Beiträge von Phaeneas

    In den Momenten der Stille haderte Phaeneas mit sich selbst, dass er das Risiko, beim Niederschreiben dieser Worte beobachtet zu werden, unterschätzt hatte. War ja eigentlich klar, dass hier jederzeit jemand vorbeikommen konnte. Jegliches Reizvolle an der Angelegenheit war längst vergessen. Alle anderen Geräusche wurden für den Sklaven wirklich komplett von der Situation geschluckt. Wie ein erschrecktes Tier starrte Phaeneas in die Richtung des Fremden. Der sprach ihn nun an. „Salve“, erwiderte der Bithynier mit kleiner Verzögerung auf die „sehr“ persönliche Anrede. „Ja - dorther stamme ich.“ Was gab es daran auch zu leugnen. Ein wenig war er froh, dass es nur um diese Information ging. Es war schließlich nichts weltbewegendes, sprich nichts was ihm gefährlich werden konnte, wenn es dabei einen Mitwisser gab. Und die Tatsache, dass er Sklave war, das war eben ... eine Tatsache, es gehörte zu ihm, untrennbar, und war dementsprechend auch nichts, was Phaeneas für sich zu behalten wichtig war.
    Nur leicht unterdrücktes Misstrauen sprach aus den Augen des Bithyniers. Weil er von dieser Situation dezent überrumpelt war, ging er nur auf die Frage dieses Mannes ein, der ihm gegenüber in dem Hauseingang stand, und rührte sich sonst kein bisschen. Es war die klassische Situation. Phaeneas, der Sklave, reagierte passiv auf jemanden, der aktiv auf ihn zuging. Diese Passivität war ein Schutz. Man lernte es schnell, als Unfreier, man wurde dazu erzogen, nur zu reagieren, nichts von sich selbst aus zu tun.

    Die saubere Schrift, seine insgesamt gepflegte Erscheinung, eigentlich sowieso komplett falsch für diese Gegend ... Eher perfekt, um sich in eine menschenleere Gasse zerren zu lassen. Aber es war eine gewisse, unbekannte Art von Neugierde gewesen, die Phaeneas zu dieser Mauer getrieben hatte, gewissermaßen der Reiz, der von ... Verbotenem, ja von Verbotenem ausging. Sein Sklavenleben sorgte dafür, dass der Bithynier das ordentlichste, untadeligste aller Leben führte. Denn ein Fehltritt, ja nur ein kleiner Fehler konnte sein letzter sein, bzw. der Beginn eines sehr unangenehmen Lebens.
    Und jetzt schob er alle guten Manieren beiseite und kritzelte auf einer von der Zeit reichlich mitgenommenen Wand herum.


    Eine Bande Jugendlicher stob an ihm vorbei und Phaeneas fuhr herum. Er war eigentlich viel zu schreckhaft für diese Sache. Er konnte notfalls seinen Herrschaften (Lucianus ausgenommen, bei ihm war’s ja nicht nötig) die Wahrheit so darlegen (sprich auch lügen), dass es für ihn günstiger oder nicht ganz so schlimm ausging, wusste, was er sagen musste, um im Notfall seine Gesundheit oder sein Leben zu retten, schaffte es, sensiblere Dinge seines Privatlebens (soweit ein Sklave so etwas hatte) vor möglicherweise Missgünstigen – Herrschaften, Mitsklaven, Fremden - so zu verstecken, dass man ihm nicht damit schaden konnte, kam bis zu einem gewissen Grad mit fiesen Verhörmethoden klar, hatte Situationen erlebt, in denen er lieber tot als lebendig gewesen wäre, hatte gelernt, mit solchen Situationen umzugehen - aber hier in der Subura eine Wand beschmieren, nein, das war zu viel für ihn, das ließ ihn ängstlich werden und überall heimliche Beobachter ... Beobachter, ja bei was eigentlich? Dabei, dass er irgendeinen absolut unwichtigen Spruch an einer fremden Hausmauer hinterließ?
    Jedenfalls, die Jugendlichen ließen ihn herumfahren und er warf einen raschen Blick um sich, entdeckte den davonschlurfenden Alten und einen anderen ... Und der sah geradewegs herüber. Hastig schob sich Phaeneas schützend vor den Schriftzug, den er gerade eben auf der Wand hatte entstehen lassen, das allerdings so, dass das letzte Wort, „Sklave“, dabei besonders schön herausstach.

    Sim-Off:

    Ich sage es nochmal vorneweg, auch wenn ich es gerne jeweils wiederholen kann: Ich habe prinzipiell kein Problem damit, wenn sich jemand bei etwas, was ich schreibe, miteinbringt (auch wenn ich es zuvor nicht ausdrücklich erwähne). Gerade auf öffentlichen Plätzen macht das das Rollenspiel sowieso viel realistischer. Also: Mitschreiben erwünscht!


    Caius ist ein Dummkopf

    M liebt C


    Ich liebe einen jungen Mann – sporne das Maultier an,
    bringe mich nach Rom, wo meine süße Liebe ist!


    Oh Mauer, dass du nicht zusammengebrochen bist
    unter der Last der Inschriften!



    Tausende solcher Sprüche bedeckten diese Wand in der Subura. Phaeneas betrachtete die über und über bekritzelte Fläche. Die wenigsten dieser Mitteilungen waren in einer so ordentlichen Schrift verfasst wie der Sklave es kannte, von mühsam auf Papyrus abgeschrieben Texten. Hastig, zweckmäßig, ja fast schon lieblos hingeschmiert, dazu noch derb die Sprache und der Inhalt gerne anrüchig. Die Bildchen allein sprachen für sich. Der einzige Grund, warum Phaeneas dieser Wand überhaupt seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, war der, dass sie mit Buchstaben gefüllt war. Und sein Lehrer hatte ihm schließlich aufgegeben, auf alles Geschriebene zu achten, alle Lettern zu entziffern – also waren dem Sklaven auch diese Kritzeleien ins Auge gefallen.
    Tja, und es bot sich so an. Er, der er lesen – und schreiben – konnte, vor dieser emsig beschrifteten Fläche. Und so beugte er, Phaeneas, der bithynische und ganz sicher nicht für jedermann zu bezahlende Sklave, er der er sich sein Leben lang von primitiven Dingen ferngehalten hatte, der sich in allem, was er je getan hatte, um Niveau bemüht hatte, er beugte sich vor und schrieb seinerseits etwas an die Mauer. In tausendmal schöneren, ordentlicheren Buchstaben natürlich, in gleichmäßiger, gerader Schrift stand jetzt dort:


    Phaeneas, der bithynische Sklave, war hier.


    Wunderbar konnte man an diesen wenigen Worten ablesen, womit er sich identifizierte.

    Der betreffende Sklave, an den die Bitte um ein Frühstück ging, war natürlich Phaeneas, der zusammen mit Lucianus eingetreten war. Es dauerte nicht lange, bis der Bithynier eine Auswahl zusammengestellt hatte, da andere Sklaven ihm zur Hand gingen - er musste sozusagen teilweise nur noch nach dem gefüllten Becher greifen. Das Ergebnis wurde Lucianus gereicht und der Leibdiener bezog neben dem Stuhl, auf dem sein Herr saß, Stellung.


    Um die wichtigeren Anliegen der Klienten mitschreiben zu können, hatte er eine Wachstafel und den zugehörigen Stilus dabei. Nachdem er das früher eher zur Übung und weniger ernsthaft betrieben hatte, kümmerte er sich jetzt gewissenhaft darum, dass auch jeder, der es lesen würde, verstand, was gemeint war, und das Ganze dem Herrn eine Hilfe sein würde.
    Den Namen des Ducciers, der jetzt vor Lucianus stand, nahm er nur zur Kenntnis und dachte sich nichts weiter dabei – auch dass der junge Germane perfekt Latein sprach, musste hier nicht viel bedeuten, inmitten von Menschen, deren Eltern aus aller Welt stammenten, die aber in italischen Gefilden aufgewachsen waren. So wie Phaeneas.

    Immer wenn es bezüglich der Salutatio um die Haustüre ging, pflegte Cephalus, der aufgrund seiner organisatorischen Aufgaben in der Hierarchieleiter sehr weit oben stand, zu sagen: „Ich habe wichtigeres zu tun, als mir für zich Klienten die Füße in den Bauch zu stehen.“ Antias, der üblicherweise gern an die Porta geschickt wurde, meinte zu gleichem Thema: „Ich bin drinnen besser aufgehoben, erst recht wenn es um wichtigere Klienten geht.“ Der Lucian’sche Leibsklave Phaeneas betrachtete sich sowieso nicht als berufen, die Grobarbeit bei der Salutatio zu erledigen. So ergab es sich also, nach Phaeneas‘ „Lass die Sklaven sich selbst verwalten“-Prinzip, dass die Wahl oft auf Lichas fiel, sich darum zu kümmern, dass die zahlreichen Klienten in die Villa kamen. So auch an diesem Tag. Schwungvoll öffnete sich die Porta und gleich darauf verkündete der Sklave: „Herein, nur herein, die Herrschaften!“ Hinter ihm ließ Antias verlauten: „Wenn ihr mir bitte folgen wollt ...“ und brachte die bereits Versammelten ins Atrium.

    Ins Atrium führte Antias also die Klienten, wo sie erst einmal nicht den vorfanden, wegen dem sie gekommen waren. Dafür waren einige Sklaven damit beschäftigt herbeizuschaffen, was zur Verköstigung all derer nötig war, die des morgens ihren Patron aufsuchten. Den Klienten, die sich beeilen hatten müssen, zeitig von zu Hause loszukommen, musste bei diesem Anblick schier das Wasser im Munde zusammenlaufen. Antias dagegen, der gefrühstückt hatte, schenkte dem Ganzen nur einen flüchtigen Blick und wandte sich um, um zur Porta zurückzukehren.

    Mit gezückter Wachstafel wandte sich Phaeneas an Evanoridas: „Wie wär’s wenn du mir einen Brief diktierst?“ Sein Lehrer, den er in Germania gehabt hatte, hatte ihm dringend empfohlen, alle sich nur bietenden Übungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Als er eine von Phaeneas‘ Unterrichtsstunden besucht hatte, war sein Herr sehr erstaunt gewesen über seine Fortschritte, aber der bithynische Sklave sah immer noch viel Übungsbedarf – schließlich war ihm sein ganzes Leben lang beigebracht worden, sich immer noch mehr Mühe zu geben und sich mit immer noch mehr Anstrengung in eine Sache hineinzuhängen.
    „Kein Problem“, gab Evanoridas, der sich erst vor kurzem in Germania als Poet erwiesen hatte, auf die für ihn übliche lässige Art und Weise zurück. „Na, dann lass mal den Fachmann ran.“
    So hielt Phaeneas also den Stilus bereit, während sich sein Mitsklave auf einem Hocker niederließ und es sich dort demonstrativ bequem machte, als würde er imaginäre Kissen zurechtzupfen.


    „Also – Lucius Cotta grüßt seinen hochgeschätzten Quintus Rufinus!
    Ich freue mich ganz außerordentlich, dir zu deiner gewonnen Wahl gratulieren zu können und wünsche dir, dass dir die Götter auch während deiner Amtszeit weiterhin so gewogen sein mögen. Aber wie ich dich kenne wirst du auch dieses Amt mit Bravour ausüben!
    – Phaeneas, neuer Absatz!
    Ich kann dir versichern, dass es meiner Familie ausgezeichnet ergeht und sich alle bester Gesundheit erfreuen. Ich hoffe, gleiches kann man auch von den Deinen sagen. Beste Grüße auch an deine reizende Gattin ...
    Bei diesen Worten wurde Evanoridas‘ Stimme schmalzig-süß. „Absatz, Phaeneas!“
    „Etwas langsamer bitte“, unterbrach der ihn, mit eniem leisen Schmunzeln auf den Lippen, „so schnell bin ich noch lange nicht.“
    „Ah na ja, meinetwegen“, meinte Evanoridas mit einer unwirschen Bewegung. Er hatte sich längst schon perfekt in seine Rolle eingefühlt. „Aber jetzt weiter: Darüber hinaus will ich dir die Bitte antragen, mir die Ehre zu erweisen, an den nächsten Nonen bei meiner Cena zu erscheinen. Zu den köstlichen Gerichten meines allseits hochgelobten Koches werden Akrobaten und namhafte Schauspieler für Unterhaltung sorgen. Und meine Gruppe hispannischer Tänzerinnen willst du dir sicher nicht entgehen lassen. Evanoridas grinste. Zahlreiche Persönlichkeiten von Rang und Namen haben bereits ihr Kommen angekündigt. Bitte sei auch du mein Gast, mein werter Rufinus, und lass diesen Abend durch die Anwesenheit deiner wundervollen Gattin noch heller strahlen. Teile mir deine Antwort bitte bis zu den Kalenden mit. – Phaeneas, großer Absatz!
    Gesundheit und Wohlergehen, mein Verehrtester, sollen dir stets vergönnt sein und mögen die Götter mit Wohlwollen auf dich blicken!


    Evanoridas lehnte sich zurück und seufzte, dann richtete er seinen Blick auf seinen Mitsklaven und ordnete an: „Mein Phaeneas, siegel dieses Schreiben und sorg dafür, dass es pünklich ausgeliefert wird. - Und wehe du oder jemand anderes trödelt!“, schob er noch mit Bestimmtheit hinterher. „Schon gut, Evanoridas“, so fiel die üblich relativ nüchterne Antwort des Bithyniers aus. „Weißt du was, ich schlage dich zur Beförderung vor. Bei so viel Talent zum Befehle geben wäre das ja reine Verschwendung!“
    Nun schmunzelte auch der Gerade-eben-noch-Herr und stand aus seinem vornehmen Scherenstuhl auf, der sich nun wieder als einfacher Küchenhocker erwies.

    Mäßig aufmerksam verfolgte der Sklave die Unterredung. Das einzige, woran ihm lag, waren Lucianus‘ Angelegenheiten und auch das mehr in weniger politischer Hinsicht.
    Phaeneas selbst hatte mit Macht nicht viel am Hut. Er wusste, wie schnell man eine gute Position verlor. Es war ja nicht so, dass Lucianus der Erste gewesen wäre, der sich persönlich mit Phaeneas beschäftigt hatte. Nachdem seine Mutter verkauft worden war, hatte er ... das Glück gehabt ... sich in einer Vertrauensposition zu befinden. Es war kein Glück, jenem Herrn nahezustehen. Und Phaeneas hätte liebend gern den Latrinendienst übernommen, um Jenem entrinnen zu können ...
    Mit einem Schütteln des Kopfes, bei dem die schwarzen Haare nur so flogen, versuchte der Sklave sich von diesem unangenehmen (um es beschönigend zu formulieren) Gedanken zu befreien.
    Jedenfalls hatte der Bithynier oft miterlebt – teils selbst, teils bei anderen - , wie vergänglich Einfluss, Ansehen und ein gutes Leben war. Deshalb strebte er auch nicht nach diesen Dingen, weil er wenigstens das bisschen an Leben, das er sein Eigen nennen konnte, auf festen Grund bauen, auf Verlässliches stellen wollte.
    Wenn er schon zum Verlieren verdammt war, zum Verlieren dessen, was ihm wichtig war, dann wollte er die Anzahl dieser Verluste wenigstens möglichst gering halten und Enttäuschungen möglichst von vornherein verhindern.

    Sim-Off:

    War ne hektische Zeit und der Abschied von Germanien auch nicht gerade leicht *g* ... aber jetzt bin ich wieder da


    Auf Lucianus‘ Worte hin nickte Phaeneas, gepaart mit einem dezenten Lächeln (kein Vergleich, wenn man dabei an beispielsweise Antias‘ souveräne Art dachte). Auch der Gast, der sich die Mühe gemacht hatte den Sklaven wahrzunehmen, wurde mit einem Blick bedacht. Bis auf den heutigen Tag war der Bithynier es eher gewohnt ignoriert zu werden, Luft zu sein, da wollte er dem Klienten seines Herrn nach dessen freundlichem Verhalten nicht gleiches antun.


    Dann entfernte er sich ein paar Schritte und blieb dort – wie üblich gedankenverloren und aufmerksam zugleich – stehen, jederzeit bereit und dabei unauffällig wie er es stets zu sein pflegte.
    Vor allem ließ er Lucianus innerhalb des Hauses ungern aus seinem Wirkungsfeld. Wenn sein Herr anwesend war und ihn nicht gerade nicht brauchen konnte, dann wollte Phaeneas da sein. Das hatte zur Folge, dass der Leibsklave den Vinicier möglichst selten anderen Hausbediensteten überließ. Was nichts damit zu tun hatte, dass er eifersüchtig über seine Vertrauensposition beim Herrn wachen und anderen Sklaven nicht gönnen würde, sich um selbigen kümmern zu dürfen. Es lag schlicht in Lucianus selbst begründet, dessen Gegenwart Phaeneas nicht missen wollte

    Wie er es gerne tat, betrat Phaeneas etwas nach Lucianus das Atrium. Einen Krug, in dem Wein und Wasser schon gemischt waren, und zwei Becher hatte er bereits dabei. Damit leitete er sozusagen die beiden Männer zu der Klinengruppe, schenkte dort mit sichtbarer Routine ein und reichte zuerst dem Gast sein Getränk, dann seinem Herrn.
    „Habt ihr noch irgendwelche speziellen Wünsche?“, erkundigte sich der Sklave und blickte von Lucianus auf den Aurelius ...


    Der Brunnen, der hinter ihnen plätscherte, hatte Phaeneas von Anfang an begeistert - vom Balneum nicht zu reden - , jedenfalls befand der Bithynier allein deswegen schon jeden Aufenthalt im Atrium als angenehm. Es erinnerte ihn zudem an seinen Thermenbesuch in Mogontiacum, die einzigen Saturnalia, die er je in vollen Zügen genossen hatte, gerade der Bäder wegen.

    In der Küche, in einer Ecke des Raumes, stand sinnierend Phaeneas, der bithynische Leibsklave Lucianus‘, mit einem halbgefüllten Becher Wasser in der Hand, dessen Inhalt er per Kreisbewegungen hin- und herschwenkte. Vor ihm herrschte Trubel, natürlich, die Culina war schließlich das Zentrum des Lebens in einem Wohnhaus, wenn auch des sklavischen Lebens. Am Herd werkelte Arete herum, die stolze Arete mit ihrer spitzen Nase, darüber hinaus hielten sich noch Lichas und Syria, nebenbei in ein Gespräch verwickelt, kurzzeitig in der Küche auf. Dazu kam noch das Mädchen Smyrna, das irgendetwas suchte – Phaeneas war entgangen was – und sich dazu immer wieder an den anderen vorbei- und durch sie hindurchdrängte. Wen man natürlich nie vergessen durfte, war Berenice, die zufrieden wie eh und je über die in der Culina vorgehenden Aktivitäten wachte, glücklich darüber, auch in Rom die Küche nicht an jemanden abgeben zu müssen und so weiterhin selbst die Herrschaft inne zu haben.
    Nach Rom hatte es ihn nun also verschlagen. Wie seit jeher zuvor hatte er sich auch diesmal sofort perfekt an den Ortswechsel gewöhnt, sich binnen weniger Tage im neuen Haus und in der neuen Stadt zurechtgefunden. Germania und Mogontiacum trauerte er kein bisschen nach. Für ihn war jeder Ort so gut wie der andere – davon abgesehen, dass es hier natürlich viiiiel wärmer war. In Germania hatte er sich notgedrungen mit den Temperaturen arrangiert und so war allein schon die Vorstellung angenehm, sich ab sofort im Winter die etlichen Tunicaschichten sparen zu können. Das mediterrane Klima hier in Italia lag ihm viel mehr.
    Und noch ein Punkt unterschied diesen Ortswechsel von den etlichen anderen, die der Sklave im Laufe seines Lebens miterlebt hatte, und der ließ sich sehr leicht in einem Namen zusammenfassen: Lucianus. Dessen noble Gesinnung ihn vor der Welt auszeichnete und der sich vor Phaeneas von seinen bisherigen Herrschaften insbesondere dadurch abhob, dass er sich für ihn, Phaeneas, Zeit nahm, mit ihm sprach und ... zu ihm hielt. Im Grunde genommen war Lucianus das einzige, um das sich der Bithynier bei dieser Sache wirklich Gedanken gemacht hatte. Auch wenn seine Umgebung sich änderte, sein Herr blieb ihm erhalten, und das war alles, was zählte. So oft hatte das Schicksal ihn von Menschen getrennt, die ihm wichtig gewesen waren, und in Anbetracht dessen, dass man diese Personen quasi an einer Hand abzählen konnte, war Phaeneas überglücklich, nicht auf Lucianus verzichten zu müssen. Ja, Phaeneas genoss es, genoss es sichtlich – na ja, zumindest in Lucianus‘ Anwesenheit – seinem geliebten Herrn nach Rom folgen zu können.
    Den er nicht respektierte und ehrfürchtig zu ihm aufsah, sondern dem er ehrliche Zuneigung entgegenbrachte, durch nichts zu erschütterndes Vertrauen, dem Argwohn oder eigene Hintergedanken vollkommen unbekannt war. Phaeneas kannte nur zwei Extreme, Misstrauen oder bedingungsloses Zutrauen. Zweiteres wurde vor allem dadurch gefördert, dass er fast immer zu Ersterem gezwungen war – in einer Welt, die der Sklave als kalt, grausam und erbarmungslos erlebt hatte und die kaum eine Möglichkeit ausließ, ihm wehzutun.

    „Euselius, Euselius!“, rief Phaeneas dem Blondschopf hinterher, so wie der es immer bei ihm getan hatte.
    Der Gerufene blieb sofort stehen und sah sich nach dem um, der gerufen hatte. Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen. „Salve, Phaeneas“, begrüßte er denselben, sobald der bei ihm war. Ungewöhnlich energisch hatte der Bithynier sich durch die Menge gedrängt und dabei zielstrebig auf Euselius zugehalten.
    Nun betrachteten dunkle Augen helle. „Euselius, wir brechen auf. Heute ist mein vorletzter Tag in Mogontiacum!“
    „Oh“, stellte der Blonde zuerst wenig aussagekräftig fest. Mit einer ruhigen Handbewegung lud er Phaeneas ein, mit ihm über den Markt zu gehen.
    „Die Zeit vergeht schnell. Dann wird Mogontiacum also jetzt ohne dich auskommen müssen?“ Dieser Trick, dieser recht primitive Scherz, verfehlte seine Wirkung nicht. Phaeneas‘ Gesicht verzog sich zu einem gnadenlos selbstironischen Grinsen, während die eine Augenbraue nach oben wanderte und die andere nach unten gezogen wurde. „Mogontiacum ist seit jeher wunderbar ohne mich zurechtgekommen, es wird auch jetzt gut auf mich verzichten können. Und“, fügte er hinzu, „es wird mich auch nicht vermissen.“ Und damit wurde Phaeneas fies. Schließlich stand vor ihm der einzige aus eben dieser Stadt, mit dem er eine halbwegs regelmäßige Beziehung aufgebaut hatte. Euselius kannte das inzwischen; wie der Bithynier manchmal mit Worten zu inszenieren pflegte. Wie er manchmal eine scheinbare Problem- und Illusionslosigkeit inszenierte, manchmal sich selbst ... manchmal etwas ganz anderes.
    „Die Stadt im Gesamten vielleicht nicht“, antwortete der Blonde so, wie es von ihm gewünscht wurde. Mehr sagte er nicht. Phaeneas hätte eben jene Worte, die er vorhin benutzt hatte, vor irgendjemandem nie so formuliert. Nur bei jemandem, mit dem er öfter zu tun gehabt hatte. Hier war es Euselius. An einen Fremden hätte er ja auch nie Ansprüche gestellt. Und das war diese beiläufige Äußerung schließlich ...
    Der Bithynier blickte über den Markt, die vielen Leute und Waren. So oft war er hier gewesen. Und das meistens mit Euselius. Dass er diese Stadt verließ, stimmte ihn kein bisschen traurig. Das Zurücklassen des blonden Sklaven neben ihm schon eher.


    Dass Euselius stets unglaublich – übermäßig - neugierig gewesen war, war eine Sache, dass er es dabei noch zur Arglosigkeit eines Kindes brachte, steigerte die Angelegenheit noch. Mit seiner Anhänglichkeit musste man ebenfalls erstmal klarkommen und über die blinde Bewunderung, zu der er fähig war, hatte Phaeneas nur den Kopf schütteln können. Darüber hinaus hatte er eine arg lässige Einstellung zum Leben gehabt und was seinen Zeitvertreib anbelangte, war er mit sehr primitiver Beschäftigung zufrieden gewesen. Mit ihm ein kluges Gespräch führen zu wollen, war von Vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Er hatte stets die Welt genommen, wie sie war, und sich keine Gedanken über sie gemacht.


    Doch auch wenn Phaeneas schon oft über Euselius‘ Naivität die Augen verdreht hatte, seine Gegenwart manchmal nur seufzend hingenommen, geduldet hatte, hatte er doch regelmäßig mit Euselius zutun gehabt, ihn oft genug von sich aus aufgesucht und so immer wieder um seine Gesellschaft gebeten.


    Auch wenn er ihn manchmal reichlich von oben herab behandelt hatte, ihm gegenüber oft demonstrativ gelangweilt und desinteressiert gewesen war, hatte er doch weit mehr auf den Blonden gehalten als er es ihn meist hatte merken lassen.


    Insgeheim bewunderte der Bithynier ihn. Seine Sorglosigkeit, seine Fröhlichkeit, wie er sich spontan begeistern konnte. Und auch wenn er ihn um seiner Blauäugigkeit willen belächelt hatte, war Euselius eindeutig der Mutigere von ihnen beiden – und hatte damit sichtbar mehr vom Leben. Und dafür bewunderte Phaeneas ihn.


    „Jedenfalls, ich muss bald wieder zurück in die Regia. Meine Herrin möchte heute den größten Teil des Packens abschließen und dabei sollte ich sie besser nicht im Stich lassen. Beziehungsweise meine Mitsklaven.“ Euselius nickte verständnisvoll. „Natürlich. Vale bene, Phaeneas. Viel Spaß in Rom! Genieß die Vorzüge einer Großstadt!“
    Auch jetzt durchbrach der blonde Sklave die Distanz zwischen ihnen nicht, dachte nicht annähernd daran, Phaeneas die Hand auf die Schulter zu legen oder nach seinem Handgelenk oder seinem Oberarm zu greifen. Mochten sie auch über Jahre hinweg beinahe jeden Tag miteinander zu tun gehabt haben, das hatte den Bithynier in diesem Fall nicht dazu gebracht, von diesem Vorgehen auch nur ein kleines Stück abzurücken. Als – unsichtbaren – Ausgleich dafür hatte Euselius seine Bewunderung.
    „Leb wohl, Euselius“, antwortete er. „Solang du nur weiterhin Augen und Ohren offenhältst in Mogontiacum.“ Ein leichtes Schmunzeln stahl sich auf Phaeneas‘ Gesicht. Das wiederum löste ein begeistertes Lächeln bei dem Blondschopf aus. „Natürlich“, nickte er eifrig.
    „Na, dann kann nichts schief gehen!“ Und damit hetzte er die Tratschtante weiterhin auf die Bewohner der Stadt. Es war eine letzte Anerkennungsbekundung an Euselius (- und dessen Neugier). „Vale, Euseli*!“ Dessen helle Augen blitzten nocheinmal: „Vale, Phaeneas!“


    Sim-Off:

    * lateinischer Vokativ (=Anredefall)

    Seit einigen Tagen und auch für die nächste Zeit bin ich so eingespannt, dass Unregelmäßigkeit in meiner Aktivität - wie ja schon ersichtlich - garantiert ist. Ich werde versuchen, dabei das IR nicht komplett aus den Augen zu verlieren, mal sehen mit wie viel Erfolg.

    Der Fremde verabschiedete ihn, in fehlerfreiem Latein. Na ja, solche Floskeln lernte man ja schneller als Lebenswichtiges. Was ihm dagegen umso stärker auffiel, war wie der Mann ihn nannte. Phaeneas lächelte zurück, war doch Ostling genauso konkret wie Germane. Und ihm fiel alles besonders intensiv auf, was mit seiner Herkunft zu tun hatte – das, worauf er ohne Zweifel stolz war. Vielleicht, weil es einfach so war, wie es war, also nichts direkt mit ihm zu tun hatte und er nicht viel dafür konnte.
    Der Sklave ließ dem Freien noch ein „Vale!“ zukommen, dann wandte er sich zum Gehen, um sich mit festen, zügigen Schritten auf den Heimweg zu machen, stapfte durch die nächtlichen Straßen von Mogontiacum – er hielt sich weitestgehend an die größeren, um dann bald auf die Via Praetoria einzubiegen, sicher war sicher – und sog das Gefühl in sich auf, eins mit der Dunkelheit zu sein. Solche Momente waren es, in denen er sich wünschte, die Ewigkeit möge beginnen und die Welt für alle Zeit in dieses geheimnisvolle Licht tauchen, das so ganz anders war als der Tag und was er mit sich brachte.

    Damit gab sich Phaeneas zufrieden, was sein Gegenüber äußerte. Natürlich, in einer Unterhaltung kamen einem viele spontane Ideen und nicht jede davon konnte gleich perfekt ins eigene allgemeine Argumentationsmuster passen. Auch dass er sonst nichts sagte, sah Phaeneas ihm nach. „Ja, ich verstehe.“


    Dann erinnerte der Bithynier sich an das, was der Mann ihm über Walhall erzählt hatte: „In der Schlacht sterben oder für Menschen, die ich liebe – ich glaube, diese Kriterien werde ich nicht erfüllen können.“ Ach nein, da war ja noch was mit Frau und Familie – aber auch das würde Phaeneas nie erfüllen können.


    „Hm, du hast recht“, meinte der Bithynier schließlich, als der Germane ihm erklärt hatte, warum er die Belohnung zu Lebzeiten für unwahrscheinlich hielt. Lucianus war ja allgemein sehr großzügig. Auch wenn Phaeneas es als sehr große – ungewöhnliche (wie er nicht oft genug betonen konnte) – Gnade des Schicksals empfand, ihn eine so großartige Zeit erleben zu lassen.


    Er folgte dem Blick des Fremden; erblickte die Verfärbung der Sonne. „Oh, es ist an der Zeit für mich.“ Dann streifte er noch einmal den Rhenus. Also, die Athmosphäre war schon einzigartig, das musste man wirklich sagen. Phaeneas liebte es, wenn es Abend wurde, die Dunkelheit gab ihm ein ganz anderes Gefühl als der heller Tag und er bewegte sich viel sicherer darin. Und nun fielen das Wasser zu seiner Seite und das hereinbrechende Dunkel zusammen; in der Tat einzigartig.
    Aber die Vernunft sprach natürlich: „Bevor wir uns in suppendicker Finsternis wiederfinden, sollten wir vielleicht vorher besser nach Hause gehen. Gute Nacht, fremder Germane.“ Und was er darauf noch sagte, war vielleicht der Dunkelheit zuzurechnen: „Ich weiß zwar nicht, ob ich dir etwas sagen konnte, aber du mir in jedem Fall.“ Wie weit eben diese eingebrachten Gedanken eine Bedeutung haben würden, würde sich zeigen.

    „In der Tat“, nickte Phaeneas. Wie oft hatte der Fremde nun in dieser Weise nachgefragt?


    „Na, so verrückt ist er zum Glück nicht.“ Jenseits des Rhenus hatten immer andere Beamte gehen dürfen. Und auch im hiesigen Germania war er immer von seiner Leibwache begleitet worden. Beim Statthalter gehörte das ja zum Standardprogramm.
    „Dir wünsche ich im Gegenzug, dass sich deine Hoffnung erfüllt; Gelegenheit genug wirst du hier ja dazu haben“, meinte Phaeneas.


    „Vale“, entgegnete der Bithynier dem jungen Germanen. Dann warf er noch einen letzten Blick auf die Regia, bei deren Anblick er immer noch nur erahnen konnte, was andere daran so bewundernswert fanden, und ging seinerseits dem noch ärgeren Menschengedränge entgegen. Dort entdeckte er bestimmt irgendwo Euselius ...

    „Damit liegst du richtig. Wenn auch die Aufgabe des Ianitor üblicherweise jemand anderem zufällt. Zum Haussklaven addier noch den Schreiber eines Gelehrten, das Mädchen für alles und den Cubicularius, dann kommst du meinen Zuständigkeitsbereichen sehr nahe.“ Phaeneas wollte zwei Dinge nicht – dass jemand mitbekam, dass er innerhalb des Haushaltes mehr zu sagen hatte und dass er Lucianus näher stand als andere Sklaven. Zweiteres zu verbergen hatte er in diesem Fall etwas vernachlässigt – schließlich war er eh nur noch für kurze Zeit in Mogontiacum, da war das auch kein Weltuntergang mehr. Trotzdem hatte er etwas Spott in seine Worte gemischt, um zumindest ersteres zu übergehen.


    „Nein, natürlich nicht. Ich weiß schließlich auch nur das, was mir Leute von dort darüber erzählt haben“, gab Phaeneas freimütig zu. „Und die meisten, mit denen ich gesprochen habe, haben ganz offensichtlich ihre Gründe dafür, hier zu sein.
    Was den freien Teil von Germania anbelangt, scheinst mir du der Experte zu sein – du wirst also schon wissen, was du in Bezug auf die Umstände dort und die germanische Variante der Unfreiheit sagst. Andererseits habe ich nicht den Eindruck, dass du in Hinblick auf die römische Sklaverei übermäßig viel Erfahrung hast. Wir scheitern also beide am gleichen Problem, am mangelnden Einblick in die Gewohnheiten der jeweils anderen Seite des Rhenus“
    , schloss der Bithynier.


    „Aber ich fürchte, du musst mich nun entschuldigen“ – immer schön höflich sein – „ich muss weiter. Du wirst auch noch viel zu tun haben, denn Mogontiacum ist eine große Stadt“, merkte er an.

    „Gut, kann ich machen! Soll ich ihr auch noch schöne Grüße von dir bestellen?“, zwinkerte Phaeneas.


    Bei diesem Stichwort fiel ihm allerdings noch etwas anderes ein und so folgte er dem Wunsch der netten Duccia Flamma, indem er Lucianus übermittelte, worum sie ihn gebten hatte:
    „Apropos, ich soll dich von der Leiterin der Schola, Duccia Flamma, grüßen. Als ich mich in der dortigen Bibliothek umgesehen habe, hab ich sie getroffen“, bettete er das Ganze noch in den Zusammenhang ein, um Lucianus ein wenig die Gesamtsituation zu vermitteln.