Der freche kleine Vogel entschwand freudig zwitschernd durch das offen stehende Fenster und scherte sich nicht weiter um das kleine Malheur das er da angerichtet hatte. Wohin es ihn wohl zog? Vielleicht hoch in die Lüfte, wo ihn kurze Zeit später das Schicksal in Form eines Greifvogels ereilen sollte? Oder womöglich direkt zurück zu seinen Artgenossen, um ihnen laut trällernd von den Leckereien zu erzählen, die er in einem überdimensional groß anmutenden Vogelhaus gefunden hatte? Was auch immer mit ihm geschehn mochte, wer machte sich schon Gedanken über einen kleinen frechen Vogel und dessen Schicksal?!
Prisca tat es jedenfalls nicht. Sie wollte sich am liebsten gar keine Gedanken mehr machen, niemals mehr und so versuchte einfach alles um sie herum auszublenden. Das schöne Bildnis des Himmels, der Sonne und der Wolken, welches als Gemälde die Decke ihres Gemachs zierte, das Zwitschern der Vögel von draußen her, die Anwesenheit ihrer Sklavin … einfach Alles! Doch weder schaffte sie es die Bilder gänzlich auszublenden, noch konnte sie damit ihre Sklavin verscheuchen. Kurz war Tilla zwar weg, doch dann war sie wieder da und kümmerte sich wieder rührend um ihre Herrin, egal, ob diese das wollte - oder nicht. Lass mich doch endlich in Ruhe!!, mit einem leisen Murren folgte Prisca den Bewegungen ihrer Sklavin, öffnete brav den Mund und trank ein paar Schlucke von dem kühlen Wasser. Im tiefsten Innern war die Aurelia froh, dass ihre Leibsklavin hier war und etwas unternahm, damit sie nicht völlig allein und untätig herum lag, doch zeigen konnte sie ihr dies momanten nicht. So konnte sie sich wenigstens darüber aufregen, dass ihre Sklavin so ungehorsam war und nicht verschwand wie sie es ihr befohlen hatte.
"Was spielt das denn für eine Rolle …", kommentierte Prisca mit krächzender Stimme Tillas flüsternde Worte, lustlos und sich nicht weiter darum scherend was ihre Sklavin mit ihr anstellte. Der Blick der Aurelia begann wieder in die Ferne zu schweifen, als würde sie mit offenen Augen schlafen. Nicht einmal das Öffnen der Türe konnte Prisca dazu bewegen den Blick zu wenden, ihr war es schlicht und ergreifend egal wer da herein kam. Sicher nur wieder irgend ein Sklave, der glaubte helfen zu können…
"Sei gegrüßt Herrin!" Es war Esther, die herein kam und ein Tablett mit Obst und Säften bei sich hatte. Sie vermied es tunlichst, die Herrin weiter anzusprechen oder gar nach ihrem Befinden zu fragen. Das wäre sicher besser so. "Guten Morgen Mia", grüßte sie stattdessen ihre Tochter mit einem warmen Lächeln. Leise näherte sie sich dem Bett, stellte das Tablett vorsichtig daneben auf einem kleinen Tischchen ab und begutachtete mit einem prüfenden Blick die liegende Frau. "Kommst du zurecht, Tochter?", erkundigte sich die Ägypterin dann mit leiser Stimme bei Tilla. "Ich muss gehen und ein paar Besorgungen in der Stadt machen. Auch für deine Herrin, so wie es ihr Arzt mir gestern aufgetragen hatte. … Bis bald Mia!", erklärte sie noch schnell und schenkte Tilla schließlich zum Abschied einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. ...