Bereitwillig folgt Timokrates der Athenerin, nun nicht mehr ganz überzeugt, sondern lediglich noch versuchend, die Fassade des Charmeurs aufrecht zu erhalten und die sich dahinter aufblähende von Medeias Gebähren erzeugte Unsicherheit zu verbergen. Unsicherheit und das Wiederaufkeimen des tiefen Respektes vor ihr, den er bereits damals in Attika empfand. Medeia: Dieser Name stand in seinem Gedächtnis immer für das Gegenteil jener hübschen, fein drappierten, geistlosen und leicht zu habenden Puppengestalten, denen man mit der kleinsten Kleinigkeit ein albernes, verhaltenes Kichern entlocken konnte. Medeia war alles: Attraktiv, klug, temperamentvoll, verführerisch und sich dessen immer allzu bewusst. Und vor allem: Unberechenbar, geheimnisvoll, ihm immer eine Nase voraus. Sie war wie Feuer. Kein Mann in Athen, ob junger Student oder verheirateter Mann mit acht Kindern, dem sie, die einfache Hetäre, nicht das Herz gebrochen hatte. Während der ganzen Zeit in Athen, als es ihm oft genug so vorkam, als hätten sie ihr Leben miteinander geteilt, als wäre ihre Beziehung so innig und fest wie nichts anderes auf der Welt, hatte er dennoch immer das Gefühl, ihr unerreichbar fern geblieben zu sein, sie niemals wirklich knacken zu können. Waren sie sich überhaupt wirklich so nahe oder hatte sie es ihm nur vorgespielt, genauso wie sie mit so vielen anderen gespielt hatte in jenen Tagen in Athen?
Das sind so seine Gedanken, als er ihr zuhört, wie sie munter über das gesamte Sammelsurium von Obskuritäten, Ungeheuern und Wundern palavert, von dem die Schriften der Alten und Gesprächen der Wandernden und Seefahrer seit Beginn der Zeit unaufhörlich Zeugnis ablegen. Er hört nur halb zu und treibt so in Erinnerungen, während er sich auf der Parkbank langsam näher an sie heran tastet, als Medeia plötzlich das mühsam aufgebaute Band dieses gemeinsamen Treffen zerschneidet:
„Ich wiederum habe in der Tat erneut geheiratet.“
Dem Kyrener klappt die Kinnlade weit herunter und schließt sich auch nicht mehr als sie fortführt. Geheiratet... Rom... Kaiserhof... Politische Laufbahn... Das hätte er sogar Medeia nicht zugetraut!
Schnell zieht er seinen Arm, der sich in den letzten Minuten ganz unauffällig über die Banklehne in Richtung Medeias Nacken bewegt hatte, zurück und räuspert sich verlegen. Er setzt zum sprechen an, aber heraus kommt nur abermals ein verlegener Räusper. Er probiert es noch einmal, mit dem selben Resultat. Dann endlich gehorcht ihm seine Stimme wieder und er fragt, immer noch vollkommen fassunglos: "Du... Du bist jetzt also Rhomäerin? Wohnst in einem edlen Haus? Hast die Stufen römischer Politik erklommen? Ich mein, äh..." Ja, was meint er eigentlich? Fest steht auf jedem Fall, dass seine eigene Karriere seitdem ihm gar nicht mehr so groß erscheint. Diese Frau konnte ihm in allen Feldern das Wasser reichen. Nein, sie brachte es ungleich weiter. Wahrscheinlich war es damals gar nicht so, dass er sie verließ, sondern umgekehrt, sie sich ihm entledigen wollte. "Na, dann, Gratuliere. stöpselt er hervor und wünscht in Gedanken dem Glücklichen, der sie geheiratet hatte, irgendein hässliches und qualvolles Ende und zwar möglichst bald, in irgendeinem Wald Britanniens oder Germaniens, in den Bergen Armeniens oder in der Wüste Orsrohenes.
Aber Medeia lässt ihm keine Ruhe. Sofort fragt sie weiter. "Was ich so gemacht habe? Naja, nichts was der Rede wert gewesen wäre, ich meine, im Vergleich mit dem, was du gemacht hast..." Dann stockt er kurz. "Unsaubere Geschäfte?" und kommt wieder in Fahrt: "Die Menschen, die in Alexandria reich und einflussreich geworden sind, sind entweder selbst Verbrecher, Lügner, Betrüger, Mörder und Halsabschneider oder ihre Vorväter waren es vor unzähligen Generationen, wenn du das meinst. Da unterscheidet sich Alexandria wohl nicht sonderlich von Rom."