Beiträge von Lucius Quintilius Valerian

    Keine der Fragen wurden von dem Jungen beantwortet. Weder Valerians, noch Calvenas. Das war mehr als verdächtig. Valerian machte sich auf alles gefaßt, ging in die Hocke und schaute Pius fragend an. Doch er war bereit, sollte irgend ein Finger sich schnell auf den Weg in sein Auge machen oder ähnlich Unangenehmes, auf das ein mißgelauntes Kind kommen konnte. Er mochte Pius gern. Das änderte nichts an der Tatsache, daß er ihm so einiges zutraute.

    "Gut." Valerian spürte wohl, daß Antoninus die Sache nicht so ganz schmeckte. Doch bei den Praetorianern wurde mit harten Bandagen gekämpft. Und auch wenn er es sich als Offizier natürlich wünschte, daß die Jungs ihn mochten und ihm vollkommen vertrauten, mußte er ihnen doch beibringen, auch hier innerhalb der Castra immer die Augen offen zu halten. Insbesondere, wenn er sie für besondere Aufgaben vorgesehen hatte. Doch darüber mit Antoninus zu sprechen, war noch zu früh. Noch war ihm die neue Funktion nicht offiziell übertragen worden.


    "Du sagtest, Du hast Senator Helvetius Geminus getroffen und hast ihm sogar einen Dienst erweisen können. Es ist still geworden um den Senator in den letzten Jahren. Doch er war einmal ein sehr einflußreicher Mann. Und gewiß hat er seinen Einfluß nicht vollkommen verloren. Erzähl mir genau, wie die Begnung abgelaufen ist. Und dann sag mir, wie Du den Mann einschätzt."

    Valerian nickte. "Was Du sagst, ist richtig. Aber dennoch ist das, was er tat, auch nicht falsch." Er lehnte sich ein wenig vor. "Der Soldat ist ein erfahrener Mann. Du bist der jüngste Praetorianer, von dem ich je gehört habe, insoweit war sein Mißtrauen, das durch Dein Alter und Deine vergleichsweise unkonventionelle Kleidung hervorgerufen wurde, gerechtfertigt. Eine Dienstmarke kann schnell in die falschen Hände geraten. Aber Du sagst selbst, daß Du ihm das nicht vorwirfst. Du sagst, Deine Nachricht hätte dringend sein können. Du warst aber nicht verschwitzt, nicht abgehetzt, er konnte also ruhig davon ausgehen, daß es auf fünf Minuten nicht ankam. Er hätte seinen Vorgesetzten rufen können, doch vielleicht kennt er seinen Vorgesetzten gut? Und weiß, daß auch er die Siegel hätte sehen wollen? Du hast die Siegel gesehen, ich nehme an, auch genauer betrachtet. Diese Siegel verwenden wir für unsere Sendungen, es ist wichtig, daß Du sie erkennst. Der Praetorianer am Tor hat sich mit seinem Blick darauf davon überzeugt, daß es die richtigen Siegel sind. Und daß sie unbeschädigt sind. Da wußte er, daß Du eine Berechtigung hast, das Haus zu betreten. Nein, wir führen niemanden einfach so in das Haus, in dem der Kaiser wohnt. Gerade in Misenum sind die Wege nicht allzu weit bis zu ihm, leicht hättest Du ihm in einem der Gänge begegnen können. Verstehst Du? Seine Sicherheit steht über allem. Und seine Scribae sind wichtige Leute, verinnerliche auch das." Valerian sprach eindringlich. "Ich gebe zu, ich habe Dich da mit voller Absicht reinrasseln lassen. Ich war mir allerdings auch sicher, daß Du dieser Aufgabe gewachsen bist. Sonst hätte ich Dich nicht geschickt."


    Vermutlich schmeckte dem jungen Mann diese Art des Lernens nicht sonderlich. Aber ein Praetorianer mußte eben ein bißchen was aushalten. "Ist Dir an der Sache noch irgend etwas unklar?"

    "Iiich und Geheimnisse vor Dir? Du weißt doch von allen Frauen, die mein Herz gefangen halten. Hm... glaube ich zumindest." Er schaute grübelnd drein, als müßte er wirklich überlegen, ob er ihr alles erzählt hatte. Ihr vorwurfsvoller Blick war dabei wirklich schwer zu ertragen. Schließlich schüttelte er den Kopf. "Nein, es gibt keine wie Dich." Er sagte dies ernst, ganz ohne Scherz. Und küßte sie abermals. Er wollte, daß sie spürte, wie ernst er es meinte. Nur eine war beinahe so weit gekommen wie sie. Philogena... doch sie war tot, so glaubte er zumindest.


    "Hmmmm, also unser süßes kleines Geheimnis, ein Spaß nur für uns zwei?" Im gleichen Augenblick mußte er feststellen, daß er sich in diesem Punkt irrte. "Salve, junger Mann", grüßte er Pius, der sich plötzlich bemerkbar machte. Wieviel hatte der Junge gehört? Hoffentlich nicht zuviel. Sonst würde er es sehen wollen. Jedes Kind würde das wollen. Und es freimütig jedem erzählen, der es nicht hören wollte. Also mußte schnell eine Idee her. Eine gute Idee. Aber woher nehmen und nicht stehlen?


    "Hm, wir wollten ein kleines Spiel spielen, Calvena und ich. Man muß jeweils raten, was der andere am liebsten mag, also Lieblingsblumen, Lieblingsfarbe, Lieblingskuchen und sowas. Und hat man Recht, bekommt man einen Kuß. Hat man nicht Recht, dann muß man dem anderen einen Gefallen tun. Naja, das ist ein Erwachsenenspiel. Wir können es aber auch mit Dir zusammen spielen. Und statt der Küsse Nüsse weitergeben, was meinst Du?"

    Valerian nickte zu den Beobachtungen, das war nun schon etwas mehr wert. "Kurz vor Misenum hat eine Frau an einem Bach Wäsche gewaschen. Der Bach kommt dort aber aus Richtung Stadt. Niemand würde Wäsche an einem Bach waschen, der voll von Unrat und Fäkalien ist. Nimm Frauen nicht aus Deiner Wahrnehmung heraus." Ansonsten hatte Antoninus alles bemerkt, aber es war auch recht einfach für ihn gestaltet worden. Echte Lumpenhunde machten selten solche dummen Fehler.


    "Und nun zu der Wache. Ich möchte etwas genauer wissen, was geschehen ist und ich möchte Deine eigene Einschätzung über sein und auch Dein Verhalten hören."

    Vom Carcer kommend durchschritten Valerian und Piso die Porta Praetoria. "Du hast Recht, Selbstmorde sind auch eine Art von Ausbrüchen. Deshalb achten wir sehr darauf, daß die Gefangenen keine Möglichkeit dazu haben." Es sei denn, der Selbstmord war durchaus im Sinne des Staates. "Bitte vergiß nicht, eine Abschrift Deines Berichtes an uns zu schicken. Und mach Dir keine Sorgen, es wird Dir gleich wieder besser gehen. Atme auf dem Rückweg die frische Frühlingsluft, dann kommt der Appetit sehr schnell wieder. Vale, Vigintivir Flavius."

    Valerian tat ganz unbeeindruckt, mußte sich aber das Lachen schwer verkneifen. "Das ist unser Daseinszweck. Oder zumindest einer davon", behauptete er kühn und war froh, daß Piso dem Kerker entfliehen zu wollen schien. Sie ließen diese Örtlichkeit daher hinter sich und erreichten bald darauf das Tor. "Ausbrüche? Nein, so etwas gibt es hier nicht." Das konnte er guten Gewissens behaupten, denn tatsächlich hatte er nie von einem gelungenen Ausbruch aus diesem Gefängnis gehört. "Ein paar Selbstmorde hat es schon gegeben, aber der letzte ist auch schon so lange her, daß ich es nicht selbst erlebt habe."

    Valerian lehnte sich zurück. Seine Miene zeigte nicht, daß er gerade enttäuscht war. Vielleicht brauchte der Iulier doch noch etwas mehr Erfahrung bei den Praetorianern. Er verstand einfach noch nicht, worauf es ankam. "Danach habe ich nicht gefragt, Miles. Die Geschwindigkeit stand nicht zur Debatte. Probleme, die sich bei Deinem Auftrag aufgetan haben, waren gefragt. Deine Aufgabe hast Du gut ausgeführt, daran gibt es nichts auszusetzen. Aber der Bericht läßt sehr zu wünschen übrig. Also, überlege und versuche es noch einmal."

    Puh, das war ein schweres Stück Arbeit gewesen! Aber Valerian hatte es tatsächlich geschafft, den Flavier zu stoppen. Auch wenn das Wort ungustiös schon befürchten ließ, daß Piso nur einen Themenwechsel vornahm. "Aber nein, natürlich nicht! So sieht das Zeug immer erst am Ende der Woche aus. Und wenn man den Flausch ein wenig abkratzt, ist es auch halb so schlimm." Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber Würgereiz konnte ein gutes Mittel sein, um Dummschwätzen zu verhindern. Valerian stellte den Eimer wieder ab und würde den Mann, der heute Kerkerdienst hatte, in den Hintern treten, weil das alte Zeug hier noch herumstand.


    Türen wurden geöffnet und hinter ihnen wieder geschlossen. Sie gingen nun zum Tor zurück. Was Valerian anging, war die Kerkerinspektion vorerst beendet. Aber es mochte natülrich sein, daß Piso noch Fragen hatte.

    "Hast Du das etwa geglaubt?" Valerian tat völlig erstaunt und schaute sie fast empört an. "Natürlich bist Du nicht die einzige Frau in meinem Leben!" Seine Augen funkelten schon wieder, aber er ließ sich keineswegs dazu herab, was für Frauen er damit meinte. Da würde sie sich schon etwas einfallen lassen müssen, um das aus ihm herauszukitzeln. Valerian unterdrückte ein breites Grinsen.


    "Warum nicht? Hm, da fällt mir kein guter Grund ein. Außer: Was soll noch aus uns werden, wenn wir unsere Ehe auf diese Weise beginnen?" Jetzt war es mit seiner Beherrschung endgültig vorbei. Er lachte und drückte sie wieder fest an sich. "Wir sind schon ein eigenartiges Pärchen!"

    "Salve, Miles Iulius", nahm Valerian den Gruß ab und deutete auf einen Stuhl. Vor ihm lag eine Tabula, auf die er nochmal einen Blick warf. "Als Du mir gestern von Deinem Auftrag berichtet hast, sagtest Du, es habe keine Probleme gegeben. Das ist nicht richtig. Ich erwarte von meinen Männern, daß sie mir genauestens und wahrheitsgemäß Bericht erstatten. Nicht Du entscheidest, was wichtig ist, sondern ich. Berichte mir also aus Deiner Sicht, was geschehen ist."

    "Hmmm", machte Valerian, ließ sich den Versöhnungskuß aber nur zu gerne gefallen. Ja, so machten die Neckereien gleich noch mehr Spaß. "Also keine Männerherzen brechen. Und auch keine Frauenherzen? Jetzt wird es aber langsam schwierig." Sein freches Grinsen bekam er heute wohl gar nicht mehr aus dem Gesicht. "Als Praetorianer hat man doch schließlich eine Stellung zu wahren! Und an Bewunderinnen mangelt es nicht. Männer in Uniform sind eben immer gefragt." Jetzt mußte er sich aber wirklich darauf gefaßt machen, den einen oder anderen Knuff zu kassieren.


    "Iiiiiiich? Ich soll immer anfange? Das kann doch gar nicht sein", leugnete Valerian wenig überzeugend. Solange es liebevolle Sticheleien waren, sah er auch keinen Grund, seine Taten wirklich zu bereuen. "So, Du willst es also herausfinden, ja? Du möchtest, daß ich eines Deiner Kleider anziehe? Und Du willst meine Rüstung anprobieren? Darauf bin ich gespannt..." Hatte sie die gleichen Gedanken wie er? Nein, ganz bestimmt nicht!

    Ihr Götter! Was für einen gequirlten Bockmist redete der da nur? Valerian betete um einen Geistesblitz. Und es schien, als hätte einer der Götter Mitleid mit ihm. Sein Blick fiel beim Heinausgehen auf einen Abfalleimer, der wohl vergessen worden war. "Ich bin ganz und gar Deiner Meinung, Flavius. - Was sehe ich da! Was für ein unsagbares Glück Du hast. Da ist ja noch ein Rest von letzter Woche." Er griff nach dem Eimer, in dem sich schwarzgraugrüne Flauschbällchen auf den Resten eines groben Getreidebreis gebildet hatten, und hielt ihn Piso direkt unter die Nase. "Das Zeug ist noch gut genug für Gefangene", behauptete Valerian und hoffte, daß Piso nun so schlecht wurde, daß ihm das Philosophieren verging.

    Genaugenommen waren es nicht seine Männer, sondern die Urbaner, aber Valerian sparte es sich, dieses Detail nochmal zu erwähnen. Es war auch nicht wichtig. Wichtig war nur, daß hin und wieder jemand dafür sorgte, daß die Gegend von lichtscheuem Gesindel gemieden wurde.


    "Nein, verschollen ist nicht tot. Es besteht immer ein Funken Hoffnung. Und den sollten wir nie verlieren. Danke, Serrana. Das hatte ich fast vergessen. Irgendwie hatte ich sie in Gedanken... aber das wäre wirklich falsch, so etwas sollte man nie tun." Er war ihr wirklich dankbar dafür, daß sie ihn daran erinnert hatte, daß verschollen immer Chancen offen ließ. Nur verschwindend geringe. Doch er hörte einmal, wenn eine Chance verzweifelt gering war, so etwa bei einer Million zu eins, dann würde dies gewiß eintreten. Und vielleicht... vielleicht lag Philogens Chance zum Überleben bei genau jenen einer Million zu eins.


    "Ich bitte Dich, das war doch selbstverständlich. Calvena hat Dich sehr gern, ich würde niemals eine so gute Freundin von ihr des Nachts allein durch Rom laufen lassen. Hab Dank für das gute Gespräch. Und ich wünsche Dir eine geruhsame restliche Nacht."

    "Ach, nur ein paar Männerherzen? Ja, glaubst Du denn, unsere Herzen würden den Schmerz nicht so spüren wie Frauenherzen? Also wirklich, das hätte ich nicht von Dir gedacht." Sein Ton klang vorwurfsvoll und er schaute sie ernst an. Eigentlich war er gar kein schlechter Schauspieler. Doch in ihrer Gegenwart konnte er den Schalk nicht aus seinen Augen bannen.


    "Ich bin nur frech, wenn Du frech bist", log er schamlos und grinste dabei so frech, daß er seine Worte damit Lügen strafte. "Außerdem finde ich, daß das nur eine ganz gemeine Behauptung ist. Du hast keinen Beweis dafür, daß Du in meiner Rüstung besser aussiehst, als ich in Deinen Kleidern." Amüsiert mußte er daran denken, wie sie das wohl feststellen wollten. Er sah sie beide schon in der Hochzeitsnacht die Kleidertruhen des jeweils anderen plündern, um den Beweis anzutreten.

    Valerian zuckte mit den Schultern. "So arg fand ich es nicht. Natürlich bin ich viel lieber in Rom, hier bin ich aufgewachsen, hier kenne ich jeden Stein beim Namen und woanders möchte ich eigentlich auch gar nicht leben. Und kalt war es auch, der Winter war schon echt ungemütlich. Aber ansonsten fand ich es dort nicht übel." Er hatte viele gute Erinnerungen an seine Zeit bei der Secunda.


    Oh, nein! Er hatte ein Faß aufgemacht! Und was für eins! Was schwallte der da bloß für einen Unsinn? Es war nicht so, daß Valerian sich nicht ab und an auch ein wenig mit Philosophie befaßte, er war schließlich ein gebildeter Mann. Aber das hier war hanebüchen! Schnell schloß er die Zellentür und wandte sich wieder gen Ausgang. Aus reinem Selbstschutz begann er nun selbst zu plappern. "Ja, sehr effizient, genau so war es gedacht. Die Kameraden von den CU werden sich über Deinen Besuch gewiß freuen. Die letzten zwei Kerkerinspektionen gingen an ihnen vorüber. Deine Vorgänger interessierten sich mehr für unsere Zellen. Gerne würde ich Dir eine Probe der üblichen Mahlzeiten geben. Aber da wir momentan keine Gäste haben, wird natülrich auch keine Gefangenenkost ausgegeben."