Die ganze Nacht hatte Prisca kein Auge zugetan angesichts der schrecklichen Ereignisse und der unfassbaren Nachricht von Celerinas Tod und den unglaublichen Umständen, die dazu geführt hatten. Sie ist tot … tot … einfach tot?!?! Der bloße Gedanke daran war so absurd und unbegreiflich, dass Prisca völlig aufgelöst und ruhelos umher irrte. Doch es war schreckliche Gewissheit, kein Traum, denn der Leichnam der Flavia lag aufgebahrt im atrium und daneben saß wie versteinert ihr Onkel. Prisca hatte es nicht gewagt ihn anzusprechen, obwohl sie eigentlich sofort zu ihm eilen wollte. Nicht jetzt, nicht sofort, etwas später! Hatte sie sich eingeredet, würde es besser sein, ihm in dieser schweren Stunde beizustehen. Sie wollte ihm Trost spenden,… ihm so vieles sagen, irgend etwas tun. … Nur was? Bei allen Göttern irgendwas muss es doch geben! , überlegte Prisca selbst der Verzweiflung nahe und darob unfähig, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
Etwas später dann, nachdem Marcus sich in sein Arbeitszimmer zurück gezogen hatte, hielt es Prisca nicht mehr in ihrem Zimmer aus. Sie huschte hinüber zu seinem Officium, kopfte zaghaft an und hoffte inständig er würde ihr aufmachen. Doch er öffnete ich nicht. Kein Laut drang heraus und hätte Prisca in dem Moment geahnt, dass sie seine Stimme niemals wieder hören würde, hätte sie den Sklaven sofort den Befehl gegeben die Türe aufzubrechen. So aber blieb sie untätig vor der verschlossen Türe stehen. Händeringend und innerlich zerwühlt. Minuten, die sinnlos verstrichen und in denen Prisca nicht wusste was sie tun sollte. Minuten, von denen sie später selbst nicht mehr sagen konnte was sie letztendlich dazu bewogen hatte, zurück in ihr cubiculum zu gehen um dort auf den nahenden Tag zu warten. Ein neuer Morgen, ein neuer Anfang! Der Anfang von Hoffnung und Allem… Und doch wird Alles für immer vergebens sein ..., flüsterte eine leise unliebsame Stimme tief in ihrem Herzen und schürte so das dumpfe Gefühl nicht das Richtige getan zu haben. Immer dann, wenn ein Teil von uns stirbt, weil das Schicksal es längst so besiegelt hatte.
Nach dieser schier endlos erscheinenden Nacht, die geprägt war von einer erdrückenden Stille, welche über der villa Aurelia lag, nahte unaufhaltsam der Morgen. Langsam zwar, aber er kam und die Totenstille wich dem der Gesang der frühen Vögel. Und mit den ersten Sonnenstrahlen betrat schließlich Brix (der maiordomus und der einzige Sklave, der die Nacht über bei Marcus gewesen war) das Zimmer und am liebsten wäre Prisca sofort um den Hals gefallen. Endlich! Alles wird gut. Ein Funken der Hoffnung flammte in Priscas Augen auf. "Sprich Brix! Wie geht es Marcus? …Kann ich jetzt endlich zu ihm?", fragte die Aurelia den Sklaven mit zitternder Stimme und sie stutze kurz, als ihr seine betretene Miene auffiel. Das verhieß nichts gutes. Hastig griff die Aurelia nun nach dem Brief - wie nach einem rettenden Strohhalm - und ihre Augen begannen bereits verräterisch zu glänzen, noch während sie das Papyrus mit zitternden Fingern recht unbeholfen entrollte. ...
"Geliebte Prisca, ich bitte dich, verzeih mir, dass ich dich allein lasse." …
Weiter musste Prisca gar nicht lesen (den Rest würde sie später noch oft genug mit Tränen in den Augen lesen) um völlig fassungslos zu begreifen was passiert war. Er ist tot! Noch vor wenigen Stunden hatte sie diesen Gedanken als absolut undenkbar abgetan. Und nun?"Nein! ...Sag, dass das nicht wahr ist ...", hauchte sie Brix mit versagender Stimme und einem ungläubigen Blick entgegen. Die junge Aurelia wirkte wie versteinert, unfähig zu irgend einer Reaktion außer der Tränen, die in Strömen über ihre Wangen zu fließen begannen.
Für Prisca brach in dieser Sekunde eine Welt zusammen. Die Welt in der sie sich stets behütet gefühlt hatte weil es ihn gab, ihren geliebten Onkel! Und nun war er fort, ... für alle Zeit. Von mir gegangen. … Sein wunderbares Lachen, das sie leider viel zu selten gehört hatte und seine warme Stimme. Auf ewig verklungen! Der Glanz in seinen Augen. Für immer verblasst! All das was noch hätte gesagt werden müssen, was es wert gewesen wäre, gemeinsam zu erleben. So vieles, … so unendlich viele schöne Dinge im Leben! … Vergeben für alle Zeit durch die Endlichkeit des Todes! ... Oh nein, Marcus, wie konntest du nur so etwas tun?! Prisca begriff es nicht. Warum? Warum nur? Oh bitte, bitte, ihr Götter, lasst es nicht wahr sein, nicht Marcus, nicht er ... auch noch Der Stich in Priscas Herz tat unendlich weh, doch im Gegensatz zu einem Dolch, der den Tod rasch mit sich brachte, wollte dieser Schmerz nicht mehr vergehen. Die Aurelia krümmte sich vor Schmerz und ob der Gewissheit, vom Tod ihres geliebten Onkels, raubte es ihr fast den Verstand.
"NEEEIIIIIIIIIIIIIIIIINNNNNNNNNNNNN….. ", schrie Prisca ihre ganze Verzweiflung und ihre Trauer, über den Verlust des geliebten Menschen, hinaus in die Welt als ihr gewahr wurde, dass es kein Alptraum war aus dem es je ein Erwachen gegeben hätte. Marcus wird nie mehr zurück kommen Diese schreckliche Erkenntnis war zu viel für Prisca. Kurz taumelte sie noch und dann gab es kein Halten mehr. Ohnmächtig sackte die junge Aurelia in sich zusammen, ihrer Sinne beraubt und wenigstens verschwand auf diese Weise die grässliche Realität, für einen kurzen Moment, vor ihren Augen. Nicht einmal mehr der Schmerz vermochte diesen Nebel zu durchdringen, zum Glück, als der kalte Boden ihren Fall recht unsanft auffing …. Absolute Schwärze und Stille. Einfach nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, nichts mehr hören und sehen, … so als wolle sich der Tod einen Spaß daraus machen so zu tun, als würde er auch noch sie zu sich holen ...