Beiträge von Gaius Tallius Priscus

    Und dann war es einfach vorbei. Priscus hatte seinen ehrenvollen Abschied erhalten. Einfach so, nach jahrelangem Dienst. Er hatte ja schon spekuliert, ob sie ihn hier als Leiche heraustragen würden oder ob er den Abschied bekommen würde, bevor es in den nächsten Krieg ging, aber jetzt kam es einfach so. Ein paar Kameraden wurden nach Rom versetzt, andere nach Germania, er in den Ruhestand.


    Sorgfältig, fast liebevoll, legte er das Löwenfell zusammen, das er die letzten Jahre als Signifer getragen hatte. Schon vorher hatte er sich vom ordnungsgemäßen Zustand seines Feldzeichens überzeugt und die Abrechnung der Kasse gemacht, um beides in einwandfreiem Zustand an seinen Nachfolger zu übergeben, genauso wie das Löwenfell. Andere Ausrüstung, die er nicht mit ins Zivilleben nehmen wollte, packte er zusammen und trug sie zur Fabrica, um sie zu verkaufen. Eine kleine Truhe hatte er sich schon gekauft, um seine Sachen darin zu verstauen und ein paar Kameraden halfen ihm jetzt mit einem kleinen Handwagen, alles zum Tor hinaus nach Mantua zu schaffen, wo sich Priscus erst einmal eine kleine Wohnung angemietet hatte.


    Die Legion lag hinter ihm. Er war gespannt, wie es weiter ging.

    Mit einem kurzen Abstecher zur Unterkunft führte Priscus' Weg vom Campus zum Fahnenheiligtum, nachdem der Tod des Cornelius Palma verkündet worden war. Andere Feldzeichenträger taten dasselbe, so dass sich bald eine größere Menge Unteroffiziere in der Pricipia befand, um sich um die Feldzeichen zu kümmern. Immerhin symbolisierte die Schwurhand an der Spitze der Zeichen die Treue zum Kaiserhaus und diese Treue galt es nun auch im Tode zu beweisen.


    Dementsprechend wurden die Kisten mit dem edlen Putzzeug herausgeholt, um die Metallteile der Feldzeichen zu polieren und die hölzernen Teile zu ölen. Zweige und schwarze Stoffstreifen als Zeichen der Trauer wurden an den Feldzeichen befestigt und natürlich wurde auch der kleine Altar im Fahnenheiligtum mit Opfergaben für die Manen des Kaisers bestückt. Die Stimmung unter den Männern war dabei eher von Betriebsamkeit als von Trauer geprägt, was der Ehrlichkeit der Handlungen aber keinen Abbruch tat.

    Ausgangssperre, Übungsdienst, Leichenschmaus. Priscus setzte diese Stichworte auf seine mentale Befehlsliste, denn diese Punkte waren es, auf die es ankam. Und so ein Antreten zum Leichenschmaus bedeutete für ihn und die anderen Signiferi natürlich auch, vorher die Feldzeichen noch einmal zu putzen und was sonst noch so dazu gehörte, um das Andenken an den verstorbenen Kaiser hoch zu halten. Zumindest solange, bis es einen neuen gab und dieser Anweisungen erteilte, wie wichtig ihm das Andenken an seinen Vorgänger war.


    Also machte sich Priscus vom Campus aus mit seiner Einheit erst einmal auf den Weg zu den Unterkünften, um sich dann gleich bei seinem Centurio abzumelden und mit dem Feldzeichen ins Fahnenheiligtum zu ziehen, wo er die anderen Feldzeichenträger traf, die ähnliche Pläne wie er gehabt hatten.

    Die Botschaft, die der Praefectus Castrorum überbrachte, überraschte sicher niemanden. Zumindest Priscus nicht. Und auch die Aufforderung, wie sich die Legion verhalten solle und was er von ihr erwarte, kam für Priscus nicht überraschend. Auch wenn die Legio I nicht wirklich eine Grenztruppe war, so war der Schutz Roms eben ihre wichtigste Aufgabe. Und die wollte Priscus gerne weiter erfüllen.


    "Vivat Roma!", stimmte er in den Ruf mit ein und streckte das Feldzeichen in die Höhe.

    Auf seinem Platz bei seinem Feldzeichen bei seiner Centurie stand auch Priscus und ließ das Geschehen über sich ergehen. Natürlich lag Spannung in der Luft, aber andererseits starben Kaiser nun einmal auch und dann musste man warten, bis es einen neuen gab. Besser so, als schon wieder in einen Bürgerkrieg zu ziehen. Nach allem, was er bisher gehört hatte, sah es nach letzteres bisher nicht aus und damit war er auch ganz glücklich.

    Für Priscus war es eine Mischung aus willkommener Abwechslung und lästiger Pflicht, dass die Legion jetzt zu einem Aufstand ausrückte. Abwechslung deshalb, weil sie etwas anderes zu tun bekommen würde als auf den üblichen Übungsmärschen und dem alltäglichen Lagerdienst. Lästige Pflicht deshalb, weil man mit so einem Einsatz wohl kaum Ruhm ernten konnte. Waren sie siegreich, war das nicht mehr als man von der Legio I ohnehin erwartete. Erledigten sie das Problem nicht binnen kürzester Zeit, machten sie sich lächerlich. Und wenn es ganz blöd lief, war der Aufstand schon wieder vorbei, bis sie da waren und der ganze Aufwand wäre völlig umsonst gewesen.


    Entsprechend gemischt gelaunt spazierte Priscus die Lagergasse seiner Einheit entlang, nachdem er mit seinen Kameraden gegessen hatte, und schaute nach den anderen Soldaten. Überall wurden die Kochstellen aufgeräumt und die Nacht vorbereitete. Die einen wischten Töpfe und Pfannen sauber, die nächsten bereiteten ihr Nachtlager im Zelt vor und wieder andere rüsteten sich für die erste Nachtwache. Ab und zu blieb Priscus stehen und wechselte ein paar Worte mit seinen Kameraden, dann kehrte er zu seinem eigenen Zelt zurück.

    Während an anderen Tischen der Praefectus Castrorum persönlich seinen Sold abholte, ging es bei Priscus wesentlich ruhiger zu. Ein Soldat nach dem anderen trat nach vorne, Priscus schaute ihn in seiner Liste nach und rechnete ihm vor, wieviel es zur Auszahlung gab.


    "Sold seit der letzten Auszahlung, abzüglich Kleidergeld, abzüglich Reparaturen, abzüglich Sterbekasse, abzüglich Feiertagsgeld, macht 173 Sesterze. Wieviel willst du bar? Der Rest kommt in die Sparkasse. Hier quittieren."


    Während der Soldat den Empfang quittierte, zählte Priscus den Betrag ab, zählten ihn dem Soldaten dann noch einmal vor und notierte den für die Sparkasse des Soldaten einbehaltenen Betrag. Dann rief er den nächsten nach vorne.


    "Sold seit der letzten Auszahlung, abzüglich Kleidergeld, abzüglich Reparaturen, abzüglich Sterbekasse, abzüglich Feiertagsgeld, abzüglich Darlehnsrückzahlung, macht 27 Sesterze. Wieviel willst du in bar? Rest kommt in die Sparkasse. Hier quittieren."


    Wieder lies er quittieren und zählte den Betrag ab, von dem diesmal nichts in der Sparkasse landete. Und schon kam der nächste dran.

    Nicht ganz so lautstark wie der Aquilifer, aber auch nicht weniger bestimmt, bahnte sich auch Priscus seinen Weg durch die wartenden Soldaten. Ohne ihn ging es zumindest für einen Teil der Soldaten ohnehin nicht weiter, denn als ihr Signifer war er für ihre Auszahlung verantwortlich. Oder zumindest dafür, dass ein Teil ihrer Schulden reduziert wurde. Dementsprechend hatte er eine Tasche mit Schreibzeug und Bürokram dabei und auch einige Beutel, falls später Geld für die Kasse der Centurie mitgenommen werden musste.


    "Tallius Priscus, Cohors IX", meldete er sich anwesend, auch wenn man sich unter den Feldzeichenträgern natürlich kannte. Auch er als relativer Neuling in diesem Amt hatte inzwischen kein völlig unbekanntes Gesicht mehr.

    "Besser als nichts!", antwortete der Soldat und blickte den neuen Optio prüfend an, um seine Größe abzuschätzen. Dann wandte er sich zu einem Regal und kam wenig später mit je einer Rüstung in der linken und rechten Hand zurück. "Probier' mal die beiden hier aus, ob eine passt." Er legte die beiden Rüstung hin und machte sich dann sofort auf den Weg, Helme zu holen.

    "Salvete", grüßte einer der hier arbeitenden Soldaten zurück und legte den Lappen, mit dem er gerade Ausrüstung bearbeitet hatte, zur Seite. "Was kann ich für euch tun?"


    "Einmal neue Ausrüstung für ihn hier", erklärte Priscus und deutete auf Tiberius Verus. "Und die Quittung über die Ausgabe für die Berechnung der Soldabzüge nehme ich gleich mit", fügte er direkt hinzu, weil es ja nicht eben üblich war, dass der Signifer persönlich vorbeikam.


    Der Soldat nickte und schaute dann den Neuen fragend an. "Was brauchst du alles? Oder andersherum: Was hast du schon?"

    Wenn Priscus bisher geglaubt hatte, beim Besuch auf der Latrine könnte man an den Wänden irgendwann nichts Neues mehr finden, weil man jeden Spruch und jedes Gerücht schon kannte, wurde er heute eines Besseren belehrt. Zwischen Kritzeleien aller Art hatte sich nämlich ein Kamerad verewigt, der offenbar sowohl gut schreiben als auch logische denken konnte und der seine Kameraden offenbar zumindest auch zu letzterem bewegen wollte. Anders war zumindest nicht zu erklären, wieso dort ein wortreiches Rätsel an der Wand verewigt war:


    Ich soll Briefe abliefern - einen für Marcus, einen für den Mann aus Aquilea und einen für den Signifer. Jetzt stehe ich hier vor drei Stuben und weiß nur folgendes:


    I. Titus stammt aus Mantua.
    II. Der Cornicen und der Optio wohnen nebeneinander.
    III. Neben Gaius wohnt der Cornicen.
    IV. Der Cornicen stammt aus Ravenna.
    V. In der dritten Stube wohnt Titus.
    VI. Der Mann aus Ravenna und der Mann aus Mantua sind nicht Nachbarn.


    Aber wo wohnt Marcus, wo der Mann aus Aquilea und wo der Signifer?


    Eine Weile starrte Priscus darauf, dann verließ er die Latrine wieder, nachdem er sein Geschäft verrichtet hatte.

    "Da steht es gut und wird nicht weg kommen. Gehen wir also erst einmal tatsächlich zur Rüstkammer", entschied Priscus. Wozu sollten sie auch das Zeug unnötig durch die Gegend schleppen? "Dann bekommst du ja nicht ganz so lange Soldabzüge, wenn du etwas weniger Ausrüstung von hier brauchst, kann sich lohnen", plauderte er auf dem Weg, auch wenn er davon ausging, dass dem neuen Kameraden das bewusst war. Zumal dieser gleich als Optio einstieg und sich daher um Geld ohnehin weniger Sorgen machen musste als der gemeine Tiro.

    "Salve", grüßte Priscus in den Raum, als er ihn zusammen mit Tiberius Verus betrat, um ihn hier mit der noch fehlenden Ausrüstung zu versorgen. Wie immer hörte man weiter hinten im Gebäude den Lärm der Werkstatt, während vorne der Geruch von Leder, Öl, Wachs und sonstigen Materialien in der Luft lag, die man typischerweise mit der Ausrüstung verband.

    Keineswegs ernüchtert, sondern völlig zufrieden nickte Priscus dem neuen Optio zu, der mit dem Ablegen des Eides nun endgültig zum Soldat geworden war. "Sehr schön. Jetzt kommst du hier die nächsten 20 Jahre nicht weg", scherzte er. "Dann wollen wir uns mal auf den Weg zur Rüstkammer machen und dich ausrüsten", leitete er dann gleich den nächsten Schritt ein, der ihnen befohlen worden war. Es folgte ein prüfender Blick auf die Kleidung des neuen Kameraden. "Was hast du an Kleidung und Ausrüstung schon mitgebracht? Hast du noch irgendwo Gepäck abgestellt?"

    "Nun, dann sprich mir nach", antwortete Priscus mit einem freundlichen Lächeln und begann die Worte zu sprechen, die er selber bei seiner Vereidigung zum ersten Mal gesprochen hatte und seitdem mehrfach gehört und auch selber noch einmal gesprochen hatte. "IURANT AUTEM MILITES OMNIA SE STRENUE FACTUROS QUAE PRAECEPERIT IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS, NUMQUAM DESERTUROS MILITIAM NEC MORTEM RECUSATUROS PRO ROMANA REPUBLICA!"

    Sim-Off:

    Ganz dickes Sorry für meine beschränkte Anwesenheit in letzter Zeit!


    Priscus quittierte die Anweisungen an ihn mit knappen Worten, knappen Nicken und dem Gruß zum Abschied. Sie waren eindeutig gewesen und bedurften keiner Nachfrage. Gegenüber dem Neuling war er dann etwas gesprächiger. "Salve, Tiberius Verus, willkommen in der Legio!", sprach er ihn dann bewusst beim Namen und nicht beim Rang an. Auch wenn es formelle Unterschiede geben mochte, hatte er bisher aus dem Unterschied zwischen Optio und Signifer nicht viel gemacht und war damit auch bei seinen Kameraden gut gefahren. "Folge mir bitte zum Fahnenheiligtum, um den Eid abzulegen."

    Das Fahnenheiligtum war Priscus inzwischen gut vertraut, seit er Signifer geworden war, und daher betrat er es mit einer gewissen Gelassenheit. Trotzdem war er sich bewusst, dass das Ablegen des Eides für jeden Neuling in der Truppe ein besonderer Moment war, also ließ er dem neuen Optio auch Zeit, das zu verinnerlichen.


    "Der Adler der Legion, die anderen Feldzeichen, das dort ist unseres", stellte er erst einmal die Zeichen vor. "Bist du bereit für den Eid?"

    Der Kampf dauerte tatsächlich eine Weile und Priscus konnte ihn in voller Länge anschauen, weil auch andere Soldaten neugierig zuschauten und ihn daher niemand in die Schreibstube rief. Dafür rief ihn dann der Praefectus Castrorum zu sich, während die anderen weggeschickt wurden. Etwas überrascht darüber machte er sich zügig auf den Weg und stand nach wenigen Schritten vor seinem ehemaligen Centurio. "Signifer Tallius Priscus zu Befehl, Praefectus", meldete er sich formvollenedet, da er noch nicht einschätzen konnte, wer der andere Mann gewesen war, mit dem der Praefectus gekämpft hatte. Da wollte er lieber keinen schlechten Eindruck machen.

    Der tägliche Dienst führte Priscus zwar nicht täglich, aber doch deutlich häufiger als früher in die Principia, denn schließlich hatte er die Verantwortung für eines der Feldzeichen, das dort aufbewahrt wurde. Außerdem befand sich hier die Truppenkasse und das Büro des Aquilifers und seiner Helfer, die sich zusammen mit dem Praefectus Castrorum um eben jene Kasse kümmerten. Da gab es also doch recht häufig einen Grund für einen Besuch in diesem wichtigen Gebäude. Dass sich in dessen Innenhof jedoch der Praefectus Castrorum persönlich einen Übungskampf leistete, war eher selten. Demensprechend ging Priscus etwas langsamer als sonst den Umgang entlang, um den Kampf länger beobachten zu können. Vielleicht hatte er ja sogar Glück und er musste an der Schreibstube, die sein Ziel war, etwas warten, so dass er völlig unverfänglich noch länger zuschauen konnte.

    "Ach so? Das wusste ich bisher gar nicht, dass so etwas vorkommt", stellte Priscus verdutzt fest. Bisher war er ohnehin immer auf der ausführenden Seite gewesen und hatte Anweisungen bekommen, wenn es soweit war. Da wo er und seine Jungs arbeiteten, war dann logischerweise auch immer wirklich etwas zu tun. Also hatte er sich auch nie Gedanken darüber gemacht, wann wer überhaupt die Legion anforderte. Aber es interessierte ihn auch nicht weiter, so dass er keine Fragen stellte. Er wollte sich einfach gar keine Gedanken darüber machen. Morgens Befehle bekommen und diese umzusetzen war für ihn eine völlig ausreichende Tätigkeit.


    Langsam würde er aber auch seinen Weg fortsetzen müssen, denn Plauderei mit dem Praefectus Castrorum gehört nicht zu den befehlen, die er bei der Kontrolle der Nachtwache zu erfüllen hatte.