Wimmernd rauften sich die Klageweiber von Alexandria die Haare, ihr Klagen ertönten dissonant in den Hallen, die lieber mit der harmonischen Musik von Flöten erfüllt werden wollten, dem sanften Murmeln von dunklen Priesterstimmen, aber nicht dem Geruch von Tod und dem Jenseits. War doch dieser Ort dem Leben und der Schönheit gewidmet, doch der oberste Priester des Museion war verstorben und ihm zu Ehren musste jeglicher Pomp und jede Zeremonie peinlich genau abgehalten werden. Das wusste auch Sosimos, der auf die Person hinter dem Epistates nie viel gegeben, ihn verachtete und sich maßlos über ihn aufgeregt hatte, aber das Amt des Epistates war dafür um so wichtiger und bedeutender. Darum war Sosimos sehr erfreut, dass der Rhomäer ihre Traditionen nicht nur stillschweigend respektierte, sondern ihnen auch noch beiwohnte und dem Amt somit die Wichtigkeit beimaß, die Sosimos dem zusprechen würde. Sosimos verneigte sich in einer höflich und dabei dezent ergebenen Art und Weise (ohne Katzbuckelnd oder Kriecherisch zu wirken). „Habt Dank, ehrenwerter Praefectus, Stimme des Basileus.“
Sosimos wandte sich um, um zu der Bahre zu treten. Eirene derweil hatte den Kopf gehoben als Timokrates sie ansprach, ihre dunklen Augen ruhten länger auf den Zügen des Mannes, dann neigte sie das Haupt. „Habt Dank.“, murmelte sie leise und senkte die Augenlider. Ihr blasses, strenges Gesicht wirkte einen Moment etwas weicher, verhärtete sich dann bei dem nächsten Klagen der Weiber erneut. Erneut ließ sich Eirene die Beileidsbekundungen versichern und auch bei Nikolaos dankte sie, mit einem Blick und einem kurzen Nicken. Der Junge, vielleicht sieben Jahre alt, hob den Kopf und musterte Nikolaos irritiert. „Müssen wir auch sterben?“, fragte er mit großen und ängstlichen Augen den jungen Schüler. Seine ältere Schwester griff nach seiner Hand und kniff ihn in den Arm. „Psst.“, raunte sie eindringlich. Sowohl sie als auch der Junge ernteten tadelnde Blicke von der jungen Ehefrau (nun Witwe) des Verstorbenen.
Einige Gelehrte stellten sich an die Seite des Totenbetts, das Tuch wurde zurück gestrichen und lange, massive Holzstreben traten zu Tage (beziehungsweise zu Nachte und dem sehr frühen Morgen). Die Männer, von Jung bis Alt waren sie, hoben den Leichnam an den Stangen hoch, einige Blütenblätter fielen dabei hinab auf den polierten Marmorboden. Schweigend gingen die Träger auf den Ausgang zu. Wie von Geisterhand öffneten sich die Tore zu dem Raum. Düster zeigte die Anlagen des Museion, der Tag war noch nicht angebrochen und die Sterne prangten noch in der späten Nacht. Aber so war es Sitte, um nicht die Götter mit dem Anblick des toten Körpers zu verärgern. Fackeln säumten jedoch den Weg des Leichenzugs, brannten hell und beleuchteten den Boden für all die Menschen. Die Klageweiber traten an die Seite. Eine Syrinx* erklang in die Stille hinein, die auch von den Klageweibern nicht durchbrochen wurde. Nur von den Schritten aller Menschen, dem leisen Ächzen des Holzes, auf dem die Leiche bewahrt wurde. Die Männer traten hinaus. Vor dem Tempel wartete bereits der Leichenwagen für den Epistates. Der Körper wurde auf den Wagen gehoben und zwischen zahlreiche weiße Blüten gelegt, die sich wie ein Meer aus zarten weißen Blättern um den Epistates bauschten. Zwei schimmernde dunkle Pferde zogen den Wagen. Um den Leichenwagen hatten sich schon viele Menschen, Schüler, Gelehrte des Museion versammelt , um sich der Ekphora anzuschließen, der sie aus dem Museion hinaus führen würde.
* ~Eine Panflöte