Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Hastig wischte ich mir die Tränen ab. Massa hatte mich ganz sicher nicht ins sein Bett geholt, damit ich ihm hier die Ohren vollheulte. Aber vergeblich, es war als wäre ein Damm gebrochen, von irgendwo tief drinn in meiner Seele kamen immer mehr Tränen hervorgeströmt, und schluchzend verkroch ich mich an seiner Schulter, suchte in seinen Armen Zuflucht vor dieser erdrückenden Angst... Angst dass Manius mich nicht mehr liebte, oder überhaupt nie geliebt hatte, und die größte Angst, dass der Tod ihn für immer und ewig von mir fortgerissen hatte.
    "Nein..." schniefte ich, "....so ist er nicht.... und er hatte doch schon alles..."
    Dankbar nahm ich wahr, wie Massa mich noch enger an sich zog. Ich versuchte, ruhiger zu atmen, und ich lauschte seinen Worten, gute, klare, tröstliche Worte voll Vernunft und Hoffnung, die ich gierig in mich aufsog. "Meinst du wirklich? Ach, Appius.... ich weiß nicht ob ich überhaupt noch hoffen will... manchmal glaub ich, es ist nicht Eros, eher eine schlimme Manie von der ich endlich frei sein will..."
    Wie ein Fluch! Wahrscheinlich bekam ich deshalb keinen mehr hoch, weil diese Fluch-Liebe mich immer noch in ihren Klauen hielt. Wenn ich nicht so an Manius hinge, oder wohl eher an meinem Meditrinalienbild von ihm, dann wäre ich sicherlich schon längst mit Haut und Haar Massa verfallen – und wir würden ungefähr tausend mal besser zusammenpassen als dieser verklemmte Patrizier und ich!
    "...und dann wieder denk ich zurück und kann gar nicht fassen wie glücklich ich in seiner Nähe war.... Nein, ich habe nicht mehr mit ihm sprechen können, ich wollte, aber er hat mich eiskalt versetzt..... naja, ich muß zugeben, ich hatte mich aber auch nicht immer ganz korrekt verhalten, und.... ach was weiß ich."


    Schwer atmete ich aus, und erwiderte den sachten Druck von Massas Kopf, streichelte seine Brust, vergrub mein Gesicht in seinem Haar. Es tat so unendlich gut, bei ihm zu sein.
    "Mein Achill...." flüsterte ich leise an seinem Ohr, "mir scheint du beschützt mich vor schweren Gedanken ebenso entschlossen wie vor blutdurstigen Wüstenreitern." Sein Haar zur Seite streichend, suchte ich seine Lippen und küsste ihn weich. Blieb dann so liegen, die Gesichter einander ganz nahe. Nur noch ein bisschen ausruhen... ich war erschöpft, der Sturm der Gefühle hatte mich innerlich vollkommen ausgehöhlt..... nur noch ein bisschen ausruhen, dann wollte ich aber wirklich dafür sorgen dass er heute Nacht doch noch auf seine Kosten kam..... nur ein bisschen ausruhen... nur kurz die Augen schließen........ -

    Holla, was für ein hübscher Bursche. Dass der mir nicht gleich aufgefallen war! Ich lachte laut heraus über seine herzerfrischende Ehrlichkeit.
    "Wetten mußt du, wetten, dann ist es dir nicht mehr egal!" rief ich ihm zu. Und weil hier alles so aufgepeitscht war, und weil ich ausserhalb der Kreise war, in denen ich mich für gewöhnlich bewegte, musterte ich ihn kühn – so kühn dass mein Blick wohl deutlich sagte: Du gefällst mir! – und schlug übermütig vor:
    "Muß nicht Geld sein, ein anderer Einsatz geht auch."
    Unten kam es zum schnellen Schlagabtausch. "Jolín!!" fluchte ich, als Lupus an der Schulter erwischt wurde. "Na, so ein kleiner Kratzer macht ihn doch erst richtig wild, den Thraex – ja, gutes Manöver.... fiese Waffe die Sica, und jetzt ein hoher Stoß......." Aber was machte er denn da?

    Natürlich. Ich hätte ihr nicht helfen können, aber das war gar nicht der Punkt, vor allem wollte sie mich nicht belasten. Ja, der sensible kleine Serapio, dem erzählt man besser nichts, wer weiß ob er es verkraftet.
    "Ach Schwester...." Ich trat zu ihr, und legte von hinten die Arme um sie herum, drückte sie ein bisschen und seufzte. "Ach Schwesterchen. Ich weiß ja, dass du die Dinge lieber mit dir selbst ausmachst. Aber sowas musst du mir doch sagen! Bona Dea, ich sag dir doch auch alles." Ich stockte. "Naja fast alles."
    Unanständige Dinge teilte ich ihr natürlich nicht mit, schließlich war sie meine Schwester und die Anständige in der Familie. Aber sogar über meine Mission hatte ich verbotenerweise mit ihr gesprochen. Und wenn ich Kummer hatte, dann hatte ich wenig Hemmungen ihr mein Herz auszuschütten.
    "Ich muß... mich doch darauf verlassen können, dass, wenn was ist, was schlimmes, dass du mir was sagst... und nicht alles immer nur alleine durchstehen willst, ehrlich..."
    Von geschwisterlichem Beschützerdrang überkommen, drückte ich sie fester, hielt ihre Schultern umschlungen. "Ich komm schon damit klar, wenn du dich auch mal aussprechen willst. Ehrlich, warum glauben immer, und immer noch, alle sie müssten mich beschützen?! - Hmm.... eine Scheidung ist zur Zeit wohl keine Option, oder?"

    “Ein gutes, hehres und sehr nützliches Ziel...“ schwadronierte ich zu den Plänen des Häuptlingssohnes. “Wenn er das schafft, dann wird er seinen Stamm über kurz oder lang bestimmt ein Stück romanisieren.... Das ist doch der natürliche Lauf der Dinge. Das Imperium wächst und wächst. Irgendwann wird die ganze Welt römisch sein. Es heißt sich der segensreichen Herrschaft beugen oder sang und klanglos untergehen.“
    Das hatten unsere Vorfahren, jene wilden Ibererkrieger die in mythischer Vorzeit Scipio Gefolgschaft geleistet hatten, ja auch nicht anders gemacht. (Mir fiel ein: Cornelius Scipio. So alt war diese Gens...)


    Ich streckte meinen mittlerweile leeren Kelch zu Silas, der ihn wieder füllte, und erwiderte Catus' Lächeln.
    “Nur so. Massa ist mein bester Freund, und wie ein Bruder für mich.“ Naja.... kaum hatte ich die Worte gesprochen, klangen sie sehr fragwürdig in meinen Ohren. Ich liebte ihn ebenso sehr wie einen Bruder, doch unser Verhältnis hatte eine ausgesprochen un-brüderliche Seite. - Ah, der gute Wein, der so wohlig die Kehle hinab rann, und immer für eine Denkpause gut war.
    “Wir haben zusammen in Ägypten bei der Legio XXII gedient, auf dem Feldzug gegen die Blemmyer. Und erst vor ein paar Tagen hab ich ihn wiedergesehen. Stellt euch vor... Hier wandte ich mich wieder an die ganze Runde, und schwärmte: “er nennt mittlerweile ein ganz fabulöses Haus sein eigen. In Misenum, am Hang, also in bester Lage, mit direktem Meerblick. Wunderschön!“

    "Gut geblockt!" rief ich, und "Jaa, treib ihn in die Enge!", was natürlich alles in dem allgemeinen Gejohle unterging. Es war schon nett, in so einer kleinen Arena, wo man so richtig nahe am Geschehen dran war, Blut und Schweiß sozusagen riechen konnte, die Stimmung kochte viel schneller hoch als in einem großen Rund.
    Aber was so einen Kampf noch viel interessanter machte, das war natürlich eine Wette.... um eine kleine Summe, ich wollte hier nicht zu sehr rumprotzen, nicht dass noch einer meinte, mich auf dem Rückweg überfallen zu müssen.
    "Zehn Sesterzen auf den Thraex!" brüllte ich, einmal nach rechts, einmal nach links zu den Leuten die da mit mir auf der Tribüne sassen, "na los, wer hält dagegen?!"
    Uh! Rasanter Speerstoß! Ich hielt den Atem an.



    Sim-Off:

    Wer hält dagegen? :D

    Ich stützte mein Kinn in die Hand. Hier konnte ich nun wirklich meine professionelle Verhör-Gelassenheit üben. So wie ich früher die vernichtenden Schimpftiraden meiner Ausbilder an mir vorbeirauschen hatte lassen, so ließ ich nun die für mein Empfinden doch sehr zickigen Worte der Aurelia nicht etwa an mir abprallen, ich stellte mir vor, dass sie wie ein Strom von Wasser auf mich zukamen, sich dann teilten und zu beiden Seiten an mir vorüber flossen.
    Verstand sie nicht, in was für einer Position sie war? Hielt sich sich für unangreifbar? Ich beschloss, beim nächsten Verhör einer Dame gleich auf Höflichkeit zu verzichten... und vielleicht auch gleich in einem der Verhörräume zu beginnen?
    "Werte Aurelia," begann ich mit Nachdruck, sie kalt musternd, "Erstens: über deinen Verwandten wurde die Proskription verhängt, und das nicht ohne Grund. Zweitens: du stehst hier nicht vor Gericht. Ich wäre dir nun sehr verbunden, wenn du aufhören würdest, zu versuchen, mit mir über unsere Ermittlungen zu rechten, und statt dessen das tun würdest, wozu du hier bist: meine Fragen beantworten." Hoffentlich reichte das, um klarzustellen worum es hier ging. Ich wollte doch nur meine Arbeit machen, Mosaiksteinchen schürfen, und hatte eigentlich gar keine Lust, eine Frau zu bedrohen.
    "Wie war die Einstellung deiner Familie zu Kaiser Valerianus? Wie haben die Männer deiner Familie reagiert, als sich unter seiner Herrschaft die Position der Patrizier Stück für Stück verschlechterte? Wie hat sich insbesondere Aurelius Lupus dazu geäussert? Eine so scharfsinnige und scharfzüngige Frau wie du ist da doch sicherlich bestens im Bilde."
    Nein, die machte mir nicht den Anschein, den ganzen Tag mit Weben und Haushalt zu verbringen - eher als hätte sie selbst gern die Rostra gestürmt.

    Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, als Lupus mal wieder den Wein verschmähte. Ganz schön wählerisch. Ich streckte mich lang im Gras aus, auf einen Ellenbogen aufgestützt, und verspeiste mein belegtes Brot, dabei betrachtete ich meinen Hibernier unverhohlen. Es schien ihm wieder ganz gut zu gehen. Über diesem angenehmen Anblick waren die beiden anderen für mich vollkommen uninteressant und abgemeldet.
    "Noch etwas Obst, dominus?" rief Ravdushara sich in mein Bewußtsein zurück, und reichte mir einen Teller mit hübschen, tiefroten Granatapfelschnitzen.
    "Danke..." Ich nahm mir ein Stück - die bittere Schale hatte Ravdushara schon entfernt – und schob es in den Mund. Schmeckte gut! Ein zweites Stück reichte ich Lupus und lächelnd lud ich ihn ein:
    "Probier mal! Das ist Granatapfel."
    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Ravdushara die Augen gen Himmel verdrehte und leidig, Einverständnis suchend, zu Theseus sah. Aber das war mir egal...
    Versonnen pflückte ich mir einen Zweig blühenden Lavendel von der Wiese direkt neben mir. Ich zerrieb ein Blatt zwischen den Fingern, atmete den Duft ein. Dann richtete ich mich halb auf und berührte mit der Spitze des Zweiges Lupus' Unterarm. Zart ließ ich die dunkelvioletten Blüten über die gebräunte Haut streichen, verfolgte spielerisch die Konturen der Muskeln bis zu seinem prachtvoll gewölbten Oberarm.
    "Mir scheint... das Training hat dir viel gebracht." stellte ich vergnügt fest, schenkte ihm dazu ein strahlendes Lächeln.

    Schließlich ließ sie doch die Ausflüchte sein.
    "Ja, aber du hattest doch gesagt sie haben nichts gefunden...." meinte ich, im ersten Augenblick verwirrt, dann dämmerte mir die Erkenntnis.
    "Oh." Es war eine Erkenntnis mit galligem Geschmack. Ich schwieg betroffen, mich daran erinnernd wie zerbrechlich.... ja, verstört, Seiana gewesen war, als ich aus Ägypten zurückgekommen war. "Und wenn du nicht Terentius... geheiratet hättest....." Eine bittere Wut quoll in mir empor. Ich ballte die Faust, aber die Wut war ganz und gar ohnmächtig. Terentius war mein Kommandant. Ich schüttelte stumm den Kopf. Kaum war ich wieder in Rom, taten sich neue Abgründe auf. Ich schwieg, versuchte die Wut herunterzuschlucken. Es war nicht lange her, dass ich sehr viel von Terentius gehalten hatte. Aber das....
    "Ich hatte ja keine Ahnung dass es so schlimm war." sagte ich mit gepresster Stimme. "Warum hast du mir denn nichts gesagt......?!"

    “Mattiacus ist unser“ – ich bezog Seiana und mich in eine Handbewegung ein – “Onkel. Er ist Gelehrter, und lebt in Athen.“ erklärte ich Catus. Der Triumphator bedurfte ja natürlich keiner Erläuterung.
    Und wie Catus nun erzählte, war es tatsächlich ein bisschen wie früher, als ich ganz hingerissen Mattiacus' Erzählungen vom wilden Germanien gelauscht hatte. Für mich wehte der Duft von fernen Ländern, exotischen edlen Wilden und großen Abenteuern durch das Triclinium. Dabei wusste ich ja eigentlich wie sowas war – die fernen Länder waren extremst ungemütlich, die Landschaft wurde schnell eintönig, die Wilden waren nur darauf bedacht einen aus dem Hinterhalt zu ermorden, und wer das "Abenteuer" lebendig überstand, konnte sich glücklich schätzen. Aber trotzdem: es weckte in mir die irrationale Sehnsucht, meine Sachen zu packen und aufzubrechen, irgendwohin, weit weg, wo die Menschen einfach und ehrlich waren, und ganz eindeutig klar war, wer Loyalität verdiente und wer nicht.
    “Das ist spannend! Ich war mit der Legio in Parthien und im Grenzgebiet zu Nubien, aber wie das so ist, freundlichen Kontakt mit den Eingeborenen hat man da sehr selten. - Wie erstaunlich bei Barbaren solche Wissbegier vorzufinden! Dann hast du also praktisch die Vorarbeit geleitet, damit dieser Stamm mal ein Bündnis mit uns schließt...“ überlegte ich, voll Anerkennung für derart halsbrecherischen Einsatz. “Das ist so unglaublich wichtig für die Sicherung der Grenzen, dass man einheimische Verbündete hat. Und die Sarmaten sind gute Reiter, nicht? Ich hab mal bei einer Ala... welche war das noch... hmm egal, zwei gesehen, und die hatten es wirklich drauf. Sag doch deinem Häuptling er soll ein paar Krieger zur nächsten Ala schicken, das fördert auch enorm das gute Verhältnis...“
    Es ging nicht anders? Er wollte wohl nicht darüber plaudern, drum ging ich der Höflichkeit halber mit einem Schluck Wein darüber hinweg.
    “Wenn ich fragen darf, bist du eigentlich näher mit Massa verwandt, Decimus Massa aus Piraeus?“

    Die Proskripton war ausgeweitet worden, und da hieß es nicht lange fackeln. Ich nahm mir eine halbe Centurie, gerüstet und behelmt, und marschierte zum Esquilin. Kurz vor der Villa teilte ich meine Leute auf. Die eine Hälfte umstellte das Anwesen. Zehn Mann blieben bei mir, zehn teilte ich dem Optio Iunius zu.
    "Milites. Wie gehen von vorne rein. Optio Iunius' Trupp durch den hinteren Eingang. Alle, die wir da drinnen antreffen, werden zuerst entwaffnet, dann im Atrium versammelt. Priorität ist: zuerst das gesamte Anwesen unter unsere Kontrolle bringen! Durchsuchung kommt später."
    Ich ließ die Befehle sacken, bevor ich noch hinzufügte:
    "Vermeidet wenn möglich Blutvergießen. Wahrscheinlich waren da drinnen nur Sklaven, aber es gab viel zu oft welche die glaubten den Helden spielen zu müssen. Und wer weiß, bei einem General wie dem abtrünnigen Claudier, da konnten durchaus auch ein paar Veteranen im Haus sein.
    "Und sollte wer plündern, so wird er gezüchtigt bis die Vitis bricht. - Militees, agite!"
    Ich zurrte den Kinnriemen meines Helmes fest. Dann führte ich meinen Trupp zur Vordertür und klopfte energisch an.

    Als ich in den Verhörraum trat, hatten die Soldaten den Gefangen schon hergebracht. Sie drückten ihn auf einen Stuhl, einer blieb neben ihm stehen, der andere ging zu den Foltergeräten und begann das Arsenal des Schreckens fein säuberlich zu ordnen.
    "Danke Milites. Ihr könnt wegtreten." sagte ich, wobei ich meine Erschütterung über den erbärmlichen Zustand des Mannes hinter einer geschäftigen Miene verbarg. Die Soldaten sahen mich erstaunt an. "Ich brauche eure Dienste vorerst nicht." erklärte ich, und nun endlich gehorchten sie, salutierten und traten ab. Ich ging zur Türe, vergewisserte mich, dass die Männer gegangen waren und verschloss sie mit klopfendem Herzen.
    Dann wandte ich mich dem Gefangenen zu. Bei allen Göttern, was für einen bodenlosen Fall hatte dieser Mann getan. Wenn ich ihn anblickte, konnte ich nicht anders, als mir vorzustellen was wäre, wenn mein Vater nicht rechzeitig nach Hispania gegangen wäre.
    Ob er überhaupt noch bei Sinnen war?
    "Senator Vinicius? Kannst du mich hören, verstehen? Ich bin Tribun Decimus Serapio, der Sohn von Decimus Livianus."

    Ja, die armen Patrizier. Ich jedenfalls vermochte mich an kaum einen Anlass zu erinnern, wo sie die Sündenböcke gewesen wären, dafür an eine Menge von "an allem sind nur diese homines novi schuld".
    Von daher blieb ich ganz ungerührt. Aber es war schon mal interessant zu sehen, wie zornig diese Frau unter der glatten Oberfläche war. Ich erwiderte den kampfeslustigen Blick mit aufreizender Gelassenheit. Solche Herausforderungen oder Angriffe im Verhör, die nahm ich schon lang nicht mehr persönlich. Und auf ihren Versuch, selbst das Gespräch an sich zu reißen, ging ich erst gar nicht ein. Bei aller Form, wir saßen nicht beim Cena-Plausch.
    "Möchtest du damit sagen, die Vorwürfe seien vollkommen aus der Luft gegriffen, Aurelia?" erkundigte ich mich, weiterhin sehr neutral im Tonfall. "Sag mir doch bitte, wie war die Einstellung deiner Familie gegenüber dem Imperator Augustus Ulpius Valerianus?"

    Und da war er. Ich grinste in mich hinein, voll kindlicher Freude dass dieses schöne.... nein, nicht "Spielzeug"... sagen wir "Luxusgut", mir gehörte, und das anerkennende Gebrüll von den Rängen trug noch zu dieser Freude bei.
    "Lu-pus!" rief ich anfeuernd, und auch Sidonius neben mir machte gut Stimmung.
    Wie man ordentlich einmarschiert, ohne Furcht zu zeigen, das hatten sie immerhin schon mal in seinen Dickschädel reinbekommen. Aber etwas schneidiger könnte er dabei ruhig noch werden. Und dass die Kämpfer gar nicht eingeölt waren, also nein, ich fand da wurde am falschen Ende gesparrt. Die gestählten Körper kamen so doch nur halb so schön zur Geltung... Nun, es war ja auch mehr eine Hinterhofarena. Der Weg zum großen Ruhm begann halt ganz unten.
    Mein Blick wanderte von Lupus zu seinem Gegner. Der machte, in Erscheinung und Auftreten, einen erfahrenen Eindruck... und, sobald es losging, seinem Namen alle Ehre.
    "Auf ihn, Lupus, auf ihn...!"
    Voll Spannung verfolgte ich den Kampf.

    "Ja." Eigentlich wußte ich nicht wie das war, stellte es mir nur ausgesprochen lästig vor.
    "Ja, dieser Esel." kommentierte ich solidarisch. Dass ich selbst auch schon mal mit einem wütenden Protestbrief vor den Toren der Acta aufgekreuzt war, das ließ ich mal dezent beiseite. (Das war ja was völlig anderes gewesen. Und zwar absolut berechtigt. Und alle hatten unterschrieben, selbst die Kameraden von der Kavallerie und sogar der fiese Legat.)
    Aber dass Seiana sich da so... wand, das rief ein merkwürdiges Unbehagen in mir hervor.
    "Erst meinst du, es war gar nicht wichtig, dann willst du's mir nicht sagen." Ich verzog das Gesicht zu einer übertriebenen Grimasse des Unverständnisses und überspielte das seltsame, das gerade in der Luft hing, mit einem Lachen. "Muß ich das verstehen?"

    “Zehn Jahre?“ wiederholte ich verblüfft. “Im Ernst, du hast zehn Jahre unter Barbaren gelebt?! Bona Dea, wie schrecklich! Na dann willkommen zurück.“ Kein Wunder dass Catus so menschenscheu wirkte, er musste ja an absonderliche Gesellschaft gewöhnt sein. “Meridius und Mattiacus haben einmal eine Expedition in wilde Germanien gemacht, um die verbündeten Stammeshäuptlinge dort an ihre Romtreue zu erinnern. Aber sie waren nur ein paar Monate unterwegs.“ Das hatte nun wirklich mein Interesse geweckt. “Wo warst du? Und warum?“
    Was für eine unerträgliche Vorstellung, ohne zivilisierte Menschen, ohne Theater, ohne Therme... als würde man permanent unter Feldzugsbedingungen leben, nein, schlimmer.

    Im Prinzip war ich ja fest davon überzeugt, dass Patrizier ein degenerierter, hochnäsiger Menschenschlag waren, von der Zeit überholt, und dass es absolut skandalös war, dass sie noch immer alle möglichen Standesprivilegien genossen. Sobald ich aber persönlich mit solchen Leuten zu tun hatte, dann ging es mir oft so, dass sie mich faszinierten. Wie diese Frau, deren Beherrschtheit so mühelos wirkte, deren elegantes Auftreten in keinster Weise davon beeinträchtigt schien, dass ich sie in die Castra Praetoria geladen hatte. Auch dieser fragende Blick. Das wirkte sehr offen, als wäre sie sich sicher nichts zu verbergen zu haben. Aber Erscheinungen konnten selbstverständlich trügen. Das sie noch in Rom war, konnte entweder heißen, dass sie wirklich harmlos und zudem ziemlich naiv war, oder dass sie, hinter eben jener Maske, gegen den neuen Kaiser arbeitete.
    Ohne auf die stumme Frage einzugehen – ich gab hier den Takt vor – griff ich zum Tonkrug und füllte in aller Ruhe einen Terra sigillata Becher mit Wasser, reichte ihn ihr. Mir selbst goß ich ein Drittel Wein, zwei Drittel Wasser ein. Die Obstschale rückte ich in ihre Reichweite und lud sie mit einer Handbewegung und einem "Bitte." dazu ein, zuzugreifen.
    Dann setzte ich mich hinter meinen Schreibtisch, ihr frontal gegenüber. Ich trank einen Schluck und musterte sie aufmerksam.
    "Aurelia, ich bin sicher nicht der erste, der dir diese Frage stellt." begann ich in ganz höflichem, zivilisierten Tonfall. "Aber ich möchte dich doch bitten, mir trotzdem aufrichtig Auskunft zu geben. Wie siehst du die Rolle deiner Familie in der Ermordung des Kaisers?"

    Mit den Informationen waren wir uns also einig. Perfekt!
    Und an meinem Arm war, angesichts dessen wie er mal ausgesehen hatte, auch nicht mehr viel auszusetzen.
    Aber mit diesem ominösen "Prozess", da schien ich einen wunden Punkt getroffen zu haben. Verwirrt über die abwehrende Reaktion legte ich den Kopf schief, musterte Seiana. Dann setzte ich mich wieder auf den Brunnenrand, und dehnte abwesend meinen Arm.
    "Ja, aber was war denn nun? Wollte wer dich verklagen? Mal wieder Ärger wegen der Acta oder wie?" bohrte ich unbarmherzig nach. Meine große Schwester sollte es besser wissen, als zu versuchen, mich mit "ach das ist nix wichtiges" abzuspeisen.

    Den ersten Auftritt meines ersten eigenen Gladiators is spe, den durfte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Mit schlechtem Gewissen schlich ich mich aus der Castra, in der die Arbeit, insbesondere die Verhöre, nie ein Ende zu nehmen schienen. Ich war in zivil unterwegs, und in Begleitung von Sidonius. Wir marschierten zum Aventin, und folgten dem Gejohle und Fußgetrappel bis zur Arena des Decrius. Bona Dea, was für ein armseliges Ding. Hoffentlich brach das nicht heute schon zusammen.
    Ich gab dem Mann am Einlass ein schönes Trinkgeld und er verschaffte mir einen Platz auf der Tribüne ganz nahe am Geschehen. Sidonius schlappte voraus und machte mir den Weg frei, dann ließen wir uns beide auf der hölzernen Bank nieder.
    Den Kopf in die Hände gestützt betrachtete ich das Geschehen in der Arena. Mit mäßiger Begeisterung, ich war eben verwöhnt durch die großen Spiele mit den Top-Gladiatoren. Aber auf Lupus' Kampf war ich mehr als gespannt. Ich wollte doch sehen ob er das in ihn investierte Geld wert war... Und ich sah ihn ja überhaupt gerne an. Ausserdem hatte ich das vage Gefühl: falls er unglücklicherweise draufgehen sollte, dann war ich es ihm wenigstens schuldig Zeuge seines Kampfes zu sein.

    Massa war zu gut für diese Welt. Meine angespannten Schultern wurden etwas lockerer, ich seufzte tief, und obgleich ich mir sagte: 'ich will kein Mitleid' – sein Trost war... tatsächlich ein bisschen tröstlich.
    "Nenn mich nicht so..." murmelte ich sarkastisch in meine Armbeuge hinein. "Passt nicht. Bin eher ein flügellahmer Ganter als ein großer, stolzer, Adler."
    Was ich schlimmes getan hatte, das fragte ich mich auch. Und war zu dem Schluß gekommen: nicht mehr als jeder andere Soldat.
    "Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht..."
    Dann schüttelte ich energisch den Kopf: "Nein!" Ich tauchte aus meinem Armbeugenversteck auf, wandte ihm mein Gesicht zu und legte meinen Arm über seinen, streichelte liebevoll seine Schultern. "Nein, Du bist gewiss nicht der Grund. Erstens bist du der heißeste Typ den ich mir nur wünschen kann. Zweitens klappt's bei anderen heißen Typen auch nicht. Nicht mehr, seit Ägypten. Ach!"


    Traurigkeit überkam mich, als er von "meinem Liebsten" sprach. "Der 'Liebste' ist passé. Will nichts mehr von mir wissen." Ich wollte das flappsig sagen, aber der Verlust, obgleich nun wirklich nicht mehr frisch, stieg aufs neue in mir auf und schnürte mir die Kehle zu. "Ich verlieb mich immer die falschen. Und jetzt..." Ein Zittern ging durch mich hindurch. Ich drängte mich gegen Massa, suchte noch mehr Trost in seiner Umarmung, seiner Wärme, dem Umstand dass es ihn gab. "...jetzt steht er auf der Proskriptionsliste." flüsterte ich. Meine Augen wurden feucht. "Vielleicht ist er ein Kaisermörder! Ich weiß nicht was ich glauben soll und ich weiß nicht mal ob er überhaupt noch lebt..."
    Meine Augen quollen über und ich benetzte die Schulter meines Achilles mit Tränen um meinen Aton. Armer Massa, er machte ganz schön was durch mit mir.... ich selbst hätte mir, wäre ich an seiner Stelle, warscheinlich schon längst den Laufpass gegeben.

    "Ach so meinst du das." antwortete ich erleichtert, und schämte mich, meiner Schwester, wenn auch nur in Gedanken, unpatriotische Motive unterstellt zu haben. "Ja das, das verstehe ich natürlich. Ich will weder deine Quellen zum Versiegen bringen, noch deinem Ruf, noch dem deiner Zeitung schaden. Ich verspreche dir, wenn du mir etwas sagst, etwas von Belang das eine Reaktion erfordert, dann bespreche ich das erst mal mit dir bevor ich irgendwas unternehme. Versprochen!"
    Ich lächelte befreit, trat zum Brunnen und fuhr mit den gespreizten Fingern der rechten Hand durch das Wasser. "Sieh mal, das geht alles wieder." Ich führte meiner Schwester vor, wie ich die Finger und das Handgelenk beugen und strecken konnte. "Schreiben auch." Ganz so flüssig wie zuvor waren meine Bewegungen zwar nicht, und die Narbenflächen spannten, aber es war schon tausendmal besser geworden. Nur der Ellbogen war noch ziemlich steif, und schwach war der Arm halt. Ein Glück dass ich als Offizier nicht mehr darauf angewiesen war, selbst mit dem Schwert in der Hand Dienst zu tun.
    "Sag mal..... was meintest du vorhin mit 'dem Prozess'. 'den Prozess in Kauf nehmen'. Was für ein Prozess?"