"Wozu?", fragte Priscus betont gelassen und erntete erwartungsgemäß nur verwirrte Blicke. "Wozu sollte ich?", wiederholte er seine Frage noch einmal und bekam noch immer keine Antwort. Seine Kameraden konnten oder wollten offenbar nicht verstehen, wieso er sich freiwillig dazu gemeldet hatte, hier im Lager bei den Verletzten zu bleiben und nicht mit nach Rom zu ziehen. "Was soll ich in Rom?", fragte er weiter. "Zwei Wochen Marsch dorthin und dann? Entweder gelangweilt warten, bis es eine politische Einigung gibt oder unsere eigene Hauptstadt stürmen? Ja, schön, danach gibt es Feiern und Huldigungen und alle jubeln euch zu und ihr könnt das Capitol sehen und den Kaiser und das Forum und womöglich auch Iupiter persönlich. Und was habt ihr davon? Nix! Plündern ist nicht, ist immerhin Rom. Und die Lupae warten nur drauf, ihre Kriegshelden auszunehmen bis auf's letzte As - und blasen trotzdem nicht besser als die Mädels hier. Jungs, ganz ehrlich, ich hab' Parthia überlebt, ich hab' das hier überlebt, was hab' ich da von vier Wochen Marsch hin und zurück für ein paar Tage Rom? Das hier ist wichtiger!" Dabei deutete er auf das Lager, in dem noch immer tausende Verletzte versorgt wurden. Auch aus ihrer Centurie waren zahlreiche Männer dabei, die ganz sicher nicht nach Rom würden marschieren können. "Die Legion ist meine Heimat - Rom ist mir fremd. Um die Jungs die hierbleiben muss sich jemand kümmern. Nicht nur Ärzte. Hier muss Wache organisiert werden, Nahrungszuteilung, allgemeiner Dienstbetrieb und irgendwer muss ihnen auch die Latrine putzen, wenn sie's selber nicht können. Und als ich gefragt wurde, ob ich hier bleiben würde, da brauchte ich nicht lange zu überlegen. Hier gehöre ich hin."
Beiträge von Gaius Tallius Priscus
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Mit der Rückkehr ins Hauptlager kehrte für Priscus und seine Kameraden keineswegs Normalität ein, sondern der Ausnahmezustand ging weiter, nur an einem anderen Ort und mit anderen Aufgaben. Der Alltagsdienst aus Kochen, Wachen und Latrinenreinigung musste mit deutlich reduzierter Mannschaft bestritten werden. Dazu kam die Pflege der verletzten Kameraden, von denen viele bei ihren Einheiten gepflegt wurden, da es gar kein ausreichend großes Lazarett gab. Außerdem musste Ausrüstung wieder instand gesetzt werden. Und schließlich gab es noch mehrere Anlässe, bei der alle verfügbaren Männer antreten sollten. Das Opfer an Mars gehörte dazu, an dem der Optio nur allzu gerne teilnahm, auch wenn er schon das eine oder andere private kleine Gebet an den Kriegsgott und seinen persönlichen Schutzgeister geschickt hatte. Ein offizieller Dank mehr war da aber trotzdem sicher das richtige.
Am nächsten Tag wurden sie dann wieder zusammen gerufen, diesmal zur Verleihung von Auszeichnungen. Für viele Soldaten sicher ein mit Spannung erwarteter Moment, der einen positiven Schlußpunkt unter diese Schlacht setzen konnte. Priscus hatte sich vorher keine Gedanken darüber gemacht, ob er Auszeichnungen würde erwarten können und er hatte in der Schlacht auch nicht mit diesem Ziel vor Augen gekämpft. Einen besonders wichtigen Gegner hatte er nicht erwischt und als am Ende der Schlacht seine Kameraden den feindlichen Feldzeichen nachjagten, war er mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Umso mehr freute es dann ihn, dass sein Name zweimal aufgerufen wurde und er tatsächlich mehr bekam, als die Phalera für's Überleben. Entsprechend stolz trat er vor den Tribun, der in seiner Cohorte die Auszeichnungen verlieh und nahm andächtig die goldenen Armillae entgegen, die ihm zugedacht waren.
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Am nächsten Tag sah die Arbeitsaufteilung in Priscus' Centurie ähnlich aus wie am Vortag: Die einen versuchten, das Schicksal der noch vermissten aufzuklären und sich um die Verletzten zu kümmern, während die anderen weiter aufräumen gingen. Nur dass sie diesmal nicht das Schlachtfeld aufräumten, sondern das gegnerische Lager. Wobei Priscus und die Leute, die er mitgenommen hatten, es mit dem Aufräumen da durchaus mindestens genauso genau nahmen. Eine Weile streiften sie durch das verlassene Lager, das von weiteren Kameraden der siegereichen Legionen bevölkert war und suchten sich eine halbwegs ruhige Ecke. Alles, was irgendwie brauchbar erschien, wurde eingesammelt. Natürlich lagen die wenigsten Wertgegenstände offen herum, denn ersten ließen die wenigsten Soldaten sie einfach so liegen und zweitens waren sicher auch hier schon ein paar Plünderer gewesen, die den offensichtlichen Kram mitgenommen hatten. Aber davon ließen sich die Soldaten nicht stören, sondern schauten aufmerksam auf den Boden. Nicht umsonst hatten sie sich eine Ecke am Rande des Lagers gesucht, wo der Wall ganz in der Nähe war. Und die ersten verräterischen Spuren ließen dort nicht lange auf sich warten. Ein Spaten war auch schnell zur Hand und schon buddelten sie die ersten vergrabenen Geldbeutel und Glücksbringer aus. Dazu noch ein paar sonstige nützliche Gegenstände aus den Marschgepäcken der Gegner, die man gewinnbringend veräußern konnte oder die den einen oder anderen Punkt auf der "Einkaufsliste" erfüllten, die sie morgens in ihrem eigenen Lager zusammengestellt hatten. Schließlich hatte der eine oder andere Soldat immer Bedarf, seine Ausrüstung aufzustocken und nicht immer das nötige Kleingeld für einen neuen Eimer, eine Pfanne oder eine neue Tunika.
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Nach dem Ende der Schlacht hatte Priscus bei der Bergung und Versorgung von Verletzten geholfen, bis sein Centurio wieder vom Nachsetzen gegen die Feinde zurück kam und Befehle erteilte. Die Einheit war für die Lagerwache eingeteilt, so dass sich alle Soldaten ins Marschlager zurückziehen konnten. Zum Kochen fehlte allen die Kraft, so dass ein paar Nüsse und trockene Früchte ausreichen mussten, bis alle Schlafen gingen, sofern sie nicht die erste Wachschicht hatten.
Am nächsten Morgen gab es erst einmal einen Zählappell. Neun Männer waren mindestens gefallen, 18 schwer bis schwerst verletzt, 26 mittel bis leicht versetzt und 16 mit unklarem Verbleib. Der Centurio, der selber zu den mittelschwer verletzten zählte, machte sich auf den Weg, um bei den Offizieren nach weiteren Befehlen und Informationen zum Verbleib der anderen Soldaten zu suchen. Der Signifer machte sich mit einigen unverletzten und leichtverletzten auf den Weg zu den Verbandplätzen, um dort ebenfalls nach weiteren Soldaten zu fahnden und die Verletzten, soweit transportfähig, ins Lager zu holen. Der Cornicen blieb dort als Anlaufstelle, falls sich verschollene Soldaten von selber dort einfanden. Womit dem Optio die Aufgabe blieb, mit weiteren unverletzten und leichtverletzten Kameraden Material vom Schlachtfeld zu bergen.
Den ganzen Tag über pendelten sie zwischen Hang, Wall und Lager hin und her, schleppten Speere, Waffen, Schanzpfähle, das beschädigte Geschütz ihrer Centurie, Munition, Werkzeug und alles, was sich sonst noch dort finden ließ, zu ihrem Lagerplatz und sortierten es dort. Manches ließ sich eindeutig ihrer Einheit oder sogar einem einzelnen Soldaten zuordnen, manches konnten sie anderen Einheiten zuweisen und an sie zurück geben und manches behielten sie einfach in der nötigen Menge für sich.
Bis zum Abend verringerte sich die Zahl der vermissten Soldaten auf drei, dafür kamen drei Tote, sechs schwer bis schwerst Verletzte und vier mittelschwer Verletzte hinzu.
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Nachdem Priscus den verletzten Kameraden mitsamt dem eroberten Feldzeichen hinter dem eigenen Wall bei einem Capsarius abgeliefert hatte, blickte er wieder den Hang hinunter. Der Signifer mit dem Feldzeichen seiner eigenen Centurie war inzwischen ziemlich weit unten angekommen und Priscus nahm an, dass auch der dort sichtbare Helmbusch zu seiner Centurie gehörte. Dort nun noch hinter zu jagen, dazu fehlte dem Optio die Kraft. Außerdem war seine Hilfe dort nicht nötig, sagte er sich. Hier oben gab es noch genug zu tun. Sein Ordnungssinn, mit dem er die Soldaten vorhin noch an die Formation erinnert hatte, setzte sich auch jetzt weiter durch und er begann damit, von einem zum anderen der herumliegenden Soldaten zu gehen, solange sie noch nicht völlig offensichtlich tot waren. Er erfragte Namen und Zustand und half jenen auf, die eher erschöpft als schwer verletzt waren. Soldaten seiner Centurie waren dabei, natürlich auch Soldaten seiner Legion allgemein und auch Soldaten aus den Reihen der Gegner. Auch denen wieß er den Weg zum nächsten Verbandsplatz und überließ es den dortigen Offizieren, nach eigenen und gegnerischen Leuten zu trennen.
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Zitat
Original von Titus Iunius Priscus
Die Jagd nach den prestigeträchtigen Feldzeichen der Gegner mobilisierte noch einmal letzte Kräfte und so begannen auch Soldaten der Legio I, den Hang hinab zu stürmen. "Zusammenbleiben!", besann sich der Optio auf seine Funktion, auch wenn er nicht wirklich davon ausging, dass sich die Soldaten jetzt noch in eine Formation bringen ließen. Aber man musste ja nicht jetzt noch Tote durch leichtsinnige Einzelkämpfe riskieren! Zumal es beim Kampf um die Feldzeichen ohnehin noch zu Verletzungen kam. "Capsarius hierher!" gab der Optio einen Ruf nach hinten weiter, bevor er selber den Kameraden erreichte, der dort gebrüllt hatte. War er aus seiner Einheit? Priscus wusste es in diesem Augenblick einfach nicht, aber es war ihm auch egal. Der Mann hatte ein feindliches Feldzeichen in der Hand, das machte ihn wichtig. Ein Capsarius ließ sich aber erst einmal nicht blicken. Die waren wohl alle noch auf der anderen Seite des Walls beschäftigt. "Du kannst noch laufen!" brummte der Optio beim Blick auf den blutenden Arm und die augenscheinlich unversehrten Füße. "Ich bring' dich zurück hinter den Wall. Nimm' das Feldzeichen mit!" Und schon war er dabei, dem Verletzten wieder zurück den Hang hoch zu helfen. Spätestens oben auf der eigenen Seite des Walls hoffte er einen Capsarius zu finden, der sich um den Verletzten kümmerte und einen Offizier, der sich über das Feldzeichen freute.
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Einen Bolzen nach dem anderen schleuderte das Geschütz in die feindlichen Reihen vor ihnen, die aber zunehmends dünner und auch wieder etwas vorsichtiger wurden. "Macht etwas langsamer", wies der Optio die Männer daher an. Erstens wollte er die Munitionsvorräte nicht zu schnell aufbrauchen und zweitens kannte nun wohl wirklich jeder Gegner in der Nähe diese Stellung hier, so dass es keine Schockwirkung mehr brauchte. Die kam wenig später dann auch aus einer anderen Richtung. Nach den bisherigen Rufen nicht völlig unerwartet, brach die feindliche Schlachtreihe von Süden her völlig in sich zusammen. Es war deutlich zu sehen, wie Teile der benachbarten Legio II den eigenen Wall überwunden hatten und den Hang hinab stürmten, soweit sie in ihrem Zustand noch stürmen konnten. An der eigenen Stellung kamen die Kampfhandlungen damit erst einmal zum Erliegen. Sowohl Priscus und seine Männer, als auch die Gegner schauten sich nach ihren Centurionen und Feldzeichen um, um neue Befehle und vor allem Orientierung zu erhalten. Stürmen? Gegner niedermachen? Tote Kameraden rächen? Oder selber völlig erschöpft auf den Boden sinken? Nachdem es auch nach einigen Augenblicken noch keine klaren Befehle gab, bückte sich Priscus erst einmal und griff in einen kleinen Korb unter dem Geschütz. Es war nicht seine Stellung, die er hier gekapert und kommandiert hatte, aber auch hier hatte man sich streng an die Standardvorgaben gehalten. Und deshalb lagen da unten in dem Korb ein paar gefüllte Feldflaschen. Der Optio holte eine heraus, reichte sie an die Soldaten weiter, holte eine zweite und nahm selber erst einmal einen Schluck, bevor er auch diese weiter gab. Insgesamt dauerte die Pause auch nur wenige Augenblicke, bevor die Flaschen wieder zurück kamen, aber für alle Soldaten war dies eine mehr als willkommene Atempause, die aber von neuen Befehlen abrupt beendet wurde. "Holt euch die Feldzeichen!" brüllte irgendwo jemand so eindeutig, dass sich die Soldaten alle angesprochen fülten, zumal ihr eigener Signifer in diesem Augenblick auf den Wall sprang und mit einer großen Geste den Hang hinunter deutete, während irgendwo ein Cornu zum Sturm blies.
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Die Jubelrufe schienen sich fortzusetzen, aber noch immer konnte Priscus nicht genau vernehmen, was nun los war, zumal ihm die Kameraden vor ihm auf dem Wall und die Geschützstellung hinter ihm auch noch die Sicht nahmen. Boten schienen den Offizieren etwas mitzuteilen, aber das taten sie schon die ganze Schlacht über, so dass der Optio auch daraus nichts konkretes ableiten konnte. Wesentlich konkreter war da der Soldat, der trotz eines blutverschmierten linken Armes einen Korb voller Geschossbolzen bei ihnen ablud. "Optio, wie haben wieder Munition!", teilte ihm die Geschützmannschaft dann auch sogleich mit. "Spannen und laden!", kommandierte der Optio und beobachtete dann besonders gespannt das Geschehen aufd dem Wall und warnte seine Soldaten schon einmal vor. Als von hinten gemeldet wurde, dass das Geschütz bereit war, wartet er noch einen Augenblick. "Abducken! Abschuss!" brüllte er dann und tatsächlich gingen die Männer vor ihm wie geplant in die Knie, so dass das Geschütz über sie hinweg schießen konnte. "Auf! Nachladen!" kommandierte der Optio weiter die Soldaten vor ihm und die Geschützmannschaft gleichzeitig, damit die Lücke wieder vollständig geschlossen war, bis das Geschütz wieder bereit war. Dann ging es wieder von vorne los. "Abducken! Abschuss! Und auf und nachladen!" Zumindest bis der Korb leer war, sollte ihnen das ein klein wenig Luft verschaffen.
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Gemeinsam mit dem Optio stürmten weitere Soldaten in die Lücke im Schildwall und stopften sie erst einmal mit ihren Körpern und Schilden, bevor der Gegner heran war. Allerdings dauerte es nur Augenblick, bis auch von der Gegenseite Soldaten heranstürmten und sie mit ihren Schwertern und Schilden bedrängten. Blut bentzte die Klingen, die Schreie der eigenen Leute und der Gegner waren nun ganz nah und jeder Augenblick dehnte sich in eine Ewigkeit aus. Verbissen suchte Priscus nach Halt auf dem wackelig gewordenen Wall und kämpfte mindestens genausi stark um das Gleichgewicht wie mit dem Gegner. Immerhin konnte er die erhöhte Position ausnutzen, von der aus er einem gerade heraufkommenden Gegner einfach die Unterkante seines Schildes ins Gesicht rammte, worauf hin dieser nach hinten kippte und wenig später von seinen Kameraden nach hinten weggeschleift wurde. Auf der anderen Seite kämpften schließlich auch Römer, die genauso vorgingen wie Priscus und seine Kameraden.
Irgendwo, als ob es ganz in der Ferne sei, meinte der Optio Jubel zu vernehmen, als wenn eine Einheit einen Erfolg errungen hätte und den Feind entscheidend zurückgeworfen hatte. Aber wer da jubelte und wo, das konnte er nicht ausmachen, zumal gerade zwei neue Gegner vor ihm auftauchten und ihn nun seinerseits nach hinten den Wall herunter stießen. Priscus strauchelte zurück und fing sich erst im zweiten Glied wieder, während andere Legionäre seinen bisherigen Platz einnahmen. Mit einem schnellen Blick versicherte er sich, dass das Feldzeichen seiner Einheit noch immer in ihrer Nähe war und auch auf der anderen Seite nebenan der Feind noch nicht durchgebrochen war. So war Sieg oder Niederlage noch nicht erkennbar und Priscus nutzte jetzt wieder sein Scutum, seinen Kameraden vor ihm eine Stütze im Rücken zu geben, damit diese unter dem gegnerischen Druck nicht ebenfalls vom Wall fielen.
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"Wo bleibt der verdammt Munitionsnachschub?", fluchte Priscus, während sein Blick auf die schwindenden Vorräte an dem Geschütz fiel. Prompt zögerten die Soldaten und warfen ebenfalls einen sorgenvollen Blick auf den nahezu leeren Korb, was den Optio nur noch mehr anstachelte. "Draufhalten! Draufhalten, verdammt noch mal!" fauchte er sie an, denn noch immer stürmte ein Gegner nach dem anderen auf ihre Stellung zu. Priscus hatte längst keinen Überblick mehr, was sich woanders auf dem Schlachtfeld zutrug. Befehle hörte er kaum noch durch den Lärm. Das Feldzeichen seiner Centurie stand noch schräg hinter ihm im Gedränge und ab und zu erspähte er auch den Busch seines Centurio, so dass er hier noch an der richten Stelle war. Wie viele Verletzte und Tote inzwischen nach hinten durch gereicht worden waren und wie viele der Verletzten wieder zurück gekommen waren, hatte er längst aufgehört zu zählen. Die Verteidigung dieser Geschützstellung hier war zu seiner persönlichen Mission in dieser Schlacht geworden. Zumindest so lange, bis kein Offizier seine Centurie woanders hin beorderte. Länger konnte er aber auch nicht darüber nachdenken, denn in diesem Augenblick verließ der letzte verfügbare Bolzen das Geschütz und damit war auch die Wirkung dahin, die bisher die Gegner auf Abstand hielt. "Lücke schließen!" brüllte Priscus daher und stürzte selber nach vorne, um die Lücke im Schildwall zu schließen, durch die bisher geschossen worden war.
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Der Lärm auf der anderen Seite des Walles schien kurzzeitig noch lauter und agressiver zu werden, nachdem Priscus das Pilum in Richtung des gegnerischen Signifers geworfen hatte. Vielleicht war das aber auch nur Einbildung. Getroffen hatte er jedenfalls nicht wirklich, denn das gegnerische Signum blieb stehen. Viel Zeit für weitergehende Gedanken hatte der Optio aber nicht, denn eine neue Verschiebung der Situation auf dem Wall führt dazu, dass er weiter nach vorne rückte und nun ziemlich dicht an der Geschützstellung stand. "Schießt schneller!" forderte er die Soldaten dort auf, die seiner Meinung nach etwas zu zaghaft zu Werke gingen. Ein leichtveletzter Soldat stolperte an ihm vorbei und Priscus hielt ihn kurz auf. "Sag' hinten Bescheid, dass wir hier am Geschütz mehr Munition brauchen!" Wer sich hinten darum kümmerte war ihm ziemlich egal, solange ihnen hier vorne nicht die Bolzen ausgingen. Und das konnte schnell passieren, denn die Soldaten am Geschütz schossen nun befehlsgemäß schneller einen Bolzen nach dem anderen in die Gegner, die keine zwei Schritte vor ihnen standen.
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Von hinten hatte Priscus einen recht guten Blick auf das Geschehen auf dem Wall, ohne selber eingreifen zu können. Dreizehn Verletzte hatte er bisher gezählt, die seine in seiner Centuria nach hinten durchgereicht und vom Capsarius versorgt wurden. Und zwei Tote. Um die kümmerte sich kein Capsarius mehr, aber sie waren weit genug zurück gezogen worden, dass ihre Leichen nicht gleich überrannt wurden.
Pila waren keine mehr übrig, die jetzt noch geworfen werden konnten, so dass sich alle auf den Nahkampf konzentrierten. Vorne links von ihrer Position war eine Geschützstellung, die fleissig in die anstürmenden Gegner geschossen hatte und nun natürlich ein bevorzugtes Ziel der Gegenangriffe war. Das Geschütz stand zwar auf einer breiteren Stelle am Wall, machte den Verteidigern aber die Bewegung schwerer. Dafür war sich die Mannschaft aber auch nicht zu schade, auf kürzeste Distanz in die Gegner auf dem Wall zu schießen, was zu mehr als häßlichen Wunden bei diesen führte, wenn sich in Bolzen mit voller Wucht in ihre Rüstung bohrte. Zweifellos waren die Verluste der Gegner, die auf dem Wall noch immer keinen sicheren Halt fanden, um einiges höher als auf der Seite von Priscus' Centuria.
Wieder einmal wurde durchgewechselt, ermüdete Kameraden mit leichten Blessuren kamen nach hinten, andere rückten nach vorne. Auch der Optio rutschte dadurch etwas näher ins Getümmel und fand auf dem Boden doch noch ein Pilum. Er nahm es auf, verschaffte sich etwas Platz zum Werfen und schleuderte es auf gut Glück in Richtung des gegnerischen Feldzeichens, das auf der anderen Seite des Walles am einfachsten auszumachen war.
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Plötzlicher als der Optio erwartet hatte kam nun Bewegung in die Sache und die Befehlsgebenden scheuchten sie auf die Wälle. Offenbar stürmte der Gegner nun den Hügel hoch. Priscus blieb weiter hinten im Glied und trieb die kameraden vor sich her, soweit das überhaupt nötig war. Der Wall gab ihnen Sicherheit, so dass sich zumindest die erfahrenen Kameraden tatsächlich kampfeslustig nach vorne begaben. Den Signifer der Centurie ließ sich etwas zurückfallen, so dass zwei Reihen Soldaten vor ihm standen, er aber noch immer in Rufweite des Centurio war. "Pila nach vorne durchreichen!" rief Priscus derweil von hinten, denn schließlich verlor man nur Reichweite, wenn man aus der letzte Reihe warf. Doch auch der Gegner warf und sorgte damit zumindest für leichtere Verletzungen und ein wenig Durcheinander. "Kaputte Pila nach hinten rausreichen!" wies Priscus an, denn solange noch nicht alle im Nahkampf beschäftigt waren, musste man sich durch den Müll zwischen den Beinen das Leben ja nicht noch schwerer machen als nötig. Zumal man so vielleicht noch das eine oder andere intakte Wurfgeschoss fand, was man zurückwerfen konnte.
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Mit einer Mischung aus Anspannung, Faszination, Ungeduld und Langeweile verfolgte Priscus das Geschehen vor sich. Anspannung, weil es immerhin um nicht weniger ging als Leben und Tod. Faszination, weil er noch nie ein so großes römisches Heer aus dieser Position so beobachten konnte. Ungeduld, weil er kein Zeitgefühl hatte, nicht wusste wie lange sie hier nun schon herum manövrierten und wie lange es noch dauern würde. Und Langeweile, weil er irgendwo recht weit hinten in den eigenen Linien stand und sich hier noch nicht so viel tat, während woanders Truppen abgezogen wurden, Geschosse einschlugen, Befehle gebrüllt wurden oder zumindestens einer mal kotzte. Priscus nutzte die Situation, um die Beine etwas breiter zu stellen und zu pinkeln. Es machte sich bemerkbar, dass er heute morgen viel getrunken hatte. Während der Schlacht hatte er dazu ja auch kaum eine Möglichkeit.
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Routine war etwas wunderbares, den sie beruhigte im Angesicht des Feindes. Zumindest empfand Priscus das so, als die Legion ihr letztes Lager vor der Schlacht aufschlagen sollte. Schanzen, Zelten, Essen machen - alles wie gewohnt und doch unter einer ganz besonderen Anspannung. Es hatte sich herumgesprochen, wo der Feind lag, wann man sein Eintreffen erwartete, aber solange man ihn noch nicht sehen konnte, war es trotzdem eine hohe Anspannung. Deswegen mochte der Optio Belagerungen auch so gerne. Da lief der Feind nicht weg, kam nicht auf einen zu und man konnte sich voll und ganz auf den Kampf konzentrieren.
Jetzt also wieder Schanzen, Lager sichern, den nun wirklich allerletzten Rückzugsort befestigen. Der Platz schien ihm gut gewählt zu sein, soweit er das beurteilen konnte und überhaupt wollte. Priscus hoffte auf eine halbwegs ruhige Nacht.
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Nun ging es also los, mit großem Opfer und großem Aufmarsch ab in die Schlacht. Das schwer befestigte Lager, das sie in den letzten Tagen errichtet hatten, sollte also nur ein sicherer Zufluchtsort sein, um ihnen moralische Rückendeckung für die Schlacht zu geben. Oder die Baumaßnahmen waren nur Einstimmung, um die Soldaten in die richtige Laune für ein gefecht zu versetzen. Priscus wusste es nicht und es war ihm auch egal. Andere Dinge bestimmten sein Denken und Handeln in diesem Moment. Angst war kaum dabei. Natürlich konnte er sterben. In dieser Schlacht wie in jeder anderen auch. Bisher hatte er alle überlebt. Warum also nicht auch diese? Sorge und sogar ein bisschen Abscheu war dabei, weil hier Römer gegen Römer kämpften. Selbst wenn sie gegen Verräter kämpften, erschien ihm das nicht richtig. Sie waren alle Römer, um die Welt zu beherrschen und nicht um sich gegenseitig zu bekämpften. Aber nun musste es eben so sein.
Er trieb die Männer in seiner Centurie an und achtete darauf, dass sich keine verdrückte. Er beruhigte, wo es nötig war, und stachelte auf, wo es ebenso nötig war. Ausrüstungskontrolle, nochmal Vollzähligkeit, Bereitmeldung der Sanitäter, Anweisungen für die Trossknechte die im Lager blieben. Bis es losging, raus aus dem Lager, ran an den Feind.
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Priscus bemerkte den Primus Pilus auf seiner Inspektionsrunde an den Verschanzungen und grüßte ihn wie es sich gehörte, ohne sich dabei allerdings bei seiner Arbeit stören zu lassen. "Bis hier hin mit Erde auffüllen und zwar bis zur vollen Höhe des Walls. Von mir aus sogar noch einen Fuß höher. Und in der Breite mindestens 14 Fuß", erklärte er einer Gruppe Soldaten, wie sie einen Geschützplattform vorzubereiten hatten. Zwei provisorisch in den Boden gesteckte kurze Stöcke schienen die geplanten Ausmaße zu markieren. "Ich werde später mal schauen lassen, ob wir irgendwo zusätzliche Holzbalken auftreiben können, dann können wir das hier ein bisschen befestigen. Ansonsten müssen wir Rasensoden nehmen. Davon gibt's genug."
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Mehr oder weniger reibungslos fügte sich die Legio I nach ihren Eintreffen in die laufenden Arbeiten im Lager ein, die die anderen Legionen begonnen hatten. Zumindest hatte Priscus diesen Eindruck. Oder zumindest konnte er ihn bekommen, da er mehr als genug zu tun hatte. Die Zelte waren aufgestellt, nun ging es an die Verschazungen. Nur weil die Kameraden vorher schon ein wenig gegraben hatten, hieß das ja noch lange nicht, dass die Verschanzung schon fertig war. Schanzpfähle mussten noch eingerammt werden und mit Seilen verbunden werden. Außerdem fehlten noch die Geschützstellungen, an denen die Kameraden der anderen Legionen auch schon so eifrig arbeiteten. Weitere Erde musste dazu ausgehoben und aufgeworfen werden, um Plattformen zu haben, auf denen dann die mitgebrachten Scorpione aufgestellt werden konnten.
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Priscus nahm sich keine Zeit zum Staunen, als seine Centurie das Lager bei Verona erreichte. Sicher, es war ziemlich groß, aber mehr auch nicht. Erhatte die Feldlager in Parthia erlebt, die auch kaum weniger beeindrucken gewesen waren. Zumal einige davon im Angesichtd es Feindes aus dem Nichts hochgezogen wurden. Von einem Feind war hier nichts zu sehen. Noch nicht, dachte sich der Optio. Denn wenn hier so ein großes, stark befestigtes Lager errichtet wurde, rechnete wohl irgendeiner von den Kommandeuren mit einem Zusammentreffen genau hier.
"Nicht rumstehen, Zelte aufschlagen!", forderte Priscus die Soldaten auf, als sie den ihnen zugewiesenen Lagerplatz erreicht hatten. Nötig war das zwar nicht, da die Soldaten ohnehin nicht herumstanden, sondern wussten, was sie zu tun hatten. Zelte wurden von den Maultieren abgeladen, Heringe in den Boden getrieben, Zeltgestänge zusammengesetzt. Erst das Zelt des Centurio, dann die Mannschaftszelte, dann noch zwei Zelte für die Trossknechte. Irgendjemand gab bekannt, wo die Pferche für die Tragtiere hin sollten, während andere Soldaten schon Lagerfeuer vor den Zelten entfachten oder ihre Ausrüstung wegräumten. Priscus ging dabei von einem Zelt zum anderen um zu schauen, ob alle ordentlich gearbeitet hatten und kein Zelt aus der Reihe fiel.
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Der Legionär führte eine mehr oder minder gründliche Durchsuchung des Mannes durch, um die Vorschriften zu erfüllen und warf einen Blick auf die Tasche. Auch hier nahm er es nicht allzu genau. Im Lager gab es tausende Legionäre und ebensoviele Schwerter, mit denen sich ihre Besitzer jederzeit abstechen konnten, wenn sie wollten. Da kam es in seinen Augen auch nicht mehr drauf an, ob ein Besucher noch ein Küchenmesser einschummelte. Aber die Dienstvorschrift sagte nun einmal was von einer Durchsuchung, und die musste er erfüllen. "Gut. Kannst passieren", stellte er dann fest. "Geradeaus, da siehst du schon das Tor der Principia. Dadrin rechts. Zur Not noch einmal fragen, wenn du's nicht findest", erklärte er dann den Weg zum Meldebüro.