Beiträge von Phaeneas

    „Ah, ja, gut, wenn sie etwas aussucht, müsste es machbar sein ...“ Es war Phaeneas anzusehen, wie gern er diese Sache abschob.´
    „Weißt du, Lucianus, dass ich einmal deine Gattin beim Aussuchen eines Gewandes beraten musste?“ Eigentlich müsste es eher heißen: ‚Kannst du dir vorstellen ... ?!‘ Sein Gesicht sagte eindeutig, was der Bithynier von seinen Modekenntnissen hielt – nämlich berechtigterweise gar nichts. „Ich hoffe, deine Schwägerin ist da klüger!“, lachte er mit einem Grinsen.

    Abseits war es wirklich wesentlich angenehmer. Froh, nun mehr Luft zu haben, atmete Phaeneas innerlich auf, nach außen hin natürlich immer noch mit undeutbarer Miene. Ein weiterer Punkt, den er an den Saturnalien – die ja bald ausstanden - nicht ausstehen konnte, die vielen Leute, die meinten, sich gegenseitig auf die Füße treten zu müssen, und dabei doch nur ein annonymer Menschenauflauf blieben.
    Gerade blickte er sich um – und erkannte Cimon, Aurelius Ursus‘ Sklaven. Natürlich, es war ja klar gewesen, dass der hier irgendwo sein musste, schließlich befanden sie sich hier in der Villa Aurelia. Das hatte Phaeneas komplett vergessen, vor lauter Fest und Geschubse.
    Cimons Lächeln fand sogleich Wiederhall auf seinem Gesicht, etwas Erleichterung mischte sich auch hinein, und doch mahnte sich der Bithynier im gleichen Augenblick dazu, an sich zu halten. Noch zu gut wusste er, welche Worte bei ihrer letzten Begegnung Phaeneas‘ Lippen verlassen hatten. Vorsicht, Misstrauen und vor allem Zurückhaltung, so galt es solchen, die man so wenig kannte wie er Cimon, entgegenzutreten – erst wenn man jemanden wirklich (aber auch wirklich!) kannte, durfte man offener sein und vertrauen. Aber trotzdem nickte er zurück und freute sich über des Aurelischen Einladung. Der stand bei zwei Orientalen. Phaeneas beschloss, sich nicht daran zu stören, auch wenn er nur Cimon wegen hinüberging. Aufmerksam beobachtete er das Grüppchen, während er näherkam. Tja, diesmal war er der Gast und wurde schon mit einem Becher empfangen. Von einer solch freundlichen Geste ließ man sich doch gerne locken.
    Nun hatte sich auch Phaeneas in der Sklavennische eingefunden und das erstmal, ohne auch nur annähernd Notiz von den beiden anderen zu nehmen. „Salve, Cimon!“ Ein leichtes Strahlen in seinen Augen ließ sich nicht unterdrücken. „Wenn du nicht der Gastgeber wärst, würde ich dich jetzt fragen: ‚Du hier, auf dieser langweiligen Feier?‘“

    Wie Lucianus es mit ihm besprochen hatte, hatte Phaeneas seinen Herrn und dessen Schwägerin auf die aurelisch-tiberische Hochzeit begleitet. Bisher hatte er sich größtmöglich an seine Herrschaften gehalten, war dezent in der Nähe gestanden, als sie das Brautpaar begrüßt hatten und sich ansonsten durch die ganze Gesellschaft hindurchgeschoben und immer wieder mit Bekannten gesprochen hatten.
    Müßig zu erwähnen, dass der bithynische Sklaven das Ganze alles andere als interessant fand. Für den Prunk der besseren Schichten hatte er noch nie viel Bewunderung erübrigen können (schließlich war er damit vor Augen aufgewachsen) und Einfluss und Ansehen hatten ihn auch noch nie gereizt – gemäß dem, was er Cimon gesagt hatte: ‚Kümmere dich nie um das, was andere von dir denken.‘ Es machte nur unnötig unzufrieden und unglücklich.
    Lucianus hatte noch ausdrücklich ihm gegenüber erwähnt, dass er sich ohne Weiteres absetzen konnte, also nicht während des ganzen Festes bei ihnen bleiben musste – schließlich waren sie durch die aurelischen Sklaven ausreichend versorgt. So etwas musste man Phaeneas gegenüber extra betonen, denn er ging grundsätzlich den bequemsten Weg – und den beiden hinterherzulaufen war die perfekte Orientierung inmitten von Menschenmassen, die den Bithynier sich grundsätzlich überfordert und bedrängt fühlen ließen.
    Jetzt aber beschloss er, sich endgültig von seinen Herrschaften zu lösen, also die Sichtnähe komplett aufzugeben, denn dann musste er nicht mehr ständig mitten in das ärgste Gedränge, sondern konnte sich abseits halten, wo es etwas ruhiger war. Das Opfer an die Götter beachtete er wie alle anderen Zeremonien vorher schon nur aus dem Augenwinkel. Nun außerhalb der Hochzeitsgesellschaft versuchte er sich am Rande der ganzen Angelegenheit zu orientieren ...

    „Gut“, nickte Phaeneas genauso kurz. Für den Bithynier keine große Sache, Lucianus mal eben auf ein wahrscheinlich totlangweiliges Fest zu begleiten. Schließlich gehörte das ganz selbstverständlich zu den Aufgaben eines Sklaven, schlicht danebenzustehen und zu dösen, und es war genau das, was Phaeneas Zeit seines Lebens gemacht hatte und dementsprechend gewöhnt war. Keine große Angelegenheit.


    Dann: „Ein Geschenk?!” Phaeneas sah Lucianus ganz fassungslos an. „Ich habe doch keine Ahnung davon, was man Leuten in deinen Kreisen schenkt! Ich wüsste ja noch nicht einmal, was ich mir selber schenken würde!” Das ‚passend‘ hatte er im Eifer des Gefechts vorübergehend schon wieder so gut wie vergessen ... das hätte das Ganze für ihn noch unmöglicher, unausführbarer gemacht.

    Lucianus‘ Schwägerin schien ihn wohl länger hierbehalten zu wollen. So stellte sich Phaeneas also auf ein längeres „Verhör“ ein und verlagerte sein Gewicht auf den rechten Fuß.
    Natürlich betraf ihre weitere Frage seinen Herrn. Der war ja auch der einzige, für den sie sich interessierte – keiner machte sich schließlich etwas aus den Angelegenheiten eines Sklaven.
    Na ja, gut, das stimmte auch nicht wirklich. Aus vielfältigen Gründen konnte sich ein Herr oder eine Herrin mit seinem/ihrem Diener beschäftigen. Es gab ja genug Herrschaften, die ein sehr persönliches, familiäres, freundschaftliches Verhältnis zu den Sklaven in ihrem Umfeld pflegten, die meisten wuchsen schließlich schon zusammen mit ihren Bediensteten auf. Genauso gut konnte man ein ebensolches Verhältnis zu einem Unfreien aufbauen wollen oder sich in einen verliebt haben oder was auch immer.
    Aber Lucianus‘ Schwägerin ging es zum Glück nicht um drittletztes (oder irgendetwas anderes in der Reihe), sie fragte schlicht nur nach Phaeneas‘ Herrn – und so war es dem Bithynier auch deutlich lieber.
    „Seit seiner Statthalterschaft in Germania, Herrin. Er hat mich dort kurz nach seiner Ankunft in Mogontiacum erstanden.“

    Dieser Name klingelte natürlich auch in Manias Ohren, wer kannte schließlich den Namen des kaiserlichen Bruders nicht? Auch war die Gens Iulia eine alte Familie mit ruhmreicher Vergangenheit.
    Und vor allem stand es Mania nicht an, zu entscheiden, wer – solange er in einen gewissen Rahmen passte - ihrem Herrn nicht gegenübertreten durfte. Schließlich war sie nicht Ianitrix.
    So nickte sie artig und ließ den Iulier ins Haus.
    „Ich führe dich ins Atrium. Dort kannst du sie meinem Herrn selbst überbringen.“

    Im Atrium schnappte sich Mania erst einmal den nächstbesten Sklaven – Lysias war es - und schickte ihn zu ihrem Herrn, damit er von seinem Gast erfuhr. Dann widmete sie sich wieder eben diesem. „Setz dich doch bitte, Herr!“ Einladend verwies sie auf die Klinengruppe. „Vinicius Lucianus wird sich gleich deiner annehmen. Es kann sich nur um wenige Augenblicke handeln.“
    Auch wenn sie wusste, dass dieser Gast zu denen gehörte, die üblicherweise Zutritt zur Villa erhielten, war ihr nachwievor nicht ganz wohl bei dieser Sache und deshalb wich sie keinen Schritt von dem Besucher, um ihn zu beaufsichtigen, bis Lucianus persönlich kam.

    Ohne anzuklopfen hatte Phaeneas die Türe zu Lucianus‘ Arbeitszimmer – wenig später nachdem er es überhaupt verlassen hatte - aufgeschoben. „Deine Frau hat wegen der tiberisch-aurelischen Hochzeitsfeier abgesagt. Deine Schwägerin aber wird dich ‚mit größtem Vergnügen‘ begleiten, wie sie gesagt hat“, berichtete er Lucianus, ohne ihm den Wortlaut vorzuenthalten. Wenn ein Sklave Bote spielte, musste er dem Auftraggeber schließlich auch die persönliche Begegnung mit jemandem ersetzen, indem er ebensolche Details erwähnte.
    Auch wenn der Bithynier nicht wusste, ob es Lucianus interessierte, wie seine Schwägerin auf so etwas reagierte. Aber falls ja, wusste er es nun. Und Phaeneas meinte es schließlich gut mit Lucianus :] - und nur mit ihm.

    Kleinigkeit – jemanden, der sein Geld so sorglos ausgab, hatte der Bithynier noch nie getroffen. Seine Herrschaften und deren gesellschaftliche Kreise, ja, die waren noch verschwenderischer, weil die ja auch das Geld dazu hatten. Aber die Leute, mit denen er meistens außerhalb des Hauses zutun hatte, die wussten, wie lange sie für die Münzen in ihrer Geldbörse gearbeitet hatten, und mit einem völlig anderen Bewusstsein als dieser Mann hier trennten sie sie dementsprechend von ihnen.
    Sermo dagegen gehörte in ganz andere Schichten, im Vergleich zu oben genannten, und konnte es sich leisten, mal eben so „Ist doch eine Kleinigkeit.“ zu sagen. Doch vielleicht war Sermo ja auch zusätzlich noch ein Angeber?
    Phaeneas nahm nun seinerseits die Bestätigung der von ihm zitierten Worte nur hin. Hm, es schien fast wie ein Umkreisen, wie sie nun jeweils vorsichtig antworteten, immer bemüht, nichts zu konkretes zu sagen.
    „Und was hast du alles studiert?“, fragte Phaeneas rein der Höflichkeit halber, weniger aus Interesse. Spätestens jetzt wurde ihm vollends vor Augen geführt, dass Sermos Vorbildung sich allein schon stark von der der meisten unterschied. Bei all dem war dem Bithynier vollauf klar, dass er selbst schlicht nur Lesen und Schreiben gelernt hatte und seine restliche Bildung war Lebenserfahrung – die anderer und seine eigene.
    Der Beruf entsprach dem Bild, das sich ihm von Sermo zeigte, ebenfalls, ehrenvoll, in der Tat. Aber Phaeneas nickte wieder nur. „Schwer zu erraten, dass ich in einen großen Sklavenhaushalt gehöre, dürfte es nicht sein“, führte er stattdessen über seine eigene „berufliche“ Situation aus. „Als Haussklave geboren, als Haussklave gestorben, wird man eines Tages von mir sagen“, plauderte er weiterhin mit relativ neutraler Stimme. „Denn wie unterschiedlich das, was ich mein Leben lang getan habe, auch sein mag, alles spielt sich in diesem Rahmen ab.“ Mit dem ‚lang‘ implizierte er gleichzeitig unbewusst, dass er seine noch nicht wirklich übermäßig vielen Jahre als relativ langwierig empfand.

    Antias war eben auf die Latrine verschwunden und so fand sich nun nur Mania hinter der Porta Vinicia, als es klopfte. Sie sah sich noch einmal hektisch um (denn eigentlich hielt Phaeneas, der Leibsklave ihres Herrn, nicht viel von Frauen an der Türe), aber es war niemand in der Nähe, der es an ihrer Stelle hätte übernehmen können. Das Schicksal hatte ihr also gar keine andere Wahl gelassen, das konnte sie nun später gut sagen.
    Die Mutter von zwei Kindern zog also die Porta auf und grüßte den Gast davor höflich: „Salve, domine!“ In Anbetracht der Lage bemühte sie sich sehr, in ihre übliche herzliche Freundlichkeit etwas Respektvolles hineinzumischen. „Du wünschst?“

    „Er wünscht sie, Herrin“, bestätigte Phaeneas mit einem Nicken und hakte die Sache dementsprechend innerlich für sich ab. Nachher würde Lucianus noch das Ergebnis erfahren und das Ganze war für den Leibsklaven soweit erledigt.
    Sie entließ ihn noch nicht gleich; was dazu führte, dass Phaeneas sie weiterhin aufmerksam beobachtete, nachwievor genauso misstrauisch wie vor scheinbaren Ewigkeiten, als Lucianus ihn gekauft hatte. Ein weiteres Mal überraschte sie ihn, denn sie ging noch einmal auf die vorherig erfolgte, rein der Etikette halber erwähnte Entschuldigung ein. Welche Herrin hielt sich schließlich schon mit Versicherungen gegenüber Sklaven auf? Das war ja – laut Phaeneas - ungefähr so unnötig wie eine Entschuldigung von Seiten eines Herrn. Auch ihre sanfte Stimme konnte da die unaufhaltsam in dem Bithynier aufkommende Vorsicht kein bisschen mildern.
    „Phaeneas, Herrin“, benutzte er wieder einmal eine seiner (gegenüber Fremden) beliebten Zwei-Wort-Antworten.

    Immer ein gelassenes, fröhliches Lächeln beibehalten. Das war laut Syria und laut dem, was man ihr über eine gute Sklavin beigebracht hatte, das Wichtigste für eine angenehme Dienerin. Nicht so wie Phaeneas, das war falsch. Man sollte keine so ernste, krampfhaft neutrale Miene aufsetzen. Das förderte schließlich allein schon keine gute Stimmung bei sämtlichen Leuten, mit denen man zutun hatte. Für Syria, die am Rande erwähnt im Vergleich zu anderen Frauen etwas größer war, war das auch keine große Sache, das mit der guten Laune, schließlich erledigte sie ihre Aufgaben gern und war Herrschaften und Gästen gern gefällig. So ließ sie sich bereitwillig betrachten und bemühte sich, den Blick des Caeciliers, als der sich im Raum umsah, aufzufangen, mit einem beiläufig scheinenden Lächeln.
    Als der Herr dazukam, wurde ihm von der Sklavin mit den blonden, zu einem Knoten gebundenen Haaren und einigen verspielten Löckchen gleich ein Becher gereicht ... während Antias irgendwo im hinteren Teil der Villa vergnügt mit einer Münze spielte.

    Sonderlich angetan von der Unterbrechung ihrer wie auch immer gearteten Aktivitäten in ihrem Cubiculum schien sie nicht zu sein, Lucianus‘ Schwägerin. Für Phaeneas war es nichts Neues, dass Herrschaften manchmal reichlich gereizt reagierten, wenn man an ihrer Tür klopfte oder sich allgemein wegen irgendetwas an sie wandte.
    Auf ihre Aufforderung hin öffnete der bithynische Sklave und trat ein. Etwas überrascht war er nun doch, dass er ein Lächeln auf ihrem Gesicht vorfand. Vor dem Spiegel sitzend sah sie zu ihm herüber.
    „Verzeih die Störung, Herrin. Mein Herr schickt mich. Am fünfzehnten vor den Kalenden findet die Hochzeit des Tiberius Durus statt, in der Villa Aurelia. Mein Herr lässt anfragen, ob du ihn zu diesem Ereignis begleiten möchtest.“ Absolut keine Gesten gingen mit diesen Worte einher, in üblich bescheidener Manier stand Phaeneas im Zimmer. Die Augen waren unaufdringlich auf die Dame vor ihm gerichtet, nicht niedergeschlagen, aber doch unverkennbar in demütiger Weise.

    Cimon hatte sein Herkunftsland auch noch nie gesehen. Das glaubte Phaeneas relativ sicher aus seiner Reaktion lesen zu können. Nun gut, der Bithynier wusste nicht, wie viel Cimon noch mit einem konkreten Land verband, die Familien vieler Sklaven lebten schließlich schon seit Generationen in der Sklaverei und umfassten Menschen aus verschiedensten Gegenden der Erde – da gab es längst nicht mehr „die“ Heimat. Phaeneas mit seinen (beiden) bithynischen Eltern war eher die absolute Ausnahme. Aber das Wort schien dem schwarzen Unfreien viel zu sagen, denn seine Stimmung war in diesem Moment sehr gedrückt.


    Weiterhin wie in Trance starrte der Bithynier auf Cimon und fast stockend, ja fast stotternd antwortete Phaeneas; mehr in einem Flüstern verließen die Worte seine Lippen: „Du ... du hast recht ... Der Schmerz ...“ Der sich ins Herz bohrte und dort ewig brannte, unendliche Schatten auf die Seele warf. Die auch dann nicht weggehen wollten, wenn es einem eigentlich seit langem gut ging, man einen guten Herrn, der letzten Endes mehr als ein Herr war, hatte und man dort, wo man lebte, sicher war, geschützt vor der grausamen Welt. Warum? Weil der Schmerz überwältigend war
    Im gleichen Moment bereute Phaeneas, was er gesagt hatte, schlug sich innerlich auf den Mund, kämpfte nun damit, nach außen – zu Cimon hin – nicht zu verschämt zu wirken. Denn er hatte Schwäche gezeigt. Bei allen Göttern und Göttinnen, er hatte zugegeben, wie sehr ihm das Leben wehtat, er hatte es gezeigt, artikuliert!
    Zugleich aber war das Gefühl, das er empfunden hatte, als er mit seinen und Cimons Schmerzen so deutlich konfrontiert gewesen war, es war angenehm gewesen, erleichternd. Und es ließ den Bithynier sehr verwirrt zurück.
    Den enttäuschten Blick des aurelischen Sklaven sah Phaeneas wieder sehr gern, aber das leichte Schmunzeln von vorhin blieb aus. Das Lächeln des anderen wurde, so wie es war, zurückgegeben.
    Und mit den Worten, die Cimon zum Abschied benutzte, erschlug er Phaeneas nun komplett. Ein Schwall an Höflichkeit und netten Worten ergoss sich nämlich über ihn. Sein Gegenüber bedankte sich, betonte, dass er die Unterhaltung als gelungen empfunden hatte, und hob dabei noch einmal Phaeneas‘ Mitwirkung daran hervor. Zuletzt meinte er, dass er ihn gerne wiedersehen würde und es eine Freude für ihn wäre. So viel Nettes, Freundliches hatte der Bithynier wahrscheinlich noch nie in einem und selbigen Augenblick gehört. Verteilt vielleicht, in gewissen Situationen, von gewissen Menschen, aber nie so geballt.
    Etwas verlangsamt reagierte er, knüpfte noch einmal an die vorherige Sache mit dem Dürfen und Entschuldigen an: „Ich bitte dich, genauso müsste ich dir danken, Cimon. Ja, es war eine schöne Zeit.“ Ein ‚Mich auch.‘ verkniff er sich gerade noch. „Vale, Cimon! Bis dann!“
    Gleich darauf wurden dessen Augen neutral, das Nicken ernst. Fast kühl erschien der schwarze Sklave Phaeneas nun. Er stand wieder ganz im Dienste seines Herrn. Wie es sich gehörte. Ein letzter Blick noch hinter ihm her, dann hatten die beiden Aurelier das Atrium verlassen.


    Und der Bithynier stand etwas verloren in eben diesem. Es war ein Gespräch gewesen, wie tausend andere sein konnten, und doch wusste Phaeneas haargenau, dass an diesem etwas ganz klar anders gewesen war. Meine Güte, sich über ein Sklavenleben im Allgemeinen und konkret über römische Eigenarten zu unterhalten, war unter Unfreien völlig normal, genauso wie es absolut legitim war, eine Abneigung gegen die Stadt Rom zu haben. Aber vor allem registrierte er nun, dass er viel zu schnell von Cimon angetan gewesen war. Es war gefährlich, allzu schnell begeistert zu sein! Wie sich ja am Schluss zu gezeigt hatte .... Nein, das war der Überraschungseffekt gewesen. Und der Inhalt dessen, was der aurelische Sklave gesagt hatte. Den Bithynier schauderte immer noch, wenn er daran dachte. Doch an der Tatsache, dass Cimon gegenüber viel zu schnell ein Lächeln auf seinen Lippen gewesen war, änderte das gar nichts!
    Aber es ließ Phaeneas bemerken, dass er auch nur ein Mensch war.
    Auch wenn er sich nicht sicher war, ob er das nach Verlauf des Gespräches noch wollte.


    Und er wusste nicht recht, was er von seinem Verhalten vorhin halten sollte ...

    „Setzt euch doch bitte! Wenn die Herren eventuell einen Becher Wein wollen ... ?“ Mit geschickter Geste hatte Antias prompt zwei Stück zur Hand – ihm assistierte nämlich Syria - und befüllte beide in angemessenem Verhältnis mit Rebensaft und Wasser und hielt das Ergebnis beiden auf den Herrn Wartenden hin.
    „Ich bin mir sicher, der Herr wird gleich Zeit für euch haben. Es kann höchstens einen Moment dauern, bis er wichtige Dinge abgeschlossen hat ... Ansonsten könnt ihr euch selbstverständlich an Syria hier wenden, solltet ihr in eurer Wartezeit noch etwas brauchen.“ Bei diesen Worten verneigte sich die angesprochene Sklavin leicht und lächelte den beiden Männern zu.
    Tja, und Antias machte sich auf, um den Hausherrn von seinem Besuch zu informieren.

    „Heimat? Ja ... vielleicht“, nickte Phaeneas noch nachdenklicher als bisher. Und fügte in Hinblick auf ihre Herrn an: „Aber sie kennen ihre Heimat wenigstens ...“ Und deutete damit an, dass ja viele Unfreie – deren Wurzeln schließlich in aller Welt lagen – weit weg ihres Ursprungslandes aufwuchsen.
    Dem bithynischen Sklaven war es vollkommen unmöglich, seinen jeweils momentanen Aufenthaltsort als Heimat zu bezeichnen. Denn außer Bithynia hatte er zuletzt bei seinem ersten Herrn, bei dem er mit seiner Mutter zusammen gewesen war, eine eben solche gehabt. Seit jeher hatte seine Mutter ihm gepredigt, dass es ohne weiteres sein könne, dass sie eines Tages irgendwo komplett anders landeten – und so war es gekommen. Der Haushalt, in dem Phaeneas geboren war, hatte für ihn vielleicht noch eine Art Heimat dargestellt, aber seit sie diesen Herrn verlassen hatten müssen, hatte für ihn kein Ort mehr so etwas sein können. Denn seither hatte er nur noch Haushalt um Haushalt gewechselt.
    Bei Cimons Kommentar über Namen und Wetter musste Phaeneas lachen. „Ja, das stimmt! Die verschiedenen Orte der Welt unterscheiden sich wirklich nur durch das ...“


    Als der aurelische Sklave dann so offen von Schmerz sprach, entgleiste des Bithyniers Gesicht für einen Moment. Nie würde er über so etwas reden, ja er dachte nicht einmal in solchen Dimensionen. Seit jeher hatte er gelernt, stark zu sein – nicht körperlich, aber seelisch - , stark sein zu müssen. Für einen Sklaven gab es keinen Schmerz und wenn er noch so sehr litt, existierten die zugehörigen Leiden letzten Endes nicht. Ein Unfreier hatte nur seine Pflicht zu erfüllen, in allen Dingen zu gehorchen, und wenn er sich dabei quälte, war es eben Teil der Pflichterledigung. Aber letzten Endes gab es für einen Sklaven keinen Schmerz, durfte er keinen Schmerz empfinden. Ein Sklave existierte nur.
    Aber der Schmerz war trotzdem da. Und das ließ Phaeneas‘ Züge für einen Augenblick entgleiten. Das amüsierte, leichte Schmunzeln von vorhin war endgültig verschwunden und nun blickte wirklich Auge in Auge, der eine in die – geteilte – Erfahrungswelt des anderen. Wie hypnotisiert, fast fasziniert sah der Bithynier in Cimons Augen und dabei den offenen Schmerz, den so zu zeigen er nie wagen würde. Der andere erschien ihm so mutig in diesem Moment.
    Dessen Bewegung, das Heben des Bechers, weckte Phaeneas aus diesem seltsamen Zustand, in dem er so vielen verbotenen Empfindungen gegenübergestanden war, und ließ ihn registrieren, dass ihrer beider Herrn ihr Gespräch ihrerseits inzwischen beendet hatten. „Oh, dein Herr will gehen, Cimon, sie haben sich fertig besprochen.“ In Phaeneas‘ Verwirrung und der entstandenen Aufbruchsstimmung ging die letzte Rückfrage des aurelischen Begleitsklaven regelrecht unter. „Wir reden ein anderes Mal weiter“, sagte er noch, fast wie als Versicherung. Er fühlte sich immer noch reichlich unbehaglich.

    Nun bemerkte auch Antias den zweiten um Einlass Bittenden hinter dem Caecilier, der ihm ebenfalls bekannt war. „Ah, salve, Duccius! Nun, da spricht nichts dagegen“, erklärte der Sklave im Plauderton. Mit einer Handbewegung bat er sie ins Haus: „Wenn ihr mir bitte folgen wollt, um es euch im Atrium bequem zu machen ...“ Und dort geschah auch, was einen routinemäßigen Gast in der Villa Vinicia immer erwartete: sie wurden angemessen bewirtet, während dem Herrn Bescheid gesagt wurde.

    In jungen Jahren ... Das hörte sich so an, als wäre es Cimon vergönnt gewesen, lange Zeit bei diesem einen Herrn, Atonis, verbringen zu düfen. So etwas wie Neid stieg in Phaeneas auf. Was seinen Augen einen leicht sehnsuchtsvollen Schimmer gab.
    Zugleich begrüßte der Bithynier es natürlich, dass die Erinnerung des aurelischen Sklaven wirklich schön klang (wenn man mal von Phaeneas‘ ganz eigener Sicht aufs Kämpfen absah). Angenehme Erinnerungen waren immer eine schöne Sache und so etwas musste man sich als Unfreier erhalten. Der Augenblick war vergänglich. Die Erinnerung nicht, wenn man sie hütete und wachhielt. Auch das verschwieg er, war es doch nicht einfach nur – wie bisher – eine relativ gewöhnliche Sklavenweisheit, sondern Phaeneas‘ persönliche Überlebensstrategie, seine Methode, um die Seele auch in überwältigend schlechten Zeiten lebendig zu halten, ihr ein paar Lichtblicke zu ermöglichen.
    Für einen Moment schien sich sein eigener Gesichtsausdruck in Cimons wiederzuspiegeln. Die Frage, die dort stand, ließ der bithynische Sklave unbeantwortet. Schließlich meinte er es so, wie er es sagte. Doch das Lächeln seines Gegenübers war weiterhin absolut unwiderstehlich und so genoss er es schlicht nur, es zu betrachten und zurückzugeben. Zu erleben, wie ein Auge dem anderen zulächelte. Schlicht nur das.
    Auch Cimons Reaktion auf seine zugegebenermaßen nicht übermäßig positiven Worte über Rom verfolgte Phaeneas aufmerksam. Der Schwarze war noch nicht lang in der Hauptstadt des römischen Reiches. Was konnte es ihm bisher bedeuten?
    Mit einem leicht ironischen Schmunzeln korrigierte der Bithynier ihn, indem er ein weiteres Mal scherzte: „Nein nein, das sind beides Römer und ein echter Römer kann nur in Rom leben. Ich bin zwar römischer Sklave, aber in der Hinsicht wohl schlicht nicht römisch genug. Rom bedeutet ihnen aus Prinzip so viel, Rom ist der einzig zivilisierte Fleck dieser Erde, außerdem spielt sich das gesamte gesellschaftliche Leben der Reichen und Schönen hier ab – auf das kann ein Römer in entsprechender Position gar nicht verzichten.“ Phaeneas bereitete es wirkliche Freude, die Schicht seiner Herrschaften zu karikieren. Und das auch noch so realistisch.
    „Na ja, die Ferne mag vielleicht nicht so riesig und unschön und voller heruntergekommenem oder lichtscheuem Gesindel sein, besser ist sie letzten Endes auch nicht. Die Leute an sich sind doch überall gleich und das Leben läuft auch nicht anders ab.“
    Cimons Hoffnung erfüllte sich, denn den Kernpunkt dieses Gesprächs hatte Phaeneas als so wahr erlebt. Oh ja, ein Leben ohne Veränderungen, das war gänzlich jenseits seines Erlebens, jenseits dessen, was der Bithynier für realistisch hielt.
    Wie Steine schwer auf dem Herzen liegen können ... „Die festen Dinge sind aber wirklich sehr wenig. Was hast du bisher als fest und dauerhaft erlebt, Cimon?“

    „Wann hast du reiten gelernt?“, wollte Phaeneas weiter wissen. Sichtlich interessierte ihn dieser Bereich mehr als das Übrige, was der aurelische Sklave über seine Aufgaben in Mantua erzählt hatte.


    Auf Cimons Versicherung hin nickte er ebenfalls nur und schloss damit das Thema ab, indem er den Augen vertraute, die ihn anblickten und lächelten.
    Schließlich kam es auch nicht oft vor, dass der Lucian’sche Leibsklave sich Sorgen darum machte, welche Wirkung seine Worte auf andere haben konnten. Üblicherweise sagte er nur das, was er für richtig hielt (inhaltlich und sklaven-technisch), und wenn jemand damit nicht klar kam, war es dessen eigenes Problem – und nicht Phaeneas‘. Wer interessierte sich schließlich schon für ihn und wen kümmerte, was seine Worte in dem Bithynier auslösten?
    „Großes Glück? Ja, für den Moment schon. Wer weiß, wie lang ...“ Wieder klang seine Stimme leicht schwermütig. Als Cimon betonte, dass ihm Phaeneas lächelnd lieber war als melancholisch, musste er prompt lächeln. Es zauberte sich einfach auf sein Gesicht, seine Lippen, in seine Augen, deren dunkle Farbe sich in ein warmes Braun verwandelte.
    Die gewählte Sprache des aurelischen Sklaven fiel ihm natürlich auf und der Bithynier liebte es, sich gepflegt zu unterhalten. Nicht vieles mochte er so ausdrücklich, aber ein niveauvolles Gespräch zählte definitiv dazu. Doch was sich noch stärker ins Bewusstsein des vinicischen Sklaven einprägte, war: Cimon war so nett! Hatte er je jemanden getroffen, der so rücksichtsvoll mit anderen umging?
    Genau das war auch der Grund, warum er keine Bedenken hatte, ihm reinen Wein einzuschenken: „Na ja, manche reden vom strahlenden Rom, dem Mittelpunkt der Welt, dort, wo Leben ist, und ich wette mit dir, unsre beiden Herrn sind der Meinung, dass Rom der einzige Ort ist, an dem es sich leben lässt. Andererseits ist Rom eng und stickig und schmutzig und voller Gesindel. Ich war an so vielen Orten, zuletzt sogar in Germania – irgendwann läuft es sich auf’s gleiche hinaus, wo man sich gerade befindet.“ Er verschwieg, dass er lieber dauerhaft irgendwo bleiben würde, irgendwo hingehören, einen festen Platz haben – nicht ständig etwas neues. „Rom ist dafür das perfekte Abbild: immer wieder bin ich hierher gekommen, es steht fast schon symbolisch für die ewige Veränderung, der das Leben unterworfen ist.“ Für das Schicksal, das laut Phaeneas die Welt regierte.