Beiträge von Appius Aurelius Cotta

    Wie ich es auch gar nicht anders erwartet hatte, gelang es Ennius Cerealis auch diesmal, seinen laienhaften Befrager nicht etwa alt aussehen zu lassen, sondern meine Äußerungen im Gegenteil in der liebenswürdigsten Weise aufzugreifen. Seine erste Erwiderung schien dabei sogar einen philosophischen Schwenk machen zu wollen und offenbarte einen Ennius Cerealis, der vielleicht nicht nur an techniklastigen Problemen interessiert war. Der bedeutungsvolle Blick dagegen, den er seinem jungen Begleiter zuwarf, bevor er detaillierter auf die eigentlich technischen Aspekte meiner Ausführungen einging, sagte mir, dass beim Wasseramt wie überall gerade die Anfänger die Drecksarbeit machen mussten. Damit wusste ich auch schon, was mir bei einem möglichen Einstieg in den cursus honorum so alles bevorstehen könnte. Schmunzelnd nahm ich noch einen Schluck aus meinem Weinbecher.


    Da nun die drei Bereiche Wasser, Rohre und deren Reinigung respective Wartung für einen Laien wie mich schon detailreich genug abgehandelt waren - offen gesagt, schwirrte mir schon ein wenig der Kopf, und ich würde all die neuen Informationen erst einmal sacken lassen müssen -, wollte ich den Besuch des netten Mannes vom Kundendienst allmählich ausklingen lassen. Eines aber wollte ich doch noch gerne loswerden:


    "Jetzt, da du mir die Verstecke der Schächte genannt hast, hat dieser Teil der Arbeit der cura aquarum für mich tatsächlich ein bisschen was von seinem Geheimnis verloren. Dadurch aber ist er nicht weniger interessant geworden."


    Ich wollte nun schon Anstalten machen, mich zu erheben und meine Gäste hinaus zu begleiten, als mir erst auffiel, dass man meine letzten Worte auch als ziemlich unhöflich auffassen konnte.


    "Das gilt aber natürlich auch für deinen Arbeitsbereich, Ennius Cerealis, der dir sicher viel Abwechslung bietet, aber wahrscheinlich auch immer neue Herausforderungen."


    Sicher waren nicht alle Hausbesitzer respective -bewohner so freundlich wie ich. ( :D)


    "Seitdem ich hier in Roma bin, versuche ich natürlich, mich über die wichtigsten Ämter zu unterrichten. Wie ich hörte, gliedert sich die cura aquarum in vier Teile - du hast sicher nicht den schlechtesten erwählt."

    Sich von unserem Brückenstandpunkt aus in Richtung Palatin zu begeben, war wirklich keine Kunst, war es doch in der Tat so, dass sich die Masse der Passanten, die die Brücke überquerten, stadteinwärts begab. Umso schwerer fiel es mir, nicht vollkommen rot zu werden, als Germanica Caia meinem Vorschlag nicht nur zustimmte, sondern ihn auch flugs in die Tat umsetzte, indem sie sich kurzerhand bei mir einhakte und mich mit sich zog in den Strom der Menschen hinein. Und höchstwahrscheinlich gelang es mir auch nicht ganz, die Veränderung der Farbe meines Gesichts zu verhindern, denn schon spürte ich ein verräterisches Glühen in den Wangen, das ganz sicher nicht auf das Tempo unseres Gangs zurückzuführen war. Auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben hat man doch erstaunlich wenig Einfluss ...


    Einen etwas größeren Einfluss versuchten dagegen ich und mein Sklave Maron auszuüben, um die Sicherheit Caias zu gewährleisten. Weil sie sich ja bei mir eingehakt hatte, war ihre eine Seite durch den Patrizier abgedeckt; auf die andere Seite hatte sich ganz selbstverständlich und ohne, dass es dazu eines Wortes bedurft hätte, der Sklave begeben, womit diese Seite Caias definitiv besser abgedeckt war als durch mich. Das war alles nicht ganz unwichtig, weil sich dort, wo Akrobaten auftreten und Menschengruppen ihnen zuschauen, ja nicht selten auch Diebe und ähnliche Zeitgenossen tummeln. Während Maron also die Augen offen hielt für Caias Schutz, diese vielleicht für Akrobaten und Künstler und ich für Caia und so jedermanns Augen ein passendes (Such-)Objekt gefunden hatten, lieh ich meiner Begleiterin natürlich auch mein Ohr. Ihre Frage nach meinen Plänen versetzte mich zunächst in nicht geringe Verlegenheit, weil ich die ehrliche Antwort für ein bisschen langweilig hielt; dann aber besann ich mich sofort wieder darauf, wie ungewöhnlich meine Gesprächspartnerin war, ganz sicher anders als so manche andere Frau, und dass sie offenbar ja auch einige meiner Interessen teilte.


    "Ich gehöre ja dem Patrizierstand an, und unsere Traditionen verlangen bestimmte berufliche Einschränkungen. Von den für mich überhaupt nur möglichen Karrierewegen reizt mich am meisten der politische: Wenn ich den CRV bestanden habe, möchte ich den cursus honorum beginnen."


    Ich blinzelte ein bisschen verschämt zu ihr hinüber, denn es kam mir schon seltsam vor, nach so tiefschürfenden Reflexionen nun über Karrierewege zu sprechen. Aber Reflexionsfähigkeit und Karriere schlossen sich ja nicht unbedingt aus.



    Sim-Off:

    Sorry, habe aus Versehen viel zu früh den Antwortbutton erwischt - und als edit einfach nur den sonst sinnlosen Text zu Ende geschrieben.

    Im Nachhinein war es mir nicht mehr möglich zu sagen, was in diesen Moment in mich fuhr. Hätte er jetzt vor irgendjemand anderem seine Vorzüge aufgezählt, ich hätte gelächelt und vielleicht noch scherzhaft hinzugefügt, dass er gerne veränderte griechische Sagen erzählte und natürlich sehr gut singen konnte - etwas, womit ich ihn ja seit unserem Ankunftstag in der villa Aurelia in Roma und dem Gespräch mit Sisenna aufzog. Hier vor meiner Mutter aber war alles anders.


    Ich kannte Maron jetzt lange, und er stand mir sehr nah. Aus vielen Gesprächen mit ihm wusste ich nur zu gut, wie stolz er auf seine thrakische Herkunft war und welchen Wert er darauf legte, nicht für einen Griechen gehalten zu werden. Aber dass er mit dieser Bemerkung jetzt seine Vorstellung beendet hatte, machte mich aus einem unerfindlichen Grund richtig wütend, und meine Wut steigerte sich immer mehr.


    Warum hatte er jetzt das gesagt? Warum das, warum ausgerechnet das und nicht das andere? Wofür waren denn Sklaven wohl sonst noch da, na, wofür? Und wenn dann so eine Schönheit vor dir sitzt, lässig den Weinbecher hält, sich auf der Kline räkelt wie eine Mätresse, selbstbeherrscht, souverän, zum Verrücktwerden schön und unnahbar, so selbstbeherrscht, so stolz, so allein vielleicht und so traurig - aber nie, nie würde sie das zugeben - na, wofür waren dann Sklaven wohl noch so alles da?
    Ich wandte mich um und ging ein paar Schritte. Ich hätte es fast gesagt, hätte ihr fast den Sklaven angeboten. Eigentlich war das doch nichts Ungewöhnliches - aber als Sohn seiner Mutter? Ein Sakrileg.


    "Für mich auch Wein",


    sagte ich in den Raum hinein, ohne überhaupt mitbekommen zu haben, welche Sklaven hier nun bedienten; im Notfall würde Maron mir eben einschenken müssen. Was mich meine Mutter noch gefragt hatte, hatte ich vergessen, ganz sicher etwas zu meiner Karriere. Dafür war ich ja in die Welt gesetzt worden, um Karriere zu machen. Nun, meine Karriere würde sie schon nicht verpassen, wenn sie hier in Roma bleiben würde, doch genau das wusste ich ja nicht.


    "Was führt Dich eigentlich hierher nach Roma, Mutter? Es ... es geht Dir doch gut?"


    Eben noch hatte ich gerätselt, ob diese Frau irgendetwas plane und aushecke - und dann war mir, ganz leise im Tonfall, diese Frage herausgerutscht. Wie eine Höflichkeitsfloskel. So fragte man eben. Doch der Gedanke, sie könne vielleicht krank sein, ließ mich erschrocken zu ihr hinsehen.

    Erbittert blickte ich meine Mutter an. Natürlich merkte ich ganz genau, dass sie jetzt nichts über Maron hören wollte, aber anstatt mir das zu sagen, ging sie auf mein Spiel ein und versuchte noch, mich darin zu übertrumpfen. Mein Atem ging heftig, und ich spannte meine Beine bis zum Schmerz an.


    Aber nein, den Gefallen würde ich ihr nicht tun und nun Marons Vorzüge preisen. Sie hatte gefragt, nun gut, nun höre auch. Aus dem Mund des Sklaven sollst du das hören, aus dem Mund des Sklaven.


    Ein einziger Blick zu Maron, und ihm war klar, was von ihm verlangt war. Aufs Höchste erregt hörte ich ihm zu.

    Gespannt hatte ich Germanica Caia angeschaut, und als sie dann doch nicht einen Ausflug in die subura vorschlug, sondern lediglich nach Akrobaten oder Schauspielern fragte, grinste ich erleichtert. Vor allem aber führte ihr strahlendes Lachen meine Mundwinkel in ganz ungeahnte Breiten, und ich war mir allmählich auch sicher, dass ich mir das nicht alles nur einbildete: Sie freute sich wirklich! Einen Moment lang überlegte ich nun, wohin wir uns wenden könnten, und bei dieser Überlegung stellte sich wieder einmal heraus, dass das Gute oft so nah liegt. Nicht ganz ohne Stolz verkündete ich Caia nun das Ergebnis meines Grübelns:


    "Ich glaube, wir können beides miteinander verbinden. Von hier aus ist es gar nicht weit bis zum Palatin, und zwischen Circus Maximus und dem Amphitheatrum Flavium ist eigentlich immer etwas los. Und außerdem gehen auch die meisten Leute auf dieser Brücke in die Richtung und nicht in die Gegend jenseits des Tiber, so dass wir uns auch einfach dem Strom anschließen können."


    Als ich meinen Vorschlag zu Ende gebracht hatte, genierte ich mich schon wieder etwas für den offensichtlichen Stolz, mit dem ich das alles vorgetragen hatte. Caia sollte mich doch für einen ernsthaften jungen Mann halten und nicht für irgendeinen von diesen selbstgefälligen Gecken.

    Zitat

    Original von Decimus Furius Licinus
    “ Weil du mir so sympathisch bist habe ich ganz vergessen das es einen Unterschied zwischen Patriziern und Plebejern gibt. Ich finde es ziemlich dumm. Aber damit müssen wir leider Leben. Ich glaube nicht daran, aber vielleicht ändert sich irgendwann etwas“.


    Die Worte meines Gesprächspartners rührten mich ehrlich; seitdem ich in Roma wohnte, hatte ich so etwas noch nicht oft zu hören bekommen.


    "Offen gestanden, dachte ich ganz am Anfang, als ich dich gesehen habe, erst, du seist gefährlich. Aber jetzt bin ich sehr froh, dass die Götter uns zusammengeführt haben, denn du bist mir auch sehr sympathisch."


    Ich blickte zu ihm hinüber und lächelte ihn an. Es war an dieser Stelle allerdings auch meine Pflicht, etwas klar zu stellen:


    "Die Unterschiede zwischen Plebejern und Patriziern beruhen auf alten Traditionen. Ich glaube, dass gerade das Festhalten an seinen Traditionen Rom so stark gemacht hat. Allerdings wirst du von mir nie hören, dass ich engagierte und integere römische Bürger, wie du einer zu sein scheinst, abschätzig behandle, weil sie Plebejer sind. Im Grunde stehen wir doch alle für ein und dieselbe Sache: Für die Zivilisation und gegen die Barbarei."


    Von diesen ernsten und durchaus auch schon wieder politischen Themen kamen wir aber auf sehr erfreuliche Art und Weise ab, als Furius Licinus bei einem Obsthändler einkehrte und für uns drei Obst einkaufte, das wir auch gleich verzehrten.


    "Ich danke dir sehr für diese Einladung, Furius! Hoffentlich kann ich mich auch bald revanchieren. Obst ist doch immer wieder eine angenehme Erfrischung, besonders bei einem solchen Laufpensum, wie wir beide es schon hinter uns gebracht haben."


    Der circus maximus rückte nämlich immer näher.

    Dem Erschrecken folgte auf meiner Seite gleich die Reue, denn was immer ich meinen Eltern im Herzen vorwarf - Philonicus hatte ganz genauso wie Lupus absolut nichts damit zu tun. Zu dieser Reue gesellte sich schon bald Rührung, als mein Bruder einfach meinen Namen aussprach, ohne irgendwelche Ausschmückungen. Der harte Ton meiner Worte war ihm allerdings nicht entgangen, und er reagierte zu Recht zugeknöpft.


    "Entschuldige meine Bemerkung, Philonicus! Du kommst gerade von einer Reise, und ich habe nichts Besseres zu tun, als dich gleich zu kritisieren! Vielleicht willst du sowieso erst noch ein Bad nehmen - ich konnte einfach nur nicht länger warten, dich zu sehen, als ich gehört habe, dass du gekommen bist!"


    Immer noch ziemlich verlegen lächelte ich meinen kleinen Bruder an, der mich beim Umarmen eben seinerseits ganz schön in die Mangel genommen hatte.

    Die elegante Art, mit der Ennius Cerealis Platz genommen hatte, verblüffte mich schon ein wenig, erinnerte sie mich doch eher an meine eigenen Verwandten als an einen Techniker. Aber natürlich dämmerte mir schon, dass dieser Mann mehr war als ein Techniker und dass ihn gerade sein zuvorkommender und gekonnter Umgang mit Menschen zu seiner Tätigkeit im Kundendienst befähigte. Ob auch etwas an den Gerüchten dran war, dass Männer wie er bei ihren Besuchen oft zum Bleiben aufgefordert wurden, und zwar von Frauen, deren Gatten auswärts bei der Arbeit waren?


    Solche Gedanken aber waren mir eigentlich fremd, und derartigen Gerüchten pflegte ich kein Gehör zu schenken. Umso aufmerksamer lauschte ich den Erläuterungen des Ennius Cerealis über verschiedene Arten von Rohren. Auch hier musste ich die Übersichtlichkeit und leichte Verständlichkeit seiner Ausführungen loben, und es lag nicht an ihm, dass ich mir nicht jede Einzelheit auf Anhieb merken konnte - wobei er viele Details wahrscheinlich noch gar nicht einmal angesprochen hatte. Eines aber wurde mir auch hier wieder deutlich:


    "Es ist schon erschreckend, wie viel einem entgeht, wenn man nicht den richtigen Blick dafür hat. Das ist mir gerade wieder aufgefallen, als du von den Vor- und Nachteilen der einzelnen Materialien und Konstruktionstypen gesprochen hast. Nicht, dass ich auch nur im Entferntesten ein solches technisches Verständnis hätte wie ihr" -


    dies war nicht aus Koketterie gesagt, sondern entsprach schlicht den Tatsachen -


    "aber vieles von dem, was du erklärt hast, versteht sich eigentlich von selbst, wenn man nur mit Sinn und Verstand darüber nachdenkt. Schade nur, dass so vieles davon so versteckt ist. Wenn ich da zum Beispiel an die Kanäle denke. Und auch deren Reinigung kann doch sicher nur über Schächte erfolgen?"


    Ich war mir nicht sicher, ob ich jetzt nicht etwas ganz und gar Unsinniges gesagt hatte, aber der freundliche Mann vom Kundendienst würde es mich bestimmt nicht anders als auf zuvorkommende Art und Weise wissen lassen.

    Als Germanica Caia sich nun wieder dem Wasser zu wandte und von Neuem in den Tiber schaute - befürchtete ich natürlich nicht mehr, dass sie sich etwa hineinstürzen wollte. Auch wenn ich in zwischenmenschlichen Angelegenheiten ab und an eine lange Leitung hatte, hatte ich hier doch begriffen, dass ich es mit einer ungewöhnlich zielstrebigen und lebendigen jungen Frau zu tun hatte, die sicher noch so manchen Plan verwirklichen würde. Und das, was ich für kurze Zeit für Schwermut bei ihr gehalten hatte, war nichts anderes als Tiefsinn und das Bedürfnis, hinter die Dinge zu schauen. Das waren Eigenschaften, die man auch mir oft zuschrieb.


    Als Germanica Caia nun also für eine Weile wieder zum Fluss hinabsah, dachte ich einen Moment lang zwar, sie langweile sich, weil meine Vermutung stimme und sie sich tatsächlich unangenehm von mir belehrt fühle. Als sie sich dann aber wieder zu mir wandte und mir versicherte, dass das nicht der Fall sei, hatte ich selber diese Befürchtung schon wieder aufgegeben. Und selbst als sie mir sagte, ich hätte sie verstanden, überraschte mich das nicht mehr, denn wir schienen einander wirklich ein bisschen zu ähneln. Es kam so weit, dass ich in genau demselben Moment zu lächeln begann, als auch sie mich mit einem herzlichen Gesichtsausdruck ansah. Und wenn Caia nicht selbst wieder angefangen hätte zu reden, hätte ich sie wohl noch eine ganze Weile so angeschaut. Zu der angesprochenen Betriebsbesichtigung nickte ich nur, denn von meiner Seite war dazu alles gesagt, ich bemerkte aber durchaus, dass Germanica Caia sich wirklich zu freuen schien. Schleunigst würde ich, wenn ich wieder in der villa Aurelia war, alles dafür in die Wege leiten. Ein anderer Weg schien nun aber noch für heute offen zu stehen, denn voller Freude ging Caia auf meinen Vorschlag ein, sie noch ein bisschen zu begleiten. Voller Freude? Hoffentlich redete ich mir da nicht etwas ein. Ich selbst aber war in jedem Fall voller Freude und sagte mit strahlendem Lachen zu ihr:


    "Ich fühle mich sehr geehrt, wenn ich dich noch ein bisschen begleiten darf. Heute erledige ich doch nichts mehr, und auch wenn ich mir noch etwas vorgenommen hätte, würde ich es verschieben. Wohin darf ich dich denn begleiten? Sollen wir vielleicht noch ein bisschen durch die Straßen schlendern, und dann bringen wir dich noch sicher nach Hause?"


    Vielleicht wollte Germanica Caia aber doch noch zu einer bestimmten Stelle. Sie sagte zwar, sie sei wie ich noch nicht so lange in Roma, aber wenn sie häufiger solche Touren unternahm wie heute, kannte sie wahrscheinlich sogar schon die subura. :P

    Mittlerweile hatten wir den Palatin erreicht, und ich hob meine Augen, weil über die schmucken Häuser hinweg schon der circus maximus sichtbar wurde. Auch Furius Licinus hatte dies offenbar gesehen, und obwohl man sich von dieser Sichtbarkeit nicht täuschen lassen durfte und der Weg bis zu der Vergnügungsstätte wohl noch ziemlich weit war, hatte er sich entschlossen, nun auch noch den Rest des Weges mit mir zu gehen. Dies war eine Entscheidung, die mir durchaus imponierte; seine Bemerkung über seine vermeintliche Nichte dagegen amüsierte mich, und ich sagte zu ihm lachend:


    "Na, na! Dass deine Nichte mich mehr interessieren könnte als dein Wohlergehen, ist für mich aber noch keine ausgemachte Sache! Ich meine, ich habe sie ja noch gar nicht gesehen. Aber wenn ich demnächst für diesen cursus die Schola besuche, werde ich auf sie achten, unbedingt!"


    Etwas ernster fügte ich dann noch an:


    "Aber ob sie noch frei ist oder nicht, ist für mich leider nicht von großem Interesse. Als Patrizier bin ich ja nun mal in der Wahl einer Frau nicht frei - wie du."


    Dies war durchaus eine strikte Einschränkung, die sich seit einiger Zeit als besonders einengend empfand.

    Nachdem ich selbst meine dürftige Begrüßung beendet hatte, wurde meine Mutter umso ehrerbietiger von Maron begrüßt, der gleich darauf wieder einen Schritt zurücktrat. Sie selbst sprach mich geradezu enthusiastisch an; sie hatte bei den ganzen strammen Jungen wohl mehr erwartet, als dass nun zunächst einmal nur einer vor ihr stand, und dieser eine, nämlich ich, bekam jetzt offenbar ihre ganze angestaute Erwartung ab. Was sie bloß hier in Roma wollte, fragte ich mich fieberhaft; was erwartete sie sich wohl noch alles?


    Sie schien nach ihrer Begrüßung sogar auf mich zugehen zu wollen, doch nachdem sie mich und wohl auch uns alle mit ihrer unvorhergesehenen Ankunft überrumpelt hatte, war es mir meinerseits gelungen, sie durch die Vorstellung meines Sklaven und meine eigene Distanziertheit aus dem Konzept zu bringen. Meine Mutter hielt nämlich jedenfalls inne und musterte mich so kritisch, wie ich es schon immer an ihr empfunden hatte. Irgendetwas schien sie dabei auch in ihrem Kopf abzuwägen; dass es sich dabei nur darum handeln könne, inwieweit ich von ihrem Ideal abwiche, war für mich eine ausgemachte Sache. An dieses Gefühl des Begutachtet-Werdens aber hatte ich mich ja schon von Kindheit an gewöhnt und konnte mich daher sogar ein wenig in einen Sklaven wie Maron bei einer Versteigerung versetzen. Marons Vorstellung wurde von meiner Mutter hinweggewischt und übergangen; ich aber hatte vor, gerade deshalb noch einmal darauf zurückzukommen:


    "Maron greift mir in vielen Dingen unter die Arme und ist mir so gut wie unersetzlich. Wenn Du allerdings seiner Dienste bedarfst, steht er natürlich auch Dir zur Verfügung, sofern ich ihn nicht unbedingt brauche."


    Dies sagte ich auch im Hinblick darauf, dass die Schar neuer Gesichter, in die ich auf dem Weg ins adedis hatte schauen dürfen, hauptsächlich weiblichen Sklavinnen gehörte. Und selbstverständlich wusste ich auch nicht, wie meine Mutter in der Vergangenheit in Ravenna nach Vaters Tod gelebt hatte; aber sie danach zu fragen, würde sich wohl im Laufe unseres Gespräches nicht umgehen lassen.


    Nicht umgehen ließ sich freilich auch, ihre Frage nach meinen Tätigkeiten hier in Roma zu beantworten. Wieder kam ich mir durch ihre Frage in meine Kindheit zurückversetzt und wie ein Schuljunge vor; ich wusste auch durchaus, dass sie sich während meiner Zeit in Athen stets peinlich genau durch meine Lehrer über meinen Bildungsstand und mein Betragen hatte auf dem Laufenden halten lassen.


    "In der Schola Atheniensis habe ich mich für den Cursus Res Vulgares angemeldet, und an der Militärakademie habe ich das Examen Primum abgelegt."


    Besonders hinsichtlich des letzten Punktes war ich auf die Reaktion meiner Mutter gespannt, hatte doch Vater eine so "ehrenvolle" Karriere bei der Prima - nein, ich wollte nicht zynisch sein - hatte doch Vater also eine Zeitlang bei der Prima gedient. Wieder glitt der Blick meiner Mutter an mir herunter; ob sie wohl schon meinen zukünftigen Marktwert taxierte?

    Mit einiger Verspätung hatte auch ich mich auf den Weg gemacht, um mit unzähligen anderen Römerinnen und Römern den Festtag der Fides Publica zu begehen. Das war in diesen Kriegszeiten eine selbstverständliche Pflicht, kam aber auch meinen persönlichen Präferenzen für die alten römischen Tugenden mehr als nur entgegen. Einmal als Kind hatte ich dem Opfer bereits hier in Roma beigewohnt, doch vermochte ich mich tatsächlich nur noch an das Opfer selbst zu erinnern, nicht aber an die Begleitumstände. Daher war ich mir nicht mehr sicher, ob auch damals so viele Menschen sich längs des Prozessionsweges gedrängt hatten, oder ob es die Angst um angehörige Soldaten in Parthia und die ersten Totenlisten von dorther waren, welche die Acta Diurna abgedruckt hatte, die die Menschen am heutigen Tag in diesen Scharen hatten zusammenströmen lassen.


    In einiger Entfernung von mir konnte ich Marcus inmitten seiner Klienten erblicken. Er hatte sich ein wenig früher als ich zum Opfer begeben; mir fehlte manchmal ein wenig der Schwung, seit meine Mutter so unvermutet in der villa Aurelia in Roma aufgetaucht war. Was Marcus anging, so war es mir, als wende er sich bereits wieder einer attraktiven Frau zu, die noch dazu, wenn mich nicht alles täuschte - genau sehen konnte ich es nicht - eine Patrizierin war. Ansonsten konnte ich in der Menschenmenge kein bekanntes Gesicht erkennen, obwohl mir kurzzeitig so war, als hätte ich ausgerechnet die kleine Person der Decima Lucilla ausgemacht. Die musste auch überall dabei sein - doch war ich mir auch nicht sicher, und wahrscheinlich spielte mir hier meine Phantasie einen Streich.


    Dies alles waren jedoch Nebensächlichkeiten, und sobald das Opfer begann, versenkte auch ich mich in Andacht. Allerdings entging mir nicht, wie hinfällig der Flamen Dialis war. Hoffentlich war es ihm dennoch gelungen, das Opfer in Vollkommenheit zu vollziehen, derweil die Legionen gegen die Parther standen.

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    Während ich mich von meinem officium aus dem adedis näherte, dachte ich seltsamerweise an alles Mögliche, nur nicht an die Person, die mich jetzt erwartete. Die lächerlichsten Nichtigkeiten fielen mir ein: dass eine Sänfte ausgebessert werden musste, dass die Oliven beim Essen bitter geschmeckt hatten und dass Sisenna schon wieder eine Schnecke zu sich genommen hatte - nein, diesen letzten Punkt fand ich wichtig, und er brachte mich zum Schmunzeln. Dieses gefror, als ich vor dem adedis stand. Sie war hier drin; ich wollte weggehen, nein, ich musste noch meine toga richten, nein, so durfte sie mich nicht sehen, nein, ... Erst als ich sah, dass nun Maron schon vorgehen wollte, fasste ich mich endlich wieder und ging hinein.


    Ich freute mich ehrlich, Tilla in diesem Zimmer anzutreffen, diese junge Sklavin, die uns allen hier seit ihrer Ankunft so viel Freude machte und die in diesem merkwürdig weibischen Raum so herzerfrischend wirkte, wie ein kleines iberisches Pony, das man zähmen musste, an dessen Lebenslust man sich aber viel lieber noch weidete.


    Doch wären noch hundert Sklavinnen von ihrer Lebensart da gewesen, so wusste ich, dass ich irgendwann doch Aurelia Camilla würde in die Augen sehen müssen. Das schaffte ich auf Anhieb nicht; doch war sie, hingeräkelt auf eine Kline, freilich auch nicht zu übersehen. Ich musterte sie flüchtig und war mir gleich sicher, dass sie ein Haarteil aufgesteckt hatte; auch bei der Schminke hatte ihre ornatrix meiner Meinung nach kein glückliches Händchen bewiesen und - bei Venus, wie schön sie immer noch war.


    Ich sah sie jetzt offen an und wusste einfach wieder einmal nicht, was ich tun sollte. Sollte ich ihr die Hand küssen? Oder war ich dafür nun zu alt? Warum, warum nur hatten sie und Vater mir solche Dinge nicht richtig beigebracht, nicht so, dass auch ich sie verstanden hätte? Ich hob mein Kinn noch etwas höher, zu hoch vielleicht, und sagte mit spröder Stimme:


    "Voller Ehrerbietung grüße ich Dich, Mutter! Es ist eine Überraschung, Dich hier so plötzlich in Roma zu sehen! Es ist eine Freude, Dich in solcher Schönheit zu sehen! Ich hoffe, Deine Reise war angenehm, und es geht Dir wohl."


    Der unsinnige Gedanke schoss mir durch den Kopf, ob ich mich ihr wohl gar vorstellen müsse. Das war Übertreibung, und das wusste ich. Ich wandte mich allerdings meinem Sklaven zu.


    "Solange Deine Söhne Lupus und Philonicus noch nicht hier eingetroffen sind, stelle ich Dir meinen Sklaven Maron vor, eine Erwerbung aus Athen. Er begleitet mich treu seit einigen Jahren."


    Dies war ein ungewöhnlicher Schritt, doch ich wollte alles tun, um jede Vertraulichkeit zwischen ihr und mir von vornherein zu unterbinden.

    Sim-Off:

    Reiner Überleitungsthread - bitte nicht mehr reinposten! :)


    Eigentlich hatte ich mich wieder einmal in mein officium zurückgezogen, um zu lernen, Schriftrollen anzuschauen und mir endlich ein genaueres Bild von dem zu machen, was mich im Dienste des imperiums eines Tages womöglich erwarten würde. Immer noch hatte ich das Gefühl, dass ich eigentlich so wenig wusste. Ich blickte aus dem Fenster; um draußen zu sitzen, war es nun schon zu kalt, und vor allem war es viel zu windig für die Schriftrollen. Aber die verfärbten Blätter der Bäume, mit denen der Wind seinen Mutwillen trieb, gefielen mir in diesem Augenblick mehr als Pergament und Papyrus, und meine Gedanken schweiften ab zu all den Menschen, deren Bekanntschaft ich im Laufe der Monate seit meiner Ankunft in der villa Aurelia in Roma hatte machen dürfen. Ich war in der Stadt kein ganz Fremder mehr.


    Wieder ließ ein kräftiger Windstoß die bunten Blätter tanzen, und unwillkürlich breitete sich auf meinem Gesicht ein Lächeln aus, mit dem ich auch zur Tür blickte, als Maron nach einem Klopfen und meinem Eintrittsruf hereintrat. Was er mir zu sagen hatte, ließ mich erstarren.


    Seit meiner Abreise aus Mantua hatte ich peinlich wo immer es nur ging jede Gelegenheit vermieden, den Namen einer gewissen Person auszusprechen. Doch natürlich war mir selbst nur viel zu klar, dass kein Tag vergangen war, an dem ich nicht an diesen Menschen gedacht hatte. Sie war weit weg gewesen; solange ich noch in Athen war, sehr weit; nachdem ich nach Roma gekommen war, ein bisschen näher, aber immer noch weit genug. Jetzt saß sie im adedis, jene Frau, in deren Gegenwart ich mich immer verachtet und dominiert gefühlt hatte, ungeliebt und belächelt - meine Mutter.


    Es mochte eine ganze Weile vergangen sein, in der alle möglichen Erinnerungsfetzen vor meinem geistigen Auge erschienen, oberflächlich betrachtet, von verschiedenster Art, und doch immer auf dasselbe hinauslaufend. Erst Marons behutsam-mahnende Worte brachten mich wieder zu mir selbst. Äußerst langsam erhob ich mich, schob dann penibel den Stuhl an den Schreibtisch heran, ging um diesen herum und dann zur Tür. Als ich merkte, dass Maron zurückbleiben wollte, wandte ich mich um und sah ihn an. Mein Blick bat ihn, mir ins adedis zu folgen.

    Meine ganze Jugend hindurch hatte man mir immer wieder zu verstehen gegeben, dass meine eigene Unsicherheit und mein linkisches Gehabe auch andere Menschen, insbesondere weibliche, an mir unsicher werden lasse. Die Folge davon sei, dass andere sich durch meine Unsicherheit langsam aber sicher selbst unsicher und schließlich auch unangenehm berührt fühlten.


    Die Wahrheit dieser Vorhaltungen hatte ich oft deutlich geahnt; so fast mit Händen greifbar gespürt wie heute hatte ich sie noch nie. Was auch immer ich sagte, schien völlig konterkariert zu werden durch meinen jeweiligen Gesichtsausdruck - so jedenfalls kam es mir vor. Oder konnte die ungewöhnliche junge Frau, die hier vor mir stand, etwa in meinem Gesicht lesen wie in einem Buch? Fast schon schien es mir so. Jedenfalls hatte sie sehr Recht mit ihrer Aussage, dass Reife nicht nur eine Frage des Alters sei, einer Behauptung, der ich in Anbetracht meines eigenen noch jungen Alters umso lieber zustimmte.


    "Ich glaube, dass Reife sehr viel damit zu tun hat, wie man die Erfahrungen, die man macht, verarbeitet. Du hast eben gesagt, dass uns jede Begegnung und jedes Ereignis verändert, und das finde ich auch. Wie genau, in welche Richtung es uns aber verändert, darauf haben wir vielleicht einen Einfluss. Ob wir daraus lernen oder eben nicht."


    Das hatte ich mit gesenktem Blick gesagt, um mir nicht schon wieder eine Blöße zu geben und meine Worte möglichst gut zu wählen; als ich meine Augen wieder zu Caia erhob, fragte ich mich aber, ob ...


    "Ich meine ... ich wollte dich jetzt nicht belehren, das klang jetzt vielleicht so! Du weißt selbst so viel, und eine gute Erziehung hast du zweifellos auch gehabt. - Schade übrigens das mit der Schola, vielleicht wären wir uns ja dort einmal über den Weg gelaufen! Aber diese Betriebsbesichtigung, da kommst du mit!"


    Mir fiel im Laufe unseres Gesprächs nun auch immer mehr auf, wie elegant die junge Dame zurechtgemacht war. Vielleicht war es auch das gewesen, was mich so stutzig gemacht hatte, als ich sie zuerst gesehen hatte. Denn eine solch anmutige Erscheinung so ganz allein, sogar ohne Sklavin, war in den Straßen Romas doch etwas Besonderes.


    "Wenn du noch durch die Straßen Romas streifen willst, möchte ich dich nicht aufhalten. Ich kann mir denken, dass du auch da deinen Gedanken allein freien Lauf lassen willst. Wenn du allerdings irgendwann nach Hause möchtest, können ich und mein Sklave dich auch gerne begleiten."


    Ich sah mich um, ob es nicht etwa schon anfing zu dunkeln, wir hatten schließlich keinen Sommer mehr.

    "O, dann habe ich bei der Anmeldung in der Schola meine Augen mal wieder nicht am richtigen Ort gehabt; für gutaussehende Frauen habe ich sonst immer einen Blick!",


    lachte ich, als Furius Licinus die gutaussehende Frau aus dieser Bildungsinstitution erwähnte, die möglicherweise auch seine Nichte war. Die Aussicht auf diese Schönheit und vor allem darauf, in dieser Furia Stella vielleicht eine erste Verwandte in dieser großen, unübersichtlichen Stadt zu finden, machten es mir nur allzu verständlich, dass mein Begleiter nun alle Anzeichen von Ungeduld zeigte und sicher am liebsten sofort zur Schola aufgebrochen wäre. Andererseits machte er mir nun selbst das Angebot, mich noch bis zum circus maximus zu begleiten und erst dann zu gehen.


    "Es ist sehr freundlich von dir, dass du mit mir noch bis zum circus maximus gehen willst. Von hier aus kann es bis dahin auch nicht mehr weit sein. Ich möchte dich deshalb auch nicht aufhalten, wenn es dich jetzt sofort zur Schola zieht; das könnte ich nämlich gut verstehen."


    Mit voller Überzeugung konnte ich hinzufügen:


    "Mir hat es auch großen Spaß gemacht, mit dir durch Roma zu schlendern; ich konnte von dir auch noch viel lernen, und du erzählst sehr interessant. Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass du hier in der Stadt bald neue Bekannte und vielleicht auch Verwandte findest; um deine berufliche Zukunft mache ich mir sowieso keine Sorgen."


    Der Furius sprühte ja förmlich vor Tatendrang, und ich war sehr gespannt, was aus ihm mal werden würde.


    "Weißt du eigentlich, was das Gute wäre, wenn diese Furia Stella aus der Schola wirklich mit dir verwandt wäre? Ich hätte immer einen Anlaufpunkt, an dem ich mich erkundigen könnte, wie es dir geht."


    Und wie sich Furius Licinus nun hinsichtlich des Weges entweder noch bis zum circus oder doch lieber gleich zur Schola entscheiden würde, würde er mir gewiss gleich mitteilen.

    Der Aufforderung zum Eintreten leistete ich sofort und freudig Folge - nein, das tat ich nicht. Wieder zögerte ich einen kleinen Moment. Ich war ganz aufgeregt vor Freude, gleich meinen kleinen Bruder in die Arme schließen zu können. Und trotzdem zögerte ich so - warum nur? Fieberhaft überlegte ich, doch nichts fiel mir ein. Da drückte ich schon endlich die Tür auf und sah Philonicus vor mir.


    "Philo, sei gegrüßt! Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen! Und jetzt tauchst du so einfach auf ohne eine Vorwarnung! Und bist fast schon ein Mann ..."


    Ich sah neugierig an ihm herunter, aber nur kurz, dann nahm ich ihn in meine Arme und drückte den Bruder glücklich an mich. In diesem Moment aber fiel mein Blick auf ein Bildnis unserer Eltern auf einer Tonscherbe. Meine Arme, die Philonicus eben noch warm empfangen hatten, drückten nun hart wie Schraubstöcke auf ihn ein, kurz, und dann ließ ich ihn los. Ich wandte mich für einen Moment von ihm ab, dann sagte ich mit veränderter Stimme:


    "Wo hast du eigentlich gesteckt? Ich will ja nichts sagen, aber deine ganzen Sachen ... sehen ... irgendwie so dreckig aus."


    Ich erschrak über mich selbst.

    "Deine gens scheint ähnlich zerstreut zu sein wie die meine, Furius. Viele von uns sind wie ich in Mantua aufgewachsen, doch dann hat sich alles zerstreut, wie gesagt. Und jetzt leben die meisten von uns in Roma."


    Ob Patrizier oder Plebejer, oft schienen sich die Familiengeschichten doch zu gleichen. Es war natürlich sehr verlockend, Furius Licinus jetzt danach zu fragen, was in seiner gens dazu geführt hatte, dass sich offenbar so viele aus den Augen verloren hatten, doch kam mir diese Frage begreiflicherweise zu indiskret vor. Außerdem wollte ich viel eher noch etwas zu seinen Zukunftsplänen sagen.


    "Mich zieht es ja in die Politik. Aber für jemanden wie dich, gut ausgebildet und mit römischem Bürgerrecht, kommen viele Möglichkeiten in Frage. Die vigiles sind mir nur gerade so eingefallen, weil dort ein Verwandter von dir arbeitet. Du könntest aber natürlich auch zu den cohortes urbanae. Oder natürlich auch zur Legion."


    Dies war natürlich in diesen Kriegszeiten nicht jedermanns Sache, aber Furius war immerhin Spartaner. Mein stets gut unterrichteter thrakischer Leibsklave Maron hatte jetzt nicht nur zu uns aufgeschlossen, sondern flüsterte mir auch etwas ins Ohr, was ich sofort im Gespräch mit Furius anbringen konnte.


    "Du sprachst eben von der Schola Atheniensis. Ich habe mich dort vor einigen Tagen zum CRV angemeldet; du auch, wie mir Maron gerade gesagt hat, er hat dich auf der Liste gesehen. Und Maron hat mir noch etwas gesagt: Eine Furia Stella arbeitet dort als curator libris."


    Ich sah meinen Gesprächspartner erwartungsvoll an und ließ diese Information erst einmal auf ihn wirken. Ich war gespannt, was er nun tun würde.

    Als das Mädchen Caia nun ein bisschen zu kichern anfing, erschien sie mir nicht nur schon wieder jünger als zuvor - in dieser Frage war und blieb ich einfach hin- und hergerissen -, sondern ich fühlte mich auch mit einem Schlage von der Tiberbrücke aus zurückversetzt in meine Zeit in Athen, wo der versonnene, vielleicht auch manchmal ein bisschen linkische Student, den ich dort wohl in den Augen weiblicher Kommilitoninnen darstellte, oft der Gegenstand von stillem Gespött und verstohlenem Gekichere gewesen war. Ich senkte meinen Blick für einen Moment, dann sah ich wieder in das fließende Wasser des Tiber in der Hoffnung, er möge diese Erinnerungen von mir fort und mit sich mit nehmen.


    Es war Germanica Caia selbst, die mich aus meinen Erwägungen riss und mir nun auch endlich Aufklärung über ihr Alter gewährte. 18 also, das traf sich in etwa mit dem, was ich von ihrem Aussehen her vermutet hatte. Innerlich aber kam sie mir immer noch sehr viel erfahrener vor, und dieser Eindruck bestätigte sich wieder einmal, als sie nun begann, über ihre Pläne zu sprechen. Dabei wurde mir nämlich schnell zweierlei deutlich: Zum einen stellte sie meine Aussagen über das Totenbett richtig - hatte sie mich etwa dahingehend durchschaut, dass ich für einen Augenblick in großer Sorge um sie gewesen war? Ich errötete, denn dieser Gedanke war mir nun irgendwie peinlich, obwohl er doch eigentlich nichts Schlechtes über mich verriet. Zum anderen ...


    "Ich muss dir ganz ehrlich sagen, Caia, dass es mich sehr beeindruckt, wie du schon in deinem Alter so verantwortlich über dein Leben nachdenkst. Das habe ich bei Menschen in deinem Alter noch nicht so oft erlebt. Nun ja, viele reden über so etwas, schon. Aber bei vielen klingt das nach Phrasen, die man ihnen beigebracht hat; bei dir klingt es echt."


    Und ganz bestimmt wäre dein Vater sehr stolz auf dich. - Doch den Satz sagte ich natürlich nicht laut. Stattdessen fiel mir zu ihren Plänen noch etwas anderes ein.


    "Hast du dich vielleicht auch in der Schola Atheniensis für den CRV eingeschrieben? Ich habe es getan, weil ich gehört habe, dass erst er so richtig viele Türen öffnet. Vielleicht begegnen wir uns ja einmal in der Schola."


    Was die offenen Türen anging, konnte ich ihr leider in einem bestimmten Punkt nicht auf ganzer Linie zustimmen, wollte das aber bei dieser unserer ersten Begegnung noch nicht ansprechen; ich wusste selbst nicht genau, warum nicht.


    "Und ja, einen Betrieb könnten wir uns gerne einmal zusammen ansehen! Leider weiß ich jetzt auch nicht, ob dieser Betrieb gerade in Mantua liegt oder nicht doch woanders, aber das finde ich heraus! Und dann würde ich dich benachrichtigen."


    Bei diesen Worten war ich wieder so richtig lebendig geworden und hatte meine Pläne lachend vorgetragen. Mir war dabei auch noch ein Gedanke gekommen.


    "Für eine Frau wie dich ist es meiner Erfahrung nach ein bisschen ungewöhnlich, so allein durch Roma zu laufen. Das ist ja immerhin nicht ganz ungefährlich. Können ich und mein Sklave dich vielleicht nachher noch irgendwohin begleiten?"


    Während ich das sagte, beobachtete ich, wie der Wind, der hier auf der Brücke besonders deutlich zu spüren war, mit den dunklen Haaren Germanica Caias spielte.

    Fast wie ein Herr über die Zeit wirkte Ennius Cerealis, als er zum Himmel deutete und anschließend verbal deutlich werden ließ, dass ihn keine Eile dränge. Ich war mir zwar nicht ganz so sicher, ob diese Aussage in vollem Umfang den Tatsachen entsprach, aber möglicherweise konnte sich der freundliche Mann vom Kundendienst seine Arbeitszeit ja einteilen - und ganz offensichtlich hatten meine Frage ihn bei seiner Berufsehre gepackt.


    Dies alles registrierte ich schmunzelnd, während ich nun in einem Korbsessel Platz nahm und den beiden Besuchern bedeutete, sich doch mir gegenüber auf das Polster einer steinernen Bank niederzulassen. Auch Leone hatte augenscheinlich im Hintergrund gewirkt, denn eine junge Sklavin erschien auf einmal, um als Getränk dem Wasser noch Wein hinzuzufügen und uns Knabbereien zu bringen.


    "An dem, was du über das Wasser gesagt hast, merke ich, wie sehr du deinen Beruf liebst, und leider auch, wie unachtsam ich bisher war. Erst jetzt, wo du es wieder ansprichst, fällt mir ein, dass tatsächlich das Wasser verschiedener Flüsse, die ich gesehen habe, sich voneinander unterscheidet. Und Gebirgswasser muss sicherlich noch ganz anders aussehen und vielleicht auch riechen."


    Ich versuchte, mich an alles zu erinnern, an Wasser aus unterschiedlichen Flüssen und zu den verschiedenen Jahreszeiten. Und ich wartete natürlich auch noch gespannt auf das, was Ennius Cerealis zu den Rohren zu sagen haben würde.