Wenig später öffnete sich die Tür und Phaeneas erschien im Türrahmen. Die weiße Tunika ein ungewöhnlicher Kontrast zu der ansonsten eher dunklen Erscheinung, das Gesicht sagte wie üblich wenig. Phaeneas betrachtete den Besucher neutral, ein junger Germane war es, und richtete das Wort an ihn: „Salve. Bitte, wie kann ich dir helfen?“
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Beiläufig ließ der bithynische Sklave seinen Blick über die Lager der Hausbediensteten schweifen, während er auf das zustrebte, was ihn an diesem Tag hier in diesem Zimmer wirklich interessierte: ein Fenster war es, da, in der der Tür gegenüberliegenden Wand. Phaeneas schritt darauf zu, bis er unmittelbar davor stand. Versonnen blickte er hinaus, mit dem Vorsatz, das noch länger zu tun, und ließ sich dabei auch nicht von zwei anderen Sklaven, die ebenfalls im Raum waren, stören.
Phaeneas’ Vorliebe für Fenster hatte Tradition. Selbst wenn man nichts besonderes sah, das war für Phaeneas kein Problem. Egal ob es der Blick in den üppigsten Garten oder die dunkelste, trostloseste Gasse war, ob man weit in die Ferne sah oder das Fenster unmittelbar gegenüber einer Wand lag, das war wirklich nicht ausschlaggebend.
Ein Fenster war bekanntermaßen die Öffnung zur Welt, zur großen, weiten Welt, die Phaeneas nur in Form der Stadt, in der er lebte, interessierte. Aber von einem Fenster aus sah das Weite, Ferne wirklich direkt sehenswert aus, zumindest wenn man sowieso nur hinaussah, um nicht sehen zu wollen, was dort draußen wirklich war, sondern um die Bilder selbst zu zeichnen.
Wenn man nachdachte, beschäftigte man sich im Allgemeinen mit den Dingen, so wie sie waren. Wenn man aber vor sich hinträumte, waren die Grenzen, die einem die Welt setzte, gar nichts mehr, es brauchte nur einen verträumten Geist, um einfach über sie hinwegzufliegen, sie in Luft aufzulösen. Phaeneas mochte es zu träumen, die Wirklichkeit Wirklichkeit sein zu lassen und vorübergehend zu vergessen – nur was, das ist die große Frage, denn das war von Laune zu Laune anders, mal die Welt, mal das Leben, sich selbst, dass es überhaupt etwas gab – einfach an ganz anderen, fremden Orten sein, von denen wohl niemand wusste, wo sie lagen, die Weite kosten bis man vor lauter Ferne nicht mehr wusste, was nah und was entfernt war, mit den Füßen in nicht existenten Bächen zu plätschern, aber vor allem den Kopf damit freibekommen, den Kopf, der manchmal viel zu viel grübelte, mit viel zu düsteren Gedanken beschäftigt war und sich an schlicht zu viel erinnerte.
Dazu waren Fenster zweifelsohne perfekt geeignet, hindurchzustarren und dabei vor sich hinzuträumen – was man auf der anderen Seite sah, konnte schließlich dem Fenster egal sein.
Und genau das tat Phaeneas jetzt. Versunkenen Blicks betrachtete er das, was sich seinen Augen darbot – und sein inneres Auge im offenbarte. -
„Wenn sich die Ziele der einzelnen unterscheiden, ja“, ging Phaeneas auf Raetinus’ Infragestellung seiner eigenen Aussage ein. Da fing die Weisheit an, beim Zweifel an eigenen Überzeugungen.
Dachte Phaeneas sich’s doch, auf einmal war alles völlig normal. Genauso normal wie für ihn, dass es grundsätzlich noch jemanden in seinem Leben gab, der bei allem, was ihn betraf, mitzureden hatte. „Wie war dann das noch mal mit der gesellschaftlichen Hierarchie?“, fragte Phaeneas zurück. Beides konnte schließlich nicht unter einen Hut passen.
„Natürlich, aus der Sicht eines Sklaven“, bestätigte er, auf Raetinus’ Rückfrage. Was er dann zu hören bekam, tja, das war das, was man als freier römischer Bürger denken mochte, was man erwarten konnte, was ein solcher dachte.Na ja, diesen Sklaven hatte Raetinus gerade kennen gelernt.
Aber wie für Phaeneas üblich, behielt er diese Tatsache für sich und hielt sich selbst aus dieser Angelegenheit heraus. Phaeneas vermied es, sich öffentlich festzulegen. Denn es fing allein schon damit an, dass es weder gut war, ein aufmüpfiger noch ein guter Sklave zu sein. Und bei anderen Dingen genauso. Wenn man den Eindruck erweckte zu ersterem zu zählen, bekam man Schwierigkeiten mit seinem Herrn, bei zweiterem wurde man für andere berechenbar. Am allerklügsten war es, für alle Welt undurchschaubar zu bleiben ... Kein Wunder, dass kaum ein Außenstehender eine Ahnung davon hatte, was es hieß, Sklave zu sein.
Phaeneas versuchte weiter zu vermitteln: „Stell dir vor, du müsstest alles aufgeben, was dein Leben bisher in den Grundzügen ausgemacht hat. Das, worin du bisher deinen Lebenssinn gesehen hast, das, was dein Leben bisher ausgefüllt hat; alles, was dir vertraut ist und was du kennst. Stell dir vor, du müsstest die gesicherten Verhältnisse, in denen du bisher gelebt hast, aufgeben, deinen Platz innerhalb der Gemeinschaft räumen, in der du aufgewachsen bist ...“ -
Phaeneas schritt durch die Gänge der Regia, in Richtung der Domus Legati Augusti und so weiter. Wie üblich fror er, im Moment besonders, weil er von draußen kam. Alle entgegenkommenden Scriba ignorierte er, wogegen kein Fenster seinen Augen entgehen konnte. Den Weg kannte er längst blind. Manchmal war es ihm selbst fast unheimlich, wie schnell er sich unter neuen Umständen zurechtfand, Heimstätte, Umgebung, Zuständigkeitsbereich wechselte wie ein Gewand.
Genauso wusste er, hinter welcher dieser Türen sich sein Herr verbarg, samt Scriba etc. davor.
Viele Türen, mit zugehörigen Zimmern und Gängen, und überall arbeitete jemand anderes. Verwaltung war schon etwas umständliches.
All diese Türen – fast wie ein Abbild seines eigenen Lebens. Einzelne, verschiedene Abschnitte, die nicht immer unbedingt viel mit einander zu tun hatten. Manchmal erschien es ihm, als hätte er nicht ein, sondern mehrere Leben gelebt. Und als wäre es nicht immer die gleiche Person gewesen. Die Phaenease aus diesen verschiedenen Leben ähnelten sich, aber es waren nicht dieselben. Sie hatten etwas unterschiedliche Vorstellungen, ein anderes Lebensgefühl, legten auf verschiedene Dinge wert, schätzten und missbilligten unterschiedliches.
In Phaeneas’ Erinnerung verschmolzen sie zur Ewigkeit, die einzelnen Abschnitte und die unterschiedlichen Leben, zu einem dicken, zähen Brei, sodass die verschiedenen Teile, aus denen sie bestand, manchmal schwer auseinander zu halten waren. Aber wer will es denn auch so genau wissen? Einzelne Ereignisse stachen sehr deutlich daraus hervor, schlechte wie gute, andere verloren sich im Dunkel seiner Erinnerungen.
So wandelte Phaeneas durch sein Leben gleichsam wie durch dieses Stück Gang der Regia, während seine Schritte leicht auf dem Korridor hallten.
Tja, sein Leben - anfangs war es geprägt gewesen von Willkür, dann von Gleichgültigkeit und Desinteresse –jedenfalls, es war ruhig gewesen zu dieser Zeit, friedlich ruhig. Dann war zu großes Interesse an ihm vorherrschend gewesen, ihm gewidmete Aufmerksamkeit, die wehtat, weil sie über kurz oder lang zugrunde richtete. Es war eine schwierige, dunkle Zeit gewesen, jene Zeit.
Danach ein angenehmer Abschnitt, angenehm wie nie zuvor. Und dann – Normalität. Bestehend aus Gleichmut, Strenge, Überheblichkeit, Überwachung durch andere. Argwohn und Missgunst unter den Sklaven. Die Anonymität, das Untergehen in einem großen Haushalt. Die Leere, die unendliche Gleichgültigkeit, die ihn so oft erfüllte. Einfach nur dahinleben, ohne auf etwas zu warten, ohne auf etwas zu hoffen.
So oft zwischen oder mitten in diesen Teilstücken seines Lebens kam es unvermeidlich zum Abschied, zum Übergang zu etwas Neuem, zu Trennung. Der bithynische Sklave hatte schnell gelernt, wie mit so etwas umzugehen war, egal ob es eine Trennung von Menschen, Orten, Gegebenheiten war. So ein Abschied verlief bei Phaeneas jedes Mal gleich, immer und immer wieder. Zuerst galt es Emotionen totzudenken und abschließen mit bisherigem. Erlebtes wurde in die Erinnerung einsortiert, die bisherige Lebenssituation, die momentane Gegenwart zur Vergangenheit erklärt. Und dann nur noch leer sein! Leer von dem, was bisher gewesen war, leer von Trauer, Schmerzen, Freude, Wehmut. Und damit frei sein für Neues, möglicherweise ganz anderes als davor.
Phaeneas ließ den Blick über die Wände schweifen und blickte dann wieder geradeaus, in die Richtung, in die er ging. Wie schnell die Gedanken doch fließen. In Anbetracht dessen, dass gerade eben sein komplettes Leben an ihm vorbeigezogen war, müsste der Weg zur Porta Domus* ewig sein. War er aber nicht.
Die bisherigen Jahre bei Lucianus waren eine wirklich schöne Zeit, angenehm wie nur einmal bisher. - Hm, sind Teile eines Lebens überhaupt vergleichbar? - Jedenfalls, ein wirklich bemerkenswerter Abschnitt seines Lebens, aber eben auch nur ein Abschnitt wie jeder andere davor. Ein Aufenthalt auf Dauer, etwas, das irgendwann beginnt und auch wieder ein Ende haben wird.
So glaubte Phaeneas nicht daran, wirklich dauerhaft irgendwo zu bleiben, geschweige denn dort alt zu werden. Vorher war es nie so gewesen, warum sollte es jetzt so sein? Nein, Phaeneas schüttelte den Kopf. Dieser Abschnitt der Regia, in dem der Bithynier gerade unterwegs war, war momentan leer, da konnte man sich eine solch impulsive Unterstreichung seiner Gedanken leisten.
Aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen rechnete Phaeneas mehr damit, früher oder später wieder von Normalität empfangen zu werden, mit einer Rückkehr zu dem, was er bisher überwiegend erlebt hatte.Sim-Off: *Am Rande erwähnt ein Genitiv
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Zwischenzeitlich rieb sich der Bithynier die Arme.
Draußen gaukelte die Sonne inzwischen Wärme vor, aber sobald man einen Schritt durch die Tür machte, wunderte man sich trotzdem über dem immer noch kühlen Wind.
Immer noch. Dabei war erst Frühlingsanfang.Sim-Off: Ah ja, okay.
So schnell kann man ja gar nicht schauen, wie das Ding voll ist!
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Raetinus kannte seinen Sinn ... In der Tat bewundernswert, wie Phaeneas befand ... Denn sein Sinn war etwas, was der bithynische Sklave bisher noch nicht erkannt hatte.
Für ihn war Sinn nicht etwas, was man hatte oder nicht hatte, für ihn erfüllt sich Sinn allein durch die Existenz desjenigen, egal ob man selber es wusste oder nicht. Nur ihn zu finden, das wäre eine wahrhaft spannende Angelegenheit ...„Ja, man müsste wirklich genau wie die anderen werden“, bestätigte Phaeneas Reatinus’ Einschränkung. „Nur oft reichen kleine Angleichungen, um eine Gewohnheit aus der Gleichheit werden zu lassen.“ Er überlegte und kam über Umwegen am genau anderen Ende an: „Aber es kann auch praktisch sein so wie die anderen zu scheinen - in Situationen, in denen man besser nicht auffallen sollte.“ Oh Mann, wieso kann man immer alles umdrehen? Nie kann man sagen, wie etwas ist, weil es gleichzeitig auch anders sein kann.
Nachdem er Raetinus vorübergehend sichtlich aus dem Konzept gebracht hatte, sah Phaeneas seinem Gegenüber aufmerksam zu, wie er versuchte, das entstandene Durcheinander in seinem Kopf zu ordnen. Als er sich dann so verplapperte und vorsichtig umsah, musste Phaeneas schmunzeln, wie er ihm zuzwinkerte und flüsterte. „Nein nein, überhaupt nicht!“, versicherte Phaeneas sofort und fuhr dann, unbelauscht und ungesehen, fort.
Und zwar gleich mit einer sehr provokanten Frage: „Du hältst es also auch für merkwürdig, dass du deinen Vorgesetzen gehorchen und ihren Befehlen folgen musst?“Phaeneas versuchte etwas zu vermitteln, Raetinus die Tiefe dieser Angelegenheit klar zu machen, und wandte deswegen ein: „Meinst du nicht auch, dass es manche geben könnte, die die Geschenke, die eine Freilassung mit sich bringen würde, gar nicht entsprechend schätzen würden?“
Auch dem Bithynier fiel auf, wie sich die Taberna leerte. Davon abgesehen, dass es allseits bekannt war, dass Gespräche Zeit dauerten, war das nun ein allzu deutlicher Wink, dass es nun ebenfalls angebracht war aufzubrechen. Davon abgesehen, dass es für niemanden empfehlenswert war, war Phaeneas nach persönlicher Ansicht der Meinung, dass er ab einer gewissen Zeit nichts mehr auf den Straßen verloren hatte. Obwohl er die Nacht draußen eigentlich sehr mochte ... die Dunkelheit, die Schatten ... Auch wenn er ohnehin schon gern am Fenster stand, abends war es besonders einen Blick wert. -
Phaeneas befand, dass es derzeit kälter sein musste als sonst. Denn in diesen Tagen fror er besonders.
Als er dem Herrn einen Brief gebracht hatte, reichte es doch glatt für ein Zittern.An den
Legatus Augusti pro Praetore
Marcus Vinicius Lucianus
Mogontiacum, GermaniaSalve mein Bruder,
lange hast du warten müssen auf diesen Brief und doch kann ich dir nicht viel berichten. Es ist schon beängstigend ruhig in Rom, das Fehlen eines Kaisers wirkt sich derzeit nicht wirklich auf die Bevölkerung aus. Du liest richtig, der Kaiser fehlt noch immer, obwohl er gerüchteweise bald in Rom eintreffen soll, doch wirklich genaues weiß man nicht. Man sagt ihm eine Krankheit nach, doch wie schwer diese sein soll, ist ebenfalls unbekannt. Vielleicht liegt es auch am Widerwillen des Valerian, ich habe ihn bisher nur als Angehöriger des Militärs kennengelernt, nie aber als Politiker. Warum Iulian ihn zu seinem Nachfolger bestimmt hat, werden wir auch nie erfahren und warum er ihn nicht in Rom eingesetzt hat, damit er in die Arbeit hineinwächst. Du bemerkst, nicht das Fehlen von Valerian an sich bereitet mir Sorgen, eher das, was kommt, wenn er dann tatsächlich hier ist, obwohl ich mir zugleich wünsche, er wäre schon hier. Wie du siehst, eine seltsame Mischung. Selbstverständlich habe ich schon die Cohortes Urbanae auf ihn eingeschworen und die anderen Stadteinheiten haben es mir soweit ich weiß gleich getan. Das gebietet schon das Andenken an Iulian.
Ansonsten kann ich dir nichts berichten. Ich wünschte, ich könnte dir zumindest von einigen kleinen Skandälchen erzählen, doch so wie der Frühling auf sich warten lässt, so winterlich erscheint mir auch das römische Gemüt zu dieser Zeit. Einzig meine Tochter scheint das nicht weiter zu kümmern, so kommt es mir vor. Sie steht schon und wird wohl bald ihre ersten Schritte gehen. Wie schade, daß sie nur eine Tochter ist. Ich sollte mich wohl bald wieder verheiraten, wenn ich noch realistische Chancen auf einen Erben haben möchte. Wie sieht es da bei euch aus? Kommt schon was? Und wie ist die Lage generell in Germania?
Mögen die Götter weiter über dich wachen.
Vale bene,
M. Vinicius Hungaricus -
Es war wahrhaft ein Novum, dass jemand glücklich über eine Absage war. Das einzige, was Phaeneas dahinter vermuten konnte, waren Prinzipien, die der Herr irgendwann einmal aus Erfahrungen heraus für sich aufgestellt haben musste. Und – das befand der Bithynier – Prinzipien sollte man treu bleiben – aus Prinzip. Huch, das war unbeabsichtigt gewesen.
„Gut, Herr.“ Phaeneas nickte, froh, dass die Angelegenheit besiegelt war, und begab sich somit von dannen – als von Entscheidungen schwer geprüfter Sklave.
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Das war es ja gerade, es war schwierig zu entscheiden, wenn man sonst nie über das nachdachte, was man tat.
Na ja, zumindest hatte er schon mal ein Zwischenergebnis, einen Anhaltspunkt, von dem aus Phaeneas weiter vorgehen konnte.
Hm, frei heraus, auch wenn es leicht gesagt war, war es vielleicht doch gar kein so schlechtes Stichwort. Sachlich abwägen und dann einfach das erste Ergebnis nehmen:
Bei beiden Möglichkeiten, zwischen denen Phaeneas entscheiden sollte, könnten sich Nachteile auftun, die er jetzt noch nicht voraussah. Aber nur eine von beiden verriet schon jetzt eine Schattenseite – So, und jetzt nicht mehr weiter nachdenken.
„Ich tue es nicht, Herr.“ -
Phaeneas versuchte die unangenehmen Überlegungen beiseite zu schieben. Wie oft oder wie oft nicht, ist doch egal. Dass es mehrere Aufenthalte waren und nicht ein zusammenhängender, dass Rom ein Abbild seines Lebens war, nämlich eine Aneinanderreihung von verschiedenen unzusammenhängenden Einzelstücken – einfach nicht darüber nachdenken. Oder auch: besser nicht darüber nachdenken.
Der Herr würde dieser Fragerei wohl nie müde werden ... Phaeneas erwiderte seinen Blick.
Der Herr redete. Von Phaeneas’ Seite folgte Schweigen.Wohler gehen, was für eine Ausdrucksweise.
Zuerst klang das, was Lucianus gesagt hatte, ... unangenehm, beim zweiten Mal überdenken nicht mehr und beim dritten Mal doch wieder. Je nachdem, wo man mehr hinhörte. Eines bereitete ihm keine Bedenken, das andere schon.
Noch dazu musste er sich jetzt auch noch entscheiden. Entscheidungen, es gab nichts, was unangenehmer war. Wer entschied, hatte schließlich auch die Verantwortung.
„Mich beunruhigt einzig die weite Reise, Herr ...“
So machte Phaeneas es sich etwas leichter, indem er seinem Herrn seine Bedenken mitteilte, nicht eine fertig formulierte Entscheidung. -
"Ja, Herr, dort war ich ..." - ein sekundenlanges Innehalten folgte, ein Schatten flog über Phaeneas' Gesicht - "... ein paar Mal."
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Phaeneas sah Lucianus zu.
Wie belanglos er dieses Vorhaben darstellte. Dabei konnte es ihm gar nicht so egal sein.
Dann dieser fragende Blick. Eines war klar, er wollte etwas. So schaute man nur, wenn einem eine Idee gekommen war und jetzt eben diesen Gedanken prüfte. Halt ... nein, er wollte doch nicht etwa ... ? -
Ich bin bis wahrscheinlich Sonntag nicht da, aber wer weiß, vielleicht auch länger ...
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„Ja, Herr, gebrochen.“ zur nochmaligen Bestätigung zu erwidern hätte in Phaeneas’ Ohren dumm geklungen. Er ließ darum die Klage seines Herrn einfach so stehen und schwieg für etwa den Moment, den man braucht, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Dann stellte er folgendes in den Raum:
„Worum geht es denn, Herr?“ -
Nach einer Weile kehrte Phaeneas zurück und machte dabei verwunderte Augen. Er unterbreitete seinem Herrn die neu eingetretene Situation:
„Crinon ist gerade eben über eine Stufe gestolpert, Herr, und hat sich ein Bein gebrochen. Jetzt wird er verarztet...“ -
Zuerst hatte sich die Katze im Atrium geräkelt. Jetzt war sie aufgestanden und bewegte sich in Richtung des hinteren Teil des Hauses. Phaeneas, der gerade vorbeikam, versuchte sie noch einmal zurückzulocken. Nach etwas gutem Zureden ließ sich Luna doch noch dazu überreden. Der bithynische Sklave strich ihr bedächtig übers Fell; warm war sie, und gerade diese plötzliche Wärme ließ Phaeneas zuerst schaudern, der Gegensatz des warmen Felles und seinen kalten Fingern.
Während er ihr beim Schnurren zusah, begann er mit ihr zu reden: „Luna, du wohnst jetzt hier, aber du hast nicht immer hier gelebt. Du warst dort draußen:“ Phaeneas deutete symbolisch zur Porta, die „nach draußen“ führte.
„Siehst du dich als ungebundene Mitbewohnerin dieses Hauses? Oder fühlst du dich all dem hier verbunden, der“ verhältnismäßig „warmen Domus, den Leuten, die dich streicheln?
Betrachtest du dich als frei? Was macht die Freiheit einer Katze aus? Gibt man seine Freiheit auf, wenn man sich entschließt bei Menschen zu leben, in ihren vier Wänden?
Was unterscheidet uns beide in dieser Hinsicht und was macht uns gleich? Du wohnst hier in diesem Haus, genau wie ich. Ich wurde für Geld gekauft und du bist von selber gekommen. Hast du dich selbst verschenkt oder stellst du dich und deine Fähigkeiten nur zum Nutzen aller zur Verfügung? Ist das deine Bezahlung oder längst selbstverständliche Pflicht?“
Die Katze maunzte nur und sah ihn mit ihren grünen Augen an. Phaeneas kraulte sie weiter, während er gedankenverloren an ihr vorbei auf den Mosaikboden blickte.
Zu welchen Fragen einen so ein kleines Wesen verleiten konnte ...
Aber wer weiß, vielleicht lag es gar nicht an Luna, vielleicht war sie nur das erste in seinem Blickfeld gewesen, als ihm der Gedanke gekommen war. -
Einer von vielen ... aber doch irgendwie einmalig. Dieser Satz gefiel Phaeneas. Das war etwas, was einen großen Teil seines Selbstbildes ausmachte. Einer unter vielen, aber trotzdem man selbst und deswegen grundsätzlich nicht mit anderen vergleichbar.
„Das ist wahr“, nickte Phaeneas beipflichtend. „Selbst wenn man sich bemüht, es anderen gleichzutun, und so tut, als wäre da kein Unterschied, ist trotzdem immer etwas eigenes dabei und wird auf etwas eigenes hinauslaufen.“ Was Vorgesetzte und Besitzer manchmal vergaßen. „Man darf sich nur nie mit anderen gleichmachen lassen. Sonst wird man wirklich Teil der Menge und darin untergehen...“Und dann schlug Raetinus ein in Bezug auf Phaeneas prekäres Thema an: die Freilassung. Etwas, das er grundsätzlich nie auf sich bezog. Etwas, das der Bithynier fast schon fürchtete, ohne direkt zu wissen warum, einfach weil er ohnehin nie darüber nachdachte - und bemüht war, nie darüber nachzudenken.
Aber in diesem Zusammenhang war diese Bemerkung fast eher schon goldig, also dementsprechend nicht direkt ernst zunehmen. Belustigt sah Phaeneas Raetinus an. Es war wirklich nett von ihm, dass er ihn aufheitern wollte, aber wenn Phaeneas sich über alles den Kopf zerbrechen würde, weswegen er sich mit gutem Grund Sorgen machen könnte, dann wäre er mit den Nerven schon längst am Ende.Tja, im Übrigen war Raetinus ein Soldat, er konnte schon leicht einem Sklaven, den er kaum kannte, die Freiheit versprechen, weil er ja im Castellum ohnehin keinen hatte. In einem großen Haushalt war das schon schwieriger.
„Du würdest einen dir nur flüchtig bekannten Sklaven, dessen Arbeitshaltung du nicht kennst, von dem du nicht weißt wie er wirklich zu dir steht und ob er sich überhaupt je verdient gemacht hat, einfach so freilassen?“ Phaeneas klang amüsiert, während er sprach. -
Phaeneas sah den Herrn lächeln. Er hatte so eine amüsierte Art zu lächeln, als würden sich vor seinen Augen sämtliche Eigenheiten dieser Welt offenbaren. Ihm selbst war noch nicht recht danach. Wegen so einem Unsinn hatte er sich aufgeregt!!
Crinon, nun gut. Phaeneas hätte das ganze zwar noch gut weiter in Frage stellen können, aber gut, ganz wie der Herr wollte.
"Ich hole ihn, Herr", bestätigte er und ging davon. -
„Ach so!“, formulierte Phaeneas die Erkenntnis, die sich in diesem Augenblick in seine bisherige Kenntnis der Dinge einflocht. Jetzt ging ihm einiges auf! Dieses Klatschblatt, das sich als seriöse Berichterstattung ausgab, war also schuld. Und die Leute ließen sich davon auch noch so beeinflussen! Kurzsichtigkeit, gepaart mit Dummheit, sozusagen ... oder lieber Naivität?
„Jetzt begreife ich. Und deswegen schrecken sich die Leute...“ Und er schob eine „leicht“ sarkastische Frage nach: „Wozu sollte dieses Blatt eigentlich noch einmal da sein, Herr?“ -
Als Phaeneas Raetinus’ Worte hörte, war er zuerst ein bisschen enttäuscht. Darauf hätte er auch selber kommen können, bei einem Soldaten...
Dazu schien Phaeneas zu sehr in seiner Welt zu leben. Er, der er sich nichts weiter wünschte, als den nächsten Tag noch halbwegs friedlich zu erleben. Der er nie der Angreifer, wie auch nie der sich Verteidigende war, immer nur der, der zurücksteckte. Ehrenvolle Absichten gab es da nicht. Sich für andere einzusetzen, geschweige denn für andere zu kämpfen, war meistens herzlich sinnlos. So akzeptierte man schnell die Hilflosigkeit gegenüber dem Schicksal...
Nachdem Phaeneas die leichte Enttäuschung verdaut hatte, machte er sich doch noch daran, noch einmal zu überlegen, was Raetinus eigentlich genau gesagt hatte.
Sinn und Dienst ... das war es also, was ihn angetrieben hatte. Dienst für andere, wohl gemerkt. Schließlich schützte er das römische Imperium. Herrje, was diese Soldaten sagten, klang wirklich schrecklich ehrenvoll. Aber Phaeneas würde dem Militär gegenüber trotzdem misstrauisch bleiben.
„Du glaubst also, deinen Sinn restlos gefunden zu haben?“, hakte Phaeneas nach.