„Gesetz?“, wunderte sich nun Phaeneas seinerseits. Zu Unfreien gab es viele Gesetze. Aber die wenigsten davon regelten, was Sklaven faktisch durften oder nicht durften. Das wurde bis zum Äußersten – das absolute Verwöhnen der Diener oder ihre endgültige Vernichtung – großzügig ihren Herrschaften überlassen. Deshalb hatte Politik ja nie was mit Sklaven zu tun, weil die Belange und das Leben von Unfreien ein rechtsfreies Gebiet waren.
„Ähm, nein, die meisten Sklaven handeln gemäß dem Raum, den ihnen ihre Herrschaften geben. Sprich, solange sich ihre Besitzer nicht in ihr Liebesleben einmischen, gestalten sie’s selber.
Das ist ja auch im Interesse unserer Herrn, damit wir uns unaufgefordert schön vermehren“, zwinkerte der Bithynier. Ja, klar, Cimon und er würden sich natürlich großartig vermehren.
Áedán. Wer auch immer dieser Typ war, klar, dass Phaeneas über denjenigen gründliche Erkundigungen anstellen würde. Komische Sache. Bisher hatte er noch nie von einem Nebenbuhler (respektive einer Nebenbuhlerin) gewusst. Zumindest von niemandem, der eine ernsthafte Chance gehabt hätte.
Ernst. Unsagbar ernst musterte der Bithynier Cimon. Todernst. Den hatte Phaeneas auch vor Augen (oder etwas von viel Schlimmeres), wenn er hier einen Fehler machte. Nur einen einzigen. Und alles war vorbei. Alles, was er sich sein Leben lang mühselig aufgebaut und dabei unsäglich gelitten hatte. Alles umsonst.
Die Sicherheit, die in ihm entstanden war, aus der Gewissheit heraus, besser ihrer beider Situation und die Umstände einschätzen zu können, wurde prompt von Cimon erschüttert, als er treffend feststellte, dass Phaeneas ihn gewollt hatte. Nur machte ihn das noch lange nicht harmlos, sodass eine Beziehung zwischen ihnen den Schutz des Bithyniers nicht in Frage stellen würde.
Hm, er hatte recht. Auch der Nubier hatte eine hohe gesellschaftliche Stellung, weil er Aurelius Ursus‘ Leibsklave war. Dafür stand ihm natürlich Respekt zu. Allerdings war Phaeneas‘ Herr immer noch Patron von Cimons Herrn, womit sie wieder auf unterschiedlichen Leveln landeten. Außerdem hatte der aurelische Sklave jeglichen Anspruch auf Samthände verwirkt, sobald er Phaeneas‘ „guten“ Ruf in Gefahr brachte.
„Du bist gut, Cimon“, antwortete der Bithynier und der Satz war mehr als ironisch. „Natürlich habe ich Zeit erbeten, weil du mir ja auch sagen musstest, dass du in eine Frau verliebt bist!“ Wie Gift spuckte er ihm diesen Satz vor die Füße. „Sag mir, Cimon von den Aureliern, was ist mit dieser Frau? Und was ist mit dem Mann, von dem du mir erzählt hast?“
Und wie konnte er sich schließlich bedingungslos für Phaeneas entscheiden, wenn er in eine Frau verliebt war?
Dann kam der Nubier auf die gesellschaftlichen Regeln zu sprechen. „Natürlich will ich auch, dass es aus uns selbst kommt! Sonst hätte ich doch mein ganzes Leben schon anders ausgerichtet. Aber gewissen Erwartungen kann man sich auch oder gerade als Sklave nicht entziehen, weil man damit seinen eigenen Herrn schädigt, indem man einen anderen beleidigt. Und deshalb müssten wir so tun, sobald wir zusammen wären, als ob du sofort überglücklich mit der offiziellen Beziehung mit mir einverstanden gewesen wärst. Weil alles andere eine Beleidigung wäre.“
Phaeneas‘ Welt geriet auch ins Wanken, als Cimon weitersprach. Trotzdem sperrte er sich mit aller Kraft dagegen.
Traurig und ernüchtert erklärte er: „Alle Welt denkt so, Cimon, verlass dich darauf. Das sind die Regeln, nach denen alles hier funktioniert. Ansehen, Stellung, Macht, Reichtum, um nichts anderes dreht sich das öffentliche römische Leben. Das wirst du doch schon bemerkt haben oder?“
Mit einem ernsten Nicken holte er sich das Versprechen des Aurelischen ein. Zu schweigen.
Was?! Was war das denn für eine alberne Frage? Würde er sich sonst das hier mit Cimon antun?! Wenn er sich für den nubischen Sklaven nicht interessieren würde, würde er ihn einfach ignorieren. So wie Phaeneas das eben mit allem tat, was für ihn uninteressant war. So eine alberne Frage konnte gar nicht ernst gemeint sein, also brauchte sie auch keine Antwort.
Die weitere Auskunft dagegen erstaunte ihn (wieder mal). „Na ja, dass es dich überfordert hat, hat man gemerkt. Aber ... warum warst du noch nie mit jemandem zusammen? Wie alt bist du noch mal? Und du warst doch bestimmt schon mal verliebt?"
Diese Fragen waren nicht Teil des Verhörs, sondern einfach Ausdruck von Phaeneas‘ Überraschung.
Der düstere Zorn von vorhin war plötzlich wie weggeblasen. Es war mehr wie ein Plaudern.