der Helvetia... dings... Der Schwester.
    Oh lasst mich doch alle in Ruhe!
    Was hatte sie gesagt? Erwartete sie etwa eine Antwort von mir?! Es war ein großes Glück, dass Seiana eingriff. Meine große Schwester, die sich an meine Seite gesellt hatte, die Flanke deckte und wie Athene ihren Schild über mich hielt.
    Ein anstrengender Tag. "Mhm. Ja. Ein anstrengender Tag." wiederholte ich benommen.
    Wach auf. Reiß dich zusammen, Faustus!
    Ich konzentrierte mich mit aller Kraft auf dieses eine Gesicht. Sonst nichts. Auf diese eine Sache, damit alles andere fort war und mich nicht mehr berührte, auf die Helvetia... die hochgesteckten Haare, der Reif im Haar, die sich vor den Ohren lockenden Strähnen, die dunkle umrandeten Lider, die nervöse Spannung der Lippen, das mädchenhafte Niederschlagen der Augen, das drollige Angebot zu helfen.
    "Aber nein..." formulierte ich dann endlich wieder Worte, wenn auch recht hölzern klingende. "Wie könnte ich besser... neue Kräfte schöpfen als in so zauberhafter Gesellschaft."

    Du brauchst ihn nicht. "Ja!" stimmte ich vehement zu. "Du hast recht. Ich brauche ihn nicht." Ich brauche ihn nicht. "Ich bin besser dran ohne ihn. Er lenkt mich nur ab. Gut dass er gekniffen hat. Ich war verblendet, und... überhaupt. Ein Flottenoptio! Eigentlich ist er gar nicht ausreichend qualifiziert!" Wenn ich es noch ein paar mal sagte, würde ich es vielleicht dann auch selbst glauben. "Ja! Es soll das ruhig wissen!"
    Das hatte Seiana sehr schön und treffend zusammengefasst. Dankbar für ihren Beistand lächelte ich ihr zu. Echt mal... so langsam hing es mir nur noch zum Hals raus, das hin und her, und ich mir selbst, dass es mich so mitnahm und mein Augenmerk von den wichtigen Dingen abzog.


    "Ich meine das erst." widersprach ich, trotzdem sie so abwehrend reagierte, "Ehrlich. Ich wünschte ich könnte die Dinge so kühl und nüchtern betrachen wie du, wenn es nötig ist. Aber mich reißen so Sachen wie das jetzt immer gleich dermaßen mit. Oh, versteh mich nicht falsch, ich weiß wie temperamentvoll du im Grunde bist..." Dabei legte ich ihr den Arm um die Schultern und drückte sie ein bisschen. ".. mein Schwesterherz. Aber du kannst trotzdem immer die Fassung bewahren, rational bleiben, und einen tadellosen Auftritt hinlegen... Vielleicht wärst du, nein sagen wir, eine Kombination aus uns beiden, der bessere Gardepräfekt... - den richtigen Namen trägst du ja schon." versuchte ich mich an einem Scherz, wobei mir das Thema eigentlich todernst war. "Ich würd dich gern um Rat fragen, bei etwas, das meine Arbeit betrifft.."

    Und woran ich mich erst gewöhnen mußte: immerzu wollte irgendwer was von mir. Das war als Tribun nicht mal ein Zehntel so arg gewesen.
    Jetzt gerade kündigte Falcidius zum Beispiel die Ankunft des Procurator a Libellis an, der, wie er mir schon geschrieben hatte, auch irgendwas wollte. Ich bat ihn herein, diesen Pompeier, an den ich mich noch ausgezeichnet erinnerte, denn er hatte sich, bei meinem ersten Besuch der kaiserlichen Verwaltung, mir gegenüber durch ausgeprägte Unhöflichkeit und Bürokraten-Borniertheit hervorgetan. Selbst jetzt hatte er zuerst versucht, mich zu ihm auf den Palatin zu bestellen – was angesichts der Tatsache, dass ich nun den höchsten Ritterposten des Reiches innehatte, doch etwas daneben gegriffen war.


    "Salve Procurator Pompeius." grüßte ich kühl und wies auf den Stuhl vor meinem Schreitisch. Denn ich wußte immer noch was sich gehörte.
    "Was möchtest du mit mir besprechen?"





    Wohlgefällig betrachtete ich das neue Schild an der Türe, dann trat ich ein, durchwanderte mein neues Reich. Ich war angekommen auf dem Gipfel meiner persönlichen Träume und im Herzen der Macht! Kurz warf ich einen Blick aus dem Fenster, ich konnte von hier, vom Viminal, weit über die Stadt sehen, und direkt hinüber zu Esquilin und Palatin.
    Dann nahm ich an meinem großen, schweren Schreibtisch Platz. Das war die einzige Extravaganz, die ich mir hier geleistet hatte, die Möbel aus Ebenholz, tiefschwarz und glänzend poliert, ansonsten verströmte der Raum nur Strenge und unverbrämte, blanke Macht. An die eine Wand war ein Fresko von Mucius Scaevola gemalt - ganz altertümlich und schnörkellos, er hielt mit vollkommen unerschütterlicher Miene seine Hand ins Feuer - die anderen wurden von Karten des Imperiums bedeckt. In einer Ecke befand sich ein kleiner Altar mit den Statuetten von Mars und Belonna, dem Genius Romanus, Fortuna, Serapis und der capitolinischen Trias.
    Im Nebenraum hatte ich eine Pritsche stehen, so das ich hier auch übernachten konnte, wenn es mal später wurde. Und im Vorzimmer wachte mein tüchtiger Beneficiarius Falcidius darüber, wer zu mir durfte und wer nicht.
    Zeit, mich in Ruhe einzuarbeiten hatte ich keine. Sofort steckte ich bis über beide Ohren in dringenden, am besten gestern schon erledigten Dingen... die Spionage gegen die Rebellen war zur Zeit das Allerwichtigste, und die Jagd auf ihre Unterstützer, versteht sich, dann waren da die Pläne, die Unterstützer zu Überläufern zu machen, und überhaupt Möglichkeiten den Feind zu schwächen, Gegentaktiken waren zu entwerfen, und die Ermittlungen zum Mord an der kaiserlichen Familie waren auch noch nicht abgeschlossen, und, nicht zu vergessen, hatten wir die Sicherheit in Rom zu hüten und unseren Kaiser besser zu beschützen als die beiden letzten, dazu kam das ganz gewöhnliche Tagesgeschehen. Hätte ich nicht tatsächlich die Besten der Besten unter mir gehabt, Leute die ihre Arbeit wirklich gut machten, wäre ich wahrscheinlich wahnsinnig geworden.





    "In Wirklichkeit erkennen wir nichts; denn die Wahrheit liegt in der Tiefe." sagte einst Demokrit. Ich hoffte aber doch, etwas zu erkennen... und zwar, wie es sich mit der Ermordung des Kaisers zugetragen hatte. Ein Detail das man über den aktuellen Machtkämpfen glatt aus den Augen verlieren könnte.
    In der Tiefe suchte ich... der Tiefe der Castra, in der in düsteren Zellen unzählige Verdächtige ihres Unterganges harrten, in der Tiefe der Aussagen die sie machten, in der Tiefe der wirren Gerüchte, die sich um dieses größte aller Verbrechen gerankt hatten, wie dicht gewucherte Matten von Efeu verschleierten sie alle Konturen, verhüllten das Wesentliche.
    Öffentlich waren die Schuldigen längst benannt und geächtet, doch meine Liebe zum Detail ließ mir keine Ruhe, und ich sammelte seit meiner Rückkehr unablässig Steinchen für Steinchen für mein Mosaik zusammen, in unzähligen Verhören von kaiserlichen Sklaven und prätorianischen Wächtern, Angestellten des Palastes, bisweilen sogar Patrizierinnen oder auch mal ein Consular. Ich befand mich in der komfortablen Situation, dass alle, die an jenem fatalen Tag Zugang zum Misenum-Landsitz gehabt hatten, natürlich sogleich von uns eingesperrt worden waren. Die Sklaven erwartete ja sowieso der Tod nach Folter, wie es der Senatus Consultum Silanianum nun mal vorschrieb... ein Gesetz von rücksichtsloser Härte, und doch eines dessen Sinn sich nicht leugnen lies. Und die Leibärzte hatten wohl auch nicht mehr viel vom Leben zu erwarten. Die Gardisten waren seitdem vom Dienst suspendiert. Der Tod des Kaisers und seiner Familie hatte schon so einige mit in den Abgrund gerissen, und es würden sicher bald noch sehr viel mehr werden...

    Zitat

    Original von Pinnia Serena


    Sie wollte unter vier Augen mit mir sprechen?
    "Ja sicher." antwortete ich ganz automatisch, denn ich war es nicht gewohnt, würdevollen Matronen etwas abzuschlagen. Erst im Nachhinein dachte ich so bei mir, dass das echt ein Nachteil meiner neuen Würde war... dauernd wollte irgendwer irgendwas von mir.
    Ich schmunzelte, als sie Seiana für meine Ehefrau hielt, aber meine Schwester klärte das Mißverständnis ja sogleich auf.


    Zitat

    Original von Appius Decimus Massa


    Doch dann, wie gesagt, betrat Massa den Raum, was mich vollkommen aus der Bahn warf. Wie konnte er?!! Stumm und starr sah ich ihm entgegen, und was meine eh schon abgrundtiefe Kränkung noch viel tiefer machte, war: er sah mich nicht.
    Ich war unsichtbar für ihn. Er hatte nur Augen für Stella, und selbst als er eine flüchtige Begrüßungsrunde machte, kam er einfach auf mich zu als wäre nichts gewesen, er umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Das war ZU VIEL! Entgeistert packte ich seine Hand, entfernte sie von meiner Schulter und schob ihn mit glühendem Zorn einen Schritt von mir zurück.
    "Wie kannst du es wagen hier rein zu spazieren!" zischte ich. "Hab ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?!!"


    Es lag wohl an Stellas Musikern, dass dies nicht von allen gehört wurde, jedenfalls ging das Stimmengewirr und Geplauder im Raum ganz normal weiter. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, all die Menschen und Gespräche, die Gerüche, die Musik, sie überrollten mich wie eine riesige Woge, ein beklemmernder Druck auf der Kehle... alles zugleich und dann wiederum nichts wirklich wahrnehmend, rang ich darum, irgendwie Haltung zu bewahren, Fassung zu bewahren. Bleich saß ich auf der Kline, ein Petronia Romana-artiger Schemen hatte irgendwas zu mir gesagt und ich machte nur "Mhm.", vage nickend, ohne irgendeine Ahnung zu haben worum es ging. Die Cena begann, und in meinem Kopf war nur Ruhig Blut Faustus. Ganz ruhig. Immer ganz ruhig. Mach es einfach wie Seiana. Nicht ausrasten. Nicht weggehen. Lächeln...

    Am Tag der Fors Fortuna war die große Einweihung. Der Tempel war mit Unmengen von Blumen geschmückt, in Vasen vor dem Kultbild, als Girlanden zwischen den Säulen, in Blumenschalen außenherum, als Kränze die später verteilt würden. Dicke Bienenwachskerzen brannten auf dem Sockel und verstömten einen süßen Duft.
    Auf den Wiesen und an den Wegen des Parks, waren schon am Vortag eine Menge Buden und Zelte aus dem Boden gesprossen. In der Nacht hatte es geregnet, aber als ich am frühen Morgen des Festtages mit all meinen Helfern und Begleitern auf das Gelände kam, schien bereits wieder die Sonne, und die Wassertropfen funkelten im grünen Gras. Ich wollte ein Volksfest, für alle, auch für die Sklaven, so wie es zu diesem Tag passte. Ausrufer waren in der Stadt unterwegs und verbreiteten überall:


    "Audite, audite! Kommt alle zum großen Fortunafest in den lucullischen Gärten! Der Gardepräfekt Decimus Serapio weiht der Göttin einen wun-der-schönen Tempel und lädt alle Besucher, ob arm ob reich, ob frei ob unfrei zum Essen ein! Es gibt vergnügliche Spiele und spektakuläre Attraktionen! Dazu eine große Lotterie mit un-glaub-lichen Gewinnen! Audite, audite! Kommt alle zum großen Fortunafest in den lucullischen Gärten!"


    Oh ja, es gab viele Attraktionen! Zum einen waren da die langen Tafeln unter dem Bäumen, rasch zurechtgezimmert (und natürlich blumengeschmückt), an denen die Besucher von den tüchtigen Sklavinnen meiner Gens verpflegt wurden, mit leckeren überbackenen Fladenbroten und Bratwurst aus einer mobilen Garküche, mit Obst, Süßzeug, und tarraciensischem roten Landwein. Dann gab es die Spiele für groß und klein, wie zum Beispiel das Apfelschnappen, bei dem man, mit den Händen hinter dem Rücken, aus einem mit Wasser gefüllten Fass, mit dem Mund einen der darin schwimmenden Äpfel rausholen mußte. Oder das Strohsack-Duell, bei dem man auf einem (kniehohen) Querbalken stehend, sich gegenseitig mit den gefüllten Säcken runterschubsen mußte. Hufeisen werfen konnte man, und noch vieles mehr. All die Spiele wurden von unseren Sklaven betreut, und für die Siege bekam man von ihnen ein Los für die Lotterie: eine kleine Bronzetafel mit einer Nummer darauf.
    Eselreiten gab es für die Kinder. Die Mutigeren durften sich von meinem Leibsklaven Ravdushara eine Runde in meinem zweispännigen Streitwagen über die Wiese fahren lassen. Und später würden dann noch Gaukler, Tänzer und Musiker auftreten...

    "Audite, audite! Kommt alle zum großen Fortunafest in den lucullischen Gärten! Der Gardepräfekt Decimus Serapio weiht der Göttin einen wun-der-schönen Tempel und lädt alle Besucher, ob arm ob reich, ob frei ob unfrei zum Essen ein! Es gibt vergnügliche Spiele und spektakuläre Attraktionen! Dazu eine große Lotterie mit un-glaub-lichen Gewinnen! Audite, audite! Kommt alle zum großen Fortunafest in den lucullischen Gärten!" verkündeten die Ausrufer in den Strassen Roms.




    Was konnte ich besseres mit all meinem Reichtum anstellen - mal abgesehen davon, meine Soldaten zu bestechen – als Fortuna zu bestechen? Lange schon hatte ich vorgehabt, meiner Schutzpatronin einen Schrein zu bauen, aber dann kam ich zu dem Schluß: warum nicht gleich ein Tempel? In den lucullischen Gärten, nahe des Tiberufers, hatte ich schließlich einen heruntergekommenen ollen Schrein ausfindig gemacht und ihn nach den gebührenden Riten eilig zum Tempel ausbauen lassen.
    Ein kleiner Monopteros-Tempel mit freien Säulenzwischenräumen war es geworden. Unter dem steinernen Baldachin stand auf hohem Sockel die mamorne Statue der Schutzherrin: eine junge, amazonenhafte Fortuna war es, die, das Füllhorn im Arm, das Steuerruder in der Hand, den Mond im Haar, ungestüm vorwärtsstrebte, als würde sie sogleich über den Fluß hinwegschweben und von einem der sieben Hügel zum anderen springen wollen. Sie war, noch ganz frisch, mit bunt leuchtenden Farben bemalt. Im Sockel war eingemeißelt, dass ich, Faustus Decimus Serapio, Praefectus Praetorio, Sohn des Marcus Decimus Livianus (gewesener Legatus Legionis, Praefectus Urbi, Praetor) diesen Tempel der Fortuna Fausta zum Dank für ihren erfreulichen Beistand gestiftet hatte. Die Lettern waren golden ausgemalt. Und unter dem Dach zogen sich, rundrum die schönen Verse des Horaz entlang:


    Die Frage nach dem Morgen sei nicht gestellt; / nimm alle Tage ja als Gewinn, die dir
    Fortuna schenkt! Verachte nicht die / Freuden der Liebe, die Reigentänze,
    solange noch die Jugend dir blüht und fern / des Altern Launen stehn. An des Abends fest
    bestimmter Stunde suchen heißt's jetzt / leises Geflüster in Feld und Garten;
    zu raten gilt es Liebchens Versteck in dem / geheimen Winkel, wo sie verlockend lacht,
    ein Pfand zu rauben ihrem Arme / oder dem Finger, der kaum sich sträubet.




    Fortuna Fausta ~ die günstige/erfreuliche/holde Fortuna

    Es war so weit! Der Augenblick, in dem meine kühnsten Träume Wirklichkeit wurden, er war gekommen: "Decimus Serapio, hiermit ernenne ich dich zum Praefectus Praetorio!" sprach der Kaiser. Ich blinzelte, und nein, ich erwachte nicht. Somit führte ich zackig die Faust zur Brust und erwiderte voll Inbrunst, laut und klar, (denn natürlich waren diese Worte nicht nur für den Imperator bestimmt, sondern viel eher für die wendehalsige und Fähnchen-in-den-Wind-hängende Opportunisten-Gesellschaft auf der Tribüne):
    "Mein Kaiser, ich danke dir! Doch nicht mit Worten will ich diesen Dank bekunden – meine Treue wird es dir vergelten, und meine Taten werden sprechen!"


    Was mich nicht davon abhielt, eine Rede zu halten, versteht sich. "Aber ja." antwortete ich, und gab dem Gardisten, der mein Pferd am Zügel hielt, einen unmerklichen kleinen Wink, worauf er das Tier auf mich zu führte, so dass ich mich von der Stufe, die auf die Tribüne führte, flüssig auf dessen Rücken schwingen konnte. (Durch meinen lädierten Arm bekam ich es nämlich nicht mehr hin, mich aus einer ebenerdigen Position hochzustemmen und in den Sattel zu schwingen... darum überspielte ich das Manko auf diese Weise.)
    Ich warf mein Paludamentum über die Schulter zurück, und wandte mein Ross in Richtung der Truppen, es tat hohe Paradeschritte und wölbte prächtig den weißen Hals. Eine Rede! Das Wissen, dass all diese unzähligen Augen auf mich gerichtet waren, ließ mich nicht kalt. Doch zum Glück war es ja beileibe nicht das erste Mal, dass ich zu Truppen sprach, und zudem war ich so berauscht von der Größe des Momentes und von meiner eigenen plötzlichen Bedeutsamkeit (und selbstverständlich hatte ich meine Rede zu Hause vor dem Spiegel gut eingeübt), dass es mir nicht schwer fiel, hier das Wort zu ergreifen.


    "Militees! Krieger der Kaisergarde! Söhne des Mars!!" rief ich ihnen markig über das Marsfeld zu. "Ich bin unbändig stolz, als euer Kommandant unter dem Banner des Skorpions zu dienen. Als ein Soldat ex caligae, will ich meine Freude mit euch teilen, darum bekommt heute jeder von euch ein Donativum von einem Monatssold!" Was konnte ich besseres mit diesem obszön hohen Gehalt anstellen, als mir die Loyalität meiner Leute zu (kaufen) festigen? Die Zügel in der Linken, mit der rechten meine Worte untermalend fuhr ich feurig, dann aufpeitschend fort:
    "Ihr seid die Besten der Besten. Das weiß jeder! Wir haben stürmische Zeiten. Und wann, wenn nicht in stürmischen Zeiten, kann der Tapfere seinen Mut beweisen, der Krieger seine Kampfeskunst stählen, der Held einstehen für das Recht!!? Wir Soldaten sind die Verteidiger des Römischen Reiches! Und an den Rändern des Reiches haben sich infame Verbrecher zusammengerottet: die Mörder, die unseren guten Kaiser Valerianus, seine Frau und seinen jungen Sohn, auf die heimtückischste und qualvollste Weise - durch Gift - aus dem Leben gerissen haben!
    Die Frevler gegen Götter und Menschen, die, um ihrer eigenen Machtgier willen, nicht davor zurückschrecken, die bisher wohlbefestigten Ostgrenzen unseres Reiches von Truppen zu entblößen. Von Truppen, die unsere Grenzen gegen die Horden beutegieriger Wilder, blutdurstiger Parther zu beschirmen haben!! Der vergöttlichte Iulianus gab sein Leben im Kampf gegen die barbarischen Agressoren – nun treten die Frevler, die seinen Sohn und Nachfolger ermordet haben, auch dieses Erbe in den Schmutz! - Werden wir dies zulassen? NEIN!!"

    Das wäre eine Stelle gewesen, um das Ross sich aufbäumen zu lassen, doch das war mir dann doch zu riskant, ich wollte ja nicht runterfallen. Ich ließ es tänzeln, dann die Reihe der angetretenen Gardisten schwungvoll entlangschreiten, während ich weiter mit flammender Überzeugung sprach:
    "Wir Soldaten Roms, alle, in den Stammeinheiten und Legionen, wir sind die starken Säulen, auf denen das Imperium ruht! Die unerschütterlichen Säulen, die treuen Soldaten sind es, die unter dem rechtmäßigen Kaisers Imperator Augustus Vescularius Salinator die Frevler restlos zermalmen werden!! Wir, die prätorianische Garde, die Ersten unter den Verteidigern des Reiches, wir sind bereit! Ohne Gnade kämpfen wir gegen einen jeden äusseren oder inneren Feind! Für unser großartiges Imperium! Für die Patria! Für ROM! - Dafür, dass alle seine Bürger weiter in Frieden und Sicherheit leben können."


    (Innere Feinde sassen sicher so einige auf der Tribüne. Drum hatte ich ein paar Spitzel verteilt, die mir später berichten sollten, wer wie reagiert hatte.)
    "ROM" war der gleißende Höhepunkt meiner Rede, danach ließ ich die aufgebaute Spannung absinken. (Natürlich konnte meine Stimme, obgleich Kasernenhof geschult, nicht von allen, die da auf dem Marsfeld versammelt waren, vernommen werden, darum hatte ich in einigem Abstand noch weitere Redner postiert, die, mit einem Manuskript meiner Rede ausgestattet, meine Worte jeweils wiederholten, sie weitertrugen, damit auch wirklich alle in den Genuß meiner Worte kamen. Wie zuvor, auch wenn ich die Soldaten adressierte, war die Botschaft selbstverständlich auch für die Zivilisten bestimmt.)


    "Und nun, Milites, zeigt eure Meisterschaft! Kämpft!" schloß ich, und eröffnete dabei mit großartiger Geste die "Spiele". Signale erschallten, und die Kohorten rückten wieder wundervoll präzise zur Seite, so dass vor der Tribüne freier Raum genug war, auf dem es jetzt endlich so richtig zur Sache gehen konnte.

    Ich unterdrückte den Impuls, Stella durchs Haar zu wuscheln, schließlich war sie heute die Gastgeberin, ein respekteinflößender Posten, und ausserdem sah ihre Frisur dafür zu kunstvoll aus. Also schenkte ich ihr nur ein schiefes Lächeln, als sie mir so großmütig verzieh. Die Helvetier, ach ja, nun ich erinerte mich, die Familie, und... Massa?! Mein Lächeln erstarrte. Massa. Nein, den wollte ich auf keinen Fall sehen, und ich war schon dabei, mir irgendeine dumme Entschuldigung zu überlegen, um mich doch wieder zu entfernen... doch dann machte ich mir klar, dass ich sein Kommen ganz sicher nicht zu befürchten hatte. Erstens: sein Dienst. Zweitens: mein Brief. Ja dann... Da das Triclinium mir noch etwas leer erschien, winkte ich Timaia zu mir.
    "Timaia, geh mal eine Runde durchs Haus und sag allen die sich noch schön machen müssen, oder die Cena verschlafen haben, dass sie jetzt hier antreten sollen!"
    "Ja Herr." piepste sie, und machte sich auf den Weg. Ehrlich mal, wie sah denn das aus, wenn die Familie erst nach und nach anschlurfte, keine Disziplin hier im Haus...


    Zu spät, die Gäste kamen schon.
    "Helvetius, es ist mir eine Freude." Der sah aber nicht nach einer Vestalia-Bekanntschaft aus, dafür war er zu bärtig... Ich schüttelte ihm die Hand (mit der rechten Hand wieder, wobei ich mich verbissen darauf konzentrierte, trotz der Verletzung einen angemessen kraftvollen Händedruck zu erzeugen. Ich hatte ja weiter trainiert, und es ging ganz passabel.) Die würdige Matrone, die dann vortrat, die war mir, wie das manchmal so ist, auf den ersten Blick sympathisch.
    "Salve werte Pinnia!" begrüßte ich sie mit einem freundlichen Lächeln, "Eine Ehre ist es für uns, euch heute zu Gast zu haben." Ob sie wohl zu den senatorischen Helvetiern gehörten?
    Die junge Schwester schien etwas schüchtern, auch ihr lächelte ich höflich zu.
    "Salve Helvetia. Oh, aber das wäre doch nicht nötig gewesen!" Erfreut nahm ich die Geschenke entgegen. Schöne Blumen waren das. Sie erinnerten mich an die letzte weiße Blume, die ich geschenkt bekommen hatte, und vor allem an den hinreißenden Iulier, der sie mir überreicht hatte... Ich reichte sie ebenfalls an Aspasia weiter, und befahl: "Stell sie dahin.", wobei ich mitten auf den Tisch deutete.
    "Herzlichen Dank." Auch die Amphore wurde gebührend begutachtet. "Ein Noricer, nun, den müßen wir unbedingt später noch kosten. Das vorletzte Jahr war wirklich ein guter Jahrgang, nicht wahr?" plauderte ich vergnügt. "Wir haben ja auch Weinberge, in Hispania vor allem, und gerade die späte Sommersonnenglut, wie wir sie vor zwei Jahren genießen durften, gibt den Trauben doch erst die richtige feurige Süße..."


    Ich begrüßte Seiana und umarmte sie, froh sie mal bei einem so harmlosen Anlass zu treffen. Stella machte ihre Sache gut, stellte alle noch einmal vor. Eben wollte ich mich wieder den Gästen zuwenden, als Ephialtes noch jemanden ankündigte. Ungläubig starrte ich auf die Türe, und dann erstarrte auch der Rest von mir. Ich würde blass, ich sah es, aber ich konnte es nicht fassen, dass da gerade... tatsächlich... Massa... zu uns hereintrat.......

    "Ja, Rangfragen!" schnappte ich, "Stell dir das mal vor!"
    Ich wollte eigentlich einfach nur hören, dass ich ja so recht hatte, und dass Seiana ganz auf meiner Seite war, auf scharfsinnige Analysen war ich nicht eingestellt.
    "Klar hat er die geändert! Ändert er ja ständig, je nachdem wer gerade vor ihm steht!" Stichwort Wüstenblume! "Er ist SO wankelmütig!! Warum er nicht will, also, was er als Grund dafür vorschiebt, das ist echt das Allerbeste, da sagt er nämlich:" .. und gehässig imitierte ich seine Erklärung, komplett mit naivem Augenaufschlag: "... oh, Faustus, ich habe dem Präfekten so viel zu verdanken, oh Faustus, ich kann doch meine Kameraden nicht im Stich lassen!"
    Zornig sprang ich auf und rief, wild gestulierend: "Aber mich! MICH kann er im Stich lassen! - Wir hatten über ALLES das gesprochen, und es abgehakt, und Pläne für Rom gemacht, und kaum bin ich weg fällt er wieder um! Ich fass es nicht! Ich könnte ihn erwürgen! Wegen ihm hab ich mir die ganze blöde Arbeit gemacht, und in Terentius Schuld stehe ich jetzt auch deswegen, und... und er, er lässt mich einfach im Stich....."
    Das war zum... - Ich raufte mir die Haare und ließ mich mit finsterem Gesicht wieder neben Seiana auf die Bank fallen. "Nein, Mißverständnis war das nicht. Das war pure......" Böse Worte geisterten durch meinen Kopf. "...was auch immer." Ja, ich fühlte mich verletzt.... aber Seianas schwesterliche Solidarität war ein Balsam, der schon ein bisschen half. "Ja zum Glück!" stimmte ich zu. Ihn zu sehen, das wäre jetzt echt das Letzte.


    "Blöderweise hab ich ihm gleich zurückgeschrieben... als ich noch wirklich wütend war..." gestand ich dann, und hoffte irgendwie, dass Seiana auch das vollkommen normal und verständlich finden würde."Ravdushara hat noch gesagt 'Serapio, lass den Brief lieber noch einen Tag liegen', aber ich wollte ihn gleich weg haben und hab Acestes sofort losgejagt..." Ich verzog das Gesicht zu einer zerknirschten Grimasse. "Ja, ich werde ihm sicher nicht so bald wieder begegnen.... Phuuuh... wenn ich ihn nur nicht so vermissen würde.... naja, vorbei ist vorbei..... Ich hätte es eh wissen müssen, ich hatte an dem Morgen schon so ein komisches Gefühl.... wie damals bei... Hannibal als es schon nicht mehr gut lief... aber ich wollte nicht darauf hören, und Massa war dann auf einmal auch wieder so... lieb... dass ich dachte, ich hätte mir das nur eingebildet..."
    Erschreckende Parallelen taten sich für mich auf. Ich hatte versucht, Hannibal mit Geld für mich zu gewinnen, hatte versucht ihn freizukaufen, vergeblich, was alles dann erst wirklich zum Desaster gemacht hatte.... und ich hatte versucht, Massa mit Rang und Glanz in meine Nähe zu holen, und was hatte ich jetzt?!
    "Ein Desaster. Aber das ist ja nichts neues. Also genug davon, ich hör schon auf. - Ach Seiana, manchmal wünschte ich echt ich wäre... viel mehr so wie du....."
    Zerquält griff ich nach dem Weinkrug, ignorierte den Wasserkrug, und füllte meine Becher bis zum Rand, trank ihn in zwei Zügen leer.