Wie es schien wollten Serrana und Calvena unbedingt das Gedicht hören. Prisca stimmte nach kurzem Zögern zu, denn sie war nicht so sehr geübt im rezitieren von Gedichten. Wozu gab es schließlich geeignete Sklaven, die dafür üblicherweise heran gezogen wurden, damit die Herrschaften entspannt lauschen konnten. Gefiel das Werk, die Ausdrucksweise, oder was auch immer nicht, so war es um einiges leichter seinen Unmut dar zu tun und den armen Sklaven auszubuhen, als wenn es sich dabei um eine hochgestellte Persönlichkeit gehandelt hätte. Unter Freundinnen war das natürlich etwas ganz anderes und Prisca hatte nicht wirklich Bedenken, ausgerechnet von den beiden besten Freundinnen ausgebuht zu werden. Ausgelacht schon eher, handelte das Gedicht ja - streng genommen - ausschließlich von ihren Händen, aber selbst diese Reaktionen würde die Aurelia - zumindest ihren beiden liebsten Freundinnen zuliebe - nicht allzu übel nehmen.
Ehe Prisca das Gedicht vortrug hörte sie aber noch aufmerksam zu, wie Serrana von ihrem Kennenlernen erzählte und bei ihrer Äußerung über das 'ganz unanständige Kleid', dabei huschte ein leichtes Schmunzeln über die Lippen der Aurelia. Nicht das sie sich nicht hätte vorstellen können wie umwerfend die Iunia darin aussehen würde, so hübsch wie sie war, nein vielmehr klang es aus dem Mund der sonst eher schüchtern wirkenden Serrana eben so interessant, wie "verrucht": "Oh! Und wie dürfen wir uns dieses ganz unanständige Kleid denn vorstellen? Würdest du es uns eventuell einmal vorführen? Oder ist es einzig und allein für die Augen deines Gatten bestimmt? ", fragte die Aurelia deshalb absichtlich und mit einem spitzbübischen Grinsen nach um ihre Freundin ein bisschen mehr in Verlegenheit zu bringen. Das war selbstverständlich nicht böse gemeint und mittlerweile kannten sie sich alle auch gut genug, dass Serrana ihr diese Frage hoffentlich nicht übel nehmen würde.
Da Calvena im Moment etwas abwesend wirkte, ergriff die Prisca nun die Initiative und legte die Reihenfolge einfach neu fest: "Also dann, bevor uns Calvena ihre Geschichte erzählt und du, Serrana, uns weiter von deinem unanständigen Kleid berichtest, will ich euch also dieses Gedicht vortragen. …. Aber wehe euch, ihr lacht mich aus!", schickte sie mit erhobenen Finger noch eine gespielte Warnung vorweg, ehe sie räuspernd aufstand und ein paar Schritte nach vorn machte. "So samtig wie ein Pfirsich hat zu sein, …", begann sie dabei unvermittelt den Text aufzusagen während sie sich mit einer eleganten Drehung wieder den Freundinnen zuwandte:
"so leicht wie Federn, aufgewühlt vom Wind.", machte sie ein paar gleitende Bewegungen mit den Armen durch die Luft ...
"So zart wie Feigen, die am Land gedeih’n,
ein Duft wie Flieder, den man selten find‘t."
Prisca achtete durchaus darauf den Klang und das Tempo ihrer Stimme, sowie ihre Gestik und Mimik den Zeilen entsprechend anzupassen, damit das Gedicht nicht einfach nur herunter gesagt wurde. Das hatte das Werk ihrer Meinung nach nicht verdient und außerdem konnte sie so einmal mehr die rhetorischen Stilmittel ausprobieren die sie (hoffentlich) aus ihrer Studienzeit in Griechenland noch nicht ganz verlernt hatte:
"Dergleichen habe ich vernommen hier
dergleichen habe ich wohl jüngst verspürt,
ach, wie erweichte es das Herze mir,
ach, wie die Seele in mir war berührt!", fasste sie sich ans Herz und sah wehmütig gen Himmel ...
"Denn Seide war es, von dem ich geglaubt,
in meinen Händen hätt‘ ich es gefühlt
Doch meines Atems war ich wohl beraubt,
wie innerlich war ich doch aufgewühlt.
Ich dachte nie, dass es je möglich war,
dass hier ein Mensch so göttlich‘ Hände hat.
Oblag es mir, zu schätzen, ob fürwahr,
es wahr ist, dass es Hände gibt, so glatt?" Prisca hob ihre rechte Hand und betrachtete sie versonnen während sie kurz Luft holte ...
"Doch griff ich sie, und Zweifel hier verschwand.
Es gibt auf Erden Frauen, die allhier
Besitzen einen solche schöne Hand.
Ich hielt so eine – sie gehörte dir.", zusammen mit diesen Worten hielte sie ihre Hand spielerisch Calvena entgegen …
"Bei dir, da hörte meine Suche auf,
nach Händen, die ein‘ Göttin haben kann.
Es war hier, dass ich, wohl in Schicksals Lauf,
auf einen Schlage ward ein sel’ger Mann.
So fand ich sie, bei dir, was ich ersehnt,
der Gram hört auf, und meine Seele singt.
Ich fand dich, was ich nirgendwo gewähnt,
der‘n schöner Name blumengleich erklingt.
So seidenhändig, hold und wundersam
Solch Edelmut – wer kann da widersteh’n?
Oh Blume, deren Hände ich einst nahm,
wann werd‘ ich Leidender dich wieder seh’n?", die letzten Worte mit immer leiser Stimme ausklingen lassend, trat Prisca langsam auf die Germanica zu, der sie die Rolle der Geliebten zugedacht hatte und der sie nun gespielt einen schmachtenden Blick zu warf, um somit das Gedicht gebührend enden zu lassen.
Nachdem Prisca einen Augenblick lang wie versteinert da stand, entspannte sie sich wieder und sah ihre Freundinnen erwartungsvoll an. Tja, das war das Gedicht ….", meinte sie dann grinsend und mit den Schultern zuckend auf die hoffentlich positiv ausfallenden Reaktionen wartend.