Beiträge von Appius Aurelius Cotta

    Als Flavius Aquilius nun auf meine Andeutung einging, die er mit seiner Sensibilität natürlich sofort verstanden hatte, meinte ich, ihm deutliche innere Erregung anmerken zu können. Bei seinen Worten über die Kinder, die Mars offenbar als Zeichen geschickt hatte, nickte ich und sah mich noch einmal in Richtung Tempelausgang um, als könnte ich meinem Gesprächspartner mit dieser Geste deutlicher zeigen, wie sehr ich seine Meinung teilte. Ob seine Erregung, die ich zu erkennen glaubte, eher darauf zurückzuführen war, dass er vom Zeichen des Gottes noch ganz und gar eingenommen war, oder vielleicht doch daher rührte, dass ein Rest Zweifel in ihm verblieben war, maßte ich mir nicht an zu beurteilen. Denn zum einen war ich in diesen Dingen oft tölpelhaft und lag daneben; niemand sprach freiwillig mit mir über seine Gefühle. Und zum anderen erschien mir Flavius Aquilius je länger, je mehr ohnehin als eine sehr geheimnisvolle Persönlichkeit: Ich hatte seit meinem ersten Besuch im templum das ein oder andere über ihn gehört, vor allem aber gingen mir seine Hände, die so ganz anders aussahen als meine und die mir gleich beim Opfer behilflich sein würden, nicht mehr aus dem Kopf. Ein Opfer darzubringen, dazu war ich nun entschlossen.


    "Auch ich habe die Kinder bemerkt, und ihr Spiel hier kann kein Zufall gewesen sein! Und ja, ich möchte ein Opfer darbringen für Flavius Aristides und alle anderen Soldaten, die in Parthia ihr Leben riskieren. Allerdings weiß ich nicht, ob ich Deine Hilfe in Anspruch nehmen kann, vielleicht möchtest Du jetzt allein sein."


    ... vielleicht aber auch gerade nicht, und das hoffte ich, und so hatte ich ihn auch nach seinen Worten und seinem warmen Lächeln verstanden.


    "Ich muss Dir aber sagen, dass ich gleich, nachdem ich die Acta gelesen hatte, hierher geeilt bin. Ich stehe also mit völlig leeren Händen da, was Opfergaben angeht; freilich habe ich diesmal auch keine falschen Opfergaben bei mir."


    Ich musste selbst schmunzeln bei dem Gedanken an das Obst, das ich beim letzten Mal mit mir geführt und dann schließlich der Ceres geopfert hatte.

    Der Dank, den Prisca mir für mein Kompliment zollte, und vor allem das Lächeln und Augenzwinkern, mit dem sie mich nun bedachte, machten mich so verlegen, dass ich für einen Moment den Blick von ihr wenden musste. Als ich sie wieder ansah, wusste ich nicht, was ich sagen sollte, und blieb auch stumm, doch ich wusste sicher, dass ich sie noch oft an diesem Abend ansehen würde - aus der Ferne. Denn als säßen wir in zwei getrennten Nachen auf hoher See, die der Wellengang immer weiter voneinander entfernen würde, so würden die bald hereinströmenden Gäste uns voneinander trennen, und ich würde mit Interessierten über Politik sprechen, während Prisca umlagert werden würde von Männern, Verheirateten und Unverheirateten. Dies war der Wellengang der Dinge in dieser Welt.


    Und während ich noch über dies alles nachdachte, ging der zweite Stern über dem atrium der villa Aurelia in Roma auf, denn Helena trat auf uns drei Männer zu. Dass sie strahlend schön war, überraschte mich nicht im Mindesten, denn es musste wohl ein Leichtes sein, ihrer natürlichen Schönheit noch ein wenig aufzuhelfen. Eher verwunderte mich die aufgeräumte, ja scherzende Art, mit der Helena uns drei nun ansprach, und ich konnte mich nicht enthalten, sie anzulachen und zu sagen:


    "Warte nur erst ab! Wir drei charmanten Herren bekommen gleich noch Verstärkung! Und dann stürzt sich alles auf dich und Prisca. Du siehst einfach umwerfend aus, Helena!"


    Ob auch sie mit einem "Ziel" in dieses Fest ging? Ich konnte Helena noch viel weniger einschätzen als Prisca; sie war schließlich lange krank gewesen und hatte ihr cubiculum kaum verlassen, aber auch sonst erschien sie mir oft so traurig und fast ein wenig düster. Leider war es mir nicht gegeben, über solche Dinge zu sprechen, und andere mochten sich mir für gewöhnlich auch nicht anvertrauen.


    Nun ging es aber wirklich Schlag auf Schlag. Nach der subauctrix der Acta Diurna, als die uns Sergia Plotina jetzt vorgestellt wurde - daher kannte ich also den Namen -, betraten immer mehr Gäste das atrium. Mein Blick fiel natürlich sofort auf Annaeus Modestus, den ich lachend grüßte. Dass er uns bei den Ritualen für den neuen Tempel in Mantua allerdings seine schöne Verwandte vorenthalten hatte, war natürlich eine Schande! Aber nun war sie ja hier, und fröhlich grüßte ich auch sie. Eine besondere Freude bereitete mir sodann der Anblick meines bevorzugten Marspriesters Flavius Aquilius, dessen Aufmachung das gewisse Etwas nicht vermissen ließ; ich grüßte ihn mit einer besonders tiefen Verbeugung. Sodann wurde ich von Ursus in ein Gespräch gezogen, das dann bald meine gesamte Aufmerksamkeit in Beschlag nahm, war doch der Gesprächspartner kein Geringerer als Decimus Mattiacus. Titus allerdings schien ihn noch nicht zu kennen.


    "Ein herzliches Willkommen auch von mir! Wenn ich mich nicht sehr täusche, habe ich deine Kunst unlängst beim Prozess gegen den Hochverräter Helvetius Sulla in der Basilica Ulpia bewundern können. Damit kann ich dich auch meinem Vetter vorstellen. - Titus, das ist Decimus Mattiacus, der dem imperium in verschiedenen herausragenden Funktionen dient und insbesondere zu den bekannten Juristen gehört."


    Mehr konnte ich leider jetzt ad hoc auch nicht über ihn sagen, denn, wie schon erwähnt, fehlte Maron ja, der sicher mehr gewusst hätte. Ich wandte mich sofort noch einmal an den Decimer, denn der genannte Prozess hatte mich noch eine ganze Weile beschäftigt:


    "Bei jenem Prozess hat mich vor allem beeindruckt, wie du es als Vertreter der Anklage immer wieder geschafft hast, das Verfahren verhältnismäßig fair zu gestalten. Viele hätten sich sicher einen Schauprozess gewünscht; meiner Meinung nach aber wäre das nur Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen, die sich von solchen Personen wie Helvetius beeindrucken lassen."


    In diesem Moment fiel mein Blick auch auf eine ausnehmend schöne Patrizierin, die das atrium betreten hatte. Sie war eine außergewöhnliche Erscheinung, deren Charakterisierung mir mit noch so vielen Worten nicht gelingen würde. Kurz war ich versucht, mich zu ihr zu wenden, schien sie doch allein zu stehen; da aber sprach sie schon von sich aus jemanden an, eine Handlung, die mir imponierte. Weil einer unserer größten und kräftigsten Sklaven, der sonst mit Gartenarbeit beschäftigt war, nun aber hier Getränke verteilte, mir den Blick verstellte, konnte ich nicht erkennen, wer der Glückliche sein mochte. Ich war gespannt.

    Je länger ich allein im atrium gewartet hatte, das nur hin und wieder vorbeieilende Sklaven passierten, desto lächerlicher war ich mir vorgekommen. Ich wirkte doch hier schon fast wie eine unbeschäftige Ehefrau, die sehnsüchtig auf die Heimkehr ihres Mannes wartete, weil sie nichts Besseres zu tun hatte, wie eine Penelope, nur leider ohne Webarbeit - von Freiern ganz zu schweigen. Daher war ich froh, als sich ziemlich kurz nacheinander Corvinus und Ursus zu mir gesellten, obwohl der Letztgenannte sogleich wieder mit seinen Sticheleien anfing; ich wusste nämlich natürlich, dass ich immer recht ansehnlich ausschaute, und darauf legte ich ja auch Wert.


    "ich muss schon sagen, ich glaube, zumindest wir drei können heute von unserem Äußeren her neben der Dekoration unserer villa durchaus bestehen. Das gilt sogar für dich, Ursus."


    Einmal musste so etwas schließlich gesagt sein, wenn natürlich auch nicht ohne Grinsen in meinem Gesicht; allerdings konnte Ursus ja nicht immer machen, was er wollte. Wie sehr aber verblasste alles bisher Gesehene, als sich uns nun Prisca näherte, strahlend schön, und auch ihr Gesicht leuchtete trotz all der Arbeit, die sie sich hier gemacht hatte. Oder etwa gerade deswegen? Sie war sogar noch so einfühlsam, nun von ihrer Seite aus uns danach zu fragen, wie wir diesen Tag verbracht hatten, wo er doch für sie am anstrengendsten gewesen sein musste. Doch ein Blick auf die Dekoration, vor allem aber auch auf die Schöne selbst waren für jeden Beweis genug, dass es sich gelohnt hatte. Stumm sah ich Prisca eine ganze Weile an, bis ich endlich hervorbrachte:


    "Du bist wunderschön, Prisca, und das wirst du am heutigen Abend sicher nicht nur einmal hören. Ich bin sicher, dass er für dich wirklich wunderbar werden wird."


    Und vielleicht würden sogar solche Vorentscheidungen in ihrem Leben fallen, von denen mich leider die nahe Verwandtschaft zu ihr ausschloss. Ich bemerkte, wie sich mein Gesicht bei diesem Gedanken verzog, und so wollte ich mich schnell auf das Thema der Kandidatur stürzen, das Corvinus in den Raum gestellt hatte. Langsam aber kamen schon die ersten Gäste und machten mir so einen Strich durch meine Rechnung. Andererseits aber waren sie natürlich auch die beste Ablenkung von meinem Kummer.


    Das galt besonders für eine junge Frau, die von einem Sklavenjungen in das atrium geleitet wurde, oder soll ich besser sagen: marschiert kam? Ihr Name sagte mir irgendetwas, allerdings konnte ich ihn nicht wirklich einordnen, und Maron war ja aus gegebenem Anlass nicht an meiner Seite, um mir nun zuzuflüstern, wer dies sein könne. Auch sie hatte sich geschmackvoll und damit dem Anlass entsprechend gekleidet; allerdings konnte man ihr auf den ersten Blick ansehen, dass sie solche Gewandung nicht oft trug, eine Tatsache, die sie in meinen Augen durchaus nicht unsympathisch machte. Ihr strahlendes Lächeln, mit dem sie Prisca bedachte, verriet mir, dass sie wohl eine Bekannte von ihr sein müsse, und so schaute ich auf die Frage der Sergia hin erst einmal zu meiner Verwandten, ob sie ihr antworten würde - oder vielleicht doch Marcus? Oder gar Titus? Ich jedenfalls verhielt mich stumm und grüßte sie nur mit einem Nicken.

    Offenbar hatte nur ich mir Sorgen gemacht um die Anzahl der Plätze, denn auch Titus schritt unbeirrt auf einen der reichverzierten Stühle zu. Meine Sorge schien auch überflüssig zu sein, denn wenn die Stühle auch abgezählt sein mochten, so hatte Annaeus Modestus doch großzügig kalkuliert. Überhaupt erschien er mir immer mehr als ein Mann, der in der Lage war, seinen durchaus anspruchsvollen Visionen Taten folgen zu lassen. Kurz blickte ich zu ihm hinüber: Was wohl aus ihm eines Tages werden mochte? Dann nahm auch ich einen der Ehrenplätze ein.


    Ein wenig wunderte ich mich darüber, dass Tiberius Durus ebenfalls schon saß, hatte ich doch angenommen, auch er würde hier seines Amtes als augur walten. Doch offenbar hatte er seinem älteren Kollegen das Feld überlassen, so dass hier quasi alles in annaeischer Hand blieb. Davon, dass Annaeus Sophus das Feld überlassen worden war, konnte man hier ja auch im wörtlichen Sinne sprechen, hatte sich dieser doch schon zu dem Grundstück begeben, wo er die Zeremonien auszuführen gedachte. Ruhig und in sich versunken schien er da zu stehen, und auch ich wollte mich nun in Andacht versenken und lehnte daher die angebotenen Speisen und Getränke für den Moment ab. Die Rituale würden sicher gleich beginnen.

    An Schlaf war gar nicht zu denken gewesen, vielleicht war ich gegen Morgengrauen kurz eingenickt, aber lediglich in jene erschöpfende Art von Schlaf, die einen zermürbt und quält und noch unruhiger und nassgeschwitzt aufstehen lässt. Ein Bad hatte die schlimmsten Auswirkungen beseitigt, doch innerlich war ich nach wie vor vollkommen angespannt und von einer fast krankhaften Wachsamkeit.


    Ich hatte es nicht mehr ausgehalten und war so einer der ersten, der zu dem Ort der villa Aurelia in Roma begab, in dem das Opfer zum heutigen Fest stattfinden sollte. Trotz meiner verstiegenen Aufmerksamkeit entging mir fast völlig, mit welcher Kreativität und Liebe die Empfangsräume unseres Heims auf Initiative von Prisca, Helena und Corvinus hin geschmückt worden waren. Doch wohl auch an anderen Tagen hätte ich vieles davon übersehen oder kaum gewürdigt; es war dies einfach nicht meine Welt, und auch wenn mir natürlich von klein auf beigebracht worden war, dass es zu unseren Standespflichten gehöre zu repräsentieren, hielt ich mich lieber an die einfachen römischen Tugenden.


    Trotzdem war natürlich auch ich zurechtgemacht, trug eine neue toga und akribisch frisierte Haare; an meinem Kinn war kein einziger Stoppel zu fühlen, auch wenn ich noch so mit meinem Finger daran drückte, und meine Nasenhaare wären säuberlich entfernt. Maron hatte sich also wirklich alle Mühe mit mir gegeben, und ich hatte die Zeit, die diese ganze Prozedur verschlang, dazu genutzt, ihn noch einmal ins Gebet zu nehmen. Zweifellos, er hatte überragende Qualitäten, doch manchmal verleiteten diese sowie das besondere Verhältnis, das ich zu ihm pflegte, ihn dazu, sich anderen gegenüber überheblich zu verhalten und seine eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Dies war etwas, was ich am heutigen Abend von ihm überhaupt nicht sehen wollte, und das hatte ich ihm noch einmal klargemacht. Vielleicht lag ja auch meine Mutter nicht ganz falsch, und ich sollte ihn härter anfassen - ach, ich wusste es nicht. Fest stand nur, dass ich nun hier anwesend war, und dass der Abend seinen Lauf nehmen würde.

    Natürlich hatte ich nicht einen Moment daran gezweifelt, dass Marcus als magister der Collini bestätigt werden würde, zumal sich Titus, der nach allem, was ich hier bisher mitbekommen hatte, mit Ausnahme vielleicht des Fragestellers von eben - Flavius Lucullus? - der einzige ernstzunehmende Gegenkandidat gewesen wäre, darauf verzichtete, sich hier zur Wahl zu stellen, zumindest für heute. Was mich allerdings nachdenklich machte, war eben die Tatsache, dass es hier doch an Leuten zu mangeln schien, die überhaupt das Zeug dazu gehabt hätten, die Collini zu führen.


    Dieser mein Eindruck bestätigte sich noch, als der wiedergewählte magister uns nun unsere Aufstellung erklärte und wir diese einnahmen. Cloelius Quadratus beispielsweise musste von Ursus regelrecht an der Hand genommen werden, um zu seinem Platz in der hinteren Reihe zu finden, und ich fragte mich, ob es nicht auch für einige andere besser wäre, während des Tanzes quasi an der Hand geführt zu werden.


    Allerdings stand ja auch noch völlig offen, wie wir neuen Aurelia-sodales uns wohl schlagen würden. Corvinus hatte uns extra der mittleren Reihe zugeordnet, damit wir an den uns vorangehenden Tänzern Orientierung finden würden. Ich hoffte sehr, dass diese dazu in der Lage waren. Denn das Marcus mich ausgerechnet zwischen die beiden anderen neuen Aurelia-sodales gesteckt hatte, schien mir doch ein Ausweis seines Misstrauens gegenüber meinen Tanzkünsten zu sein - und ich selber war mir ganz und gar nicht klar darüber, ob ich nicht Grund hatte, dieses Misstrauen zu teilen.

    Zitat

    Original von Kaeso Annaeus Modestus
    Modestus antwortete Cotta nur mit einem freundlichen Nicken.


    Meine Worte an Annaeus Modestus waren offenbar neutral genug gewählt gewesen, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen, obwohl mich natürlich schon brennend interessiert hätte, wie sich sein Verhältnis mit Octavius Detritus darstellte. Doch war es hier und jetzt natürlich besser, dass er nur mit einem freundlichen Nicken auf meine Worte einging.


    Da die Zeremonien nun offenbar auch gleich beginnen sollten, zeigte der duumvir Mantuas auf die Ehrenplätze, die wir nun einnehmen sollten und in deren Nähe sich bereits Sklavinnen anheischig machten, uns zu bedienen. Bei genauerer Betrachtung dieser verzierten Stühle stellte sich mir allerdings die Frage, ob diese Ehrenplätze nicht etwa abgezählt waren - und ich war mir nicht sicher, ob Marcus noch rechtzeitig hatte Bescheid geben können, dass er nicht allein, sondern mit Titus und mir kommen werde. Ich sah zwischen Corvinus und Annaeus hin und her: Bekamen auch Ursus und ich einen Ehrenplatz? Oder sollten wir bei den decuriones Platz nehmen, eine Vorstellung im Übrigen, die mich gar nicht schreckte, würde ich doch hier vielleicht das ein oder andere mir noch aus meiner Kindheit bekannte Gesicht wiedersehen. Oder sollten wir uns gar wie stipatores hinter dem decemvir litibus iudicandis aufstellen, wenn dieser seinen Ehrenplatz einnahm? Bei diesem Gedanken musste ich schmunzeln.

    Während ich noch über politischen Konzeptionen brütete und meine Begleiterin trotz unserer unbestreitbaren körperlichen Nähe ein bisschen aus den Augen verlor, schien diese zwischen all den Vergnügung suchenden Menschen und selbiges anbietenden Künstlern ganz in ihrem Element zu sein. Dies glaubte ich, ihr anzusehen, als ich endlich von Trommelschlägen aus meinen Erwägungen gerissen wurde und meinen Blick wieder zu meiner Begleiterin wandte, um dann ihrem Blick zu folgen. Der aber hing fasziniert, wie mir schien, an etlichen jungen Männern, die sich um eine leicht bekleidete Tänzerin geschart hatten. Oder galt Caias bewundernder Blick etwa dieser - "Künstlerin"? Ich war mir nicht sicher, dafür aber einen Moment lang ziemlich erschrocken über diese Vorstellung; andererseits, was war schon dabei? Und vielleicht wollte sich meine Begleiterin von dieser Darbietung ja etwas abschauen - ein Gedanke, bei dem ich lieber nicht zu lange verweilte, um nicht auf Dummheiten zu kommen. Überhaupt wäre mir in meinen tiefsinnigen politischen Erwägungen diese Tänzerin ohne Caia gar nicht aufgefallen, denn ich war in offenbarem Gegensatz zu vielen meiner Altersgenossen kein Anhänger dieser Form der Unterhaltung.


    Zu politischen Erwägungen ging nun aber auch Germanica Caia wieder über, als wir uns von der Gruppe um die Tänzerin entfernten und zielstrebig auf die Bretterbühne zusteuerten, auf der immer noch jener dickliche Mann deklamierte. Wie ich bereits befürchtet hatte, hatten ihr meine Andeutungen über Politik durchaus nicht gereicht; sie wollte mehr und Konkretes von mir hören. Ich überlegte, ob ich mich ihr nicht doch anvertrauen sollte; allerdings schien mir dies hier die denkbar schlechteste Gelegenheit dazu. Dies nun wollte ich ihr dann allerdings doch noch sagen:


    "Ich bin mir gar nicht so sicher, ob jeder etwas anderes meint, wenn er von den Dingen redet, die Rom groß gemacht haben. Mir kommt es eher so vor, als meinten alle ähnliche Dinge. Aber Caia - ich hoffe, ich darf dich so nennen, du kannst auch gerne "Cotta" zu mir sagen -, Caia, lass uns doch darüber ein anderes Mal sprechen, vielleicht wenn wir zusammen diesen Betrieb besuchen."


    Nun hatte ich doch wieder mehr gesagt, als ich eigentlich gewollt hatte; da wir nun aber im Publikum einen Platz erreicht hatten, der uns eine gute Sicht auf die Bühne gestattete, hoffte ich, dass das Thema der Politik nun von selbst in den Hintergrund treten würde. Eine Frage von mir sollte diesen Prozess beschleunigen; sie war allerdings in der Hauptsache ganz ernst gemeint:


    "Caia, kannst du auch die Bühne gut sehen?"


    Mit der von meinem Vater ererbten Körperlänge brauchte ich mich in dieser Beziehung nicht zu fürchten; bei meiner Begleiterin aber vergewisserte ich mich doch lieber. Als ich nun die Bühne in Augenschein nahm, fragte ich mich allerdings gleich, ob es sich wirklich lohne, diese sehen zu können. Denn alles war hier ebenso provisorisch und teilweise verfehlt wie schon ihr Bretter-Aufbau.

    Noch während des Gebets erschallte vom Vorplatz des Tempels her ein Ruf von einer hellen Kinderstimme. Ich war noch immer so tief in Andacht versunken, dass ich dem keine besondere Bedeutung beimaß und auch den Inhalt des Rufes nicht bewusst vernahm. Aufmerksam wurde ich erst, als sich offenbar auf diesen Kinderruf hin Flavius Aquilius umdrehte und an mir vorbei in Richtung Tempelausgang blickte; mich schien er dabei gar nicht wahrzunehmen. Jetzt erst sah auch ich mich um und konnte gerade noch zwei Jungen erkennen, von denen der eine ein Holzschwert trug, der andere aber eine Kopfbedeckung, wie sie auf den zahllosen Graffiti in der Stadt unsere Feinde, die Parther aufhatten; beide Jungen schienen sich voneinander zu entfernen. Nun erst begriff ich, dass diese kurze Szene ein Zeichen gewesen sein konnte, die Antwort des Gottes auf das Gebet seines Priesters; sofort wandte ich mich wieder um und sah Flavius Aquilius gebannt an.


    Dieser, geschult durch seinen aufopferungsvollen Dienst und wohl auch sensibilisiert durch persönliche Frömmigkeit, hatte dieses Zeichen offenbar schneller aufgefasst als ich und im Gegensatz zu mir wahrscheinlich auch vollständig. Denn schon kurz darauf, nachdem er noch einige abschließende Gebete gesprochen hatte, näherte er sich mir ohne die Anspannung, die ihm zuvor selbst aus meiner Entfernung und von hinten anzusehen gewesen war. Freundlich grüßte er mich; mir hingegen blieb nur, seinen Gruß immer noch ein bisschen verblüfft und überrumpelt zu erwidern:


    "Salve, Flavius Aquilius! Offen gesagt, führt mich die Sorge um einen Deiner Verwandten hierher. Ich habe die Acta Diurna gelesen ..."


    Bei diesen Worten musste ich ihn noch immer ziemlich verwirrt angesehen haben.

    Dass irgendjemand nun klirrend etwas fallen ließ hier im adedis der villa Aurelia in Roma, war nur die passende Begleitmusik für die Vorstellung, die meine Mutter uns allen jetzt als nächstes bot. Mit dem vertrauenerweckenden Gehabe einer Schlange näherte sich mir das schnurrende Kätzchen von eben jetzt nämlich bis auf Armlänge - und noch weiter. Denn sie war nun immerhin so nahe gekommen, dass ihre Hand mir rechts und links eine Ohrfeige zu erteilen imstande war. Von dieser Darstellung eines Fischweibs wechselte sie wieder in die Schlangenrolle, als sie mir verschiedene Ermahnungen zu zischelte. Um ihren Worten trotz des gedämpften Tonfalls mehr Gehör zu verschaffen, bohrte sie dann noch ihren Finger in mein Kinn, was mich zu der stillen Frage veranlasste, ob dort etwa schon wieder Bartstoppeln gewachsen waren - ein unschöner Ausdruck der Lebendigkeit meines Körpers, mit dem ich immer wieder zu kämpfen hatte.


    Der Worte waren hier für meinen Teil nun wirklich genug gewechselt, und da sich ja auch Philonicus eingefunden hatte, beschloss ich zu gehen. Maron wollte ich selbstverständlich mit mir führen, ich war ihm schließlich auch einiges an Erklärungen schuldig, und die Sache mit der Spionage, die meine Mutter vorgeschlagen hatte, musste auch auf den Weg gebracht werden. Aber als ich mich zu Maron umwandte, fiel mir der Blickkontakt auf, den er offenbar mit Tilla unterhielt. Neugierig blickte ich nun auch zu der serva, die sicherlich furchtbar durcheinander sein musste wegen allem, was sich hier gerade abspielte; das war ich ja schließlich auch. Und tatsächlich sah Tilla so - ja, so flehentlich zu Maron, dass ich mich spontan entschloss, doch noch mit ihm im adedis zu bleiben; ihn allein hier zurückzulassen, kam ja nicht in Frage. Allerdings begab ich mich jetzt aus der Frontlinie und stellt mich demonstrativ neben meinen Sklaven, allerdings so, dass Maron und Tilla sich nach wie vor ansehen konnten.


    Mein Rückzug bot mir nun die Möglichkeit, all das, was sich hier in so kurzer Zeit ereignet hatte, noch einmal Revue passieren zu lassen. Wenn meine Mutter etwa glaubte, mich durch ihre Unbeherrschtheiten gedemütigt zu haben, dann täuschte sie sich. Vielleicht täuschte sie sich überhaupt in so vielem, was meine Person betraf. Wenn sie nur geahnt hätte, was ich in dem Moment, als sie zuschlug, für sie empfand. Als sie endlich ihre Unnahbarkeit verlor, ihre ganze aufgesetzte Beherrschung, und mir nahe kam. Als ich ihrem warmen Atem an meiner Wange spürte, in tiefen Stößen, so wie vielleicht mein Vater ihn gespürt hatte, als sie meine Brüder und mich empfing; als ich den Duft ihres Parfüms einsog und vielleicht auch den ihren.


    Auf einmal füllte sich mein Auge mit Tränen, und mancher unbedarfte Beobachter hätte nun vielleicht geglaubt, dass die Schläge meiner Mutter mich doch erniedrigt hätten; jedenfalls hoffte ich, dass andere das glauben würden. Doch dem war nicht so. Vor Maron empfand ich keine Scham, vor Tilla auch nicht - vielleicht vor Philonicus, doch dieser machte irgendwie nicht den Eindruck, als bekomme er das überhaupt alles richtig mit.

    Zitat

    Original von Kaeso Annaeus Modestus
    Aurelius Cotta hatte er ja schon kennen gelernt und so konnte er sich eine kleine bissige
    Bemerkung nicht verkneifen.


    >Den Curator Rei Publicae Octavius Detritus habe ich diemal leider nicht eingeladen.<


    sagte Modestus mit einem leichten Schmunzeln zu Cotta.


    Als Marcus mich einige Tage vor unserer Abfahrt gefragt hatte, ob nicht auch ich ihn nach Mantua begleiten wollte, hatte ich spontan ja gesagt. Eigentlich schon seit meiner Rückkehr nach Italia war es mein Wunsch gewesen, diese meine Heimatstadt wiederzusehen, doch hatten sich immer wieder größere und kleinere Angelegenheiten zwischen mich und einen Besuch in Mantua geschoben. Nun war ich also doch wieder hier, und obwohl unsere Anreise kurzfristig, teilweise hektisch und damit strapaziös gewesen war, konnte ich mich am heutigen Tage gar nicht sattsehen auf dem Weg von dem Gasthaus, wo wir zu meinem Bedauern statt in der villa Aurelia genächtigt hatten, bis zu dem Platz, an dem die Zeremonien vollzogen werden und dereinst der Tempel errichtet werden sollte.


    Unzählige Erinnerungen kamen auf diesem Weg in mir hoch, doch war mir für den Moment keine Zeit mehr gegeben, diesen nachzuhängen, denn offensichtlich ein wenig verspätet näherten wir drei Aurelier uns nun einer Gruppe von Honoratioren, von denen ich Annaeus Modestus und Tiberius Durus schon von Weitem erkannte. Während Marcus uns dieser Gruppe vorstellte, übernahm auf der anderen Seite Mantuas duumvir diese Aufgabe. Dabei lernte ich nun den Auguren Annaeus Sophus kennen, dessen Name mir auch als subauctor der Acta Diurna ein Begriff war. Dies galt leider noch nicht für Annaeus Varus, doch bot eine solche Zusammenkunft wie die unsere am heutigen Tage ja auch die Gelegenheit, das zu ändern.


    Freundlich grüßte ich in die Runde, als ich auch schon von Annaeus Modestus angesprochen wurde. Seine mit einem gewissen Schmunzeln vorgetragene Bemerkung über Octavius Detritus quittierte ich mit einem ebensolchen Lächeln; schließlich erinnerte ich mich noch sehr gut an das Gespräch mit dem duumvir Mantuas auf dem Forum Romanum bei den res gestae des Claudius Menecrates. Ich verzichtete allerdings darauf, auf diese Bemerkung näher einzugehen, denn es bisschen verwunderte es mich schon, dass der Octavier nicht eingeladen worden war; als curator rei publicae war er für Annaeus Modestus doch zweifellos ein entscheidender Mann. Stattdessen sagte ich neutral:


    "Ich freue mich, dich wiederzusehen, Annaeus Modestus! Als wir uns auf dem Forum Romanum begegnet sind, habe ich dir ja schon gesagt, dass ich bald einmal wieder Mantua besuchen wollte. Dass ich dies jetzt zu einem Anlass tun kann, an dessen Vorbereitung du wesentlichen Anteil hast, freut mich besonders, zumal es ein religiöser ist."


    Dies sagte ich auch mit einem Seitenblick auf die beiden Auguren.

    Erst als sie mir auf einem silbernen Tablett ein Gefäß mit dem gewünschten Wein servierte, wurde ich gewahr, dass es immer noch Tilla war, die hier im adedis bedienen musste. Es tat mir Leid, dass ausgerechnet sie das alles hier zwischen meiner Mutter und mir mitansehen musste. Ich hatte mittlerweile aus Erzählungen einiges von ihrer traurigen Vergangenheit gehört; für was für ein Scheusal musste sie mich jetzt halten? Aber vielleicht war ich das ja auch ... In dieser Gefühlslage, aber auch, um meine Mutter zu ärgern, nahm ich den Weinbecher nicht, ohne laut


    "Danke, Tilla!"


    zu sagen. Dabei huschte sogar ein kleines Lächeln über mein Gesicht. Ich hatte mich ein wenig beruhigt, trank nun einen Schluck von dem verdünnten Wein und hörte dabei an, was meine Mutter zu meinem Sklaven zu sagen hatte. Dass ich ihn etwa verkaufen würde, war natürlich ganz indiskutabel, und ich wusste, dass dies auch Maron klar war. Es erübrigte sich daher für mich, diesen Punkt überhaupt nur zu erwähnen. Da aber fiel mir wieder Tilla ein, und ich entschied mich, doch noch einen Satz dazu zu sagen, um nicht bei ihr Missverständnisse aufkommen zu lassen.


    "Ich weiß nicht, Mutter, was Deine Gepflogenheiten im Umgang mit Sklaven sind, aber hier in der villa Aurelia in Roma werden Sklaven so behandelt, wie es eines patrizischen Haushalts würdig ist, nämlich anständig. Ich würde Dir empfehlen, Dich daran zu halten, solange Du uns hier mit Deiner Anwesenheit beehrst - das ist natürlich nur ein gutgemeinter Rat."


    Dass meine Mutter allerdings mit solchen Invektiven auf Marons Selbstvorstellung reagierte, machte mich nun doch stutzig. Maron - ein Spion? Ja sicher, das war er, doch daran, dass er meine Mutter ausspionieren könnte, hatte nicht einmal ich gedacht. Bis sie es nun selbst erwähnte. Hatte diese Frau etwas zu verbergen? In diesem Verdacht nun bestärkte mich die Tatsache, dass sie nach den Invektiven und schrillen Beschimpfungen, mit denen sie mich und Maron soeben abgekanzelt hatte, auf meine Frage nach ihrem Befinden hin auf einmal fast wie ein Kätzchen zu schnurren begann. Der ehrlich besorgte Ton in meiner Frage hatte in ihr offenbar die Hoffnung geweckt, mich mit dieser Masche angeln zu können - leider falsch geraten, Mutter! Dies hätte höchstens sein Ziel erreicht, wenn sie mir nun hätte berichten müssen, dass es ihr eben nicht gut gehe und ihr etwas fehle. Dass sie nun aber auch noch erzählte, sie sei nur hier, um nach "ihren Kleinen" zu sehen, erfüllte mich erneut mit maßloser Wut. Diese Frau wagte es, mir so ins Gesicht zu lügen. Ich wollte schon den Mund öffnen für eine deutliche Erwiderung - als Philonicus das adedis betrat. Aber was war nur mit ihm los?

    An der porta angekommen, blickte ich noch einmal freundlich auf den Besuch von der cura aquarum:


    "Nach deinen dankenden Worten bleibt mir nicht mehr viel, als mich meinerseits bei euch zu bedanken und euch mit einem herzlichen ,Valete!' zu verabschieden!"


    ... und natürlich, mich auf den Besuch des Kundendienstes im nächsten Jahr zu freuen. Ob dann der junge Begleiter schon alleine unterwegs sein und Ennius Cerealis wieder persönlich die villa Aurelia in Roma beehren würde?

    Mit energischen Schritten, denen man wohl gleich die Unternehmungslust ansehen mochte, hatten wir drei bald den Palatin erreicht und insbesondere das Gebiet, in dem meinen Informationen zufolge immer wieder gerne Künstlergruppen ihre Künste oder das, was sie dafür hielten, zum Besten gaben. Informationen dieser Art bezog ich vorzugsweise über Maron; ich selbst hatte noch gar keine Gelegenheit gehabt, mich diesem Teil des römischen Kulturlebens zu widmen. Aber darauf hatte mich ja nun Caia gebracht mit ihrer Initiative und ansteckenden Energie, und je länger wir gingen, desto mehr behagte es mir geradezu, wie sie sich bei mir eingehakt hatte. Und ganz wie ich gehofft hatte, schien sich Germanica Caia auch gar nicht beim Thema Politik zu langweilen. Im Gegenteil stellte sie mir eine Frage dazu, über die auch ich mir schon seit langer Zeit den Kopf zerbrach, angefangen von meinen Studienjahren in Athen, besonders aber auch seit dem Gespräch mit meinem Onkel Sophus im Schatten der villa Aurelia in Roma. Germanica Caia hatte dabei durchaus Recht, dass ich natürlich einiges würde auf mich zukommen lassen müssen; bestimmte Grundzüge aber zeichneten sich immer deutlicher ab. Ausgerechnet diese schienen mir nun nicht besonders dazu geeignet zu sein, mir den Beifall dieser jungen Frau zu sichern, waren sie doch vom Fundament her konservativ, und das betraf auch solche Dinge wie die, dass ein Patrizier niemals eine Plebejerin würde heiraten können - ein Prinzip, das schon lange und so auch in der Gegenwart in Geltung war und an dem ich nicht zu rütteln gedachte. Etwas zögerlich sagte ich daher einstweilen nur:


    "Ich glaube, es gibt bestimmte Dinge, die Rom groß gemacht haben, und dies sind meiner Meinung nach auch die Dinge, die Rom der Welt zu geben hat. Sie möchte ich bewahren."


    Noch dachte ich darüber nach, ob Caia wohl mit dieser Antwort etwas würde anfangen können, als eine Art Bühne in Sicht kam, die man auf einem kleinen Platz zwischen zwei stattlichen Häusern aus Kisten, alten Truhen und Brettern errichtet hatte. Davor hatte sich eine kleine Menschenansammlung gebildet, und als wir näher kamen, war auch ein dicklicher, älterer Mann zu erkennen, der auf dem Bretterverschlag stand, offenbar zu den Umstehenden redete und dabei theatralisch gestikulierte. Ich sah Caia an und fragte sie lächelnd:


    "Na, wollen wir uns auch unter die Zuschauer gesellen?"

    Etwas schief grinste ich meinen Bruder jetzt an. Ich war froh, dass Philonicus mir meine Überreaktion nicht nachtrug, sondern ganz einfach einen Strich unter die missglückte Begrüßung machte und mich dann mit all den Fragen konfrontierte, die ganz normal waren, wenn man sich nach so langer Zeit wiedersieht. So,und dann machte ich mich mal daran, diese Fragen zu beantworten, obwohl ich ja nicht wusste, wieviel man ihm schon an der porta und bei Marcus im officium erzählt hatte.


    "Dass Lupus jetzt auch hier bei uns lebt, weißt du schon? Er hat sich ja lange in Griechenland herumgetrieben, noch länger als ich, und dort als Kyniker gelebt. Und so kam er dann auch hier zur villa - du kannst dir nicht vorstellen, wie er da aussah, viel schlimmer als du."


    Hier zeigte mein Gesicht nun wieder mein übliches, nicht mehr verlegenes Grinsen, denn dass diese Bemerkung nurmehr ein freundliches Necken war, würde mein Bruder sicher verstehen.


    "Ich habe hier mittlerweile einige Kurse besucht; weißt du, das Studium in Athen ist ja gut und schön, aber manchmal doch ein bisschen praxisfern, bis auf die Rhetorik vielleicht."


    Über die anderen Familienmitglieder, nach denen Philonicus auch gefragt hatte, wollte ich erst einmal nichts erzählen, denn Ursus und Corvinus hatten ihm bestimmt schon so einiges hinterbracht, und die anderen sollten das für sich mal schön selbst übernehmen. Was die weiblichen Mitglieder der gens so trieben, blieb mir ja ohnehin zu meinem Leidwesen immer sehr verborgen. Stattdessen aber fiel mir nun wieder eine Bemerkung ein, die Philonicus schon zuvor ganz nebenbei gemacht hatte.


    "Aber was hast du denn so gemacht? Du hast eben etwas von ländlichem Leben erwähnt. Warst du denn nicht bei Mutter?"


    Denn dies hatte ich die ganze Zeit über angenommen.

    Körpersprachlich schienen sich der nette Mann vom Kundendienst und der freundliche Villenbewohner, den ich zu mimen suchte, schon bestens zu verstehen. Denn als hätte er meine Gedanken lesen können, leerte nun auch Ennius Cerealis seinen Becher mit einer Entschlossenheit, die keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass nun auch er allmählich zum Aufbruch drängte. Sicher hatte ihn auch seine Arbeit, bei der er ja nach seinem eigenen Bekunden immer wieder mit anderen Leuten zusammenkam, zu einem profunden Menschenkenner gemacht.


    "Ennius Cerealis, ich bin überzeugt davon, dass du für deine Arbeit auch wie gemacht bist, das hat mir dein heutiger Besuch bewiesen."


    Auch ich leerte meinen Becher jetzt und erhob mich dann langsam. Nach diesem langen Gespräch war es für mich selbstverständlich, die beiden Gäste persönlich zur porta zu begleiten, wobei Leone uns vorangehen würde.


    "Ich danke dir, Ennius Cerealis, und deinem Begleiter, sehr für euren Besuch! Dank deiner Kompetenz konnten wir das Geschäftliche schnell abwickeln, und dank deiner Geduld habe ich heute eine Menge über die Dinge gelernt, mit denen die Angehörigen meines Standes nicht immer direkt konfrontiert werden. Wenn ich mir vielleicht auch nicht jede Einzelheit auf Anhieb werde merken können, so wird sich sicherlich mein Blick auf viele Dinge verändern, die mir bisher verborgen geblieben sind."

    Nachdem ich meine Worte beendet hatte, trat ich wieder einen Schritt zurück. Ganz zufrieden war ich nicht mit dem gewesen, was ich dem Fragesteller geantwortet hatte; auf der anderen Seite befriedigte mich irgendwie das Gefühl, dass Ursus und ich auch nicht einfach nur aufgrund unseres Namens durchzugewinkt wurden, sondern man uns hier schon noch auf den Zahn fühlte, bevor man uns zu sodales machte. Daher blickte ich den Fragesteller noch einmal längere Zeit an.


    Titus seinerseits erwies sich nun einmal mehr als geborener Redner mit einem Talent für die Erzeugung dramatischer Spannung - etwas, das ihm in vielen Lagen sicherlich sehr zugute kommen würde (;)). Zunächst nämlich wartete er offensichtlich ganz bewusst einen Moment vor seinen eigenen Ausführungen, um die meinen ihrer Wirkung nicht zu berauben. Und dann lieferte er dem Fragesteller und allen anderen Anwesenden eine Antwort, die nicht nur ohne Falsch war, sondern auch spannungsreich aufgebaut und abwechslungsreich durch rhetorische Fragen und Ausrufe gestaltet.
    Wie allerdings die anderen sodales unsere Vorstellungen und Antworten aufnahmen, dies einzuschätzen, fiel mir schwer. Die besten Tänzer des imperiums ...


    Nachdem nun wieder Marcus das Wort ergriffen und unsere Aufnahme förmlich zur Wahl gestellt hatte, ging alles sehr schnell - und schon gehörten Titus Aurelius Ursus und ich zu dem erlauchten Kreis, dem meiner Meinung nach allerdings auch dringend neues Leben eingehaucht werden musste. Ich verneigte mich kurz in die Runde und blickte schnell zu Ursus hinüber, dann aber schritt Corvinus auf seiner agenda schon unaufhaltsam weiter und stellte sich selbst wieder zur Wahl als magister der Collini.


    Nun schaute ich umso gespannter auf Ursus: Würde er diese Gelegenheit ergreifen und sich als Gegenkandidat melden? Noch bevor er dies allerdings tun konnte, hob ich schon meine Hand für Corvinus, denn ich wollte Titus nicht im Unklaren über mein Abstimmungsverhalten lassen:


    Marcus Aurelius Corvinus :dafuer:

    Bei den Worten meines Vetters über den Schwierigkeitsgrad der uns bevorstehenden Tänze wurde mir allmählich doch ein bisschen bange, zumal seine Ausführungen offenbar ernst gemeint waren - bis auf den aus seinem Munde unvermeidlichen Spott. In diesem Moment fiel mir übrigens zum ersten Mal auf, dass er diese Angewohnheit mit Ursus zu teilen schien - und vielleicht nicht nur diese. Jedenfalls war dies etwas, auf das ich in Zukunft verstärkt Acht geben würde. Diese meine Gedanken aber wollte ich natürlich auf gar keinen Fall durchschaut wissen, und so ging ich noch einmal auf das Thema "Tanzen" ein:


    "Zum Opa habe ich es freilich noch nicht gebracht, aber ich befürchte, mein Orientierungssinn ist auch nicht immer der beste, jedenfalls nicht, wenn ich mich gleichzeitig noch drehen und anderweitig verrenken muss."


    Marcus und ich hatten es mittlerweile ins frigidarium geschafft, und dass mein Cousin schon im Becken war, während ich noch am Rand stand, gewährte mir die Möglichkeit, an meinem Leib herunter zu deuten:


    "Mit diesem schlaksigen Körper bin ich für das Tanzen ohnehin nicht eben gemacht. Aber was tut man nicht alles für Quirinus."


    Dass ich mit dem schlaksigen Leib auch nicht für das Ringen gemacht war, war mir deutlich aufgezeigt worden, und ich sah keine Veranlassung, es nochmals zu erwähnen. Stattdessen stieg nun auch ich in das Wasser hinab und rieb mir erst einmal das Gesicht mit dem erfrischenden Nass ab.


    "Was die Testamente angeht, hast du wirklich eine Energieleistung hinter dich gebracht, Marcus. Es ist ganz richtig, dass du dir jetzt alles das wieder gönnst, was du dir wochenlang vorenthalten musstest." ( :P)


    Mit diesen Worten verabschiedete ich mich einstweilen von der Bildfläche, indem ich nun ein wenig tauchte.