Beiträge von Phaeneas

    Cimon nickte und stimmte somit zu. Es ging so einfach, so leicht.
    Irritiert und leicht verstört fiel dann Phaeneas‘ Blick auf seinen Arm. Normalerweise galt bei ihm die goldene ‚Kein Fremder berührt mich‘ – Regel. Und ein Fremder, das war grundsätzlich einmal jeder, der dem Bithynier nicht ‚nicht-fremd‘ war – und das war schon seit geraumer Zeit nur Lucianus. Doch in diesem Fall ging es zu schnell, um zu protestieren, und erst recht, um dem Einhalt zu gebieten. Und zu geringfügig war die Sache dafür.
    Also ließ er es.
    Eine unbefriedigende Antwort war es, die der aurelische Sklave ihm da gab, und genauso sah Phaeneas ihn auch an. Und dazu wusste er auch noch gar nichts zu sagen. Aber er beschloss, darüber nachzudenken.


    Ja, er hatte Cimon zu einer erfreulichen Erkenntnis verholfen, denn sein Strahlen sprach für sich. Dann lachte der Nubier, wenn es auch etwas schnell wieder verebbte. „Oh, Cimon ... Um ehrlich sein zu können, muss man zuerst einmal die Wahrheit kennen und wer kann sich schon rühmen, in ihrem Besitz zu sein?“ Und zur Verdeutlichung fügte er hinzu: „Ich könnte jeder sein, der nur ein bisschen nett zu dir ist.“
    Sein Kommentar zu dem Text schien den anderen zu beschäftigen, es arbeitete sichtlich in ihm. Etwas beunruhigt beobachtete der Bithynier, was er mit seinem Kiefer anstellte. Doch der Nubier sagte nichts. Er saß da nur. „Cimon – was denkst du?“, fragte Phaeneas also nur gerade heraus in den Raum. Während er ihm Plinius gab. Noch einmal bemühte er sich um einen festen Blick, ein zuversichtliches Lächeln. Im Folgenden blieben seine Augen weiterhin auf Cimon haften. „Bitte sehr ...“ Sein Räuspern ließ den Bithynier schmunzeln.
    Dass der aurelische Sklave deutlich besser las als er, hörte man deutlich. Einzig seine mangelnde Selbstsicherheit ließ seine abwechslungsreiche Art nicht voll zur Entfaltung kommen. Und Plinius selbst war natürlich wieder einmal göttlich, herrlich schlagfertig. An einer Stelle musste Phaeneas schallend lachen! „Stell dir das vor, Cimon, der linke Schuh wär‘ ihm verkehrt angezogen worden! Auf so etwas muss man echt erst mal kommen!“ Immer noch laut lachend lehnte sich der Bithynier etwas zurück.


    Bebten Cimons Hände vor Ehrfurcht vor dem meisterhaften Autor? Weiter schien er den Text erneut zu überfliegen. Hatte er sich so sehr aufs schöne Lesen konzentriert, dass er vom Inhalt gar nichts mitbekommen hatte? Oder wollte er sich so noch einmal genau damit beschäftigen? Dann sah er auf, wo die Augen des Bithyniers bereits den Blick aus seinen erwarteten.
    Was er hörte, ließ ihn seufzen. Weil Cimon ihm so schwierige Fragen stellte. Als wüsste er die Antwort.
    Die wartenden Augen des anderen auf sich wissend betrachtete Phaeneas dessen Mundwinkel und das Schimmern, das nachwievor da war.
    „Nein, ich denke, es ist wie mit dem Beten“, versuchte er dann ruhig auszuführen. „Da wir nicht wissen, ob etwas Göttliches, anbetenswertes, existiert, sollte man sich nicht unnötig einengen oder Unzumutbares von sich verlangen, um einer Gottheit willen. Und dementsprechend wissen wir ja auch nicht, ob wir für unseren Glauben belohnt werden oder nicht, vielleicht bringt es ja wirklich etwas. Vielleicht nimmt sich ja jemand eines Glaubenden an. Und wenn du sagst, dass du gar nicht darauf verzichten kannst, dann hat es ja schon einen Sinn bewiesen.“


    Sim-Off:

    =)

    Nachdem sie vorher von allen Seiten abgelenkt und aufgehalten worden waren, lag Phaeneas‘ Aufmerksamkeit nun fest auf Cimon. Und auf dessen Lächeln, während er sich dem Becher, der dem Bithynier zukommen sollte, widmete. In einer langsamen Bewegung griff der dann nach dem, was ihm eingeschenkt worden war, und führte es zu sich, erst einmal ohne zu trinken. Denn davon hielt der Nubier ihn ab bzw. in diesem Moment empfand es Phaeneas als wesentlich wichtiger, dessen strahlende Augen zu genießen und mit einem sanften Schmunzeln darauf zu antworten.
    Dass er sich gehen ließ, das konnte der Lucian’sche Leibsklave nicht mehr länger vor sich selbst verbergen und er wollte es auch nicht mehr. Dem obligatorischen Misstrauen war Genüge getan und weiterhin darauf zu beharren, würde bedeuten, sich einiges entgehen zu lassen, und das wollte er wahrlich nicht. Nicht jetzt, in Gegenwart von Cimon, und auch in Zukunft nicht.


    Dass der Nubier sich bei seiner Überleitung an der Amtsbezeichnung festbeißen würde, damit hatte Phaeneas nicht gerechnet. „Um ehrlich zu sein, habe ich mich damit gar nicht so sehr beschäftigt. Mir geht es bei all den politischen, administrativen und sonstigen Aufgaben meist so, dass mir schlicht die Motivation fehlt, mir davon großartig viel zu merken und sie untereinander auseinanderhalten zu können. Also, der Curator Rei Publicae wird vom Kaiser zu den Städten Italias geschickt und darf dann dort alles Mögliche kontrollieren und muss dafür sorgen, dass alles läuft.
    Jedenfalls bedeutet das, dass mein Herr zusammen mit mir die nächste Zeit durch Italia reisen wird“
    , fasste er das für ihn Entscheidende zusammen.

    Das ‚Es ist schön, dich hier zu sehen.‘ ließ Phaeneas‘ Augen erstrahlen. Es kam selten vor, dass sich jemand wirklich freute, ihn zu treffen, und gar nie betonte jemand so etwas noch ausdrücklich. Trotzdem war der Bithynier nachwievor zu feige, um zu antworten, wie sehr es ihn selbst freute, jetzt Cimon gegenüberzustehen. Einmal Eingeständnisse gegenüber anderen Menschen gemacht, war alles zu spät. Und Phaeneas fürchtete fast nichts so sehr, wie sich verbal zu anderen zu bekennen.
    „Oh“, wollte er zuerst spontan ablehnen – als Sklave inmitten von Hochzeitsgratulanten zu trinken, empfand er als ungebührlich – aber da inzwischen ja das Essen angesagt worden war und sie schön separat am Rand standen, entschied er sich doch anders: „Ja, doch. Hm, ja genau, Wasser bitte.“ Dabei lächelte er. Der unsichere Gesichtsausdruck stand dem aurelischen Sklaven wieder einmal unheimlich gut, es machte ihn so sympathisch und Phaeneas mochte Leute, die vorsichtig und rücksichtsvoll mit anderen umgingen. Und so gewaltig nett waren wie Cimon.
    Oh, fiel ihm dann nebenbei auf, der Nubier schien seine Vorliebe für Wasser im Gedächtnis behalten zu haben. Schließlich war das in so einem feierlichen Rahmen nicht unbedingt die erste Wahl.
    „Tja ...“, begann er letztlich etwas wage, „weißt du, Cimon, die Sache ist die – mein Herr wurde zum Curator Rei Publicae berufen.“ Hörte sich das fast so an, als wollte der Bithynier ein politisches Gespräch beginnen? Welch alberne Vorstellung.

    Genau so wie Cimon sich zeigte, so fühlte sich auch Phaeneas in diesem Moment, in dem zwei Geister in ihm widerstritten, der eine empört, der andere spürbar angetan. Den ersten Sätzen des aurelischen Sklaven konnte er folgen, beim vierten hing er förmlich an dessen Lippen – so ungewohnt angenehm war es, so etwas zu hören, irgendwie ... aufregend. Wenn auch verboten aufregend. Der letzte Satz schließlich, das waren mehr als klare Worte, und der andere besiegelte seine Kritik am nicht in Frage zu stellenden Schicksal.
    Auch wenn Phaeneas dem rein theoretisch inhaltlich zustimmen könnte, war es ihm natürlich komplett unmöglich, das ohne Protest stehen lassen: „Aber das Schicksal hat es so festgelegt, also muss es doch richtig sein, egal ob es gut oder schlecht ist!“ Den Aufruhr, den er in sich fühlte, versuchte (versuchte!) er, möglichst nicht in seiner Stimme mitschwingen zu lassen.


    Zuerst ein Nicken, dann zeichnete sich Erleichterung in Cimons Zügen ab. Und dann brachte er es in Bezug auf seine eigene Situation perfekt auf den Punkt. „Haargenau. Richtig“, konnte Phaeneas also nur nicken. „Das ist der Punkt, Cimon.“ Des Nubiers Augen, wie sie den Bithynier anblickten, waren wirklich sehenswert und sie hinterließen ein gutes Gefühl in ihm, weil er in ihrem gemeinsamen Gespräch geschafft hatte, ihm zu eben dieser Erkenntnis zu verhelfen, die ihm offensichtlich sehr zusagte.
    Die Bewegung des Kopfes des anderen ließ Phaeneas endgültig begreifen, dass er es in dieser Hinsicht mit einem eigenwilligen Schüler zu tun hatte. „Du bist dumm“, gab er deshalb sofort zur Bestätigung zurück. „Daran lässt sich nichts leugnen.“ Aber Cimons Lächeln schien so zufrieden, so mit sich selbst im Reinen, dass ... na ja, der Bithynier ebenfalls eine schlicht nur emotionale Entscheidung traf und es insgesamt dabei beließ: „Na gut, solange du dich an dieses Versprechen hältst, Cimon ... Dann will ich mich damit begnügen.“ Dass es eigentlich ein großes Kompliment war, das nahm Phaeneas nicht wahr (und das wollte er auch gar nicht wahrnehmen).
    Wieder mit dem leichten Schmunzeln verfolgte er, wie der aurelische Sklave nach seiner Lesung reagierte, noch still für sich über den Text nachdachte. Als er auf- und den Bithynier ansah, glaubte der schon fast, sein Gegenüber würde Worte zu Plinius erwarten. Schließlich sprach er aber doch selbst – und fasste wieder einwandfrei das Gelesene zusammen.
    „Ich fürchte ja, Cimon“, seufzte er erst. „Das will das hier sagen. Aber“ – und jetzt kam Phaeneas‘ Einspruch, mit fester Stimme, unerbittlich vorgetragen – „wenn du mich fragst, ist das ganz gewaltiger Unsinn. Ich meine, überleg doch mal, hattest du je im Leben das Gefühl, dein eigenes Schicksal zu bestimmen? Das, was hier steht, trifft vielleicht auf andere zu, meinen und deinen Herrn, manche Freie, manche Sklaven – aber nie und nimmer auf alle Menschen. Die einzige Möglichkeit aller Übrigen ist, das geringere Übel zu wählen - aber ist das immer eine echte Alternative ... ?“
    Den Schimmer in Cimons Augen konnte der Nubier nicht vor dem bithynischen Unfreien verbergen, dazu beobachtete der sein Gegenüber viel zu aufmerksam. Mit seinen Worten hoffte Phaeneas ihn trösten zu können, wo er selbst von dieser These doch schließlich genauso wenig hielt.
    Der entgegengestreckten Hand reichte er die Papyrusrolle und versuchte sich dabei in einem ermutigenden Lächeln.


    Sim-Off:

    Das mit dem Kieferanspannen ist gar nicht gut, da kriegt man irgendwann Kopfweh :P

    Die ganze Situation war wirklich mehr als merkwürdig, der Magistrat war krank, der Duumvir an einen unbekannten Ort abgemeldet und jetzt wurden sie von jemandem empfangen, der behauptete, noch gar nicht richtig eingearbeitet zu sein. Zumindest die Versorgung funktionierte gut, wie Phaeneas feststellen konnte, nachdem er den beiden entsprechend Lucianus‘ Aufforderung ins Vorzimmer gefolgt war. Oder sollte man vielleicht eher sagen, nur die Versorgung funktionierte?

    Relativ bald war das Gratulationsgespräch mit dem frisch vereinten Paar abgeschlossen. Noch während er wartend etwas neben Lucianus gestanden hatte, hatte der Leibsklave immer wieder einen Blick hin zu Cimon geworfen, der ziemlich eingespannt war. Doch dann sah der nubische Diener auf und Phaeneas registrierte dessen Nicken mit Freude. Den „Wink“ verstand der Bithynier natürlich sofort. So löste er sich nun von seinem Herrn und versuchte, möglichst fern der Gäste, um sie nicht zu stören, zu dem anderen Sklaven zu gelangen.
    Ja, und dann kam plötzlich noch viel mehr Leben in die Gesellschaft als vorher ohnehin schon. Irgendwas mit einer Schüssel Nachtisch und einige Gäste entfernten sich spontan. Und natürlich bedeutete das für Cimon prompt, sich um das entstandene Maleur kümmern zu müssen. Nun gut, also zog sich der bithynische Sklave weitgehend von der illustren Gesellschaft (die jetzt ohnehin ins Triclinium aufbrach) zurück und wartete ab.
    Als Cimons Augen wieder die seinen trafen (so wie bei der Salutatio, bei der sie sich das erste Mal gesehen hatten), machte er sich wieder auf den Weg zu dem anderen hin, der nun vorübergehend nicht beschäftigt war. Wie unbeschäftigt er dann tatsächlich (dauerhaft) sein würde, würde sich zeigen.
    Sobald der nubische Sklave näher kam (davon abgesehen, dass Phaeneas derjenige war, der sich bewegte), stahl sich mehr und mehr ein Lächeln auf die Lippen des Bithyniers. „Salve, Cimon!“, begrüßte er ihn gut gelaunt, wenn er auch nicht ganz so laut sprach wie die Herrschaften außen herum. „Siehst du, was Hochzeiten anbelangt bekommt man in diesen Kreisen schnell Übung“, schmunzelte er.
    Für jemanden, der Phaeneas aus dem Alltag genauer kannte, wäre diese Situation hier schier unglaublich, denn der Bithynier führte wirklich Konversation. Er, der er sich sonst stets weigerte, sich über unkomplizierte, belanglose Dinge zu unterhalten, tat jetzt genau das mit Cimon.

    Cimon schwieg und Phaeneas war sich nicht sicher, ob ihn das mehr verunsicherte oder beruhigte.
    „Meine Mutter hatte sich nie wertend über das Schicksal geäußert. Es war wie es war und daran gab es nichts zu rütteln, so hatte sie es mir beigebracht. Auch meine Herrschaften hatten einfach nur Strafe, Straflosigkeit und Belohnung festgesetzt, ohne je das eine als grausam oder das andere als erfreulich zu bezeichnen. Es war einfach erfolgt, fast so, als würde Fortuna selbst blind und gerecht das Urteil fällen. Und Unfreie sind meist zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um sich mit dem Schicksal ihrer Mitsklaven zu befassen. Und Fremde kümmern sich sowieso nicht, wenn es um die Diener anderer geht. So verschwimmt Bestrafung und Lob in einer Art unkommentierter Suppe, als wäre das eine so gut wie das andere, als wäre es egal, ob man geschlagen oder in Ruhe gelassen wird.
    Aber wenn du sagst, das Schicksal wäre nicht immer nett zu uns gewesen, wirfst du ihm damit nicht indirekt vor, an uns beiden versagt zu haben, ungerecht gewesen zu sein?“
    Das waren zugegebenermaßen harte Worte, aber sie ... nicht auszusprechen, wäre Frevel. Phaeneas hatte einfach geredet und geredet und mit der Zeit war seine Stimme auch wieder sicherer geworden. Was Cimon gesagt hatte, klang wohltuend richtig und zugleich kollidierte es mit des Bithyniers Weltbild und genau dieser Gegensatz brachte ihn in Aufruhr.


    „Na ja, solche Leute kenn ich nur wenige.“ Bei Cimons weiteren Überlegungen war er sich nicht ganz sicher, ob er genau verstanden hatte, was der Nubier meinte, aber er deutete es mal so: „Nein, alle sind richtig. Die beiden Göttinnen sind zwei mal das Gleiche, nur jeweils anders benannt.“ Dass der andere seiner Frage wegen irgendwelche Bedenken haben könnte, kam ihm nicht annähernd in den Sinn.
    Auf Cimons Versprechen hin lächelte Phaeneas, ja es erleichterte ihn im Herzen. Der Einwand seines Gegenübers ließ ihn dagegen nur mit dem Kopf schütteln: „Das ist die falsche Vorgehensweise, Cimon. Vertraue niemandem, auch nicht mir. Erst wenn du jemanden genauestens geprüft hast, solltest du dir über so etwas Gedanken machen. Aber sei anfangs bei jedem misstrauisch, gerade bei denen, die spontan sympathisch wirken. Die Zuvorkommenden, Umgänglichen, Großzügigen, das sind die besonders Gefährlichen. Sie erschleichen sich dein blindes Zutrauen, horchen dich auf deine verborgenen Schwächen und Wünsche aus und benutzen das gewonnene Wissen, um dich ihnen vollkommen zueigen zu machen – manchmal ohne dass du es auch nur merkst. Und selbst wenn, ist es meistens zu spät. Sei immer vorsichtig!“
    Als er Cimon so sah und seine leuchtenden Augen, da hüpfte Phaeneas‘ Herz. Dass er selbst das, was er gesagt hatte, als nicht so großartig empfand, war spätestens jetzt egal, und er lächelte zurück, während er Plinius entgegen nahm. Der Nubier positionierte sich auf seinem Hocker um und der Bithynier suchte noch einmal die Stelle, wo der neue Textabschnitt anfing. Sobald er sich wieder voll und ganz Cimon widmen konnte, stellte Phaeneas fest, dass er die Augen geschlossen hatte, und er betrachtete sein Gesicht für einen Moment, mit diesem leichten Schmunzeln auf den Lippen.
    Dann riss er sich los und begann – entsprechend langsam und bedacht wie angekündigt - zu lesen: Jedoch ... hat die sterbliche Menschheit ... sich selbst in der Mitte zwischen diesen beiden ... Auffassungen ... ein eigenes göttliches Wesen erdacht ... , damit die Vermutung über die Gottheit noch weniger einfach ist: ... in der ganzen Welt nämlich ... und an allen Orten und ... zu allen Stunden ... und von den Stimmen aller ... wird allein Fortuna, das Glück, angerufen – hier stockte Phaeneas besonders und das lag nicht an Leseschwierigkeiten, sondern am Inhalt – und ... genannt, allein angeklagt ... und allein beschuldigt – an dieser Stelle lief der Bithynier hell an. Fortuna ... das Schicksal ... jetzt kam Plinius zu seinen, des Leibsklaven Überzeugungen ... Phaeneas wurde nie rot. Während bei anderen Farbe ins Gesicht schoss, verlor seines eher den gesunden Taint und wurde blass; so wie eben jetzt ... weil ihm die Situation peinlich war - „ ... allein bedacht ... , allein gelobt, allein bezichtigt und unter ... Vorwürfen verehrt, als veränderlich ... , von vielen als flüchtig ... , aber auch als blind betrachtet ... , unbeständig, unsicher, wechselreich und eine ... Gönnerin ... Unwürdiger. ... Ihr wird aller Verlust, aller Gewinn ... zugeschrieben und in der ... Gesamt- ... -abrechnung – diese Worte machten Phaeneas hörbar Schwierigkeiten – „ ... der Sterblichen ... füllt es allein ... die beiden Seiten; ... so sehr sind wir dem Schicksal unterworfen ... , dass dieses selbst als eine Gottheit gilt, wodurch doch die Gottheit als ... ungewiss erwiesen wird.

    Hinter Lucianus schritt Phaeneas her, ein kleines bisschen – sklavengemäß - auf Abstand, aber doch sichtbar näher als jeder x-beliebige Unfreie oder Klient. Schließlich hatte er für seinen Herrn eine gewisse Bedeutung, stand ihm als Schreiber zur Verfügung, führte seinen Haushalt und war sein Leibsklave, und – was dem Bithynier wesentlich wichtiger war – sie hatten auch im allgemeinen Umgang ein persönlicheres Verhältnis.


    Ein etwas überfordert wirkender ... Beamter? ... nahm sich ihrer an. Lucianus gab souverän wie immer an, was Sache war. Helle Freude war die Reaktion darauf, ebenfalls wie immer, ‚Schleimer, erbärmliche Kriecher‘, dachte sich Phaeneas – er selbst spielte seinem Herrn nie etwas vor, was nicht der Fall war.
    Sobald das erste gestotterte Wort über die Lippen des Mannes kam, keimte in dem Sklaven Misstrauen. Was dann kam, war für ihn fast unglaublich. Nie, aber auch wirklich nie, würde ein Unfreier eine so naive Ausrede vorbringen!
    Im gleichen Moment versuchte der Beamte den Patzer von gerade eben mit Verpflegung und Erholung zu übertuschen. Na, Phaeneas war ja gespannt, was da noch so rauskam. Seine persönliche Vermutung lautete ja darauf, dass sich hier so einige seit geraumer Zeit einen faulen Lenz machten.

    Ihr verwunschener Anblick schlug Phaeneas in seinen Bann, hielt ihn unbewegt an Ort und Stelle und hielt seine Augen fest – fast so als wäre sie Wasser. Menschgewordenes Wasser. Ja, nur Wasser faszinierte ihn sonst so oder die Bilder, die er sah, wenn er die Augen schloss – oder zumindest die inneren Augen. Andere würden wohl sagen, sie sähe aus, wie aus einem Traum, wie Teil eines seiner Träume, aber er träumte nachts fast nie etwas (zu schlafen war für ihn wie in tiefe, gedankenlose Finsternis zu sinken) und noch weniger etwas schönes. Mehr einem Tagtraum kam sie gleich, auch wenn dem Bithynier klar war, dass es wohl kaum ein Kompliment sein konnte, denn die Landschaften seiner Tagträumereien waren meist düster und wüst und leer, wenn auch von schwachem, dumpfem Grün durchzogen, mit Bäumen und Flüssen, mit viel Himmel und einer Sonne, die nur leicht durch die Wolkendecke zu scheinen schaffte. So wie heute, nur dass sie an diesem Tag etwas Wärme mit sich brachte. In seinen Träumereien fühlte er nie etwas, nicht das Moos unter seinen Füßen, noch den Nebel, durch den er ging. Es war genauso materielose Fantasie wie sein Körper, der in diesen Welten nur aus Luft bestand, zusammenhängendem Nichts.
    Auch wenn Phaeneas zugeben musste, dass er die fühlbare Sonne mochte, in Germania hatte sie sich nur so kurz und nur so wenig durchsetzen können und es hatte ihm gefehlt. Schließlich war er ein echter Südländer. Wirklichkeit und Traum waren ungefähr so wie Theorie und Praxis, unvereinbar.
    Plötzlich kam Bewegung in die junge Frau und ihre suchenden Augen trafen den Sklaven.
    Nachdem er zuerst nur ihren Rücken und sie ein bisschen von der Seite gesehen hatte, wandte sie ihm nun ihr blasses, zartes Gesicht zu. Ihre Augen hielten den fast schwarzen des Bithyniers stand, eine undefinierbare Kraft sprach aus den ihren, auch dass sie da schlicht nur stand, hatte etwas von Festigkeit. Phaeneas erwiderte ihre Betrachtung nur mit ausdruckslosem Gesicht – denn obwohl all das sehr gemächlich ablief, ging es ihm doch zu schnell, um zu reagieren.
    „Salve“, erwiderte er mit vergleichbar wenig Enthusiasmus, der Überraschung wegen. „Ist ... ist alles in Ordnung?“ Ihr vorübergehendes Schwanken war sogar für Phaeneas offensichtlich gewesen, der sonst alles andere als der war, der sich zu spontaner Hilfsbereitschaft entschloss geschweige denn sich für den Zustand fremder Leute interessierte. Aber hier keine Nachfrage zu stellen, wäre jeglichen zwischenmenschlichen Umgangsformen zuwidergelaufen, die sogar der nicht sonderlich gesellige Bithynier anerkannte, wenn jemand so offensichtlich unmittelbar vor den eigenen Augen, wenige Schritte entfernt, fast fiel, dann verlangte die reine Höflichkeit, wenigstens verbal Unterstützung zu bieten. Seine Erkundigung konnte er sich also mit Höflichkeit erklären und doch befand Phaeneas, dass sie Teil seines tiberinischen Seelenbildes war, einer unwirklichen Wirklichkeit, und als solches war er der Ansicht, auch einige Worte mit ihr wechseln zu können

    Für den bithynischen Leibsklaven war es eine altgewohnte Angelegenheit, einen Ort zu verlassen und an einen anderen zu kommen. Nach der langen Zeit, die er in Germania verbracht hatte, und erst recht nach der noch längeren Zeit, die er schon Lucianus gehörte und in der es ihm bei jenem wesentlich zu gut ging, als es Phaeneas‘ Überzeugungen nach sein dürfte, nach all dieser Zeit glaubte er, dass sein Leben nun wieder auf realistischeren Bahnen wandelte. Denn nachdem sie nach Rom gegangen waren, brachen sie nun wieder auf, um nach Ostia und von dort aus noch weiter zu kommen. Und dass dem Bithynier bei all dem Lucianus erhalten blieb, sollte ihm nur recht sein. Es musste nicht alles komplett nach seiner Vorstellung von seinem Schicksal ablaufen ... ;)

    Cimons Stirnrunzeln verunsicherte Phaeneas jedoch. Nun begann der Bithynier sich zu fragen, ob er etwas falsches gesagt oder getan hatte. Mochte der Nubier das, was er über seine tote Mutter erzählte, etwa nicht? Doch er nickte, während er lauschte. Und er gab ihm schlussendlich recht. Der blasse Anflug eines Lächelns erschien auf Phaeneas‘ Gesicht, als der andere seine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der Mutter ausdrückte. Auch wenn leicht zu erkennen war, dass es nicht vollkommen überzeugt aussah.
    Dann drückte Cimon ihm sein Bedauern aus und dann ... sprach er einen Satz, der den bithynischen Sklaven förmlich aus den Sandalen haute. ‚Das Schicksal ist nicht immer nett zu uns beiden gewesen, wie mir scheint.‘ ... Sofort begann sein Herz aufgeregt zu klopfen und er starrte Cimon sichtlich überrascht an. Im Kerngedanken sagte der nämlich, dass das Schicksal ihnen beiden öfter einen ziemlich gemeinen Streich gespielt hatte. Dass es hätte nett sein können, aber nicht gewesen war. Und damit sah er die Verantwortung für alles andere als schön verlaufene Dinge in ihrem Leben beim Schicksal. Natürlich, das Schicksal eines jeden war genau festgelegt, daran glaubte Phaeneas, und ‚Fortuna‘ gab es damit vor, aber so etwas wie ... Schuld konnte man ihr doch unmöglich zuschieben! Wer war schließlich ein Sklave, dass er sich beschweren könnte! Ein Unfreier hatte zu akzeptieren und vor allem ... letzten Endes war doch das Schicksal eines jeden einzelnen genau auf ihn abgestimmt und damit war das, was das Schicksal für einen Sklaven vorsah, für ihn doch immer noch das Beste. Auch wenn es wehtat. Dann war derjenige eben am besten dazu geeignet, ein eben solches Leben zu führen.
    Das, was Cimon da gerade eben gesagt hatte, das war Kritik am Göttlichen! In Phaeneas‘ Augen.
    Und zugleich rührten ihn diese Worte an genau der gleichen Stelle, die für die Äußerung über die Beständigkeit des Schmerzes im Leben empfänglich gewesen war. Es ... fühlte sich angenehm an, gut und richtig, denn es beschrieb die Lebenswirklichkeit, die der Bithynier erlebt hatte, am treffendsten. Nein, als nett hatte er all das, was seine Vergangenheit mit sich gebracht hatte, kein bisschen empfunden.
    Er war hin- und hergerissen. Deshalb sagte er auch nur: „Es ... es hat noch nie jemand zu mir gesagt, das Schicksal wäre nicht nett zu mir gewesen.“ Mit hörbar mitgenommener Stimme.


    „Das stimmt oder zumindest nur sehr wenig ‚richtig‘ und ‚falsch‘. Man kann nicht alles wissen“, meinte er dann. „Und ich kann dich verstehen, Cimon, in römischen Gefilden ist man schließlich mit so vielen Göttern konfrontiert, da kann man unmöglich alle korrekt auseinanderhalten. Was ich eigentlich mit meinem Beispiel gemeint habe ist, dass Isis und Iuno beide für Frauenangelegenheiten zuständig sind. Als weibliches Wesen kann man beide gleichermaßen für jedes nur denkbare Problem anrufen, im Prinzip ist jede der beiden Göttinnen so gut wie die andere, fast schon austauschbar. Und trotzdem gibt es zwei, mit zwei verschiedenen Namen ...“
    Als Cimon sich so straffte, musste der Bithynier herzlich lachen. Die Ironie war mit einem Schlag aus seinem Gesicht gewischt. Trotzdem bemühte er sich dann doch um etwas Ernst, um die Worte des anderen zu ergänzen: „Aber auch in Gesprächen mit Höhergestellten ist es wichtig, stets zu wissen, was man sagt und fragt. Auch wenn man da, nach einem Fehler seinerseits, natürlich sensibler sein muss. Da kann man sich dann nur angemessen entschuldigen. Aber es ist immer wichtig, sich genau bewusst zu sein, was man ausspricht.“
    Wenn Cimon sich zu Herzen nahm, was Phaeneas sagte, dankte er es ihm schon mehr als genug. Denn das war wirklich eine Überlebensfrage, das konnte einen Sklaven schneller zu Fall bringen als er den Stein überhaupt sah, über den er stolperte.
    Während der Nubier den Text noch einmal überflog, sah der bithynische Sklave ihm ruhig zu. Als er von einer „sehr schönen Schrift“ sprach, erschien ein Lächeln auf Phaeneas‘ Gesicht. Es gefiel ihm außerdem sehr, zu hören, dass Cimon ihm gerne Gesellschaft leisten wollte. Gesellschaft ... das hatte er so gut wie nie ... so offiziell ... Auf seine Versicherung hin, nicht zu lachen, musste der Bithynier schmunzeln. „Nun gut, das glaub‘ ich dir, Cimon.“ Aber eines musste er noch klarstellen: Ich habe dir angeboten, die ‚Naturalis Historia‘ mit dir gemeinsam zu lesen, natürlich werden wir das dann nun auch so machen.“ Nach einem Bedenkmoment und doch noch einem kleinen misstrauischen Blick auf den aurelischen Sklaven antwortete er dann: „Ja, abwechselnd, das wäre schön“, und mit einem Seufzer ergänzte er: „Ich fange an.“ Und bat um die Schrift.

    Nein, Lucianus war nicht alleine gekommen. Auch wenn Phaeneas vor jemand anderem als seinem Herrn nie zugeben würde, dass es der ausdrückliche Wunsch des Bithyniers gewesen war, hier dabeizusein.
    Noch waren nicht allzu viele Gäste da, aber das würde sich innerhalb kürzester Zeit ändern. Momentan musste man sich noch nicht durch die Leute hindurchschieben, dafür fiel man aber leichter auf und das störte Phaeneas fast noch mehr als ersteres. Denn das bedeutete, dass man sich als Sklave noch unauffälliger absondern musste, einen noch (sklavisch) tadelloseren Eindruck erwecken.
    So hielt er sich erst einmal dezent im Schatten seines Herrn, in der Weise, die nur ein geborener Unfreier beherrschte, dass er in der Gesellschaft kaum als anwesend bemerkbar war. Ganz so als wäre er wirklich so klein, wie Diener auf Malereien oft dargestellt wurden.
    Kaum dass er den Raum betreten hatte, hatte er sofort begonnen, die allgemeine Lage auszusortieren, und so stach ihm nun Cimon ins Auge, der neben einem Tisch stand und Getränke austeilte. Mit aufleuchtenden Augen registrierte er ihn, doch der andere war gerade beschäftigt.

    Das musste er nicht lange, denn sobald der Bithynier mitbekommen hatte, dass Lucianus sich in Richtung Haustüre aufgemacht hatte, hatte er genau gleiches zu seinem Ziel ernannt. Vorher hatte er überprüft, dass auch wirklich alles so klappte, wie es sollte, und sie jederzeit aufbrechen konnten.
    Phaeneas‘ eigenes Gepäck (nachwievor befand er es als unglaublich, dass er so etwas überhaupt hatte – bis er Lesen und Schreiben gelernt hatte, hatte er alles standhaft verweigert, was man so auf Reisen mitnehmen könnte) war vom Notwendigen abgesehen wie zu erwarten (phaeneastypisch eben) sehr bescheiden: ein paar Wachstafeln und Cimons Stilus.
    „Alles bereit von deiner Seite?“, begrüßte er Lucianus mit einem Lächeln – und meinte damit eben nur banale Dinge wie Frau und Kinder.

    Ernsthaft begann Phaeneas sich zu fragen, wann er zuletzt jemanden so wunderschön hatte lächeln sehen wie Cimon gerade. Sich einem solchen Lächeln entziehen zu wollen, war absolut unmöglich, vollkommen von selbst sprang es auf den Bithynier über.
    Solche Rituale hatte er mit seiner Mutter auch gehabt. Jeden Abend hatten sie miteinander verbracht, tagsüber waren sie schließlich mit ihren jeweiligen Pflichten beschäftigt gewesen. Das war für Phaeneas immer die schönste, meist geschätzte Zeit des Tages gewesen. Und oft hatte sie dann ihre hüftlangen, dichten, braunen Haare gelöst, die sonst natürlich in einem Knoten zusammengebunden gewesen waren, und er hatte sein Gesicht in ihnen versteckt, sich in tiefe, geborgene Dunkelheit gehüllt, wenn der Tag anstrengend gewesen war, wenn er die Welt nicht mehr sehen hatte wollen.
    „Weißt du ... Cimon ... meine Mutter ist tot, genauso wie mein Vater, ein paar Jahre, nachdem sie verkauft worden war, war sie gestorben. Ich hatte sie in der Zeit dazwischen nie gesehen. Jetzt, wo sie tot ist, ... habe ich das Gefühl, dass sie mir – falls man nach dem Tode irgendwie weiterbestehen kann – in jedem Fall näher ist, als in der Zeit, als wir getrennt waren, sie aber am Leben war.“ Phaeneas sah Cimon an. ‚Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst ...‘, sagten seine Augen.
    „Das ... das kenne ich, wenn man jemanden gern wiedersehen würde, ... aber haargenau weiß, dass es wahrscheinlich nie passieren wird“, nickte er. „Man weiß nur ... irgendwo da draußen ...“ Welch unproduktiver Gedanke! , drang wieder Phaeneas‘ Zynismus durch. Aber es war ... es war angenehm ... von jemandem verstanden zu werden. Das geschah selten genug seit den Jahren bei Lucianus inmitten all dieser Unfreien mit dieser seltsamen Sklavenmoral, von wegen ‚Arbeite, streng dich an, geh ganz in deiner Aufgabe auf, dann kannst du auch mal gutmütig den Alten belächeln, dir wird schon nichts passieren‘.
    Im gleichen Moment brachte Cimon Phaeneas in Verlegenheit. „Nein, also, ich, ich wollte dir damit keinen direkten Vorwurf machen, nur es überrascht mich, wie offen du davon sprichst, ihn belauscht zu haben. Das wäre, egal wo ich je war, niemals möglich gewesen und ich hätte nie auch nur annähernd mit dem Gedanken gespielt.“


    Wieder stand so schnell dieser entschuldigende Ausdruck auf Cimons Gesicht. Wenn der Bithynier sich darauf einließ zu antworten, war er ja wohl selbst schuld. Und was der aurelische Sklave nicht wusste: er ging auch nicht auf Fragen ein, die er als unangemessen befand. Nicht in einem solch ... privaten Rahmen, unter annähernd Gleichgestellten, wenn er solche Erkundigungen annähernd gefahrlos zurückweisen konnte.
    „Na ja, man muss ja noch nicht einmal an viele Götter glauben, man kann sich ja auch einen oder mehrere konkrete aussuchen ...“, war Phaeneas‘ schwacher Versuch zu dem Thema Glauben, so allgemein gehalten wie sie momentan darüber redeten, noch etwas zu sagen. Dann aber entdeckte er sein eigenes Stichwort doch für sich. „Doch wenn ich mir allein nur die alt-römischen Gottheiten anschaue, habe ich das Gefühl, sie sind alle gleich, nur ihre Attribute unterscheiden sie. Wenn man Parallelen zu allen anderen religiösen Kulten zieht, ist es dasselbe. Was macht schließlich schon den Unterschied zwischen einer Isis und einer Iuno aus?“
    Auf Cimons Beispiel hin versuchte Phaeneas die Quintessenz zu isolieren: „Dich stören also Einzelheiten und du bist mit der Gesamtsituation zufrieden?“ Ansonsten überging er dezent, dass der andere ihn zu diesem Thema eigentlich usprünglich etwas gefragt hatte ...
    Etwas irritiert betrachtete er dann einen scheinbar immer nervöser werdenden Cimon. Eigentlich müsste der Bithynier es schließlich sein, dem die momentane Gesprächslage unangenehm war. Endlich redete der aurelische Unfreie.
    „Cimon? Das ist normal. Solche Situationen werden dir noch oft begegnen. Unter Sklaven musst du immer damit rechnen, dass dir nicht jeder auf alles antworten will.“ Das gab Phaeneas ununwunden zu. „Aber dafür kannst du nichts. Ansonsten - “ - und dabei schlich sich ein leicht ironisches Lächeln auf seinem Gesicht - „sei ein Mann und steh zu dem, was du gefragt hast!“ In Anbetracht dessen, dass er solche Sprüche sonst nicht allzu oft auf der Zunge führte, war dem mehr symbolischer Wert zuzumessen. Auch wenn Cimon das nicht wusste.
    Was die Gewöhnung an sichere Gesprächsführung anbelangte, bestätigte Phaeneas sein Gegenüber mit einem Schmunzeln.
    „Mit dem frei reden ...“ Sorgenvoll sah des Bithyniers Gesicht jetzt aus. „Wie gesagt, sei vorsichtig, in wie weit du frei redest ... und wann ... und erst recht mit wem ... und über was. Ein kleines Wort kann manchmal schon zu viel sein.“ Um Cimon wäre es schade.

    „Ah ja, gut zu wissen“, bestätigte Phaeneas und vermerkte entsprechende gedankliche Notizen. Die sich allerdings mehr auf seine eigene Vorgehensweise bezüglich seiner eigenen Angelegenheiten bezogen. Für Custodes corporis und Lucianus‘ Gepäck war die Information relativ irrelevant. Und seine Schwägerin würde es auch nur eventuell interessieren.
    „In Ordnung, dann mach ich mich mal an die Vorbereitungen ...“, verabschiedete sich der Leibsklave von Lucianus.

    Selbst an den Saturnalien würde Phaeneas niemals in irgendwelche Bäder in Rom gehen, so wie er das in Mogontiacum gemacht hatte, denn ein Menschenauflauf im germanischen Verwaltungshauptsitz war etwas ganz anderes als Gleiches in der Urbs aeterna. Das Gedränge und laute Gerede der Leute wäre dem Bithynier auch das bestgefüllteste Wasserbecken nicht wert und – um eine Eigenheit seinerseits preiszugeben – er teilte nicht gern. Egal was es war, ob Wasser, Träumereien oder Menschen, er wollte sich auf etwas konzentrieren können und es nicht halb an andere abgeben müssen, die es mit ihrer hektischen Art dann meistens noch nicht einmal zu schätzen wussten.
    Aber es gab etwas in Rom, das war weitaus besser als eine Waschschüssel oder ein Brunnen (auch wenn es nicht so sauber war), und es war zweifelsohne Wasser, viel Wasser, das durch die Stadt floss. Andere Sklaven freuten sich darauf, von ihren Herrn zu Wagenrennen oder Gladiatorenkämpfen mitgenommen zu werden, aber Phaeneas konnte man mit so einem (verletzungs- und menschenlastigen) Spektakel nicht locken. Viel mehr beeindruckten ihn Wassermassen, so wie Flüsse, die sich fast unaufhaltsam ihren Weg bahnten, aus der Ferne kamen, in die Ferne gingen, scheinbar unendlich, so als wüssten nur sie alleine, wohin ihr Weg sie brachte. Ein Meer funktionierte da wieder ein bisschen anders.
    Jedenfalls war dieses Etwas geradezu dazu ausersehen, um Phaeneas anzuziehen wie das Licht die Motten, um einen Blick darauf zu werfen und darin etwas zu finden, was sein sonstiges Leben meist nicht bieten konnte. Weil es etwas war, was sich nicht in wenigen Worten und Sätzen benennen ließ, nicht fassbar war und erst recht nicht nützte. Es war wie aus einem Fenster zu schauen, man konnte das sehen, was vor einem lag, oder aber auch hinter das platte Gemälde und auf etwas wesentlich Tieferes blicken.
    Außergewöhnlich ruhig waren seine Schritte heute, als er über Roms Straßen und Plätze ging, die verschiedenen Tuniken der Leute wie bunte Lichtflecken vor Augen. Seine eigene war schneeweiß. Geduldig ließ er sich vom Menschenfluss schieben, versuchte nicht schneller als die Strömung zu sein, denn auch wenn er ein genaues Ziel hatte, war es doch nicht wirklich etwas, wo man ankam, sondern immer nur etwas, was einen weiterführte.


    Vor ihm tauchte der Tiber auf. Geradewegs zog es ihn nun nur noch auf das Wasser zu, aber es ließ ihn langsamer werden, als das Ufer sich näherte.
    Was ihn aber erst einmal gänzlich hemmte, näher an den Fluss heranzutreten, war der Anblick einer jungen Frau, die ein paar Meter weiter genau das tat, was er auch vorgehabt hatte, nämlich den Tiber betrachtete. Nach dem belebten Stadttreiben sah diese einzelne Gestalt vor dem Fluss ziemlich einsam aus, fast zerbrechlich wirkte sie neben dem tiefen Wasser, obwohl sie für eine Frau sehr groß war.
    Sie passte perfekt dorthin, als hätte jemand Phaeneas‘ Seele abgebildet, ihr dunkles Haar, die Ruhe, die auf allem lastete, als wäre alles Leben dort erstarrt, am Ufer des Tiber.

    Die Kinder hatten eine Amme und die wiederum hatte genug Sklavinnen zur Seite, für eine Mutter blieb da selten viel zu tun. Aber Lucianus hatte recht, es machte sich nicht gut, die Zwillinge mutterlos zurückzulassen.
    Fast wollte er nicken und sich auf den Weg zu Lucianus‘ Schwägerin machen, da fiel ihm doch noch etwas bezüglich der Reise ein. „Werden wir für Senatssitzungen und dergleichen von Zeit zu Zeit wieder nach Rom kommen oder werden wir ununterbrochen unterwegs sein?“, wollte er noch wissen – und dachte dabei an jemanden. Die einzige Person außer Lucianus, die sich derzeit Phaeneas‘ Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Cimon.
    Der Bithynier fragte fast nie etwas, ohne dabei eine Person im Hinterkopf zu haben. Das war sozusagen seine einzige Motivation.

    Nach dem Gespräch mit Lucianus begab sich dessen Leibsklave wieder einmal zum Cubiculum der Schwägerin des Hausherrn. Wieder ging es um eine Begleitung nach irgendwohin. Phaeneas wunderte sich zugegebenermaßen, dass eine Frau, wenn sie in irgendeiner Form mit einem verwandt oder vergeben war, interessanter zu sein schien als wenn sie mit einem verheiratet war. Gut, der Sklave kannte keinen Mann, der sonderlich viel Begeisterung für seine Gattin hegte – aber rein theoretisch müsste da doch kein Unterschied sein?! In beiden Fällen waren es Frauen – und in Lucianus‘ Kreisen vornehme, elegante Frauen aus bestem Hause.
    Vielleicht musste man, um solche Erkenntnisse zu gewinnen, auch erst selbst verheiratet sein ... Den Göttern sei Dank würde Phaeneas dieses Schicksal erspart bleiben!
    Nachdem er angeklopft hatte und hereingebeten worden war, legte er Lucianus‘ Schwägerin die neue Sachlage dar: „Herrin, dein Schwager ist zum Curator Rei Publicae berufen worden. Er möchte gerne wissen, ob du auf den dabei erforderlichen Reisen durch Italia mit ihm kommen willst?“

    „So bald schon? Na gut“, schloss der bithynische Sklave. An ihm sollt’s nicht scheitern.


    Als die Rede auf Lucianus‘ Schwägerin kam, gingen Phaeneas‘ Augenbrauen nach oben.
    „Wieso deine Schwägerin und nicht deine Frau? Nimmst du etwa Rücksicht auf Paulina, weil sie auf Rom niemals verzichten könnte?“ Etwas ironisch waren seine Worte einwandfrei – natürlich nur im Scherz. „Das Gleiche könntest du auch bei deiner Schwägerin tun ...“, fügte er lammfromm hinzu, ganz so als würde er Lucianus wirklich nur solche verständnisvollen Überlegungen zutrauen ...