Bei meinen Worten hatte sich auf dem Gesicht der Germanica Caia ein verlegenes Lächeln gezeigt, das sie mir nun doch wieder jünger erscheinen ließ. Ich war mir überhaupt nicht sicher, was ihr Alter anging, zumal es mir bei Frauen sowieso immer große Schwierigkeiten bereitete, ihr Alter einzuschätzen - und nicht nur ihr Alter. Im Falle meiner Gesprächspartnerin hier auf der Tiberbrücke aber war es besonders schwierig. Einerseits sah sie noch so jung aus, und ihr Lächeln ließ sie fast mädchenhaft erscheinen. Andererseits wirkte sie viel älter und voller Lebenserfahrung, wenn sie nur redete. Und vollends versetzte sie mich in Erstaunen, als sie nun sogar vom Tod zu sprechen begann. Sie stand doch nicht etwa deshalb hier so allein auf der Brücke? Einen Augenblick lang muss ich sie wohl ziemlich verwirrt angesehen haben, dann machte ich unwillkürlich einen Schritt auf sie zu und versuchte es ganz vorsichtig:
"Dass du dein Leben schon jetzt vom Totenbett aus betrachtest, spricht für die gute Erziehung, die du genossen hast. Aber trotzdem bin ich ... Ich bin ehrlich gesagt, ein bisschen überrascht, solche Worte von einer so jungen Frau zu hören. Du bist bestimmt etwas jünger als ich - wenn ich fragen darf? Ich bin jetzt 21. Aber andererseits, du hast schon Recht, ich habe auch schon manchmal darüber nachgedacht, wie ich wohl mein eigenes Leben von meinem Tode aus betrachten werde."
Vielleicht war es ja auch so, dass der Tod ihres Vaters, den sie eben erwähnt hatte, die junge Frau so reflektiert hatte werden lassen - das jedenfalls ging mir durch den Kopf, als mir nun wieder einfiel, dass Maron mir über ihren Vater ja einiges ins Ohr geflüstert hatte. Etwas derart Persönliches wollte ich Germanica Caia nun aber doch nicht fragen, zumal sie jetzt selbst unser Gespräch auf ein anderes Thema als den Tod brachte. Und auch damit gelang es ihr wieder, mich zu überraschen. Ihre Äußerung hatte etwas fast Politisches, und dies erinnerte mich schlagartig an das Gespräch zwischen meinem Onkel Sophus, Ursus und mir, in dem der Onkel uns so eindringlich davor gewarnt hatte, uns mit dem Volk gemein zu machen. Und doch, fand ich, folgte Germanica Caia hier der richtigen Spur. Denn es konnte doch in keinem Fall schaden, sich persönlich ein Bild davon zu machen, wie beispielsweise die Bauern lebten.
"Ich selbst komme nicht aus Roma, sondern bin in Mantua aufgewachsen, das ja auch ein bisschen ländlicher ist. Mit Bauern oder überhaupt nur landwirtschaftlichen Betrieben hatte ich aber selbst auch noch keinen Kontakt. Besitzt du vielleicht so einen Betrieb? Du könntest doch dort einmal hinfahren und dir alles, was dich interessiert genau ansehen."
Einen Moment stockte ich, denn ein neuer Gedanke kam.
"Meine gens besitzt landwirtschaftliche Betriebe. Wenn du möchtest, könnten wir einmal zusammen zu einem von ihnen fahren."
Schon wieder war mir etwas ziemlich Unbedachtes herausgerutscht.