Beiträge von Aurelia Sisenna

    Mehr als einmal hatte Onkel Cotta in Sisenna große Erwartungen über die Ankunft gleich vieler Familienangehöriger aus Germanien geweckt, sie sogar ins Unermessliche gesteigert. Sie opferte am Hausaltar Teile ihres Frühstücks, betete lange und hoffte, damit die Götter zur Heimkehr ihrer Mutter und ihres Vaters bewegen zu können.


    An dem bewussten Tag wurde sie ausgerechnet in dem Moment gebadet, als die Kutschen vorfuhren. Sie trieb die Sklavinnen an, sich zu beeilen, aber das Abtrocknen und neu Einkleiden dauerte länger als es ihr lieb war. Sie zappelte vor Ungeduld, was die Sklavinnen eher behinderte als vorantrieb. Als sie der Meinung war, fertig zu sein, lief sie los, riss die Tür auf und rannte in das Untergeschoss, aus dem Stimmen zu ihr drangen. Die noch nicht gebundene Kordel ihres Kleides flatterte in ihrem Rücken.


    Außer Atem erreichte sie das Triclinium und prallte gegen einen der Sklaven, der sich gerade anschickte, mit leeren Tablett in die Küche zurückzukehren.


    „Au!“, rief sie in weinerlichem Ton und fasste sich an die schmerzende Stirn, die an die Tablettkante gestoßen war. Mit der anderen hand schubste sie den Sklaven zur Seite, was mehr dessen Schreck als ihrer Kraft zu verdanken war.


    Ihr Blick wanderte von einem zum anderen. Zwar entdeckte sie ihre Schwester, aber von Mutter und Vater fehlte jede Spur.


    „Ihr habt sie nicht mitgebracht“, resümierte sie vorwurfsvoll, während sie noch immer die Hand an die Stirn drückte.

    Sisenna fuhr jämmerlich zusammen, als es an der Tür klopfte, denn sie hatte etwas Verbotenes gemacht. Sie wusste, dass die Sklavinnen immer mit ihr schimpften, wenn sie die Schnecken mit in ihr Zimmer nahm, aber heute hatte sie keiner dabei beobachtet, wie sie, in jeder Faust eine Schnecke, in ihr Zimmer geschlichen war. Gerade wollte sie in die eigens für ihre Lieblinge errichtete Kuschelecke ein – ebenfalls heimlich stibitztes – Salatblatt legen, auf das ihre beiden Lieblingsschnecken Cicero und Icela diese Nacht schlafen sollten, als das Klopfen erklang.


    „Huh!“, entfuhr ihr. Erschrocken riss sie die Augen auf, sprach hoch und drehte sich um, während sie vorsichtig ihre Gefährten schützend umschloss. Mit hochrotem Gesicht, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, sah sie mit noch immer geweiteten Augen ihrem Onkel entgegen, als er das Zimmer betrat.


    Ihr Verstand war vor Schreck blockiert. Sie nahm kaum wahr, wie gut die Nachrichten waren, aber sie nickte eifrig, um den Onkel hinzuhalten oder abzulenken oder beides zusammen. Als er jedoch ein Geschenk erwähnte, war sie wieder hellwach, machte Stielaugen und hob neugierig ihren Kopf. Dummerweise konnte sie das Geschenk nicht entgegennehmen, denn ihre Hände waren ja voll. Sie war in einem großen Zwiespalt, weil sie zu gerne gewusst hätte, was in dem Päckchen verborgen war. Andererseits konnte sie unmöglich ihre beiden Lieblingsschnecken verraten.
    Daher blieb sie unverwandt stehen und ließ sich die nächste Überraschung in Form einer neuen Sklavin präsentieren. Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die junge Frau. Ob die spielen konnte? Ob die Schnecken mochte? Ihr Kopf neigte sich seitlich, so als könne sie mit dieser Sichtweise ihre Fragen besser beantworten.


    „Ich kann ihr das Sprechen lernen. Bestimmt heißt sie nicht Cadha, sondern spricht das nur falsch aus. Lass sie uns ‚Cata’ rufen.“ Sisenna war überzeugt, dass sie Recht hatte. Cata war römisch, alles andere war falsch. Und wie zu ihrer Bestätigung sprach die Sklavin anschießend die Begrüßung mit einem ungewohnten Akzent. Da würde sie noch viel Arbeit haben, wenn das mal mit der Sprache klappen sollte.


    Noch immer stand sie unschlüssig im Raum. Sie konnte weder das Geschenk annehmen noch den Onkel begrüßen. Ja, wenn er gehen würde, dann … Die Sklavin würde sie nicht stören, wenn sie ihre Lieblinge aus den Händen entließ, sie würde schon einen Weg finden, um sie zur Verbündeten zu machen.

    Sisennas Hand griff nach der - aus ihrer Sicht - großen Pranke Cottas. Sie legte ihr ganzes Gewicht in den Zug und erhoffte sich, dadurch Cotta von der Stelle zu bekommen. Sie wollte ihm ihr kleines Schneckenparadies zeigen. In Ermangelung von Spielkameraden hatte sie Schnecken mit Haus gesammelt, ihnen einen Miniaturgarten gebaut und sie jeden Morgen mühsam wieder zusammengetragen, weil ihre Zöglinge nachts auf Wanderschaft gegangen waren. Wunderschöne Exemplare hatte sie bereits gefunden. Besonders diejenigen in reinem Gelb und Rot hatten ihr es angetan. Aber es gab auch eine Vielzahl an getreiften, die in ihrer Vorstellung die Sklaven der anderen waren. Manche der Sklavenschnecken besaßen Kinder, die roten und gelben hingegen waren kinderlos. Sisenna fand, Herrschaften sollten keine Kinder in die Welt setzen, weil sie sich ohnehin nicht um sie kümmerten. Die einfachen Frauen, die Sisenna nur von weitem betrachten durfte, führten oft Kinder an der Hand und neben ihnen ging ein Mann. Manchmal wünschte sie sich, das Kind einer Bürgerlosen zu sein, nur damit sie eine Mama und einen Papa hatte.


    Sie näherten sich der Gegend, in denen Sisenna ihre Schätze verbarg. Es war der wohl am dichtesten bewachsene Teil des aurelischen Gartens.


    „Es ist ein Geheimnis, du darfst es niemanden verraten“, beschwor sie ihn während des Laufens.


    Hoffentlich war Onkel Cotta zuverlässig und verriet sie nicht an jemanden, der ihr dieses Spiel verbot. Sie warf ihm noch einmal einen nachdenklichen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass sie auch das Richtige tat, dann zog sie ihn in das Gebüsch, ohne darüber nachzudenken, dass er erheblich größer als sie war und demzufolge nicht ohne weiteres in den niedrigen Gebüschtunnel passte.

    Sisennas Augen waren auf Cotta gerichtet, als er über den Brief berichtete. Sie hörte die Namen von Frauen, die sie sicherlich schon einmal gesehen hatte, aber erinnern konnte sie sich nicht. Zumindest war dies bei Deandra und Prisca der Fall. Es spielte zudem keine Rolle, ob sie diese Frauen kannte, denn alles was zählte, war die Tatsache, dass sie nicht hier in Rom, sondern irgendwo waren. Cotta hätte ihr berichten können, dass Sisenna so viele Geschwister hatte wie es Sklaven in der Villa gab – es hätte sie nicht getröstet. Er war da, war greifbar, stand zur Verfügung, kümmerte sich.
    Sie war einverstanden mit dem Vorschlag, nun schlafen zu gehen, reckte beide Arme nach oben und ließ sich hochheben. Im Laufen schlang sie die Arme um seinen Hals und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Cotta so bis Mantua laufen können.


    „Du bleibst so lange, bis ich eingeschlafen bin?“, murmelte sie schlaftrunken. Ein Gähnen, das ihre Entspannung zeigte, schloss sich an. „Mama hat immer gewollt, dass ich ihr zuhöre und nicht selber Geschichten erzähle.“ Manchmal wunderte sich Sisenna über Onkel Cotta. Er schien nicht zu wissen, dass man vom Erzählen wach wird. Nur Zuhören schläferte ein. Das Herumtragen allerdings gefiel ihr. Onkel Cotta war stark, bestimmt war er ein Held. Sisenna lächelte mit geschlossenen Augen.

    ... und als Cotta die Tür des Officiums öffnete, wäre er beinahe über Sisenna gestolpert. Sie konnte nicht einschlafen. Immer wieder kam ihr der Satz in den Kopf, den Onkel Cotta ihr im Garten gesagt hatte, den sie aber nicht verstehen konnte, und obwohl sie sich vorgenommen hatte, nie wieder nachts unartig aufzustehen, weil sie ja annahm, dass dies ein Grund für das Wegblieben ihres Vaters war, zog es sie zu ihrem Onkel hin.


    Zuerst war sie in sein Zimmer gegangen. Ganz leise schlich sie dabei über den Gang, damit keiner der Sklaven sie bemerkte. Doch das Cubiculum war noch leer. Sie seufzte und zog die Tür leise ins Schloss. Als nächstes lief sie zum Triclinium, doch das lag verlassen, das Licht war bereits gelöscht. Mit ratloser Miene stand sie viele Augenblicke im dunklen Gang, lauschte in die Stille, versuchte die Angst zu unterdrücken, auch wenn es nur teilweise gelang. Sie wollte unentdeckt bleiben, also wehrte sie die gespenstischen Schatten der Büsten und Bodenvasen ab, indem sie einfach die Augen schloss.


    Plötzlich kam ihr der rettende Einfall: Sie war doch heute schon einmal in einen Raum geführt worden, den sie zuvor nicht kannte. Dort war er, ganz bestimmt. Dort musste er sein. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen und suchte in den vielen Gängen nach diesem Officium. Als sie es fand, traute sie sich jedoch nicht hinein. Was, wenn auch dieser Onkel wieder verschwand, nur weil sie nicht artig im Bett liegen geblieben war? Nicht auszudenken. Sie wollte bereits wieder umdrehen, als sich die Tür öffnete und Onkel Cotta wie ein riesiger Schatten im Türbogen stand. Sie blieb erstarrt stehen und schaute ihn an.

    Sisenna bekam Angst, als der Onkel sie so eindringlich ansah. Ihr Kopf kroch zwischen die Schultern und sie schaute ihn mit großen Augen an, als er sprach. Und er erzählte böse Sachen ... Ihre Hände pressten sich irgendwann gegen die Ohren, denn sie wollte es nicht mehr hören, was er noch zu sagen hatte. Warum sprach er so böse über ihre Mama? Warum sagte er, sie würde nicht wiederkommen. Mama war immer da gewesen, nur der Papa nicht.


    Ihr Blick streifte nach kurzem über Cottas Gesicht, wanderte zu Boden, um ihm dann doch wieder in die Augen zu schauen.


    „Mama kommt ganz bestimmt wieder“, sagte sie mit Überzeugung, nachdem sie die Hände neben sich auf die Bank gestützt hatte. Dann sprang sie auf und rannte ein Stück fort. Nach wenigen Doppelschritten hielt sie an, wendete sich um und neigte den Kopf seitlich zur linken Schulter. „Kommst du spielen?“

    Das kleine Mädchen hob sein Knie auf die Sitzfläche der Bank, stieß sich vom Boden ab, landete auf dem Po und legte Wert darauf, ohne fremde Hilfe sich zurechtzurutschen. Sie legte die Hände in den Schoß und hörte anfangs den Erzählungen Marons nur mit halbem Ohr zu. Bald jedoch beschäftigten sich ihre Gedanken mit Odysseus und Penelope.


    „Meinst du, mein Papa wird eines Tages auch wiederkommen?“
    Bei diesen Worten blickte sie ihn hoffnungsvoll an. Auch als er fortfuhr, wandte sie den Blick nicht mehr. Man konnte ihr ansehen, dass es hinter ihrer Stirn arbeitete, weil die Augen zeitweise in nahe Baumwipfel blickten, um sodann einen Bogen zu beschreiben, ohne jedoch aufzunehmen, was sie dabei sah.
    Sisenna hatte Frauen stets als lieb erlebt, aber Männer nur als unzuverlässig. Auch Penelope passte in dieses Bild. Warum Odysseus sie nicht verdient hatte, wo er doch wenigstens zurückkam, konnte sie nicht mehr erfragen, weil Onkel Cotta eintraf. Er tauschte den Platz mit Maron und sie lauschte, ohne ihn anzublicken. Er entschuldigte sich, das war neu. Gab er sich etwa Mühe, sie zu verstehen? Schließlich reichte er ihr wieder seine Hand, die Sisenna aber dieses Mal nicht ergriff, ganz so schnell verzieh sie nicht.


    Dass sich auch Helena nicht um sie kümmerte, verdrängte sie, als Cotta ihren Aufenthalt in Germania erwähnte. Frauen waren gut, er sollte ihr Bild nicht zerstören. Oder irrte sie in diesem Punkt? War im Grunde wirklich niemand gut und zuverlässig und treu und...und…?
    Sie begann, nervös mit den Beinen zu schaukeln, als er ihre Eltern erwähnte und kurz darauf stockte. Sie selbst kam auch oft ins Stocken, wenn sie versuchte zu schummeln. Ob er jetzt log? Ihre Augen richteten sich in einer langsamen Kopfbewegung auf ihn, musterten ihn. Nein, er sprach die Wahrheit.


    „Ich weiß, dass uns Papa verlassen hat. Alle Männer sind so“, erwiderte sie trotz der leisen Stimme mit Bestimmtheit. Nichts und niemand konnte sie vom Gegenteil überzeugen, wobei sie immer wieder grübelte, warum sie ihn vergrault hatte. Ja, sie war nicht immer lieb gewesen, hatte manchmal nicht gehört, wenn er gerufen hatte, war auch mitunter trotzig gewesen, wenn sie den Willen nicht bekommen hatte, ihre Kleider waren nicht immer sauber geblieben, sie war nachts aufgestanden, als sie schlafen sollte. Jetzt wünschte sie sich, sie wäre wie ein Püppchen gewesen und still sitzen geblieben, wo auch immer man sie hingesetzt hätte.


    Über die Nachricht wegen ihrer Mama schwieg Sisenna, weil sie sie nicht verstand. Ihr Blick, mit dem sie Cotta betrachtete, drückte Unwissenheit und gleichzeitig Abwehr aus. Sie wollte nicht, dass er etwas Böses über ihre Mama sagte. Sie war lieb, sie hatte sich stets um Sisenna gesorgt. Nur eben jetzt war sie…krank.

    Abgeschoben in den Garten



    Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, als Maron sie einholte, und er blieb es auch, als sie gemeinsam in Richtung Hortus liefen. Wieder hatten sie Gedanken eingeholt, die sie sonst mit aller Macht zur Seite schob. Vielleicht lag es ja doch an ihr, dass Papa die Familie verlassen hatte, wenn sich nun auch Cotta nicht wie versprochen um sie kümmern wollte. Was aber war an ihr falsch? Langsam zweifelte sie daran, liebenswert zu sein, dabei gab sie sich solche Mühe.


    Sie wünschte sich, dass jemand für sie da war, und Onkel Cotta hatte ihr gut gefallen. In ihren Träumen begegnete ihr oft ein Papa, der ganz alleine für sie da war, der kein anderes Kind beachtete, der ihr immer zuhörte, sie verstand, oft lobte, sie drückte, aber die Wirklichkeit sah anders aus. Inzwischen sah sie bereits in Vertröstungen eine Ablehnung, in Schweigsamkeit eine Zurückweisung, in der Einsamkeit eine Strafe. Dabei brauchte sie Beständigkeit, Fürsorge und das Gefühl, für jemanden wichtig zu sein - vor allem wollte sie für jemanden wichtig sein.
    Wenn sie gefragt wurde, sagte sie jedoch stets mit Bestimmtheit, sie bräuchte keinen Papa. Es lebe sich viel besser, wenn keiner da ist, der viel verbieten kann.


    Als sie schließlich den Kopf hob, drückte ihr Gesicht weder Traurigkeit noch Freude aus. Eine emotionslose Maske, die sie aufzusetzen gelernt hatte.


    „Es ist mir egal, dass du nicht singen kannst“, erwiderte sie, ohne Maron anzublicken.

    Sisenna hatte zwar die dargebotene Hand gesehen, hörte sich aber zunächst an, was der Onkel sagen wollte. War er überhaupt ein Onkel? Doch, bestimmt. Alle Erwachsenen waren Onkel oder Tanten. Nur die älteren hießen immer Großmutter und Großvater. Sie schob den Kopf vor und kontrollierte bei dem ohnehin nah vor ihr hockenden Cotta das Gesicht auf das Vorhandensein von Falten, fand aber kaum welche. Er war also ein Onkel. Nach der Überprüfung stellte sie sich wieder gerade hin.


    Das Versprechen, auf sie aufpassen zu wollen, klang gut, auch wenn es schon viele zu ihr gesagt, aber nie dauerhaft getan hatten. Sie fasste Vertrauen und legte ihre Hand vorsichtig in Cottas. Er schickte anschließend ihren Prätorianer fort und winkte einen anderen Sklaven heran. Sisenna, die nicht mehr gewöhnt war, dass jemand das Heft in der Hand hielt, Anweisungen erteilte, koordinierte, war von diesen einfachen Handlungen derart beeindruckt, dass sie mit leicht geöffnetem Mund alle Vorgänge verfolgte.


    Um Maron anschauen zu können, musste sie wieder den Kopf in den Nacken legen. Bisher hatte sie noch nie einen Mann singen hören.
    „Du kannst singen?“, fragte sie mit zusammengezogenen Brauen, was ihrem Gesicht eine große Portion Skepsis gab. Noch vor der Antwort schaute sie Cotta wieder an.


    „Warum passt du denn nicht auf mich auf?“ Wieder kamen die Zweifel. Gerade noch hatte der Onkel versprochen, auf sie aufzupassen, sie hatte ihm geglaubt und nun gab er diese Aufgabe schon wieder ab. Sie zog ihre Hand zurück und legte sie auf den Rücken. So war das immer mit den großen Leuten: Nie hielten sie ihre Versprechen, immer enttäuschten sie. Keiner blieb da, niemand kümmerte sich. So schnell wie Cotta hatte aber noch keiner seine Versprechen gebrochen. Und nun schob er sie mit dem neuen Sklaven in den Garten ab.


    Sisenna sagte nichts, schaute den Onkel nur aus traurigen Augen an. Schließlich drehte sie sich herum und ging langsam aus dem Raum.



    edit: Link eingefügt

    Ihre Wortlosigkeit, die nicht einmal einen Gruß für Cotta zustande brachte, rührte daher, weil sie im Stillen mit ihren Eltern gerechnet hatte. Ihnen wollte sie nicht um den Hals fallen, daher die Maskerade als distanzierte Kindkaiserin. Sie war enttäuscht – von ihren Eltern, die sie so lange alleine ließen, und über den Besucher, der sich nicht als Papa erwiesen hatte.


    Mit etwas allerdings hatte ihr Verwandter punkten können: Er hatte ihr Spiel mitgespielt. Sie hielt die gestellte Situation weiterhin aufrecht, weil sie sich dahinter verstecken konnte.
    „Wenn deine Lolität dem Kaiserhaus gegenüber erwiesen ist, darfst du gerne bleiben“, entschied sie nach kurzer Überlegung, während ihre großen Augen den Verwandten betrachteten, bis schließlich ihre Abwehr zusammenbrach. Ihre Körperhaltung fiel zusammen und der kindlich hochmütige Gesichtsausdruck verwandelte sich in den eines kleinen Mädchens, das nur gezwungenermaßen schon viel zu selbstständig war.


    „Du bleibst jetzt hier?“, fragte sie mit piepsiger Stimme, die den Zweifel deutlich werden ließ, den sie inzwischen in die Zuverlässigkeit von Menschen hegte. Eine weitere Frage brannte auf der Seele und musste raus:
    „Sind Mama und Papa mitgekommen?“ Eine Mischung aus noch vorhandener Hoffnung und gleichzeitig Resignation darüber, dass sich der Besucher als für sie fremd erwiesen hatte, schwang in den Worten mit. Und als ob sie die Antwort gar nicht hören wollte, weil sie bestimmt ihre letzte Hoffnung zerstörte, fuhr sie den dunkelhäutigen Sklaven an:


    „Man soll nicht tuscheln!“ Die Belehrung beinhaltete auch den Ärger darüber, weil sie nichts verstanden hatte. Allerdings wirkte ihr Unmut eher putzig. Stimme und Auftreten waren kaum ernst zu nehmen, aber ihr Wort galt trotzdem bei den Sklaven, das hatte sie schnell gemerkt.


    Sie blickte auch an Cotta vorbei, denn sie wollte seine Antwort nicht hören. Warum hatte sie die Frage bloß gestellt?


    „Hast du schon meine bemalte Truhe gesehen?“, fragte sie in dem Versuch, durch ihn durch eine Sprachlawine von einer Antwort abzuhalten. „Weißt du, was es heute zu essen gibt? Kannst du Geschichten erzählen? Spielst du mit mir?“

    Inzwischen hatte sich Sisenna an die Grabesstille in der Villa gewöhnt. Wenn jemand schrie, dann war es stets sie selbst. Sie verdrängte, dass sich niemand um sie kümmerte, dass es niemanden für Trost und Anleitung gab, dafür spielte sie als Ersatz sie sei die Kaiserin und die Villa ihr Palast.


    Als das Getöse im Vestibulum erklang, schritt sie erhobenen Hauptes den Gang entlang. Den ersten Sklaven, den sie traf, stellte sie mit eingestützten Armen zur Rede.


    „Wer wagt es, in meinen Palast einzudringen? Haben denn die Wachen nicht aufgepasst? Ich lasse sie kreuzigen!“ Irgendwann hatte sie diesen Ausdruck aufgeschnappt, ihn zwar nicht verstanden, aber weil er Angst einzuflößen schien, wendete sie ihn manchmal an. Es war ja auch niemand da, um ihn ihr zu erklären.


    „Der Herr Cotta ist eingetroffen“, erklärte der mehr als dreimal so große Sklave, und Sisenna schaute ihn verständnislos mit in den Nacken gelegten Kopf an. Ihr Mund stand auf, die Augen suchten an verschiedenen Stellen der Decke die Erklärung für diese Auskunft. „Ääääh, … ich bin einverstanden, ich gebe eine Autijenz“, sagte sie schließlich, und meinte Audienz. Weil sie aber nicht wusste, wie eine solche Kaiserhandlung aussah, stand sie vor dem nächsten Problem.


    „Du spielst jetzt den Pretorier“, wies sie den Sklaven an, der diese Spiele inzwischen kannte und sich umgehend aus der Waffensammlung des Hauses einen Gladius nahm. Sich zu weigern, hatte sich stets als wirkungslos erwiesen, also mimte er auch heute den Prätorianer.


    Begleitet von ihrer Eskorte, bestehend aus einem Mann, betrat Sisenna wenig später das Arbeitszimmer. Unschlüssig blickte sie den ihr fremden Mann an.

    Sisenna war hochgradig begeistert von der Wirkung des aus der Not geborenen Erstickungsanfalls auf die Sklaven, auf Leni und auf Stella. Staunend beobachtete sie die Vorgänge um sich herum, fast vergaß sie das Atmen, der Mund stand offen. Sie sah, wie die Sklaven davon stürzten, hörte wie Leni herumkommandierte und wie Stella kreischte, als ginge es um ihr Leben.


    Sie war noch gänzlich in die Beobachtung vertieft, als ein Ruck durch ihren Körper ging. Zwei Mädchen zogen mit vollem Einsatz an ihren Armen, der Oberkörper folgte zwangsläufig, aber die Beine blieben stehen.


    "Aaaah, nicht so schnell!", rief Sisenna, die nur durch den Halt der gefassten Hände vor einer Bauchlandung bewahrt blieb. Nach einigen Schritten, in denen sie der Waagerechte näher als der Senkrechte war, hatte sie sich gefangen.


    Der erstaunte Gesichtsausdruck, der erneut auftrat, resultierte dieses Mal aus dem Erlebnis, in nie geahnter Geschwindigkeit, mehr fliegend als laufend, eine Rekordstrecke zurückgelegt zu haben. Sie war daher kaum außer Atem, als sie zwischen den Pferdebeinen Unterschlupf suchten. Während sie eine Hand auf dem Knie abstützte, suchte die andere Halt an der breiten Pferdebrust - jedoch erst als die beiden Sklaven außer Sichtweite waren, spürte sie wie verschwitzt dieses Zugtier war, zog ihre Hand zurück, betrachtete den Schmierfilm darauf und rümpfte die Nase.


    "Ix, wie eklig!", sagte sie angewidert, während sie noch immer auf den Handteller starrte. "Wo schmiere ich das denn jetzt ab?"
    Schließlich fiel ihr wieder die prekäre Lage ein, in der sie sich befand: Die beiden Mädchen wollten in den Kaiserpalast und sie sollte es ihnen als Kaisertochter ermöglichen.


    'Bitte, ihr Götter, noch einen Einfall dieser Güte', bat sie insgeheim, während sie auf Stellas Frage antworte.


    "Ich bin schon gaaanz viele Tage so alt", sagte sie, während sie ihre schweißverschmierte Hand, an der alle Finger abgespreizt waren, in die Höhe hielt. Augenblicklich hatte sie auch einen Einfall.


    "Wenn wir jetzt zum Kaiserpalast gehen, werde ich gaaanz schnell gefunden. Die Kaisersklaven suchen mich ganz bestimmt zu allererst dort." Sisenna nickte, um ihre Worte zu unterstreichen. "Lasst uns doch in dieses Haus rein gehen", flüsterte sie verschwörerisch. "Hier sucht mich bestimmt niemand."
    Sie warf einen rettenden Blick auf die Villa Claudia.

    Sisenna fand es noch nie gut, wenn andere tuschelten und sie nicht verstehen konnte, um was es ging. Unwillig zogen sich ihre Brauen zusammen, die sich aber samt Augen ungläubig weiteten, als der Teil der doppelten Erscheinung, der Leni hieß, behauptete, sie hätte ihren Sklaventross bereits abgehängt. Für Sisenna war das so unwahrscheinlich wie die Möglichkeit, dass die Sonne die Nacht durchschien. Zwar sah sie tatsächlich keine Sklaven, aber es konnte ja eine Angeberei des Mädchens sein. Bestimmt sogar war es das.


    Plötzlich ging alles sehr schnell: Das Mädchen, das Stella hieß, kam auf sie zu und fasste ihre Hand. Wie ein Kälbchen am Strick folgte sie ihr. Sie hatte auch keine andere Wahl, denn die andere zog sie einfach gegen ihren Willen mit. Die Erklärung, die ihr ins Ohr gewispert wurde, entschädigte aber für die Behandlung.


    "Und das klappt wirklich?" Sisennas Blick drückte neben der Skepsis auch Freude über die neue Erfahrung und die in Aussicht stehende Ungebundenheit aus. Sie blieb stehen und wisperte zurück: "Das können wir aber nicht gleich machen, denn meine Sklaven sind zwar langweilig, aber nicht dumm. Sie haben ja gehört, wie Leni den Vorschlag gemacht hat."


    Mit aufeinandergepressten Lippen nickte Sisenna mehrfach, sie sah dabei recht altklug aus. Schließlich beugte sie sich wieder an das Ohr des Mädchens und schottete Mund und Ohrmuschel mit der Hand ab. "Wir müssen erstmal ein Stück gehen."


    Doch Sisennas Sicherheit hielt nur für kurze Zeit, wie eine Ladung aus dicken Regenwolken brach die Ratlosigkeit über sie herein, als der Palast ins Sichtfeld rückte. Ihr fiel der Satz ihres Vaters ein, den sie schon manchmal gehört hatte. 'Lügen haben kurze Beine.'


    Sie schaute an sich herab und musste feststellen, dass ihre Beine noch immer nicht bedeutend länger geworden waren. Sie schwindelte wirklich nicht oft, aber die Erfahrung besagte, dass sie niemals damit durchkam, und doch hatte sie es wieder getan.
    Zuerst färbten sich ihre Ohrmuscheln rot, anschließend das Gesicht, doch plötzlich kam ihr ein rettender Einfall. Sie drehte sich den Sklaven zu und rief:


    "Ich bekomme keine Luft, was trinken."
    Bei ihrem hochroten Gesicht zweifelte keiner der Sklaven - einige liefen los, um Wasser zu beschaffen, andere stoben auseinander, um nach geeigneten Zweigen zu suchen, die als Wedel dienen konnten. Mit einem Mal war die Anzahl der Wachpersonen um mehr als die Hälfte reduziert.

    Während die beiden Mädchen sprachen, legte Sisenna mal die eine Hand und mal die andere vor ein Auge. Ihr war noch nie derselbe Mensch zweimal begegnet, daher dachte sie für geraume Zeit, dass sie doppelt sehen würde. Sie stützte die Arme in die Seite, spitzte nachdenklich den Mund und rollte mit den Augen hin und her, während sie nach einer Lösung für dieses Phänomen suchte.


    'Die Götter strafen mich', dachte sie zu allererst. 'Weil ich nicht artig zu Hause bleiben wollte.' Andererseits meinte sie, dass dies ja kein so schlimmes Vergehen sein könnte. Sie überlegte, was sie sonst noch Böses gemacht hatte. Sie hatte vor einer Woche mit dem Spielzeugstreitwagen ihres älteren Cousins gespielt und er war entzwei gegangen. Bisher wurde das Missgeschick von niemandem bemerkt, aber vor den Göttern, das wusste Sisenna, konnte man nichts verbergen. Vielleicht war aber auch die Rettung der Babymaus, die sie in die Speisekammer verfrachtet hatte, bei den Göttern nicht gut angekommen. Wen die Götter rufen, so hatte Papa immer gesagt, den darf man nicht aufhalten.
    Sie seufzte ratlos, aber in diesem Moment sagte das Mädchen, dass ihre rechte Ausgabe "Stella" und ihre linke "Leni" hieß.


    "Aha", erwiderte Sisenna, verstand nichts und beließ daher den Mund offen, der erst dann wieder zuklappte, als der Vorschlag, und dann noch aus zwei Mündern kam, sie solle das Haus des Augustus zeigen. "Ääääh…"


    Eigentlich grüßte man ja zuerst, so hatte es Sisenna gelernt, aber sie konnte sich bislang nicht entscheiden, ob sie "Salve" oder "Salvete" sagen sollte. Daher ließ sie es ganz sein. Als die eine Ausgabe des Mädchens den Schnodder in ihrer Nase hochzog, machte Sisenna zunächst große Augen, kräuselte aber alsbald die Nase. Das war eklig, fand sie.


    Noch immer wusste sie nicht, wie sie am besten mit dem Vorschlag der Hausbesichtigung umgehen sollte. In der Villa wohnte doch gar nicht der Augustus! Ob ihr die Sklaven vielleicht nützlich sein konnten? Sie drehte sich flüchtig mit dem Oberkörper um.


    "Mein Papa ist nicht zu Hause", sagte sie schließlich wahrheitsgetreu. "Und ich glaube nicht, dass ihr die Sklaven verjagen könnt", flüsterte sie, indem sie zusätzlich die Hände an den Mund hielt, damit kein Ton seitlich entwischen konnte.

    Zitat

    Original von Purgitia Lenaea
    "HEEEY! Bist du das Kind vom Augustuuuuus?", rief sie um auch gehört zu werden.


    Mitten in der Bewegung hielt Sisenna inne, drehte den Kopf und legte ihn so weit zur Seite, dass er schon fast die Schulter berührte. Ein verlegenes Lächeln umspielte ihren Mund, als sie die beiden Mädchen betrachtete.
    Während sie über eine Antwort auf diese wirklich schwere Frage nachdachte, schwenkte sie in den Schultern hin und her, was ihre Unsicherheit zeigte. Nach kurzem Zögern nickte sie heftig. Ein wenig schummeln würde hoffentlich nicht schlimm sein. Sie wollte nur austesten, was passiert, wenn sie als Augustuskind gehalten werden würde.


    "Und wer seid ihr?", fragte sie möglichst schnell nach ihrer mutigen Antwort.


    Ihre Hände waren ineinander verschlungen. Sie hielt sie vor dem Bauch, bis die Verlegenheit zu groß wurde und sie den rechten Daumennagel an die Lippen drückte. Sie hielt den Kopf leicht gesenkt, weil das schlechte Gewissen sich bereits breit machte, und blinzelte die Mädchen mit nach oben gerichtetem Blick an.
    Die Schar Sklaven hatte sie vergessen.


    edit: Zitat eingefügt.

    Sisenna hatte lange in Mantua gelebt und durch den Umzug nach Rom sämtliche Spielkameradinnen eingebüßt. Wenn sie heutzutage nicht alleine spielte, gab sie Sklavinnen in lockerer Folge die skurrilsten Anweisungen, um eine Art von Unterhaltung zu haben. Mal mussten sie auf allen vieren durch das Atrium tigern, mal wie eine Maus oder ein Bär singen, dann wieder Tänze darbieten oder Tierstimmen nachmachen. Am liebsten jedoch ließ sich Sisenna Geschichten erzählen, denen sie mit geöffnetem Mund lauschte, bei denen sie an den spannenden Stellen oft schlucken musste, sie die Augen aufriss und die Hand vor den Mund schlug.


    Am heutigen Tag wusste sie jedoch nichts rechtes mit sich anzufangen. Sie quengelte, weil die riesige Villa gähnend leer war und Abwechslung nicht in Aussicht war. Endlich gab man ihrem Drängen nach und gestattete ihr, von einer Schar Sklaven begleitet, durch das Villenviertel zu streifen. Sie machte sich einen Spaß daraus, mal gaaanz langsam zu gehen und dann wieder einen kurzen Spurt einzulegen. Wie eine Herde Schafe liefen die Sklaven mit, wenngleich um Momente verzögert. Ihr Lachen über das kurios wirkende Benehmen ihrer Begleiter erklang hell, der Wind trug es gen Norden.

    Nochmals danke für die umfassende Erläuterung. :)


    Ich würde sehr gerne, um erst gar nicht in irgendwelche Verlegenheiten zu kommen, das Kind von Aurelius Cicero sein. Bitte kann noch einmal jemand den Stammbaum dahingehend ändern? Vielen Dank im Voraus.

    Danke für diese ausführliche Auskunft! :)


    Nun hätte ich ja nicht gedacht, dass meine Anmeldung so viele Fragen aufwirft, aber ich hab da mal noch eine. Und weil sie ja vielleicht auch andere Spieler betreffen könnte, stell ich sie einfach hier, ja?


    In den SR steht, dass man kein Kind mehr unter einem verstorbenen "Senator" (Ordo/Stand, ihr wisst schon) anmelden darf. Gilt das auch für weibl. IDs, die ja aus dem Ordo keine CH-Vorteile ziehen können? Wenn ja, dann hat die Aurelia nämlich bald ein Problem, denn wenn Cicero auch noch wegfällt, gibt es fast ausschließlich nur noch "senatorische" Eltern.




    Ich möchte die endgültige Klärung Sisennas Verwandtschaft betreffend bis auf die Beantwortung meiner Frage und einige Rücksprachen mit Spielern zurückstellen. Bitte habt dafür Verständnis.

    Entweder war sie während der Fahrt durch das lange Sitzen kleiner geworden oder die Türklinken waren in Rom höher angebracht. Sisenna musste sich recken, um an das kühle Metall zu kommen. Als sie endlich die Klinke nach unten gedrückt hatte, verlor sie das Gleichgewicht, pralle gegen das Holz und das Schloss rastete wieder ein.


    "Mist!", murmelte Sisenna und stellte sich erneut auf die Zehenspitzen. Dieses Mal war sie vorsichtiger. Als die Tür einen Spalt breit aufging, schob sie ihre kleinen Finger hinein und zog sie weiter auf. Gerade mal der Kopf passte nun hindurch, als sie in das Zimmer lugte.


    "Salvete", sagte sie und lächelte süß.

    Es waren betrübliche Ereignisse, die für die Reise nach Rom verantwortlich waren: Sisennas Mutter war vor kurzem verstorben. Das kleine Mädchen konnte diese Tatsache weder begreifen noch akzeptieren. Sie reiste mit der unausgesprochenen Hoffnung in die Geburtsstadt ihrer Mutter, um diese dort wiederzusehen. Begleitet wurde sie von einer erheblichen Anzahl von Sklaven, die nicht so sehr für ihren Schutz tatsächlich nötig gewesen wären, aber der kompletten Auflösung des aurelischen Haushalts in Palmyra zuzuschreiben waren.


    Sisenna empfand die Überflutung mit Nachfragen, die ihr Ruhe- und Nahrungsbedürfnis sowie sämtliche Sonderwünsche bezüglich Unterhaltung und Ablenkung betrafen, mehr und mehr als lästig. Immer häufiger ließ sie Fragen unbeantwortet, drehte demonstrativ ihren Kopf weg oder schlich sich, dort wo es möglich war, aus penetranten Bewachungssituationen davon.
    Besonders in den letzten Tagen hatte sie aus ihrer Sicht nützliche Überlebensstrategien gelernt: Je braver sie wirkte, umso nachlässiger wurden die Betreuer. Diese Kenntnis machte sie sich zu Nutze, als sie die aurelische Villa in Rom erreichten.


    Artig blieb sie auf dem Sitzpolster der Reisekutsche sitzen, bis sie von helfenden Händen gefasst und auf den Boden gestellt wurde. Wie bestellt und nicht abgeholt stand sie für Momente, nur ihre Augen huschten flink über das Gebäude und die Außenanlage. Als eine große Hand in ihr Sichtfeld kam, griff sie zu und ließ sich zur Porta führen. Sie betrat das Vestibulum, ließ sich den Reisemantel abnehmen und … war in dem Moment verschwunden, als man ihr den Rücken zudrehte.


    In einem der Gänge streifte sie ihre Sandalen ab, um zwischen sich und der ausströmenden Sklavenschar einen möglichst sicheren Abstand bringen zu können. Auf Zehenspitzen schlich sie ein Stück, warf in den erstbesten Seitengang einen der Schuhe und in einen entfernten den anderen. Anschließend rannte sie lachend zu der sich anbietenden Treppe und gelangte unbehelligt in das Obergeschoss. Hier riss sie eine Tür nach der anderen auf und rief hinein: "Jemand da?"