Beiträge von Phaeneas

    „Es ist lang her, dass du deinen letzten Brief bekommen hast, Phaeneas. Warum kriegst du denn jetzt keine Post mehr?“, fragte Berenice, die auf Kurzbesuch und einen Ratsch in der Küche vorbeischauen hatte wollen.
    „Tja, Berenice, so ist es eben. Vorher hab ich ja auch keine Briefe bekommen. Mal bekommt man Briefe im Leben, mal bekommt man keine. Und jetzt ist es eben wieder so wie vorher. Man kann nicht erwarten, dass man immer etwas bestimmtes hat oder dass man es nicht hat. So ist nun mal der Lauf der Dinge“, entgegnete Phaeneas, wie so oft für ihn üblich ohne eine Miene zu verziehen. Berenice erschien der Leibsklave ihres Herrn fast wie eine Mauer. Felsenfest und undurchschaubar.


    Die anderen Sklaven sahen Phaeneas an, als wäre er die Sphinx persönlich. Doch der stand nur auf und ging aus der Küche.


    Kopfschüttelnd begann Arete, den Auflauf vor ihr auf dem Küchentisch zu würzen.
    Mit solchen spontanen „Launen“, eben z.B. Verwicklung in seltsame Vorgänge oder rätselhaftes Verhalten, erstaunte er die anderen Sklaven immer wieder. Und vor allem dass er sie nicht erklärte, sondern dabei – wie ebenfalls üblich – mit Worten sparsam blieb, hatte ihn in dieser Hinsicht rätselhaft werden lassen. Die ganze Sache mit den Briefen war so eine Sache, über die die Unfreien sich gewundert hatten, über Phaeneas‘ Geheimnistuerei.
    Wobei unter den Sklaven selbstverständlich ausführlich Gerüchte über diese Schreiben existierten. Dass es sich um Liebesbriefe handeln musste, die der Leibsklave da seit einiger Zeit empfing, da waren sich die meisten einig. Und dass er dem Verehrer nicht abgeneigt schien. Denn dass jemand in Phaeneas‘ Position Verehrer hatte, war völlig normal, aber dass er das so streng vor allen anderen geheim hielt, das deutete darauf hin, dass es etwas mehr mit ihm auf sich haben musste. Denn andere hatte Phaeneas schon ganz offen vor allen abgeweisen. Genauer gesagt alle, die bisher etwas von ihm gewollt hatten. Und es war typisch für den thrakischen Leibsklaven, Persönliches krampfhaft in sich verschlossen zu halten.


    Was sie von der neuesten Aktion des obersten Sklaven halten sollte, wusste Berenice nicht so recht. Aber mal sehen, was die anderen so alles dazu sagen würden -

    „Seltsam.“ Ja, Phaeneas erkannte in diesem Fall die Männer dieser Gesellschaft kaum wieder! Diese unendlich hungrigen, nie zufriedenen und schwer abzuschüttelnden, ewig nach einem Hintern gierenden Wesen.
    „Keinerlei körperliche Betätigung?“ Seit wann musste ein schöner Junge denn schon arbeiten können? „Muskelprotze? Hm, vielleicht sind die Männer in deiner Umgebung eher selbst auf der Suche nach einem Liebhaber? Und du bist nur unliebsame Konkurrenz?“ Dazu würden auch die Blicke und Bemerkungen passen.
    Einsam und alleine ... Der vinicische Sklave sagte nichts dazu. Denn es war nicht so, dass diese Gefühle ihm unbekannt wären. Eher seine ständigen Begleiter.
    Damit musste der junge Mann klarkommen.


    „Ja aber was ist die Herrlichkeit Gottes?“, hakte Phaeneas noch einmal nach, nachdem er Linos‘ Blick nach oben ungeduldig gefolgt war. ‚Ruhig, Phaeneas, immer schön geduldig bleiben.‘ „Und – für alle Ewigkeit? Für alle Ewigkeit im Angesicht eines Gottes? Ähm, entschuldige, des einen Gottes natürlich.“


    Als Phaeneas zum ersten Mal von dem Mann gehört hatte, der ans Kreuz geschlagen worden war, hatte er mit Abscheu reagiert. Instinktiv. Schließlich wurden von römischen Gerichten nur Verbrecher gekreuzigt. Und mit Leuten, die sich gegen die römische Herrschaft auflehnten, wollte der Sklave nun wahrlich nichts zu tun haben.
    Seit er aber wusste, dass die Umstände von Jesu Verurteilung äußerst fragwürdige waren, machte sich eine zweite Empfindung bemerkbar: Ans Kreuz wurden nur zwei Sorten von Menschen geschlagen – Sklaven und Peregrini. Plötzlich hatte sich der bithynische Unfreie diesem Fremden namens Jesus ein gutes Stück näher gefühlt.
    Hm, nach dieser Sache mit den Sünden aber musste er sich nochmal gesondert erkundigen.
    Sohn Gottes – na ja, das war ja nichts ungewöhnliches für zeitgenössische Vorstellungen, dass ein Gott eben mal einen Sohn (oder eine Tochter) hatte.
    ‚Sonne aufgehen über Böse und Gute ...‘ Tja, diese Erfahrung hatte Phaeneas schon in anderer Variante erlebt: „Für Freie und Unfreie ...“, flüsterte der Bithynier. Ja, liebet eure Feinde – genau das sagte er auch immer, vor allem gegenüber Sklaven, die glaubten, ihre Herrschaften hassen zu müssen, und Rachepläne schmiedeten. ‚Sehr richtig‘, eifrig bestätigend nickte Phaeneas dazu.
    Zum Verschnaufen kam er nicht, zu sehr schwirrten tausend Dinge in seinem Kopf herum. Aber langsam war er selbst überrascht. Dieses junge Ding namens Linos war doch glatt für ein den Bithynier mehr als nur fesselndes Gespräch gut. Das kam in der Tat selten vor, dass ihn jemand zu beeindrucken schaffte, indem er Interessanteres zu erzählen hatte als nur Banales, Alltägliches oder anderes Zeug, das Phaeneas langweilte (und ihn langweilte fast alles, worüber andere für gewöhnlich redeten).


    Das hatte dieser Jesus tatsächlich getan, bei einem gesellschaftlichen Außenseiter gegessen. Das war – toll. Das war revolutionär. Das war einfach absolut unglaublich.
    „Und wer ist mein Nächster?“

    Phaeneas wusste wirklich nicht, warum ihm das passiert war. Warum er nicht aufgepasst hatte, was heute für ein Tag war. Wie er so verplant hatte sein können, an genau diesem Tag überhaupt vor die Tür zu gehen, geschweige denn, genau hierher zu kommen. Normalerweise unterlief ihm so ein Fehler nie. Niemals.


    Na ja, wahrscheinlich lag es an dem Brief, den er erst kürzlich an Cimon nach Mantua abgeschickt hatte. (Keine Ahnung, wie lang es ihm noch gelang, den Transportsklaven über den Empfänger schweigend zu machen. Wenn der redete, dann gnadeten ihm die Götter, was dann mit Phaeneas eh schon oft sehr zweifelhaftem Ruf geschehen würde. Wenn er dann endgültig als verliebter Träumer da stand, der es aufgrund seiner Verliebtheit nicht fertig brachte, jemandem entschlossen den Laufpass zu geben.)
    Jedenfalls war er deswegen noch sehr in Gedanken, sorgte sich wegen der Seuche, war eine Spur (viel zu sehr, als er zugeben wollte!) deprimiert, dass sein Herr den Mantua-Aufenthalt nun doch hinter anderen wichtigen Dingen (dieser albernen Verschwörung gegen Salinator) hintenanstellen wollte. Vermisste Cimon, seine Gegenwart, die Phaeneas ganz ... wirr im Kopf werden ließ.
    (Und es gnaden ihm die Götter, wenn nach dem Geschwätz des Transportsklaven jemand bemerkte, wie sehr der Bithynier neben sich stand!)


    Und über all diesen Dingen hatte er es heute verpasst, bevor er aus der Villa gegangen war, auf seinen gedanklichen Terminkalender zu schauen und festzustellen, dass heute der Quirinal ganz vorsätzlich zu meiden war.


    In Rom gab es ja andauernd irgendwelche Festtage zu Ehren irgendwelcher Gottheiten, die Phaeneas sowas von null interessierten, weil die römische Religion sowieso nur für Freie und Reiche und allgemein vom Leben Bevorzugte gedacht war. Jedenfalls musste man deswegen ohnehin schon ständig auf der Hut sein, nicht aus Versehen in irgendwelche Prozessionen hineinzulaufen.
    Und jetzt stand er hier, vor einer schrecklichen jubelnden Menschenmasse, und wünschte sich, er hätte besser aufgepasst.

    An diesem Brief hatte Phaeneas gefühlt stundenlang gesessen – weil er fand, dass es nichts über sein Leben zu erzählen gäbe. Und er erzählte dann doch mehr, als er für gewöhnlich gern tat.


    An den zusammengeklappten Codex war ein Zettel gebunden, auf dem stand:

    Für Cimon, Sklave des T. Aurelius Ursus - Wenn Cimon zu krank sein sollte, um diesen Brief selbst zu lesen, so wende ich mich mit der ergebenen Bitte an dich, Herr Aurelius Ursus, ihn ihm vorzulesen. Ich hoffe sehr, dass dir mein Anliegen nicht zu anmaßend erscheinen mag. Gratias ago* (1) – Phaeneas, Leibsklave des M. Vinicius Lucianus‘


    Na ja. Diese Bitte war schon sehr formelhaft vorgetragen. Schließlich war Phaeneas der hochangesehene Leibsklave des natürlich noch angeseheneren Patron von Aurelius Ursus, da sollte es ihm das schon wert sein, seinem Sklaven einen Brief vorzulesen. Als officium* (2) gewissermaßen.


    Phaeneas Cimoni suo s* (3)


    Wie geht es dir? Ich mache mir Sorgen. Aus Mantua hört man die schrecklichsten Dinge. Ich hoffe, du bist gesund und die Seuche geht an dir vorüber. Dass der Brief dich wohlbehalten erreicht.


    Hier fließen die Tage nahzu spurlos an mir vorbei. Ich erledige meine Pflichten, gehe in die Stadt, unterstütze Lucianus und warte ansonsten darauf, dich wieder sehen zu können. Trotz all der Dinge, die ich zu tun habe, ist mein Alltag leer und ungefüllt. Wie ein weites nebliges Feld, in dem man herumstochern und herumirren kann, ohne etwas zu finden. Hier ein paar Fetzen der Vergangenheit, dort eine Stimme, die mich aus der Gegenwart erreicht. Dort einige Eindrücke des Augenblicks. Ein Gang, eine Wand, ein Fenster. Menschen, Briefe, Pakete, etwas Tageslicht. Der einzige, der dort heraussticht, ist Lucianus.


    Die leuchtende Galeonsfigur Phaeneas‘. Der, dem er bedenkenlos in den Tartarus folgen würde. Der persönliche Held seines tagtäglichen Lebens.


    Was ich für ihn tue, ist keine Pflicht, sondern Gnade. Und was es auch ist, es schafft, was fast nichts schafft: es erfüllt mich mit Freude.
    So wie die Gedanken an dich, die stetig wiederkommen. Nur leider haben diese positiven Gedanken auch eine unangenehme Kehrseite, in Anbetracht dessen, dass du nicht da bist. Die mich nun schon so sehr begleitet, dass ich mich fast an sie gewöhnt habe. Morgens wenn ich aufwache. Tagsüber unter der Zeit. Abends, wenn ich mich schlafen lege, und nachts, wenn ich wachliege oder wirr träume.
    Das ist mein Alltag und die meisten stellen es sich viel glamouröser vor, das Leben des Leibsklaven eines mächtigen Senators. Ich meine, natürlich könnte ich dieses glamouröse Leben und viel mehr haben, als ich jetzt habe. Aber wollen ist eben noch eine andere Sache. Aber was erzähle ich dir, du weißt ja selbst, was es heißt, enger Sklave eines wichtigen Mannes zu sein.


    Cimon, ich würde dich so gerne wieder sehen. Wie einfach war es, als wir uns kennengelernt haben und wir beide in Rom waren. Aber das ist das Los, das ein Sklave tragen muss. Wir folgen unseren Herrschaften treu, wohin auch immer sie gehen.


    Bis bald, Cimon!


    Natürlich war es Untertreibung. Phaeneas konnte es kaum mehr aushalten, sehnte sich danach, dem Geliebten endlich wieder gegenüber zu stehen.


    Im Großen und Ganzen überwog die Sehnsucht nun doch um ein Vielfaches. Alle Zweifel und Ängste.


    Sim-Off:

    * (1) Ich danke dir
    * (2) officium = Pflichterfüllung eines Klienten gegenüber seinem Patron
    * (3) Phaeneas grüßt seinen Cimon

    Ach, Bashir ... Schade ...
    Du warst eine der am schönsten zu lesenden Sklavenfiguren ... und wenn man mich fragt auch eine der authentischsten.


    Jedenfalls habe ich dein bescheidenes Leben und Wirken immer gerne mitverfolgt :)

    „Im Übrigen würd es mich wundern, wenn sich niemand für dich interessieren würde, du bist schließlich genau das, was die alle hier schier zum Anbeißen finden.“ Eine Spur Ironie triefte aus seinen Worten. „Dir ist es bisher bestimmt nur noch nicht aufgefallen. Hat dich mal einer als Adonis bezeichnet, als Ganymedes vielleicht? Mit Apollon verglichen? Das ist kein Neid, sondern ein Angebot.“


    „Was ist das – Gottes Herrlichkeit im Himmel?“, fragte Phaeneas gebannt, der im Folgenden noch von jede Menge Worten überschüttet wurde, die er so in dem Zusammenhang noch nie gehört hatte.
    Lieben?! Nach römischen Vorstellungen sollte man für einen Gott ja alles Mögliche – u.a. ekstatische Riten mit Entmannungszeremoniell durchführen – aber ihn lieben?!
    Dann kam es aber noch besser. Fast hätte Phaeneas laut losgelacht – das sah man ihm auch gut an. Seinen Nächsten lieben – der Scherz war gut.
    Schließlich wurden seine Augen groß und größer. Das mit dem lieben-Zeug ging noch weiter. „Jesus hat uns geliebt?“ Wie konnte ein Mensch ihn lieben, der ihn nicht einmal kannte? Und wer war dieser Jesus überhaupt?
    Ewiges Leben? Bei diesen Worten durchfuhr Phaeneas ein kräftiger Schock, den er allerdings verbarg. Nein, wenn dieses Leben ewig so weitergehen würde, ewig, nie enden ... Das wäre zu grausam. Nein, das könnte Phaeneas nicht ertragen! Das wollte er sich nicht einmal vorstellen! Zu scheußlich war dieser Gedanke! Ewig diese Demütigungen, diese Erbarmungslosigkeit, diese Kälte. Diese Unsicherheit, diese Gefahren überall. Nein, alles, bloß das nicht.
    „Ewiges Leben?“, fragte er deshalb mit tonloser Stimme. „Was muss ich mir darunter vorstellen?“


    Kampf. Damit konnte der vinicische Sklave schon eher etwas anfangen. Ja, für viele Sklaven war das Leben ein Kampf. In dem das Recht des Mächtigeren entschied, der kühlere Verstand, die bessere Selbstbeherrschung und der kräftigere Ellenbogen.
    Und für Phaeneas im Grunde auch. Ein Überlebenskampf.
    Ach, er machte Lahme gehend und Kranke gesund und man soll diesen Jesus nicht einen Wunderheiler nennen? Was war er denn dann? Ein Arzt etwa?
    Einige Momente überlegte Phaeneas. Bis seine erst ironische Logik ihn überzeugte. „War Jesus Arzt?“
    „Setzen, ja, gute Idee“, antwortete der Bithynier gedankenverloren, zu sehr wartete er auf die weiteren Ausführungen seines jungen Begleiters, und leistete dessen Vorschlag Folge.
    „Dieser Jesus ist einfach so mit dem nächstbesten Sünder, der da am Baum hing, mitgegangen?!“ Aber wenn er das getan hatte, dann war er in der Tat ... außergewöhnlich, dieser Jesus. Das taten nur wenige, sich offen mit Außenseitern zeigen. Nur wenige Römer zeigten offen ihre Affäre mit einem Römer. Denn das machte sie beide zu Außenseitern.


    Na ja. Das mit der Liebe verstand Phaeneas am Christentum noch nicht ganz.
    „Kein Problem“, erwiderte der deutlich Ältere von beiden nur.


    Die Ablenkung von dem alles beherrschenden Gedanken Cimon war ihm sehr recht.

    Vorsichtig strich sich Antias übers glatte braune Haar und erinnerte sich daran, wie Thessalonice gestern darüber gestrichen hatte. Thessalonice. Wie eine Erscheinung war sie zu ihm geschwebt, fast hatte er sich gefragt, ob sie wirklich da war. Aber sie war es gewesen. Ganz einwandfrei. Thessalonice.
    Ein Klopfen drang von der Türe an den für heute eingeteilten Ianitor heran, ließ ihn von seinem Hocker aufstehen. Antias war durchschnittlich groß und schlank. Nur sah die Tunica an ihm ordentlicher aus als an anderen. Was wahrscheinlich daran lag, dass er mehr auf sie achtete, wie auch auf seine Frisur. Für die Arbeit, wenn man Karriere machen wollte – und das wollte Antias auf jeden Fall - , dann musste sowas sitzen.
    Die Tür öffnete sich und der vinicische Unfreie trat vor den Anklopfsklaven. Gelassen sprach das gewinnende Lächeln aus seinen Augen. „Salve! Wie kann ich dienen?“

    Zitat

    Original von Titus Duccius Vala
    Sicherlich alles richtig und schon gewusst, ändert aber rein garnix an meiner Argumentation.


    Dieser Kommentar war absolut unnötig.
    Sieh Fridumuots Äußerungen doch als allgemeine Ergänzung zum Thema und nicht als direkten Angriff deiner Position.

    Danke, Axilla! Danke, dass du's gesagt hast! =)=)=)


    'Heute' gibt es eben nicht nur die reichen Industrienationen, also in erster Linie Europa und die USA, sondern eben auch Asien, Afrika, den Nahen Osten und Lateinamerika. Und dort läuft einiges anders als bei 'uns'!
    Unter anderem die Dinge, die Axilla aufgezählt hat.


    Zitat

    Original von Fridumuot
    Die Idee ehelicher Treue dürfte es eigentlich auch immer gegeben haben. Das ist doch ein Kern von dem was die Ehe als soziale Institution ausmacht: Den (relativ) exklusiven Zugang zu bestimmten Bereichen des Partners - hier des sexuellen. Freilich schwankt die Effektivität solcher Institutionen immer wieder.


    Verzeihung, da hab ich mich missverständlich ausgedrückt. Vor der neuen Ehemoral galt Sex mit Sklaven und Prostituierten nicht als Ehebruch. Mit der Veränderung der Moralvorstellungen wurde aber auch das miteingeschlossen.
    Ja, das mit der Effektivität ist ein gutes Stichwort.

    Sex war in der römischen Antike vor allem auch Machtdemonstration; indem man eben mit Sklaven und Prostituierte geschlafen hat, hat man gezeigt, dass man vollumfänglich über sie verfügen kann. Sprich, wer besonders mächtig war, musste ein besonders aktives Sexleben haben. Zumindest nach außen hin.
    Was man praktisch getan hat und theoretisch die Moral von einem verlangte, war in der römischen Antike schließlich ein großer Unterschied. Deshalb auf der einen Seite diese "Sittenstrenge" und auf der anderen Seite diese Freizügigkeit.


    Übrigens hat sich nicht erst mit der Christianisierung, sondern schon davor (irgendwann in der späten Kaiserzeit, keine Ahnung wann genau) eine neue Moralvorstellung entwickelt. Eine, die nämlich - anders als davor - eheliche Treue betont hat. Dadurch wurde übrigens auch gleichgeschlechtlicher Sex ins gesellschaftliche Abseits gedrängt - weil es ja in der Regel außerehelich war. Diese neue Moral wurde durch das Christentum nur noch verstärkt.

    Das setzte dem Ganzen nun in der Tat die Krone auf.
    Aber anstatt weiter mit sachlichen Argumenten vorzugehen, wiegelte der Bithynier die Unterhaltung einfach ganz ab: „Lais, du bist jung. Du hast keine Ahnung, wovon du redest. Du hast keine Ahnung davon, was es heißt, wenn alles im Leben nicht mehr der eigenen Unternehmunglust dient, sondern nur noch mechanisch abläuft, nur noch Teil des Protokolls ist. Du wirst sehen, wie das in dieser Gesellschaft funktioniert. Du wirst deine Erfahrungen machen. Sage nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
    Wenn sie dann bloß und missbraucht in der Ecke liegen würde. Wenn alles Feuer der Jugend in ihr erlöscht sein würde. Zertreten.
    Wortlos stand Phaeneas auf und verließ den Raum.

    Diese offen ausgesprochenen Worte, diese klare Ansage brachte Phaeneas nun dazu, entsetzt zu erstarren. Denn so mitten ins Gesicht gesagt hatte ihm das noch niemand – das, was im Grunde genommen offensichtlich war.
    Ja, ja so war es, so und nicht anders – aber so direkt hören wollte der Bithynier das auch nicht. Schließlich hatte es seinen Sinn, was er tat, alles was er tat, hatte grundsätzlich Sinn. Das konnten diese anderen kurzsichtigen, unvernünftigen, vergnügungssüchtigen Sklaven nur nicht verstehen!
    Wie aufgebracht er innerlich eigentlich war, kam wieder einmal nicht nach außen, weil er es geschickt verstand, alle heftigen Gefühlsregungen zu verbergen. Stattdessen entgegnete er erstaunlich ruhig: „Die anderen sind die, die einsam sind. Denn die haben alle so ein Herzblatt wie dich im Bett, Lais, aber niemanden im Herzen. Das ist es, was wirklich einsam macht.“