Hastig folgte ich Endymion tiefer in den Schatten der Decksaufbauten. In einer Nische zwischen einem Haufen Segeltuch und einer Topfpalme verharrten wir geduckt.
"Bist du verletzt?" flüsterte er.
Ich schüttelte den Kopf. "Und du?"
Grimmig bejahte er, zeigte mir seine Wade. Ein ganz dünnes Rinnsal von Blut tropfte von der Streifwunde auf die Planken. Er band sich einen Fetzen Stoff darum. "Diese Schweine wollten mich umbringen!"
Ich glaubte zwar eher, dass er einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, doch es lag mir fern ihm zu widersprechen.
"Da siehst du mal wie furios wertvoll du diesen Leuten bist! Aber du wirst es überleben."
"Die haben mich gezwungen... Ich hab sogar noch versucht dich zu warnen."
"Mhm."
Jetzt, da die allerunmittelbarste Gefahr vorüber war, fühlte ich mich mit einem Mal ungeheuer zittrig. Ich fror bis auf die Knochen, und ich hoffte, dass der Frumentarius, der doch auch nur ein Soldat war der seine Pflicht tat, nicht schwer verletzt war.
"Wenn ich wieder zu Hause bin," sagte ich leise zu mir selbst, "dann errichte ich Fortuna einen wunderschönen Schrein."
"Und... was ist jetzt mit meinem Geld?"
"Bekommst du. Aber du musst erst mal mitkommen." Sarkastisch blickte ich an mir runter. "Hab gerade nicht so viel bei mir."
Zwar waren in meinem Gürtel noch ein paar Aurei eingenäht, aber die waren für die Heimreise, und sowieso hätten sie für Endymion nicht gereicht. (Soviel Schulden wie heute Nacht hatte ich noch nie gemacht. Glücksspiel ist nichts dagegen.)
"Mitkommen wohin?"
"Komm einfach mit."
Ich schlang die Arme um mich, lehnte mich zurück, und lauschte zerstreut den Stimmen der Schauspieler.
Alter Herr: "Sie, die Hexe, die Giftmischerin!"
Sklave: "Wie allerliebst, elegant und nach allerneuster Mode war sie gekleidet. Herausgeputzt und goldgeschmückt!"
Alter Herr: "Was hatte sie an? Ein Königskleid? Ein Bettelkleid?"
Sklave: "Ein Regenwasserbeckenkleid – solche Namen geben die den Kleidern."
Alter Herr: "Was? Wie kann man ein Wasserbecken anziehen?"
Sklave: Was ist da verwunderlich? Viele laufen ja durch die Straßen, mit ganzen Ländereien geschmückt. Wenn aber eine Steuer auferlegt ist, heißt's, man kann nicht zahlen; denen aber, denen man die weitaus größeren Steuer zahlt, denen kann man zahlen. Ah, das Pack, das sich für die Kleider Jahr für Jahr neue Namen ausdenkt: Glattschurkleid, Flaumwollkleid, Glanzleinenkleid, Unterröckchenkleid, Goldbortenkleid, Ringelblumen- oder Krokuskleid. Da gibt's ein Mini- oder Maxi-Unterkleid, ein Kopftuchkleid, ein Prachtkleid, Exotikkleid, Meerblaukleid, Federflaumkleid, Nußbraunkleid, ein Wachsgelbkleid – was das für Possen sind! Sogar dem Hund stehlen sie noch den Namen.
Alter Herr: "Wie das?"
Sklave: "Sie nennen's Windhundkleid."
Ein Krokuskleid... was für eine aparte Idee. Das Stück nahm seinen Lauf, ging gut aus, und das Schiff legte bald darauf an einem Bootssteg vor einer schicken Landvilla an. Wir warteten bis die Gäste, lachend und manche auch schon schwankend, von Bord gegangen waren, dann schlichen mein "treuer Gefährte" und ich an Land.
Der Rest der Nacht war ein Gewaltakt. Wir schlugen uns durch die Felder in Richtung der Strasse nach Seleukia durch. Endymion jammerte immerzu über seine ach so schwere Verwundung, bis ich ihm unwirsch über den Mund fuhr. In eisigem Schweigen erreichten wir schließlich eine Herberge, wo ich dem Wirt für einem völlig überzogenen Preis zwei Gäule abkaufte. Wir ritten die Nacht durch, ich hatte eine stinkende Pferdedecke eng um mich gezogen und glaubte bei jedem Laut meine Verfolger zu hören.
Im Morgengrauen, kurz vor Seleukia, bogen wir von der Strasse ab, stießen wieder auf die Küstenlinie, und folgten einem Ziegenpfad, der sich von Zistrosen und Macchia umwuchert an der zerklüfteten Küste entlangschlängelte. Endlich erreichten wir die kleine Bucht, in der die Pelagia auf mich warten sollte. Erschöpft und überwach zugleich hielt ich Ausschau nach dem Schiff, und wie unendlich erleichtert war ich, als ich die Liburne wirklich dort vor Anker liegen sah. Sie ließen ein Boot zu Wasser und holten uns rüber (die Gäule ließen wir ohne Zaum zurück), und nachdem ich dem Kapitän klargemacht hatte dass keine Zeit zu verlieren war, ging es los. Die Ruder hoben und senkten sich, tauchten synchron in das azurblaugrüne Wasser, und die Pelagia stach in See, machte sich auf die weite Reise über das Mare Nostrum nach Italia. Als die Sonne im Zenit stand, lag die syrische Küste schon weit achtern.