Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Ja, es wurde wirklich etwas eng mit den Sitzplätzen, doch irgendwie auch gemütlich und vertraulich. Eine Nähe zwischen den Familienmitgliedern, wie Ursus sie schon sehr lange vermißt hatte. Umso enttäuschter war er, daß Corvinus sich so bald aus dieser Vertraulichkeit zurückzog. Er konnte ja nicht ahnen, was die Gründe dafür waren. "Ich bin auch froh, daß ich wieder zurück bin. Und... wenn Du erlaubst, werde ich Dich morgen aufsuchen, damit wir uns in Ruhe besprechen können." Einen Moment lang blickte er Corvinus hinterher, dann wandte er sich wieder den anderen beiden zu.


    "Corvinus schrieb mir, daß ihr beide wieder hier seid, Catulus und Du. Wo steckt denn der Schwerenöter überhaupt? - Und Aegyptus hat nur die Wüste zu bieten? Ich dachte, wenigstens Alexandria wäre ein Ort, an dem man es aushalten kann. Ganz ehrlich, ich kann Aegyptus nicht viel abgewinnen, nach allem, was ich darüber weiß. Germanien hingegen ist durchaus sehenswert, wenn man nicht gerade den grauen, nassen Herbst erwischt. Im Winter liegt der Schnee so hoch", er deutete mit der Hand die Höhe an. "Es ist ein eigenartiges Vergnügen durch eine frische, unberührte Schneefläche durchzulaufen. Auch wenn man sie damit kaputt macht, man kann nicht anders, als da durchstapfen." Er lachte, der Schnee hatte ihn schon ziemlich fasziniert.


    "Die Wälder sind gewaltig und teilweise wirklich furchteinflößend. Wo sie richtig dicht sind, ist es so dunkel, daß man kaum etwas sehen kann, aber wenn man auf einer Anhöhe steht und den Blick über die Landschaft schweifen läßt, dann ist sie auf eine raue Art wunderschön. So unglaublich grün und dicht bewachsen, richtig urtümlich und voller Leben. Da ich ja für den Limesausbau zuständig war, habe ich einiges von Germanien gesehen. Und ich war auch einmal in Magna. Mit Quästor Germanicus zusammen auf diplomatischer Mission bei den Mattiakern. Erst waren sie sehr mißtrauisch - und wir daraufhin natürlich auch. Aber als das Eis erstmal gebrochen war, haben sie uns überwältigende Gastfreundschaft gewährt. Ich sage euch, laßt euch niemals darauf ein, mit Germanen zu trinken. Obwohl ich sehr aufgepaßt und sehr viel weniger getrunken habe als die Germanen, war ich am Ende doch ziemlich duselig im Kopf. Met ist ein unglaublich hinterhältiges Zeug, aber sehr lecker. Ich habe etwas davon mitgebracht, dann könnt ihr mal probieren. - Ja, und der Puls... ich habe keine Ahnung, wie der schmeckt", lachte Ursus in die Richtung von Cotta. "Ich hatte ja Sertorio dabei und der ist zum Glück ein begnadeter Koch."


    Er blickte Cotta weiterhin an. "Erinnerst Du Dich, daß wir damals über den Militärdienst gesprochen haben? Ich dachte, ich würde mich dort nicht am rechten Platz fühlen und sah der Sache mit großem Mißtrauen entgegen. Aber es kam ganz anders, ich habe mich im Gegenteil sehr wohl da gefühlt. Das habe ich natürlich zu einem großen Teil Tribun Terentius zu verdanken. Er hat mich in alles geduldig eingearbeitet und vor allem hat er mir erstmal richtig reiten beigebracht. Als Kommandant der Reiterei sollte ich mich ja nicht völlig blamieren. Das war auch so eine Sache, ein Kommando zu erhalten, ohne Erfahrungen damit zu haben. Doch ich hatte brauchbare Offiziere und sehr gute Soldaten unter meinem Kommando, sie haben mir die Sache sehr erleichtert. Legat Vinicius Lucianus hat mir großes Vertrauen entgegen gebracht und ich denke, ich habe ihn nicht enttäuscht. Übrigens ist er mittlerweile mein Patron." Er machte eine kurze Pause.


    "So, genug von mir. Jetzt zu euch. Wie sehen eure Pläne aus, werdet ihr euch jetzt in die Karriere stürzen? Cotta, Du mußt Dich ganz schön ranhalten, wenn Du mich einholen willst", scherzte er, ohne zu ahnen, in welches Fettnäpfchen er damit sprang. "Avianus, Du wirst doch auch in die Politik wollen, oder was hast Du vor zu tun?"

    Dann Matho weg? Weg aus Kopf? Ursus wußte es doch nicht. Er hatte doch nicht die geringste Ahnung, wie so etwas funktionierte. "Ich kann Dir nichts versprechen, Fhionn. Aber ich glaube, daß es der einzige Weg ist. So etwas ist nie leicht. Es wird wehtun, weil Du Dich dabei dem stellen mußt, was Du fürchtest. Doch tut es nicht viel mehr weh, wenn Du Dich ewig von ihm quälen läßt?" Er konnte ihr dabei nicht helfen. Und er wußte nicht mal, ob er das wollte. Denn würde sie ihn nicht mitnehmen ins Reich der Toten, wenn er sie zu stark an sich band? Er war jung, er wollte leben, er hatte noch viel vor in seinem Leben. Das wollte er auf keinen Fall wegwerfen.


    "Frei? Es gibt viele Arten von Freiheit und vieles, das uns gefangen hält. Frei von Matho, ja. Frei von dieser Qual. Was danach kommt, wissen nur die Götter. Auf sie sollten wir vertrauen, denn sie wissen und sehen mehr als wir. Vielleicht hast Du ja noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, bevor Du zu Deinen Kindern darfst? Wie könnten wir Menschen uns anmaßen, die Pläne der Götter zu durchschauen?"


    Sie fror. Sie fror? Wie konnte das sein? Ursus verstand nichts von dem, was hier geschah. War das etwas, was sein mußte? Daß er sie mitnahm ins Haus? Er schickte ein Stoßgebet an seine Ahnen, daß er das richtige tun möge und nicht das Unglück ins Haus einließ. "Komm, gehen wir hinein. Da ist es wärmer." Sanft schob er sie in Richtung Haus. Er wollte sie nicht zwingen, nur anbieten.


    Wenn sie frieren konnte, war sie dann vielleicht auch hungrig? Erschien sie ihm deshalb so ausgezehrt? "Wie wäre es mit etwas heißem zu trinken? Und vielleicht finden wir auch etwas Brot und Käse, hm? Du bist sicher auch hungrig?" Sie nieste. Sie nieste? "Gesundheit", sagte er aus einem Reflex heraus und schüttelte dann über sich selbst den Kopf. Erkältete Geister, die froren? Sie sagte etwas von Britannien und daß die Götter sie da auch schon nicht haben wollten. War sie nun ein Geist oder ein Mensch? Sie fühlte sich an wie ein lebender Mensch. Sie schien auch zu empfinden wie ein lebender Mensch. Doch niemand konnte eine Kreuzigung überleben!

    Das Unwetter zog langsam weiter. Noch immer regnete und windete es. Und Ursus fror in seinen nassen Sachen im Wind. Doch die Blitze und der Donner erfolgten in immer längeren Abständen, entfernten sich langsam von ihnen. Der Zorn der Götter ging an ihnen vorüber, hatte vielleicht gar nicht ihnen gegolten.


    Weiterhin hielt Ursus sie im Arm, konnte kaum glauben, daß sie tot sein sollte. Sie fühlte sich so real an. "Du bist nur zu schwach, wenn Du aufgibst. Du bist stark. Glaube an Dich. Deinen Körper hast Du geschwächt, weil Du zuwenig gegessen hast. Doch Dein Geist ist stark. Wäre er es nicht, könntest Du nicht hier sein. Glaube an Dich! Besiege Matho! Er kann Dir nichts mehr anhaben! Du bist jetzt sicher vor ihm!" Langsam gingen ihm die Worte aus. Doch er wußte, er mußte sie überzeugen. Damit sie endlich ihren Frieden finden konnte.


    Ein heftiger Windstoß ließ ihn erzittern. Und niesen. Eine Erkältung? Hoffentlich nicht. Doch im Moment gab es wichtigeres, als eine Erkältung abzuwenden. Für einen Augenblick schloß er seine Augen, versuchte nachzudenken, doch es war nicht so einfach, vernünftig zu denken. "Fhionn... Warum bist Du noch hier? Was bezwecken die Götter damit? Was, wenn nicht, ihn endgültig zu besiegen?" Noch immer hielt er sie in seinen Armen. Schützend. Wärmend. Doch reichte dies? "Ist... ist Dir kalt?" Eine dumme Frage. Wie könnte ihr kalt sein?

    "Du bist nicht zornig?", staunte Ursus. Er fand, sie hätte allen Grund, zornig zu sein. Und warum war sie hier, wenn sie es nicht war? Irgendetwas mußte sie doch hier festhalten. Wirklich die Tatsache, daß sie sich weiterhin von Matho gequält fühlte? Das konnte natürlich sein. Doch irgendwie war es merkwürdig, daß eine Tote von einem Toten verfolgt wurde. Ihre Worte konnten ja nur bedeuten, daß sie tatsächlich hingerichtet worden war und danach aus irgendwelchen Gründen hier verblieben war.


    Er fühlte, wie sich sich nun an ihn klammerte und er bemühte sich darum, sie zu schützen vor dem Regen und dem Wind. Obwohl das natürlich völlig zwecklos war, vermutlich störte es sie gar nicht. "Vielleicht mußt Du ihn ein zweites mal töten, in Deinem Geist, meine ich. Laß ihn nicht siegen, denn er war nicht im Recht. Er war ein Sklave wie ihr und er hatte kein Recht, so mit euch umzugehen. Du darfst Dich gegen ihn wehren, hörst Du? Er hat in Deinem Kopf nichts zu suchen. Wehre Dich, Fhionn. Kämpfe! Er ist nicht stärker als Du. Er ist schwach. Nur ein sehr schwacher Mensch quält andere, die von ihm abhängig sind. Du bist viel stärker. Du hast Dich gewehrt, trotz aller Angst. Und er hat verloren. Er wird wieder verlieren!" Natürlich hatte er keine Ahnung, wie sie das anfangen sollte. Doch sich einfach in ihr Schicksal ergeben und ewig weiterleiden, das konnte doch auch nicht das richtige sein.


    Und was sagte sie da von Kindern? Hatte sie denn Kinder gehabt? Wieder einmal wurde ihm klar, wie wenig er eigentlich über die Menschen in diesem Haus wußte. Anscheinend waren ihre Kinder tot. Denn sie hatte gehofft, sie wiederzusehen. Inys Alfallach... War das ihr Wort für Elysium? Vermutlich.


    "Du bist so dünn..." Wenn sie doch nur leben würde, dann könnte er dafür sorgen, daß sie anständig zu essen erhielt. Doch dafür war es ja nun zu spät.

    Er spürte, wie sie sich versteifte in seinem Arm. Doch sie schüttelte ihn nicht ab, was ein leichtes gewesen wäre, da er keinen Druck ausübte. Unter seiner Hand konnte er eine magere Schulter spüren, als sei sie halb verhungert. Und dann das Zittern in ihrer Stimme. Irgendwie wirkte das alles doch sehr lebendig. Nur ihre Worte, die sprachen schon wieder vom Todesurteil. "Er hat es mir geschrieben, Fhionn. Es war der letzte Brief, den ich erhielt. Er muß ihn an dem Abend geschrieben haben, als er das gesagt hat. Zu diesem Zeitpunkt hat er meinen Brief noch nicht gehabt. Fhionn, er hat es nicht gewußt. Er kann es nicht gewußt haben." Warum verteidigte er Corvinus eigentlich? Doch es war richtig. Wie hätte Corvinus das wissen können? Wie hätte er ihnen glauben können, nach einer solchen Tat?


    "Soviel unnötiges Unglück. Soviel Leid. Dir ist großes Unrecht geschehen, Fhionn. Niemand kann es ungeschehen machen. Doch Du brauchst an diesem Punkt trotzdem nicht stehenbleiben. Das Leid kann vorbei sein, wenn Du es nur zuläßt. Wem gilt denn Dein Zorn? Matho? Er ist tot. Corvinus? Oder mir? Ja, sicher, wir hätten es sehen sollen, daß Matho ein Tyrann war. Es ist unsere Schuld, daß wir ihm blind vertrauten. Doch warum hat vorher niemand etwas gesagt? Waren wir eures Vertrauens so wenig wert?" Er spürte die Kälte, zitterte gar, denn der Wind trieb den kalten Regen vor sich her und zerrte an ihnen beiden. Gerade schlug ein Blitz ganz in der Nähe ein, gefolgt von einem gewaltigen Donnerschlag, der auch Ursus mächtig zusammenfahren ließ. "Und wie kann es sein, daß Du jetzt hier bist?", fragte er schließlich. Warum war sie nicht im Elysium?

    Ein reitender Bote der Gens Aurelia überbrachte eine Schriftrolle folgenden Inhaltes:




    Ad
    Decimus Annaeus Varus
    Casa Annaea
    Mantua



    Salve, Varus!


    Was habe ich mich gefreut, einen Brief von Dir vorzufinden, als ich aus Germanien heimkehrte! Und nun gleich eine Einladung zum Wagenrennen! Ich bin wirklich sehr froh, dass ich es nicht verpasst habe und gerne werde ich Deiner Einladung Folge leisten.


    Eingelebt habe ich mich natürlich noch nicht wieder, bin ja gerade erst angekommen. Doch das wird mich ganz sicher nicht davon abhalten, nach Misenum zu reisen, um mit Dir gemeinsam dem Wagenrennen beizuwohnen. Über Germanien erzähle ich Dir dann bei einem schönen Becher Wein. Oder auch Met, denn selbstverständlich habe ich welchen mitgebracht. Aber Vorsicht, das Zeug ist wirklich hinterhältig!


    Bitte verzeih, dass ich mich in diesem Brief so sehr kurz fasse, aber tatsächlich schwirrt mir der Kopf von den vielen Dingen, die mir jetzt berichtet wurden und die ich selbst berichtet habe. Wir können dann ja ausführlich reden, wenn wir uns in Misenum treffen.


    Mögen die Götter stets über Dich wachen.


    Vale,


    [Blockierte Grafik: http://img263.imageshack.us/img263/7694/tauunterschriftsn3.gif]



    Roma, ANTE DIEM IV ID IUL DCCCLVIII A.U.C. (12.7.2008/105 n.Chr.)

    Sie zuckte zurück, bevor er sie hatte berühren können. Wovor fürchtete sie sich, wenn sie doch tot war? Konnten Tote Furcht empfinden? "Du bist nichts?", fragte er ungläubig. Nichts. Wie konnte jemand das von sich selbst sagen. "Nein, Du bist nicht nichts. Das ist nicht wahr", widersprach er unwillkürlich und schüttelte den Kopf. Dann hörte er ungläubig zu, was sie sagte. Sie hatte ihn mit dem Messer getötet. Weil er sie gequält hatte. Weil er sie hatte hungern lassen. Weil er ihr ein Dach über den Kopf verweigert hatte. Ursus fühlte Zorn in sich aufsteigen. Es war die ureigenste Pflicht eines Herrn, seinen Sklaven die grundsätzliche Versorgung zukommen zu lassen. Nicht mal nur die moralische, sondern auch die gesetzliche. Matho hatte mit seiner Tat eine Ungesetzlichkeit begangen, die auf seinen Herrn zurückfiel.


    "Caelyn hat es mir gesagt. Als ihr fort ward. Sie sagte mir, was Matho Siv angetan hat. Sie sagte mir, wie tyrannisch er sich aufführte. Ich schrieb es Corvinus... Aber das war zu spät. Zu spät..." Blitze zuckten über den Himmel, begleitet von markerschütterndem Donner. Ursus sah sie zusammenzucken, offensichtlich erschrocken. Nicht daß er weniger erschrocken wäre, doch er versuchte, dies zu überspielen. Und er trat wieder auf sie zu. Legte seinen Arm vorsichtig um sie, eine schützende Geste, keine beengende. Sie fühlte sich lebendig an. Konnte das denn sein? "Ich glaube Dir, Fhionn. Ich glaube es Dir. Ich hätte es früher erkennen müssen. Jetzt weiß ich, daß ich es hätte sehen müssen. Doch ich war blind." Was erst nur einzelne Tropfen gewesen waren, wurde schnell zu einem Sturzbach, der vom Himmel fiel. In Sekundenschnelle waren die beiden völlig durchnäßt. "Und was geschah danach? Wie kann es sein... wie ... Du bist hier..." Er war nicht mal fähig, die Frage richtig zu stellen.

    Fhionn tot. Fhionn gestorben. Diese Worte hallten in Ursus nach. Dann war sie tatsächlich tot. Denn daß sie dies in übertragenem Sinne meinen könnte, war in dieser Situation, in dieser Szenerie einfach zu unwahrscheinlich. Er stellte das Gesagte nicht im Geringsten in Frage. "Und wer... was bist Du dann?", fragte er vorsichtig. Als sie ihren merkwürdig verformten Arm hochhielt, schüttelte er betroffen den Kopf. Unwillkürlich hob er die Hand, um das Handgelenk zu berühren. "Was ist nur geschehen, Fhionn? Warum habt ihr nicht früher etwas gesagt... Ich war so blind. Wir waren alle so blind..."


    Wie konnte er ihr sagen, daß es ihm leid tat, was sie alles hatte erdulden müssen? Es nützte ihr nichts mehr, daß es ihm leid tat. Niemand konnte das Rad der Zeit zurückdrehen, um Fehler auszumerzen. Man konnte nur versuchen, wieder gutzumachen. Oder es in Zukunft besser zu machen.


    Wind kam auf und Blitze und Donner näherten sich unaufhaltsam. Blätter wurden aufgewirbelt, die Haare zerzaust, die Kleidung flatterte leicht um ihre Körper. Sicher wäre es angebracht, langsam Schutz zu suchen vor dem Unwetter. Doch Ursus regte sich nicht im geringsten. Er war ganz gefangen von dieser Begegnung. Unfähig, einen wirklich vernünftigen Gedanken zu fassen.

    Naja, peinlich vielleicht nicht unbedingt, sondern es machte ihn eher verlegen. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn und das veranlaßte ihn, seine Stimme zu erheben. Das hatte er in Griechenland gelernt. Durchdringend zu sprechen, ohne brüllen zu müssen. Und auch spontan eine Rede zu halten. Die lange Ausbildung machte sich nun bezahlt. Er trat vor die Rostra, drehte sich zu den Menschen um, damit ihn auch alle hören konnten, auch wenn er nicht erhöht stand.


    Er lachte ein wenig verlegen, bevor er begann. "Leute, nicht ich bin es, um den es hier geht. Sondern um diesen Mann hier auf der Rostra. Germanicus Sedulus. Er hat gute Arbeit geleistet und dem römischen Volk gedient, wie es weit über das normale Maß hinausgeht. Ich kann es bezeugen, ich war ja dabei! Ich sah und hörte ihn geschickt verhandeln mit den Germanen, wie er sprach für den Kaiser und für uns alle! Nicht nur einen Vertrag, der uns allen nützlich ist, hat er geschlossen, nein, er hat Vertrauen und Freundschaft geschaffen! Ich hörte ihn beim Marktgericht Recht sprechen und sage euch, dies ist ein Mann, der auf Recht und Unrecht achtet und nicht auf den dickeren Geldbeutel! Nicht zuletzt hat er eine gründliche Prüfung über die Provinz Germania Superior gebracht und hätte es Unregelmäßigkeiten gegeben, so wären sie ihm gewiß nicht entgangen. Germanicus Sedulus ist ein Name, den ihr euch wahrhaft merken solltet." Er deutete auf Sedulus, drehte sich um und applaudierte abermals, während er sich langsam ins Publikum zurückzog.


    Jetzt war er gespannt, ob jemand Fragen zu stellen hatte. Und wie Sedulus darauf reagieren würde. Die Aufmerksamkeit jedenfalls lag wieder ganz bei Sedulus.

    Sie kreischte und schrie ihn in einer fremden Sprache an. Und wehrte sich wie eine Furie gegen ihn. Erschrocken wich Ursus ein, zwei Schritte zurück, ließ sie los dabei. Was war sie nun? Frau oder Furie? Tote oder Lebende? Er war sich nicht ganz sicher. Merkwürdig auf jeden Fall. Die Stimme klang nach Fhionn. Und jetzt, als das Mondlicht ihr Gesicht erhellte, sah sie auch nach Fhionn aus. Das war unmöglich, völlig unmöglich! Ursus fühlte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Ihm war kalt, eiskalt.


    "Fhionn?", fragte er zögernd und ungläubig. Noch immer glaubte er nicht, die lebende Fhionn vor sich zu haben. Sie war so anders. Wenigstens die unheimliche Blässe wich langsam von ihren Zügen, als würde das Leben in eine Tote zurückkehren. Auch das fand er nicht gerade beruhigend, da er ja fest davon ausging, eine Tote vor sich zu haben.


    "Was... was willst Du, Fhionn?", fragte er, denn vielleicht konnte man der Toten ihren Frieden geben, irgendwie. Vielleicht forderte sie gar nichts unmögliches. Einen Versuch war es immerhin wert. "Bitte sprich mit mir."


    Er wußte nicht, was er erwartete. Es mußte einen Grund dafür geben, daß sie ihm hier erschienen war. Und genau das machte ihm Angst. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und er war nicht sicher, ob es nicht besser wäre, einfach wegzurennen und sich in seinem Bett zu verkriechen, wie er es als kleines Kind getan hatte, wenn ihm etwas unheimlich gewesen war.


    Daß ein Gewitter sich näherte, machte die Sache nicht besser. Wetterleuchten in der Ferne erhellte hin und wieder kurz den Himmel, rasch dahinrasende Wolkenfetzen bedeckten immer mal den wegen der hohen Luftfeuchtigkeit von einem großen Hof umgebenen Mond. Leises Grummeln war zu hören, wie eine Warnung vor dem Zorn der Götter. War es der Zorn über die Ungerechtigkeit, die dieser Frau wiederfahren war?

    Natürlich trieb sich Ursus schon geraume Zeit auf dem Forum herum, immerhin gab es ein ganzes Jahr Klatsch, Tratsch und Intrigengeschwätz nachzuholen. Ihm schwirrte schon nach kurzer Zeit der Kopf von all dem, was das Volk und die Politik zur Zeit beschäftigte. Es waren einige Namen gefallen, mit denen er nicht viel anfangen konnte. Eine wahre Schande, er mußte sich wirklich um weitere Informationen bemühen.


    Ah, da war ja Sedulus und er betrat die Rostra. Ursus kämpfte sich also durch die Menschen nach vorn, um sich die Rede anzuhören. Doch was war das? Ursus war noch nicht ganz heran, da ging Sedulus wieder weg? Verblüfft blieb Ursus stehen. Da in den nächsten Minuten nichts geschah, ging er achselzuckend auf die Suche nach der nächsten Gesprächsgruppe.


    Es dauerte eine ganze Weile, bis Sedulus die Rostra wieder betrat. Wieder arbeitete sich Ursus nach ganz vorn. Und dabei lobte er Sedulus natürlich. "Ah, das ist Germanicus Sedulus. Ein guter Mann! Ich war in Germanien während seiner Zeit als Quästor. Zuverlässig und dem römischen Volk treu ist er! Der bringt es nochmal zu was und wird bestimmt kein Blutsauger werden!" Er sagte das einfach zu den Menschen, die ihn umstanden.


    Dann begann die Rede. Und Ursus staunte, daß Sedulus ihn hier sogar gleich zwei mal erwähnte und lobte. Es war eine gute Rede, nicht nur weil sie Lob auf ihn enthielt, und so applaudierte Ursus und animierte die Umstehenden dazu, es ihm gleichzutun. Ob dies dem ehemaligen Quästor Fragen ersparen würde, blieb natürlich abzuwarten.

    Noch bevor einer der beiden hatte antworten können, kam jemand dazu, mit dem Ursus nicht im geringsten gerechnet hatte. Weshalb auch sein Name bisher nicht gefallen war. Die Verblüffung und Überraschung standen Ursus ins Gesicht geschrieben, als er aufsprang, um den Vetter zu begrüßen. "Cotta? Cotta, bist Du das wirklich? Du bist hier? Ich glaubte Dich in Aegyptus! Was für eine Freude, Dich hier zu sehen! Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, weil so lange keine Nachricht gekommen war!" Freudestrahlend umarte Ursus den Vetter, der ihm auch ein Freund war. Trotz der Rivalität, die zwischen ihnen immer so ein bißchen geherrscht hatte. Doch hatte sie ihre Beziehung nie vergiftet, sondern sie einfach gegenseitig angespornt. Ursus hatte nie verstanden, warum Cotta sich auf einmal aus diesem kleinen, fast schon sportlichen Wettstreit zurückgezogen hatte. Doch das war keine Frage, die in diesem Moment zu stellen war. Sie würden sicher mal die Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch finden.


    "Komm, setz' Dich dazu, erzähl von Deiner Reise. Du siehst irgendwie müde aus. Sicher bist Du auch vor kurzem erst angekommen?" Ursus sah von einem zum anderen. Wirklich frisch und munter wirkte eigentlich nur Avianus. Gut, er war auch der jüngste der Anwesenden und vermutlich noch am wenigsten mit den Problemen belastet, die das Leben so mit sich brachte. Nun wartete er auf Antworten auf all die Fragen, die aus ihm herausgesprudelt waren.

    Langsam ging Ursus auf die Stelle zu, an der er vorhin noch die weiße Gestalt gesehen hatte. Jetzt war sie weg. Nein, war da nicht etwas? Hm, er war nicht sicher. Es war so verflixt dunkel und das Mondlich drang nicht recht zwischen die Bäume. Er ging noch ein paar Schritte näher heran. Und erschrak, als plötzlich diese weiße Gestalt losrannte. Rannten Geister? Doch umso mehr hatte sie nach Fhionn ausgesehen, was ja unmöglich sein konnte. Also eine Fremde? Vielleicht eine Einbrecherin? Alles war möglich. Also rannte Ursus einfach hinterher. Er war schnell. Und ausdauernd. So fit wie im Moment war er noch nie in seinem Leben gewesen. Trotzdem war es nicht so leicht, sie einzuholen, denn sie war auch schnell. Ob er sie eingeholt hätte, wenn sie nicht gefallen wäre?


    "Wer bist Du?", sprach er sie nun an und beugte sich zu ihr hinunter, um ihr aufzuhelfen. Noch konnte er ihr Gesicht nicht sehen. "Was hast Du hier im Garten zu suchen?" Er wollte eigentlich streng klingen, doch es klang eher unsicher. Was, wenn sie doch die Heimsuchung einer Toten war? Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Natürlich war es vor allem das Schuldgefühl, daß ihn schaudern ließ. Er fühlte sich schuldig an Fhionns Tod. Wenn er nur etwas eher begriffen hätte, was Matho für ein Tyrann gewesen war. Im Nachhinein fielen ihm tausend Dinge ein, an denen er es hätte merken können. Wenn er nur den Brief per Eilboten geschickt hätte...


    Nein, dies war nicht Fhionn. Es war irgendwer anders. Wenn er gleich ihr Gesicht im Mondlicht deutlich sehen konnte, würde er es erkennen. Dann würde er sehen, daß sie es nicht war. Eine neue Sklavin, ganz gewiß. Und sie hatte Angst bekommen, weil sie ihn nicht kannte. Ja, so war es bestimmt.

    Es war warm. Viel zu warm. Und zu schwül. Ursus war das überhaupt nicht mehr gewöhnt. Ohja, er war müde. Sehr müde sogar. Doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Ursus hatte einfach das Gefühl, daß die Luft in seinem Zimmer stand. In Germanien waren die Nächte eigentlich immer kühl gewesen. Selbst das, was die Einheimischen als heiße und unangenehme Nächte bezeichnet hatten, war für Ursus nicht so arg gewesen, er hatte dort keine Probleme damit gehabt. Doch hier hatte er nun diese Probleme. Verflixt aber auch. Früher hatte ihm das doch nie etwas ausgemacht?


    Abermals wälzte er sich im Bett herum. Nein, so ging das nicht. Vielleicht wenn er ein paar Schritte durch den Garten ging? Ja, das war eine gute Idee. Er schlüpfte in eine einfache Tunika, wozu auch mehr, und ging hinunter. Es war still im Haus. Sehr still. Als er in den Garten hinaustrat, atmete er tief durch. Warm war es auch hier. Und auch schwül. Aber doch nicht so sehr wie im Haus. Langsam schlenderte er in Richtung des Teiches, in dem er damals Helena hatte treiben sehen. Was für eine Nacht das gewesen war! Mit Schaudern dachte er an den Schreck und unwillkürlich suchte er die Wasseroberfläche nach einem umhertreibenden Körper ab. Doch heute war natürlich nichts dergleichen zu sehen.


    Eine Weile ging er einfach nur umher, dann setzte er sich unter einen Baum und lehnte sich aufseufzend gegen den Stamm. Für einen Moment schloß er die Augen. Was würde wohl die Zukunft bringen? Nur die Götter wußten es. Es blieb zu hoffen, daß das Unglück, das die Familie in der letzten Zeit zu verfolgen schien, sich nun endlich wieder abwandte und andere Opfer suchte. Die Gens Aurelia hatte wirklich genug mitgemacht.


    Langsam öffnete er die Augen wieder und er wartete eigentlich, nichts weiter zu sehen, als er zuvor gesehen hatte. Doch er sah doch etwas. Eine weiße Gestalt, vom Mondlich angeleuchtet irrte sie zwischen den Bäumen herum. Geisterhaft und unwirklich. Ursus fühlte sich, als würde eine eisige Hand nach seinem Herzen greifen und er spürte, wie sich seine feinen Nackenhärchen aufrichteten. Auf einmal war ihm nicht mehr warm. Ganz im Gegenteil, ein Schauer überlief seinen Rücken. Denn diese Frau sah aus wie Fhionn!


    Langsam stand Ursus auf und ging auf die Stelle zu, wo er die Gestalt eben noch gesehen hatte. Suchte Fhionns Geist sie nun heim? Er wollte ihren Namen rufen, wagte das dann aber doch nicht. Fhionn war tot. Vielleicht irrte er sich und es war jemand anders? Vielleicht eine neue Sklavin, die er noch nicht kannte?

    "Ach, es ist doch ganz praktisch. Viele Leute sehen einen, hören, daß man brav seine Arbeit getan hat. Das ist gut für die nächste Wahl. Denn je öfter sie Dich sehen und Deinen Namen hören, umso eher werden sie Deine Wahl unterstützen. Man muß es immer von der positiven Seite sehen." Ursus grinste breit, er fand, es erleichterte die Sache, wenn man es so sah.


    "Dann also bis morgen. Und Grüße an die Familie, auch wenn ich sie nicht kenne. Du weißt schon Namen, die man oft hört, prägen sich ein." Er lachte wieder, hob nochmal die Hand zum Gruß und bog dann ab.

    Grinsend beobachtete Ursus die kleine Szene. Irgendwie war das doch überall gleich. Doch es war schon beeindruckend zu sehen, daß Sedulus durchaus bekannt war und offenbar auch in positiver Erinnerung. Was ihn nicht weiter wunderte, hatte er doch auch als Tribun und als Quästor bewiesen, was für ein fähiger Mann er war. Auf jeden Fall ersparte es ihnen eine längere Verhandlung, was auf jeden Fall ein Vorteil war. Und so konnten sie unbehelligt weiterreiten.


    "Ich wußte schon, daß es ein Vorteil ist, Dich mitzunehmen", scherzte Ursus und grinste breit. Nicht mehr lange und sie würden sich trennen, um jeder nach Hause zu reiten. "Es war sehr angenehm, mit Dir zu reisen. Wir sehen uns dann also morgen bei Deiner Rede?"

    Ursus war ziemlich lange weggeblieben und hoffte nun, daß ihm das keiner übel nehmen würde. Er setzte sich zu Corvinus und konnte den größten Teil des Vortrages von Meridius noch mithören. "Entschuldige, ein kleines Unwohlsein", raunte er seinem Onkel zu, "habe ich viel verpaßt?"


    Die Idee, junge Fahrer einzustellen, fand Ursus sehr gut und er gab seine Zustimmung durch heftiges Nicken deutlich zu verstehen. Im Moment gewann die Aurata auch nicht, also machte es nichts, wenn die jungen Fahrer am Anfang auch verloren. Doch sie würden mit der zunehmenden Erfahrung besser werden, wohingegen die älteren immer schlechter zu werden schienen.


    Was den neuen Priceps anging, so konnte er Meridius durchaus verstehen. Doch wer von ihnen verstand so viel von Pferden wie er? Sicherlich niemand. Auch Ursus war der Meinung, daß er von Pferden so einiges verstand, auch wenn er kein guter Reiter war, doch mit einem Mann wie Decimus Meridius konnte er sich ganz sicher nicht messen. Seiner Meinung nach war der beste Mann für diesen Posten auf diesem Posten. Nur wenn der nicht mehr wollte... Unwillkürlich blickte Ursus sich um und betrachtete die anderen Anwesenden. Allerdings mußte er zugeben, daß er einfach zu wenig von ihnen wußte, um sie beurteilen zu können.

    Ursus stellte den Teller zwischen sie beide, so konnten sie beide davon nehmen. "Nein, das solltest Du wahrhaftig nicht zugeben, auch wenn es mehr bedarf, um mich abzuschrecken", lachte er amüsiert, wurde dann aber auch ernster, als er die Wandlung in der Miene des Onkels bemerkte. Deandra war also auch immer noch ein empfindliches Thema. "Sertorio war in Germanien nicht besonders glücklich. Caelyn auch nicht, obwohl sie am Schluß geradezu mürrisch wurde, als es an die Abreise ging. Verstehe einer die Frauen. Vielleicht mag sie die Reise an sich nicht, oder was auch immer. Übrigens habe ich noch jemanden mitgebracht. Louan. Er ist der Bruder von Caelyn und ich möchte ihm helfen, ein anständiges Leben zu führen. Caelyn ist wesentlich ruhiger und zuverlässiger geworden, seit sie ihren Bruder in Sicherheit weiß. Und er ist durchaus willig." Auch wenn er letzteres nur war, weil er sich erhoffte, Caelyn eines Tages freikaufen zu können. Doch was machte es schon, warum jemand etwas tat, solange er es nur tatsächlich tat?


    Die Geschehnisse der letzten Zeit ließ Ursus erst einmal unkommentiert, denn anscheinend wollte auch Corvinus sich im Moment nicht näher darüber auslassen. Was Ursus nur ganz recht war. Daß der Tod Fhionns bei allen seine Spuren hinterlassen hatte, war ja schließlich kein Wunder. "Helena ist abgereist? Nun, ich hoffe, sie bekommt sich in den Griff. Ich werde ihr schreiben, vielleicht mag sie ja dieses mal antworten." Auch von ihr hatte Ursus keinen Brief bekommen, was ihn sehr gewundert hatte, nachdem sie doch zuletzt so ein vertrauliches Verhältnis zueinander gehabt hatten. "Schön, daß wenigstens Minervina glücklich ist. - Du siehst müde aus, Corvinus. Arbeitest Du wieder zuviel? Nun, ich hoffe, Du wälzt einen Teil der Arbeit auf mich ab, es nützt niemandem etwas, wenn Du Dich so kaputt machst."


    Plötzlich hörte Ursus seinen Namen rufen und blickte auf. "Avianus?" Er stand natürlich auf und lachte, als der Vetter ihn so stürmisch umarmte. Auch bei ihm schien die Freude echt und sogar geradezu überschäumend zu sein. Das tat gut. Wirklich gut. Er hätte nicht gedacht, daß er derart vermißt worden war. "Mir ist es gut ergangen und ja, das viele Training und die tagelangen Ritte haben ihre Spuren hinterlassen. Ich hoffe, ich verliere diese Topform nicht gleich wieder. Schade, daß Cadhla nicht mehr da ist, ich könnte einen Trainingspartner gebrauchen." Das mit dem Bad war wirklich eine hervorragende Idee. Ursus hatte ganz vergessen, die Anweisung dazu zu geben.


    "Komm, setz Dich auch dazu. Und berichtet mir alle Neuigkeiten, ja? Was ist los in Rom? Wer sind die Männer, die der Kaiser fördert? Hat er schon jemanden abgesägt? Tiberius, wirst Du auch in die Politik gehen?" Viele Fragen, doch Ursus hatte ja tatsächlich einiges nachzuholen.

    Erst jetzt, als er sich erleichtert fühlte, bemerkte Ursus so richtig, daß er der Begegnung mit Corvinus doch mit einiger Nervosität entgegengeblickt hatte. Es hatte in der Vergangenheit harte und verletzende Worte zwischen ihnen gegeben. Erst an jenem Abend, als sie sich gemeinsam betrunken hatten, war ein zwangloses Gespräch möglich gewesen. Und der Ton in den Briefen war offen und herzlich gewesen. Ursus hatte sich gewünscht, daß dieser herzliche Ton und diese Offenheit sich erhalten würden, wenn sie sich wieder gegenüber standen. Und es schien auch tatsächlich so zu sein. Die Freude sah ehrlich aus, schon die Eile, mit der Corvinus ins Atrium kam.


    Ursus erhob sich und trat auf Corvinus zu, um ihn zu umarmen. "Marcus!" Auch Ursus lächelte breit und mit offensichtlicher Freude. "Ich dachte, es ist besser euch zu überraschen, damit ihr nicht das Haus verrammeln und flüchten könnt", versuchte er sich an einem kleinen Scherz. "Ach, es tut gut, wieder zuhause zu sein. Wie geht es Dir? Und allen anderen? Meine treulose Schwester hat mir nicht ein einziges mal geschrieben, stell Dir mal vor." Peinlichst vermied er das Thema Fhionn. Das hatte Zeit. Nun endlich einmal konnten sie vernünftig miteinander reden, das wollte Ursus nicht durch diese unglückselige Sache kaputt machen. Nicht jetzt. Er wolle heimkommen und sich darüber freuen können. Natürlich war es eine Art von Selbstbetrug. Das wußte er auch. Trotzdem schaffte er es, diesen Gedanken beiseite zu schieben.

    Natürlich ließ Ursus sogleich seinen Blick schweifen, um alle Veränderungen festzustellen. Immerhin hatte Corvinus ja etwas von Umbauarbeiten geschrieben. Und auch sonst gab es immer Kleinigkeiten, die sich im Laufe der Zeit veränderten. Und ein Jahr war eine verflixt lange Zeit. Während die Sklaven das Gepäck hereinbrachten und sich darum kümmerten, daß sein Zimmer fertig gemacht wurde, griff sich Ursus den kleinen Jungen, der gerade dafür gesorgt hatte, daß ihm ein kleiner Imbiß bereitet wurde. "Flitz los und berichte Corvinus, daß ich da bin", forderte er den Jungen auf, der daraufhin davonstob.


    Dann ließ er sich auf einer der Bänke am Impluvium nieder und genoß es einfach, sich ausruhen und an einem Becher Wein nippen zu können. Nur wenige Minuten später wurde ihm ein Teller mit Käse, Brot und Oliven gereicht, völlig ausreichend für den Moment. Nun fehlte nur noch der Rest der Familie. Ursus wußte nicht einmal so genau, wer überhaupt da war. Vor allem fragte er sich, was mit seiner Schwester war. Sie hatte ihm nicht ein einziges mal geschrieben, was ihn doch ziemlich enttäuscht hatte.