Beiträge von Pallas

    Wie oft hatte er sich schon gefragt, wie es wäre, frei zu sein. Jedesmal war er zum gleichen Schluss gelangt: Furchtbar. So versuchte er ein Gesicht zu machen, als verstünde er, warum Bridhe die Freiheit vermisste, konnte es jedoch, aus rein logischen Gesichtspunkten, nicht nachvollziehen. Auf der Gefühlsebene pflegte er nicht zu denken.
    Dennoch blitzte ein kurzes Grinsen auf, als sie nach seiner Vergangenheit fragte.
    "Zu Beginn, als ich noch jünger war, habe ich mit meiner Mutter zusammen gelebt, ja.", begann er zu erzählen. "Es war eigentlich ganz schön, ich bekam Unterricht im Lesen, Rechnen, Geschichte... all solche Dinge eben. Nunja, ich hatte allerdings auch das Glück, nicht für ein Gladiatorenleben ausgewählt worden zu sein. Mein damaliger Herr hatte wohl einen Narren an mir gefressen."
    Schmunzelnd zuckte er mit den Schultern.
    "Frag mich nicht warum. Der hat mich jedenfalls zu jeder größeren Feier mitgeschleppt. Die Gäste durften Gedichte oder Geschichten aussuchen, ich las sie einmal und ratterte dann das ganze wieder herunter."
    Er tippte sich kurz an die Schläfe.
    "Liegt an meinem Gedächtnis. Einmal gehört oder gelesen, kann ich es nie mehr vergessen. Seltsame Sache. Kommt sicher von der griechischen Seite. Recht praktisch, meistens. Es hat mir zumindest ein recht angenehmes Leben beschert."
    Es folgte ein verlegenes Lächeln. Vielleicht hätte er das doch nicht erwähnen sollen, wie oft hatten andere Sklaven ihn deshalb schon gemieden. Und wie oft hatte er deswegen schon das Zeichen zur Abwehr des bösen Blicks gesehen. Aberglaube war ungünstigerweise recht verbreitet unter Sklaven.
    "Das ist allerdings kein Fluch... hoffe ich zumindest.", fügte er daher schnell hinzu. Besser gleich das Thema wechseln.
    "Aber meine Kindheit ist recht langweilig, verglichen mit deiner, denke ich. Ich könnte mir vorstellen, du hast viele spannende Dinge erlebt, bevor du Sklavin wurdest?!"

    Sich eine der vielen Karten, die er von Britannien bislang gesehen hatte, vor sein inneres Auge rufend, nickte er schließlich.
    "Ja, ich denke, ich weiß, was du meinst."
    Dass sie nicht besonders gerne über ihre Gefangennahme sprach, hätte wohl ein Blinder gesehen und so schalt er sich gedanklich für seine Frage. Nichtsdestotrotz hörte er zu und nickte ab und an.
    "Schon gut.", sagte er schließlich, als sie verstummte. Wer wusste schon, was man mit ihr auf der Reise gemacht hatte. Ein kurzes Kopfschütteln verdrängte diese Überlegungen wieder.


    "Was hätte ich denn davon?", entgegnete er schulterzuckend. "Ich wüsste nicht einmal, wohin ich gehen, geschweigedenn was ich mit mir anfangen sollte."
    Er machte sich nie besonders viele Gedanken über Gefangenschaft oder Freiheit. Doch er war sich sicher, dass, wäre er kein Sklave, sein Leben weitaus unangenehmer verlaufen wäre.

    "Naja... wenn es meine Hauptstadt wäre, würde ich das wohl auch tun. Und wäre sie noch so hässlich."
    Ein wenig Patriotismus konnte ja nicht schaden.


    Auf ihre Entscheidung hin, ihn weiter Youenn zu nennen nickte er schmunzelnd.
    "Wenn ich bedenke, dass Pallas der Beiname einer Göttin... einer GöttIN ist, frage ich mich sowieso, ob sich meine Herrin einen Scherz mit mir erlauben wollte."


    Nach Hibernia musste er in seinem Gedächtnis nicht besonders lange kramen, so neigte er zustimmend den Kopf.
    "Ja, kenne ich. Aber dort war ich noch nie. Liegt recht weit im Norden, nicht? Nördlicher als alles, was römisch ist."
    Es musste ein interessantes Fleckchen Erde sein, noch gänzlich frei von Römern und deren Einfluss. Rein aus wissenschaftlichen Zwecken wäre es sicher interessant, dort einmal hin zu reisen.
    "Wie kam es denn dazu, dass man dich gefangen nahm? Verzeih, wenn dich die Erinnerung zu sehr schmerzt, musst du es natürlich nicht erzählen."
    Der ungute Gedanke beschlich ihn, langsam wohl zu neugierig zu wirken.


    Still lächelte er, beim Gedanken an Britannia, seine Kindheit, sein Leben. Verglichen mit den meisten anderen Sklaven konnte man es durchaus als schön bezeichnen.
    "Weißt du, ich denke die beste Art, Sklave zu sein, ist die, niemals die Freiheit gekannt zu haben. Mir gefällt es, wie es ist. Wenn ich mir vorstelle, als Krieger in einem der britannischen Stämme leben zu müssen... nein, das wäre nichts für mich. Ich muss mir weder Sorgen darum machen, woher ich etwas zu essen bekomme, noch wie ich Geld verdienen kann. Meine Herrin ist seltsam, aber erträglich und hat so viele Sklaven, dass keiner von uns übermäßig viel arbeiten muss. Freiheit ist ein stark überschätztes Gut, es geht auch ohne."

    So unangenehm ihm zuvor ihre Niedergeschlagenheit gewesen war, so war es auch die plötzlich aufkeimende gute Laune. Als sie lachte zuckte er zumindest kurz zusammen.
    „Diese Stadt hat Schönheiten? Hat sie bislang gut vor mir verborgen.“
    Jenen Stimmungsumschwung genauer zu analysieren ließ er bleiben, verstehen würde er es ohnehin nicht, dessen war er sich sicher. Mit ihm. So viel hatte er zumindest begriffen. Was auch immer das nun für Spätfolgen haben würde.
    Die Frage nach seinem bevorzugten Namen beantwortete er indes mit einem Schulterzucken.
    „Wie du willst… hier in Rom bist du jedenfalls die erste und einzige, die mich Youenn genannt hat.“, erwiderte er schmunzelnd.
    „Kennst du Camulodunum? Im Gebiet der Trinovantes? Liegt im Südwesten. Da aus der Gegend komme ich. War wohl das Ergebnis einer seltsamen Kreuzung zweier Sklaven.“
    Er musste grinsen. Dass seine Mutter eine Keltin war leuhtete jedem ein, dass sein Vater jedoch ein Import aus Griechenland gewesen sein sollte fiel selbst ihm schwer zu glauben. Nun gut, er wirkte auch nicht direkt wie ein Gelehrter. Nicht bei seinem Äußeren hatte sich das griechische Blut durchsetzen können, dafür umso mehr in seinem Inneren.
    „Du stammst auch von den Inseln, habe ich recht?“

    Leibsklavin. Das konnte so gut wie alles heißen, aber da sich das Thema ohnehin erledigt zu haben schien, ging er darauf nicht näher ein. Und wenn er schon dummes Zeug redete, hatte er sie zumindest auf eine Idee gebracht. War ja immerhin ein Anfang.
    Jener kurze Moment, ein Aufflackern, eine Art Glänzen in ihren Augen bemerkte er, freute sich, dass sie nicht mehr ganz so niedergeschlagen schien und lächelte fast automatisch. Hätte er den Seltenheitswert dieses Funkelns gekannt, er hätte wohl ein wenig Stolz empfunden.
    „In diesem Fall… er wird ja nicht kontrollieren, wie lange du für die Besorgungen brauchst. Selbst wenn, Rom ist groß und die Märkte überfüllt.“
    Wie er selbst sich nur zu gut erinnerte. Vor allem überfüllt mit jenen ‚Damen’… er verwarf den Gedanken wieder, dieses Weib hatte ihn damals genug Nerven gekostet.
    „Das solltest du im Übrigen beibehalten.“
    Er wies auf ihr Gesicht.
    „Du bist viel schöner, wenn du lächelst.“
    Noch so ein abgedroschener Spruch. Und wieder folgte ein verlegenes Kopfkratzen.
    „Nicht, dass du sonst hässlich wärst… ich meine… du weißt, was ich meine.“
    Wie gut, dass ihm keine Karriere in der Politik bevorstand, er hätte sich wohl um Kopf und Kragen geredet.
    „Also.“, lenkte er schließlich das Thema zurück zu einem Ausflug, „Was willst du machen? Vorausgesetzt natürlich, ich soll mitkommen… was natürlich keine Voraussetzung ist… du kannst natürlich auch alleine, wenn dir das lieber ist… oder jemand anders… wir kennen uns ja quasi nicht…“
    Er redete zu viel. Eine Tatsache, die ihn selbst ein wenig überraschte, konnte er sich doch ansonsten kaum mehr als ein „Ja“ oder „Nein“ abringen.

    „Äh…“, war die erste passende Antwort, die Pallas alias Youenn in den Sinn kam. Sie mochte nicht besonders eloquent sein, doch drückte sie am deutlichsten aus, was er sich bei seinem Vorschlag vorgestellt hatte.
    Etwas ratlos sah er in seine Essensschale, die jedoch unnachgiebig und nicht sonderlich einfallsreich zurückstarrte. Die breiige Substanz würde ihm also eher nicht helfen, so blickte er wieder zu Bridhe. Er selbst kam meist recht einfach aus der Villa heraus, hatte er sich doch mittlerweile zum stillen Chef der Sklavenschaft von Antonia gemausert und genoss somit weitgehend Narrenfreiheit. Bei Aquilius’ Sklavin gestaltete sich das ungleich schwieriger.
    „Vielleicht…“, setzte er an, überlegte es sich jedoch anders und verstummte kopfschüttelnd wieder.
    „Mh… wofür hat dein Herr dich denn? Also… äh… “
    Der plötzlich aufkeimende Gedanke, der Flavier könnte sie ebenso gut als Bett- wie als Unkrautjätsklavin gekauft haben, ließ seine Worte über die eigene Zunge stolpern. Um den Stottern ein Ende zu machen, ließ er das Thema wieder sein und kratzte sich verlegen am Kopf. Er konnte wirklich nicht gut mit Frauen. Von Weitem – kein Problem. Wenn sie ihm Anweisungen gaben – kein Problem. Mit ihnen sprechen – vergebene Liebesmüh. Da konnte er ganze Epen aus dem Gedächtnis rezitieren, aber ein einfaches Gespräch überforderte ihn.
    „Vielleicht doch keine so gute Idee.“, gab er schließlich zu. „Andererseits, das Haus ist ja groß genug, hier sollte es doch auch genügend Möglichkeiten geben, sich zu beschäftigen. Allein der Garten…“
    - Womit er wieder beim Unkrautjäten war.
    „Vielleicht doch nicht der Garten… ähm… kannst du lesen?“

    Eine ungeheure Bitterkeit war aus ihrer Stimme herauszuhören und ließ den Sklaven die Stirn runzeln. Sie konnte nicht viel älter sein als er selbst, vermutlich eher jünger, und dennoch klang sie, als hätte sie ein Leben voller Enttäuschungen und Leid hinter sich. Unwillkürlich krampfte sich sein Magen zusammen.
    „Du hast Liebeskummer?!“, fragte er, wohl unnötigerweise. In seinem kurzen Leben hatte er eines gelernt: Wenn es einer Frau schlecht ging, war grundsätzlich erst einmal der dazugehörige Mann schuld. In Bridhes Fall wäre das also dieser germanische Sklave, so viel hatte er mitbekommen. Jener Sklave, welcher bei den meisten anderen ‚Hausangestellten’ eine Gänsehaut auslöste. Er selbst hatte ihn daher bislang gemieden und hoffte es dabei zu belassen.
    „Du bist jung, Bridhe, dein Schmerz wird vergehen.“
    Es würde ihr kein Trost sein, dessen war er sich bewusst. Dennoch fühlte er sich genötigt, das zu sagen. Vermutlich hatte sie jenen Satz ohnehin schon Dutzendweise gehört, so gesellte sich ein aufmunterndes Lächeln Pallas’ dazu. Davon hatte sie sicherlich ebenfalls schon zu viele gesehen in den letzten Tagen, so erstarb es recht schnell wieder. Er konnte einfach nicht gut mit Frauen. Sie ignorierten ihn, er ignorierte sie und damit war er bisher eigentlich ganz gut gefahren.
    „Vielleicht… brauchst du nur ein wenig Ablenkung. Weg von den immer gleichen Gesichtern. Raus aus diesem Haus, das einen lebendig begräbt. Und sei es nur für ein paar Stunden.“
    Was natürlich, angesichts eines Daseins als Privateigentum anderer Menschen nicht ganz so einfach war.

    Seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Wer er war… Sie hatte ihm einen neuen Namen verpasst, seine Herrin. Schon lange hatte er sich daran gewöhnt, doch gegenüber jemandem, dessen Akzent dem seinen so ähnlich schien, überlegte er kurz, ob er nicht seinen Alten nennen sollte.
    „Das kommt drauf an.“, erwiderte er nach einer Weile. „Früher war ich Youenn, heute bin ich Pallas.“
    Er schnitt eine Grimasse.
    „Aber was ist schon ein Name. Der Alte passte so wenig wie der Neue.“
    Nun doch ein wenig neugieriger geworden, legte er den Löffel beiseite und konzentrierte seinen Blick auf die Mitsklavin. Er hatte einiges gehört über sie. Mal Gutes, mal weniger Schmeichelhaftes und einige Dinge, die unmöglich wahr sein konnten. Nichtsdestotrotz war er nicht unbedingt darauf erpicht, aufgrund einer Eifersüchtelei mit durchgeschnittener Kehle im Tiber zu enden, daher war erst einmal Vorsicht geboten.
    „Alles in Ordnung? Du siehst krank aus.“
    Wahrscheinlich nicht das unverfänglichste aller Themen, doch für Smalltalk fehlte ihm seit jeher jegliche Begabung. Nicht, dass es ihn bislang gestört hätte…

    Mitten in diese Einsamkeit gesellte sich ein weiterer Sklave, der ebenfalls nicht sonderlich nach Gesellschaft gierte.
    Seit Pallas in Rom war, war ihm kaum etwas lieber als ein Raum, in dem sich keine anderen Menschen befanden. All diese Massen, sowohl in Rom selbst, als auch in diesem Haus, wirkten noch immer ein wenig befremdlich auf ihn, der im fernen Britannien schon eine Gruppe von zehn Leuten als ungewöhnlich großen Haufen angesehen hatte.
    Den Blick zunächst stur auf seine Schale mit Essen gerichtet, realisierte er erst nachdem er sich gesetzt hatte, dass noch eine weitere Person im Raum war.
    „Salve.“, grüßte er automatisch, als er die Sklavin entdeckte.
    Wäre er allein nach der Blässe gegangen, die junge Frau wäre glatt als Patrizierin durchgegangen. Dass sich eine solche jedoch hierher verirrte, war in etwa so wahrscheinlich wie Schnee im Juli. Er musste auch nicht sonderlich lange in seinem Gedächtnis kramen, schnell war ein Name parat.
    „Bridhe, richtig?“
    Es war mehr eine Frage aus Höflichkeit, denn aus Unwissenheit, denn obwohl er noch nie mit ihr gesprochen hatte, wusste er es. Aquilius’ Sklavin.
    Indes stocherte er ein wenig lustlos in seinem Mahl herum.

    Ein Grinsen im Gesicht kam, kurz nach seiner Herrin, die in den nächsten Tagen gar nicht seine Herrin war, auch Pallas in den Raum. Der Britannier hatte zwar schon einige Saturnalienfeiern erlebt, allerdings war dies die erste hier in Rom. Und wie bei allem fiel ihm auf, dass hier alles größer, prächtiger, lauter und aufwändiger gestaltet wurde. Und dass man am besten zu Hause blieb, denn auf den Straßen drängte sich, wie es ihm schien, ganz Rom.
    Allein für die Laufarbeit, die er in den Wochen vor den Saturnalia erledigt hatte, hatte er sich dieses Fest verdient - fand er zumindest. Nur weil die Dame unbedingt ein ganz ausgefallenes Geschenk für ihren Gatten haben wollte. Als ob es eine neue Tunika oder ein paar Sandalen nicht auch getan hätte. Allein der Gedanke daran ließ seine Füße erneut schmerzen.
    Ein prüfender Blick über die Anwesenden verriet ihm, dass wohl mehr Sklaven als Herren anwesend waren. :D
    Wobei Rom an sich sicher 10 Mal so viele Sklaven beherbergte, wie Freie. Heute ließ sich jedoch vor allem eine Tendenz zu weiblichen Sklaven feststellen.


    Sophrona sagte keinen Ton. Sie liebte es, ihre Kundin auf die Folter zu spannen. Zudem war sie sehr neugierig, wer wohl an der Türe sein konnte. Am Ende gar der treusorgende Gatte? Doch so sehr sie die Ohren auch spitzte, alles was sie hören konnte war die tiefe Stimme des Sklaven, der zudem sehr leise sprach. Missmutig zog sie eine Schnute und wandte sich schließlich wieder Antonia zu.
    „Interessant.“, erwiderte sie. „Ein Priester.“
    Sie konnte sich schon denken, warum der Herr Gemahl nicht so sehr darauf erpicht war, seine Gattin zu beglücken. Der bekam sicherlich jeden Tag dutzende Angebote, zumal er auch noch Senator war. Ein falsches Lächeln im Gesicht beugte sie sich jedoch nach vorne und tätschelte der Patrizierin die kalte Hand.
    „Schwierig. Aber nicht unmöglich.“


    Pallas war währenddessen noch immer an der Zimmertür beschäftigt. Ein junger Sklave hatte angeklopft und meldete, dass ein.. ‚Herr’ an der Porta sei, welcher um Einlas.. ‚bat’. Eine enge ‚Freundin’ von ihm sei hier und er wolle sicherstellen, dass es ihr gut ginge. Wie der Türsklave wusste (in diesem Haus sprach sich unter Sklaven ja alles recht schnell herum), hatte lediglich die Herrin Antonia Damenbesuch und so wäre es vielleicht besser, den Herrn herein oder den Besuch hinaus zu geleiten. Ob der Dame dies recht wäre, fragte der Junge. Sicher, er formulierte es anders.
    „Sag deiner Alten, draußen steht so ein abgerissener Typ, der mit der Schnalle reden will, die bei ihr hockt.“
    Der Britannier nickte stumm und schloss die Tür wieder. Als er seiner Herrin berichtete – so leise wie möglich, denn die Lupa spitzte schon wieder die Ohren – verwendete er jedoch wiederum eine etwas erlesenere Wortwahl als sein junger Kollege.


    „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie scheinheilig und legte eine Maske der Besorgnis auf ihr Gesicht.
    Seine Herrin schenkte dem Schauspiel keine Beachtung, sondern murmelte einige, für die Lupa unverständliche, Worte, woraufhin Pallas sich erneut zur Türe begab. Für ihn war klar: Vor der flavischen Porta stand Sophronas Zuhälter, der sicherstellen wollte, dass seiner Investition nichts geschah – oder der seiner ‚Angestellten’ nicht traute und sein Geld lieber selbst abholen kam.


    Und in der Tat, Antonia täuschte sich nicht, denn der Sklave grinste, ganz unverholen, über die Probleme seiner Herrin und der Art, wie sie diese aus der Welt zu schaffen gedachte. Es war dem Britannier ein Rätsel, wie die Römer es bei derartigen Problemen es schaffen konnten, dass ihre Adelsfamilien nicht aufgrund von Kinderlosigkeit ausstarben. Nunja, es gab ja noch die zeugungsfähigen und -willigen Sklaven und Gladiatoren.
    Kaum wurde Pallas sich jedoch des Blicks seiner Herrin gewahr, senkten sich seine Mundwinkel und teilnahmslos starrte er an die Wand, ein Stück über Antonias Kopf, während auch ihm das melodische Geräusch der lupa'schen Ohrringe im Gehörgang klingelte.


    Sophrona indes verkniff sich ein Kichern, wog stattdessen wie die Wahrsager auf dem Markt den Kopf hin und her, ehe sie sich eine Lüge ausdachten, welche ihre Kunden zufrieden stellte.
    "Oh, ja.", entgegnete sie schließlich verschlossen lächelnd auf die Frage der Patrizierin, als gäbe es eine Art Geheimbund der Männerverführer. Ein exklusiver Verein, der ihrer Kundin bislang verborgen geblieben war und in den allein sie, Sophrona, sie einführen konnte.
    "Männer mögen es, berührt zu werden, mögen.. "
    Die gelblich gefärbten Zähne bleckend hielt die junge Frau inne.
    "Doch jeder Mann ist ein bisschen anders, Herrin. Ein Feldherr verlangt eine andere Art Aufmerksamkeit als ein Politiker."
    Das Grinsen wich nicht aus ihrem Gesicht. Stück für Stück würde die Hure so mehr über Kundin und Gatten erfahren.
    Kluge, dunkle Augen blitzten Antonia freudig an.


    Scharf, zischelnd zog Sophrona die Luft zwischen den Zähnen ein. Ein Mann, der sich vermutlich anderswo vergnügte und dessen Frau wohl zu prüde war, um sich anderweitig zu befriedigen. Sonderbar, dabei hörte man doch so oft, dass diese hochgestellten Damen sich mit Gladiatoren und dergleichen einließen. Eine wunderbare Vorstellung, dass womöglich einige der angesehensten Senatoren Roms in Wahrheit die Nachkommen von Barbaren und Sklaven waren.
    "Ich verstehe.", erwiderte sie, den Kopf in Schräglage bringend.
    Das würde teuer. Ohja, teuer. Nicht die Tipps, aber die Tatsache, dass sie den Mund hielt. Ein wölfisches Grinsen zeichnete sich auf den viel zu grell geschminkten Lippen der Lupa (wie passend) ab.
    "Aber, Herrin, darüber gibt es so viel zu sagen."
    Ob die Frau sie nach Dauer des Gesprächs bezahlen würde? Nach gegebenen Ratschlägen? Oder etwa nach Erfolg?
    Und noch immer wusste sie nicht den Namen ihres Gegenübers. Auch nicht, in welcher Villa sie sich eigentlich befand. Doch das ließe sich schnell herausfinden. Vielleicht konnte man diese Geschichte auch auf zwei Zahlende ausdehnen. Die Ehefrau und den Ehemann. Immerhin musste es doch in beider Interesse liegen, dass nicht publik wurde, von wem sich das brave Frauchen hier Ratschläge holte.


    Nach einem Moment des Zögerns gehorchte die junge Frau schließlich und nahm, Antonia keinen Moment aus den Augen lassend, Platz. Genau studierte sie die vom Lichtschein orangerot schimmernden ebenmäßigen Gesichtszüge ihres Gegenübers. Wenn sie es richtig anstellte und sich an sie erinnern könnte, ließe sich aus diesem seltsamen Geschäft sicher noch etwas mehr Profit schlagen.
    Pallas, der Sklave, der sie hergebracht hatte, bezog an der Wand hinter Sophrona Stellung. Wohl, um sicher zu gehen, dass sie nicht sofort reissaus nahm.
    Das Gefühl des Unbehagens wuchs in ihr, nun, da auch noch jemand in ihrem Rücken stand.
    "Herrin, wenn ich eine Frage stellen darf... "
    Eine unwirrsche Handbewegung Antonias schnitt ihr jedoch das Wort ab.
    Sie schien nicht... körperliche Interessen an ihr zu haben, das kannte Sophrona und war durchaus keine wenig gewünschte Dienstleistung in diesen Kreisen. Doch die, die sie augenscheinlich bezahlen würde, saß ihr stumm und reglos gegenüber, machte keinerlei Annäherungsversuche... ob sie die von ihr erwartete? Wollte diese feine Dame etwas Neues ausprobieren und wusste nur noch nicht recht, wie sie anfangen sollte? Oder - ein Kichern entfleuchte der jungen Kehle - ob es um einen Verwandten ging? Ein Geschenk am Ende? Für den Gatten? Den Bruder? Am Ende gar den Sohn, der endlich zum Mann werden sollte?

    >>>


    Irgendwie war alles anders gelaufen, als der Sklave das geplant hatte. Heimlich, still und leise wollte er zurück zur Villa Flavia gelangen. Grummelnd, fluchend und kichernd (die Lupa) war daraus geworden.
    Wenigstens war er sich relativ sicher, dass niemand in der Villa ihn und dieses Weibstück gesehen hatte. Darauf hatte die Herrin besonderen Wert gelegt. Niemand sollte es erfahren. Niemand.


    [Blockierte Grafik: http://img132.imageshack.us/img132/2022/lupazk3.jpg]
    "Ist das nicht die Villa F-", wisperte die Lupa, sich neugierig umsehend.
    "Shhh!", zischte Pallas und zog sie näher heran. "Sobald du wieder auf der Straße bist, wirst du vergessen, wo du warst und bei wem du warst. Wir verstehen uns?"
    "Das kostet aber extra, mein Süßer."
    Nun, das war nicht seine Sorge. Aber zweifellos hatte Antonia genug Geld, um dieses Weib zum schweigen zu bringen.
    "Du siehst gar nicht aus wie ein Patrizier, mein Süßer."
    "Ich bin auch keiner."
    "Ach... ein Sklave?!"
    Erstaunlich, wie schnell das Interesse eines Menschen an einem anderen abflauen konnte.
    "Wie heißt er denn, dein Herr?"
    Wie aufs Stichwort blieb der Brite stehen.
    "Spielt keine Rolle.", gab er zurück, klopfte kurz und betrat schließlich Antonias Cubiculum.


    Seine Herrin wartete bereits im Inneren, der Raum, durch einige Kohlebecken gut geheizt, war lediglich von einigen wenigen Fackeln erhellt.
    "Herrin, hier ist-"
    Mit einem Mal bekam die Lupa es mit der Angst zu tun. Eine Frau? Bei Pluto, die wollte sie sicher grün und blau prügeln lassen, weil sich ihr Gatte mit der Lupa vergnügt hatte. So hatte der Sklave seine liebe Mühe damit, die Zappelei der jungen Frau unter Kontrolle zu halten.
    "Lass das!", brummte er entnervt.
    "Ich war es gewiss nicht, ich schwöre es, bei allen Göttern. Ich war-"
    "Schweig!"

    Dass seine Herrin ein wenig sonderbar war, dass hatte Pallas schon nach wenigen Tagen erkannt. Und mit jedem Auftrag, den sie ihm erteilte, schien sie sonderbarer zu werden.
    Doch zum Mercatus geschickt zu werden, um so etwas zu besorgen, das war nun eindeutig der Gipfel. Und das noch um diese Uhrzeit. Kalt, dunkel, ungemütlich... nicht, dass er das nicht von zu Hause aus gewohnt gewesen wäre, aber mit der Zeit gewöhnte man sich nunmal an die Vorzüge eines patrizischen Sklaven.
    Abgesehen davon... wenn ein Mann sich derartiges kaufte - oder sagte man eher "mietete"? - das verstand der Brite. Aber eine Frau? Ob das bei Römern so üblich war?


    Er selbst hatte keine Ahnung von so etwas. Worauf sollte er achten, welche Eigenschaften, welches Aussehen?
    So streifte der arme Sklave etwas ziellos durch Roms Märkte - besser gesagt, am Rand entlang. Am Venustempel sollte es zwar auch geben, was er suchte, aber die Herrin hatte auf Diskretion bestanden. Und hier war eindeutig mehr los. Mehr Getümmel bedeutete weniger Aufmerksamkeit.
    Es dauerte nicht lange, bis ihn die eindeutig zweideutigen Angebote der ansässigen Lupae ans Ohr drangen.
    "Na, Süßer, wie wärs mit uns beiden?", säuselte eine etwa 50-Jährige.
    "Vergiss die Alte.", scharrte eine Zweite. "Du willst doch sicher Eine, die sich noch bewegen kann."
    Wenn er nur wüsste, was er wollte. Was sie wollte. Unentschlossen schweifte sein Blick umher, bis er an einer jungen Frau hängen blieb, die ihrerseits in recht eindeutiger Pose an ihm "hing". Nunja, sie hatte ihn eher umklammert und wisperte allerlei Worte in seinen Gehörgang, die er kaum vestand.
    "Wieviel?", fragte er also.


    [Blockierte Grafik: http://img132.imageshack.us/img132/2022/lupazk3.jpg]
    "Für dich, Schätzchen-"
    "Nicht für mich.", wandte Pallas schwach ein.
    "Für dich", beharrte die Lupa,
    Bei allen Göttern, wenn es denn unbedingt sein musste...
    "Für dich, ein Sonderpreis. 50 Sesterze für die ganze Nacht, 20 für einmal-"
    "Wieviel für ein paar Auskünfte?"
    Das schien die Dame nun zu verwirren, denn sie blinzelte den Sklaven unverständig an. Da sie jedoch gewohnt war, pragmatisch zu denken und zu handeln, ließ sie sich nicht lange davon beirren.
    "He--eeeeee!"
    Eher in den höheren Stimmlagen war dieses "He" anzusiedeln, suchte die Lupa doch gerade einen Weg in tiefere Gefielde des Sklaven.
    "Naaa, gefällt dir das, Süßer?"
    Ein "Nein" hätte der Sklave an dieser Stelle als unhöflich empfunden - das widersprach seiner britannischen Erziehung. Denn trotz aller Vorurteile, auf nichts legten seine Landsgenossen so viel Wert, wie auf Höflichkeit... So beschränkte Pallas sich darauf, die Hand der Namenlosen zu packen und wieder ans Tageslicht zu führen.
    "Nicht hier.", zischte er leise.
    "Oh, du willst mich mit nach Hause nehmen, wie? Das wird aber teurer."
    Wie so oft an diesem Tag drängte sich die Frage "Was habe ich nur verbrochen" in Pallas' Bewusstsein.
    Da er jedoch nicht minder pragmatisch war, als die Lupa, ging er nicht weiter auf ihr Gesäusel und Gefummel ein, sondern zog sie, an der soeben gepackten Hand, hinter sich her, zur Villa Flavia.

    Ooooh, nein, der war wirklich nicht gut drauf.
    Mitten in der Bewegung hielt Pallas inne und wandte langsam, als würde er sich einer Raubkatze gegenüber sehen, den Kopf zu Aquilius.
    Einen Moment lang schien er zu überlegen, was nun die angebrachte Reaktion wäre. Um sein Heil in der Flucht zu suchen war es nun zu spät, der Herr würde ihn im Zweifelsfall sicher wieder erkennen. Die Frage war nun lediglich, wer würde das schlimmere Donnerwetter über ihm hereinbrechen lassen wenn sich die ihm aufgetragene Arbeit verzögerte - Antonia oder Aquilius?


    "Herr?", begann er zaghaft. "Verzeih, aber eigentlich soll ich für die Herrin [SIZE=7]Claudia Antonia[/SIZE]...
    Immer leiser wurden seine Worte, angesichts der Miene des Marspriesters. Er schluckte und verstummte ganz. Naja, wenn er ohnehin in die Küche musste, konnte er ihm ja eigentlich auch gleich etwas bringen.
    "Wünschst du etwas Bestimmtes zu speisen, Herr?"
    Indes fragte der Brite sich, wo nur all die anderen Sklaven abgeblieben waren, die ihm hätten aus der Klemme helfen können. Aber das würde er sich merken, er vergaß nie etwas. -.-

    Sim-Off:

    Na gut, wenn sich sonst keiner traut :P


    Der unglückselige Sklave, der gemächlichen Schrittes hereinkam war Pallas, der eigentlich nur auf dem Weg in Richtung Küche war. Seine Herrin hatte einen jener unerklärlichen Essanfälle, den nur Frauen zu bekommen schienen. Wie üblich hatte er mit einigen anderen Sklaven Strohhalme gezogen, um zu ermitteln, wer der arme Tropf war, dem diese Ehre zuteil wurde. Wie so oft zog er den Kürzesten und so musste er sich auf den Weg durch die halbe Villa machen, um etwas zu besorgen, das Claudia Antonia doch nur wieder durch den halben Raum werfen würde. Vorzugsweise auf den Überbringer der Speisen.


    Dass ein weiterer Bewohner des Hauses bedient werden wollte entging ihm gänzlich. Es kümmerte ihn auch nicht, sah er sich doch als Privat- und nicht Gemeineigentum. Auch ein Sklave hatte schließlich seinen Stolz. Besonders ein Britischer.
    Und so kam er, die Arme hinter seinem Rücken verschränkt, den Blick auf die Wandmalereien gerichtet, ins Atrium. Eine sonderbare Sitte der Römer, sich Bilder an die Wand zu malen. Es sah nicht schlecht aus, kein Zweifel. Doch blieb es ihm zeitlebens schleierhaft, wieso man erst riesige Bauten aus Stein dazu verwendete, alles, was an Natur erinnerte aus den Städten zu tilgen, nur um danach Parks, Hortii, Mosaike und Malereien anzulegen und -zu-fertigen, die wiederum das Verbannte zurückbringen sollten. Die spinnen, Römer. Manchmal fühlte er sich wirklich wie ein kleiner Außerirdischer.


    So vertieft in seine Überlegungen bemerkte er zunächst gar nicht, dass sich noch jemand im Raum befand. Als Pallas den Blick jedoch wendete, entdeckte er Aquilius und blieb umgehend stehen. Es folgte eine angemessen tiefe Verbeugung.
    "Herr.", grüßte er, richtete sich wieder auf und wollte seinen Weg fortsetzen. Der Herr sah 'not amused' aus, daher schien es dem Sklaven besser, so schnell so weit weg wie möglich zu kommen.

    Acanthus blickte kritisch. Er blickte immer kritisch, aber das wusste ja nicht jeder, der an die Porta der Villa klopfte.
    Wie ein Sklave sah der zweite Besucher zwar nicht aus, aber dennoch stimmte die Nicht-Nennung seines Namens den Ianitor misstrauisch.
    Kurze Zeit des stummen Anstarrens später, gab der große Sklave jedoch den Weg ins Haus frei. Einen Jungen wies er indes an, die beiden Männer ins Atrium zu führen, während er selbst sich aufmachte, um einem der Herren bescheid zu geben.

    >>>
    Der junge Sklave führte die Aquarii ins Atrium der Villa.
    "Einen Moment, Senator Flavius Felix wird sicher gleich erscheinen."
    Sogleich wandte er sich um, um zurück zur Tür zu eilen.