Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Ursus nickte müde zu den Worten des Quästors. "Wäre ich an der Stelle des Legaten, würde ich versuchen, einen Spion loszuschicken. Der müßte ja vermutlich nicht mal bis ins Dorf des Modorok. Nur nahe genug heran, um etwas zuverlässiges aufzuschnappen. Aber gut, das soll nicht unsere Sache sein. Ich bin sicher, Legatus Vinicius wird die richtige Entscheidung treffen." Er gähnte hinter vorgehaltener Hand. "Der Tag war wahrhaftig lang, wie der letzte auch schon. Wie wäre es, wenn wir schlafen gehen würden? Alles weitere können wir doch morgen unterwegs besprechen?" Er war wirklich müde und sehnte sich danach, die Rüstung ablegen und sich lang ausstrecken zu können.

    Das war ja mal eine spontane Entscheidung. Ursus mußte unwillkürlich schmunzeln. "Du mußt Dich nicht sofort entscheiden. Vielleicht möchtest Du vorher nochmal mit Caelyn darüber sprechen? Und nein, Du mußt nicht dominus zu mir sagen. Du bist nicht mein Sklave. Wie sieht es eigentlich aus, kannst Du lesen und schreiben? Falls nicht, wäre es vielleicht sinnvoll es zu erlernen. Die besseren Berufe erfordern diese Fähigkeit." Noch dazu würde es einfacher sein, einen Schreibkundigen mit einer Laufbehinderung in eine ordentliche Arbeit zu bringen.


    Ursus überlegte schon, ob sich vielleicht sogar in der eigenen Familie eine Tätigkeit für Louan finden würde. Aber dafür mußte er wohl erst wieder in Rom sein, um sich einen Überblick zu verschaffen, wie es dort aussah. Ein Jahr Abwesenheit war eben doch nicht zu unterschätzen. Aber selbst wenn sich bei den Aureliern nichts fand, so würde sich gewiß etwas anderes finden lassen, wenn Louan erst gelernt hatte, sich besser auszudrücken und eine gewisse Grundbildung erlangt hatte.

    "Selbstverständlich." Der Bericht war zwar noch nicht fertig, doch es würde nicht mehr allzuviel Zeit in Anspruch nehmen, da er soweit alle Daten zur Hand hatte.


    Das Gespräch konzentrierte sich auf die Nachfolge des Decurios und wieder nicke Ursus. "Er hat bereits das Examen Primum abgelegt. Und ist bestrebt, weiterzulernen. Der Mann ist ungewöhnlich eifrig und vorausschauend. Die Männer bewundern ihn und eifern ihm nach. Und er sorgt dafür, daß die Ställe und die Pferde in bestem Zustand gehalten werden. Die Turmae sind alles hervorragende Einheiten, doch die Turma II ragt dank Terentius noch besonders hervor." Es war eine Freude gewesen, das Kommando über die Reiterei zu führen. Vor allem, weil sich Ursus auf die Offiziere verlassen konnte.


    Anscheinend hatte er die richtigen Worte gewählt. Ursus lächelte erfreut, daß der Legat ihn tatsächlich als Klienten annahm und versuchte nicht mal, seine Freude zu verbergen. "Ich danke Dir sehr für diese Ehre und werde alles tun, um mich ihrer würdig zu erweisen." Als Lucianus ihn darauf hinwies, daß er sich in Rom auch an Vinicius Hungaricus und an Caecilius Crassus wenden konnte, nickte er dankbar. "Das werde ich, hab auch dafür Dank." Mit derartiger Unterstützung hatte er nicht einmal gerechnet, umso dankbarer war er für diese Möglichkeit.


    "Nun, ich habe noch weitere Anliegen an Dich. Durch meine langen Abwesenheiten aufgrund der Limesarbeiten hat sich so einiges angesammelt", versuchte er sich dafür zu entschuldigen, daß er noch weitere Dinge zu besprechen hatte, und lächelte ein wenig verlegen. "Und zwar geht es um die Turma II. Decurio Gracchus wird ja in Kürze seine Dienstzeit beendet haben. Und ich halte seinen Duplicarius, Terentius Primus, für geeignet, den Posten zu übernehmen. Im Grunde hat Terentius bereits die ganzen Aufgaben des Decurios übernommen und sie ausgezeichnet ausgeführt. Gracchus scheint seine Zeit mehr nur abzusitzen. Ich rege also an, Gracchus in den Ruhestand zu versetzen und Terentius zum Decurio zu befördern."


    Sim-Off:

    Schon erledigt :)

    Eine gute Frage, die auch Ursus nicht im Detail beantworten konnte. Schließlich ergab sich so etwas normalerweise aus der Situation. Diese ganze Geschichte war so oder so für ihn ein Verlustgeschäft, denn daß Louan ihm mal wirklich nützlich sein könnte, bezweifelte er denn doch sehr stark. Eigentlich fragte er sich, warum er es dann eigentlich tat. Doch irgendwie... Vielleicht hatte er einfach das Bedürfnis, diesem Jungen, dem Bruder Caelyns, einen Platz im Leben zu ermöglichen und ihm und Caelyn damit zu beweisen, daß es auch gute Menschen gab. Und daß man immer Hoffnung haben sollte, egal wie finster die Welt auch gerade scheinen mochte.


    "Nun, ein Klient hat seinen Patron zu unterstützen. Also in der Öffentlichkeit gut über ihn zu reden, um ein Beispiel zu nennen, oder bei ihm sein, wenn es gerade nötig ist zu demonstrieren, wie einflußreich man ist. Ein Gefallen könnte zum Beispiel so aussehen, wie das, was die beiden Männer für mich getan haben, indem sie nach Augustodunum geritten sind: Jemanden zu suchen. Vielleicht auch mal ein Botengang oder daß Du auf jemanden oder ein Haus oder was auch immer aufpaßt, das sich in meinem Besitz befindet. Daß Du jemanden aus meiner Familie irgendwohin begleitest oder etwas besorgst. Nichts ungesetzliches, Louan. Und auch nichts, was für einen freien Menschen unzumutbar wäre. Ein Klient sollte immer danach streben, seinem Patron nützlich zu sein, das ist praktisch das Geschäft, eine Hand wäscht die andere. Der Patron fördert den Klienten und sorgt für sein Fortkommen und der Klient unterstützt und hilft seinem Patron dafür, wo er nur kann." Es war nicht so einfach, das auf möglichst einfache Weise zu erklären. Immerhin wollte Ursus, daß Louan verstand, worum es dabei ging, da er sich damit ja schließlich verpflichtete. Ob seine Worte schon einleuchtend genug gewesen waren?

    Was für eine Szene. Innerlich schüttelte Ursus den Kopf und wußte nicht, ob er amüsiert oder ärgerlich darüber sein sollte, daß die beiden sich hier so angifteten und den Legionären eine wunderbare Show lieferten. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken und griff einfach nach einer der Wachstafeln, um sie zu prüfen und abzuzeichnen. Irgendwann würden die beiden wohl zu einem Ergebnis kommen und wenn es nur das war, daß sie beide zur Casa zurückgingen.


    Doch erstaunlicherweise kam Louan zurück und setzte sich. Ursus musterte ihn kurz, während er die Wachstafel wieder beiseite legte. "Du bist Deiner Schwester unglaublich ähnlich." Was für eine Feststellung! Doch sie rutschte ihm einfach so raus, immerhin hatte er mit Caelyn ja auch schon so einiges durch.


    "Also gut. Hör es Dir einfach an, Louan. Und dann denke gründlich darüber nach. Zum Nachdenken hast Du Zeit, bis wir nach Rom abreisen, bis dahin mußt Du eine Entscheidung getroffen haben. Also, das beste Angebot, das ich Dir machen kann, ist folgendes: Du wirst mein Klient mit allen Rechten und Pflichten. Und ich kann nur sagen, daß es nicht viele Peregrini gibt, die einen Patrizier zum Patron haben. Du begleitest uns nach Rom und ich sorge dafür, daß Du eine Ausbildung erhältst und eine Arbeit, die Dir nicht nur die Zukunft sichert, sondern mit entsprechendem Fleiß Deinerseits echten Wohlstand bescheren kann. Bedingung dafür ist, daß Du mir hin und wieder den einen oder anderen Gefallen tust. Und vor allen Dingen darfst Du nicht mehr stehlen oder betrügen, denn das würde meinen Namen beschmutzen, wenn Du verstehst, was ich meine."


    Er ließ Louan einen Moment Zeit, diese Dinge sacken zu lassen. Immerhin waren das alles Dinge, die bis jetzt fern aller Vorstellung für den Jungen gelegen hatten. "Wenn Dir das zu einengend ist, kannst Du uns trotzdem nach Rom begleiten und unter der Bedingung, daß Du nicht stiehlst und nicht betrügst, werde ich Dir ein Empfehlungsschreiben geben, das Dir sicher die Suche nach Arbeit und einer ordentlichen Unterkunft erleichtern wird."


    Der Junge wäre absolut dumm, das erste Angebot auszuschlagen, doch immerhin sollte er seine eigenen Entscheidungen treffen. "Wenn Du lieber hier bleiben möchtest, in Mogontiacum, dann wird sich gewiß auch hier für Dich Arbeit finden lassen. Aber wenn wir erst abgereist sind, werde ich hier kaum etwas für Dich tun können. Außerdem wirst Du dann Deine Schwester sehr lange, oder vielleicht gar nicht mehr sehen. Denn ich weiß nicht, ob und wann es mich wieder nach Germanien verschlägt."

    Ursus runzelte die Stirn, während er sich das kleine Zwischenspiel zwischen Bruder und Schwester so anhörte. Eigentlich war er ziemlich erstaunt, daß Caelyn offenbar verstanden hatte, welche Möglichkeiten er ihrem Bruder eröffnen konnte. Das wertete er als weiteren Fortschritt bei ihr. Sie schien ja doch inzwischen recht vernünftig geworden zu sein.


    Von ihrem Bruder konnte man das nicht gerade sagen, doch ganz verdenken konnte Ursus dem Jungen das auch wieder nicht. Er mußte erst einmal mit der Situation klarkommen, in der sich Caelyn befand. Und das war sicher nicht leicht. "Caelyn, laß ihn. Du kannst ihn nicht zwingen, er muß es selbst wollen. Schick ihn wieder zu mir, wenn er sich beruhigt hat und bereit ist, meine Vorschläge anzuhören." Sie wollte Louan in ihrer Nähe haben. Doch was wollte Louan? Bisher hatte er sich darüber nicht geäußert. Vermutlich wußte er es selbst noch nicht, weil er noch nie darüber nachgedacht hatte. Wer dachte schon gründlich über so etwas nach, wenn es doch weit jenseits seiner Möglichkeiten lag?

    Die Verwunderung über diese Frage war dem Vinicier tatsächlich anzusehen und Ursus hatte mit solch einer Reaktion durchaus gerechnet. Darüber, daß es sich bei dem Legaten um einen Plebeier handelte, hatte sich Ursus kaum Gedanken gemacht. Es gab einfach zu wenige Patrizier, die überhaupt in Frage kamen und nach reiflicher Überlegung hatte er sie alle aus dem einen oder anderen Grund ausgeschlossen. Meistens, weil sie sich doch schon sehr zurückgezogen hatten aus dem politischen Leben. Die Patrizier waren leider nicht mehr das, was sie einst waren. Und in den Augen von Ursus waren die vornehmen plebeischen Familien nicht schlechter als die patrizischen.


    "Mir ist bewußt, daß Du vermutlich im Moment nur wenig für mich wirst tun können, da Du hier in Germanien bist und mein Weg mich erst einmal zurück nach Rom führt. Doch ich denke, Du wirst nicht den Rest Deines Lebens hier verbringen, oder irre ich mich da? Die Entfernung ist im Moment ein Nachteil, ja. Doch es liegt mir viel daran, einen Patron zu haben, der mich kennt und den ich kenne. Beides kann ich von den meisten Männern, die sich in Rom befinden und mir tatsächlich weiterhelfen könnten, leider nicht sagen. Ich möchte hinter meinem Patron stehen können, ihm vertrauen können und wissen, daß meine Kraft und Energie an der richtigen Stelle eingesetzt sind, wenn ich sie für ihn einsetze. Wie könnte ich jemanden fragen, den ich nicht kenne und der mich nicht kennt? Und bis ich Gelegenheit hatte, diese Männer in Rom kennenzulernen, denn sie machen sich in der Öffentlichkeit sehr rar, dann bin ich wahrscheinlich alt und grau und schon lange gescheitert, weil ich eben keinen Patron hatte. - Ich hatte jetzt ein Jahr Gelegenheit, Dich kennenzulernen und Du hattest ebenso Gelegenheit, Dir ein Bild von mir zu machen. Wir haben vielleicht nicht oft miteinander gesprochen, doch immerhin ein paar mal. Und dazu habe ich gehört, wie treu Deine Männer zu Dir stehen und wie sie über Dich sprechen."


    Es war gar nicht so leicht zu erklären, warum er gerade Vinicius Lucianus diese Frage gestellt hatte, doch er hatte lange und gründlich darüber nachgedacht. "Du wirst Dich sicher auch fragen, was Du davon haben könntest, mich als Klienten zu haben. Doch... ich denke schon, daß ich Dir auch von Rom aus nützlich sein kann. Ich stehe noch am Anfang meiner Karriere und vielleicht gewährt mir gerade das Einblicke, die höherstehenden Personen verwehrt sind. Und nicht zuletzt werde ich Dir ganz sicher nützlich sein können, wenn ich es in den Senat geschafft habe, denn dort kommt es oft genug auf jede einzelne Stimme an." Auch wenn dies natürlich keineswegs sicher war, so besaß Ursus doch genug Selbstvertrauen, um im Moment davon auszugehen, daß er es schaffen würde.

    Das war nicht im Geringsten eine Antwort auf seine Fragen. Ursus trank einen Schluck und beobachtete sein Gegenüber aufmerksam. Er hatte etwas zu verbergen, sonst würde er nicht immer so ausweichend antworten. "Nun, es ist nicht leicht zu verstehen, wann man euch als eine Kultur betrachten darf und wann man wieder ganz streng zwischen den Stämmen trennen muß. Jedenfalls scheint es mir dann doch so etwas wie "die Germanen" zu geben, auch wenn ihr anscheinend keinen Namen für euch habt. Du betrachtest doch Germanien als Ganzes als Deine Heimat, wenn ich Dich jetzt richtig verstanden habe? Es ist dabei sogar unerheblich, ob wir von dem Germanien diesseits des Rhenus oder von dem Germanien jenseits des Rhenus sprechen?" Das war jedenfalls das, was Ursus den Worten von Lando entnahm.

    Ursus lächelte, als die Germanen ankündigten, auf die Einladung zurückzukommen. Er wußte zwar nicht, wann er sie tatsächlich würde einladen können, doch der Tag würde gewiß kommen und Ursus hatte vor, seine Worte wahr zu machen. Die Gespräche waren ja letztendlich doch wesentlich besser verlaufen, als es zwischendurch ausgesehen hatte. Und nun, da sie sich verabschiedeten, fühlte Ursus so etwas wie Erleichterung und Zufriedenheit. Wenn die Germanen nicht ausgesprochene Schauspieler waren, dann war es ihnen sicherlich gelungen, die Beziehungen zu festigen und sogar ein wenig zu vertiefen.


    Zurück im Lager atmete Ursus tief durch und zuckte ein wenig zusammen, als der Arm des Quästors schwer auf seine Schulter fiel. Doch er grinste, immerhin hab Sedulus damit zu, daß er ebenso müde war, wie er. Den Equetes, die sie begleitet hatten, nickte Ursus zu. "Ihr habt eure Sache gut gemacht. Geht schlafen, morgen geht es zurück nach Mogontiaucum."


    Erst als die Männer sich zurückgezogen hatten, antwortete Ursus auf die Frage des Quästors. "Sie sind ziemlich empfindlich, unglaublich leicht in ihrem Stolz verletzt. Aber ich glaube, sie stehen treu zu Rom. Zumindest die meisten von ihnen. Und ich glaube, wir haben heute einen guten Teil dazu beigetragen, diese Treue zu vertiefen." Worauf er auch ein bißchen stolz war, obwohl natürlich der Quästor den Hauptteil dazu getan hatte. "Und sie sind die unglaublichsten Säufer, die ich je erlebt habe!" Er lachte, wurde aber gleich wieder ernster. "Dieser Modorok... ich würde der Nachricht über seinen Tod nicht trauen. Irgendwie sind die Geschichten allzu stark auseinander gegangen. Weiß man eigentlich, welcher Stamm es war, der ihn nach den Kämpfen gepflegt hat?" Dieser Stamm war doch eindeutig als Rom feindlich gesonnen zu bezeichnen.

    Ursus nickte ernst. "Auch ich würde es nicht anders machen. Immerhin ist ein Kaiser auf das angewiesen, was ihm die Amtsinhaber zutragen. Und wenn er diese nicht kennt und nicht weiß, inwieweit er ihnen vertrauen kann, wie kann er dann regieren?" Er trank aus seinem Becher, dessen Inhalt langsam zur Neige ging.


    "Um nichts in der Welt würde ich mit Valerianus tauschen wollen. Natürlich strebe ich nach oben, möchte ich in den Senat und vielleicht sogar einmal höhere Ämter bekleiden. Doch Kaiser würde ich nicht sein wollen, für alle Macht und allen Reichtum der Welt nicht. Im Grunde gehörst Du nie Dir selbst, Du weißt nie, ob Dir jemand wirklich Freundschaft entgegenbringt oder ob er nicht nur ein Speichellecker ist, der durch Dich nach oben will. Du darfst niemandem blind vertrauen, nicht mal Deinen besten Freunden oder engsten Verwandten, denn auch die könnten, wenn sie merken, daß sie Dir alles erzählen können, von dieser Macht korrumpiert werden. Nein, es mag ja ganz schön sein, derart viel Macht zu haben, doch ich finde, da überwiegen die Nachteile doch ganz erheblich. Man bezahlt nun einmal jedes bißchen Macht, daß man erhält. Und ich finde, man sollte sich überlegen, ob man den Preis wirklich zahlen möchte. - Ich beneide Valerianus wahrhaftig nicht." Im Gegenteil. Soweit er gehört hatte, war Valerianus doch eher Soldat als Politiker. Und nun mußte er sich mit dem Intrigenpfuhl Rom auseinander setzen. Das stellte sich Ursus alles andere als einfach vor.

    Ursus runzelte die Stirn. Natürlich sah er das Schmunzeln und das Augenzwinkern, doch er war einfach verwirrt und wollte es doch verstehen. "Vorhin hast Du mir noch erklärt, wie unterschiedlich die verschiedenen Stämme leben, wie sehr sie sich in ihren Gebräuchen unterscheiden und daß wir euch nicht als ein Volk betrachten dürfen, weil es im Grunde "die Germanen" nicht gäbe. Nun erklärst Du mir, daß es doch keinen Unterschied für Dich macht, ob Du hier lebst oder bei den doch recht weit von hier entfernt siedelnden Cheruski, wo doch offenbar Deine Familie lebt. Ihr habt nicht mal Briefverkehr, das nehme ich zumindest an. Ist es nicht ein in der Fremde leben, wenn Du nicht bei Deinem Stamm, bei Deiner Familie bist? - Bitte verzeih, sollte ich Dir mit meinen Fragen Schmerz zufügen, aber so wirklich verstehe ich es tatsächlich nicht. Gehören die Duccier denn auch zu den Cheruski, so daß Du Dich deswegen nicht fremd fühlst?" Außerdem war die Lebensweise der Duccier doch ausgesprochen römisch, zumindest was man von außen erkennen konnte. Und ein anderer Blick war Ursus nun einmal verwehrt.

    Ursus zuckte mit den Schultern. "Man darf auf die Gerüchteküche nicht allzuviel geben. Erzählt man auf dem Markt jemandem etwas von einem bissigen Hund, so ist es auf dem Forum Romanum bereits ein Rudel Wölfe, daß mindestens ein Dutzend Kinder verschlungen hat." Und selbst wenn der Kaiser tatsächlich so schrecklich krank war: Vielleicht hatten ja die Götter ein Einsehen und befreiten ihn von der Krankheit?


    "Ich weiß es nicht, ob es solche Verschiebungen geben wird. Ich kenne Valerianus überhaupt nicht. Doch gerade weil er in Rom so gar nicht bekannt ist, könnte ich mir vorstellen, daß er Männer an den mächigen Positionen einsetzt, die er besser kennt als die, die jetzt dort sitzen." Wer wußte schon, wie der neue Kaiser seine Regierung gestalten würde? Sie mußten sich wohl überraschen lassen.

    Das Lob ging natürlich runter wie Öl. "Du hättest mich auch mit einem Haufen langweiliger Listen in eine einsame Ecke der Principia setzen können", grinste er. Das wäre dann sicher ein sehr langes Jahr geworden.


    "Nun, ich möchte natürlich bei den nächsten Wahlen als Quästor kandidieren. Die Zeit bis dahin werde ich nutzen, mich ein wenig bekannter zu machen. Zu tun gibt es ja immer etwas sinnvolles." Er war sicher, daß er nicht tatenlos bleiben würde bis zur Wahl.


    "Legatus Vinicius, das bringt mich zu einer Frage, die ich Dir ohnehin stellen wollte, wenn auch eigentlich erst zu einem späteren Zeitpunkt. Doch da es sich gerade so ergibt..." Er machte eine kurze Pause und schluckte. "Ich... möchte Dich darum bitten, mich als Deinen Klienten anzunehmen." Wie lange hatte er über der Frage nach einem Patron schon gebrütet? Und nun war sie heraus, die Frage. Ob sie wohl positiv beschieden würde? Ursus konnte es nur hoffen.

    "Ich fürchte, ich bin wegen meines langen Aufenthaltes hier auch nicht so wirklich auf dem Laufenden. Zuletzt hatte Vinicius Hungaricus die Macht inne, wenn man das so ausdrücken darf. Da der Kaiser nicht in Rom war, oblag es ihm, die dringenden Entscheidungen zu treffen. Der Senat war zuletzt sehr schwerfällig in seinen Diskussionen und Entscheidungen. Frag mich nicht, woran das liegt, ich konnte die öffentlichen Sitzungen kaum mitverfolgen, da ich ja von meinem Amt sehr beansprucht wurde. Natürlich tauchen vor allem die üblichen Namen auf: Tiberius Durus, Decimus Meridius, Purgitius Macer, Vinicius Hungaricus, Dein Verwandter Germanicus Avarus, Flavius Gracchus, Octavius Victor, Claudius Menecrates... Das waren so die Senatoren, die von sich reden machten. Wie gesagt, zuletzt ging alles sehr langsam vor sich. Es gab einige Unruhe im Volk, also nichts ernstes, nach dem Tod des Kaisers, weil die wildesten Gerüchte über den Gesundheitszustand des Caesars in Umlauf waren." Ja, im Vergleich zu den Aufregungen in Rom, war es hier in der Provinz wirklich ruhig. Was in Rom mächtige Wogen waren, die alles fortspülten, war hier nichts als eine leichte Dünung, die man kaum spürte.


    "Ich werde eine Menge aufzuholen haben, wenn ich nach Rom komme. Sicher ist inzwischen schon wieder alles anders." Ursus lachte. Wenn man nicht täglich auf dem Forum war, entging einem wahrhaftig eine ganze Menge. "Der Kaiser wird ja mittlerweile in Rom angekommen sein. Wer weiß, für was für Machtverschiebungen er sorgen wird? Ich denke, wir werden schlauer sein, wenn wir in Rom ankommen."

    "Natürlich vermisse ich sie! Sehr sogar! Trotz des regelmäßigen Briefwechsels. Und natürlich vermisse ich auch Rom! Ich bin ja selbst überrascht, daß mir die Tätigkeit hier so gut gefällt." Ein echter Karrieremensch, der nur die eigene Macht und nicht das Wohl des Reiches im Auge hatte, hätte das Tribunat verkürzt und sich schon jetzt zur Wahl zum Quästor gestellt, auch wenn ihn das wertvolle Erfahrungen gekostet hätte. Ursus sah sich durchaus als Karrieremenschen, doch nicht um jeden Preis.


    Wie widersprüchlich dieser Mann doch war. Hatte er nicht vorhin noch davon gesprochen, daß er - naja, geflohen war? Auch wenn er sich verbessert hatte, bevor er das Wort komplett ausgesprochen hatte. "Aber lebst Du denn hier nicht praktisch in der Fremde? Ist Deine Familie nicht noch bei Deinem Stamm oder hattest Du sie damals mitgenommen hierher?" Jetzt waren sie doch wieder bei dem Thema, doch Lando hatte es wirklich herausgefordert.

    Ursus nickte. "Ein Jahr ist irgendwie nichts. Doch ich muß sagen, dieses Jahr war ausgesprochen produktiv und lehrreich. Hättest Du mir vor Beginn meines Tribunats gesagt, daß es mir hier so gut gefallen würde, daß ich fast nicht mehr fort möchte, dann hätte ich Dich glatt ausgelacht. Eigentlich dachte ich, das Militär würde mir so gar nicht liegen. Ich muß zugeben, es liegt mir doch." Neugierig blickte er Raetinus an, als er erwähnte, daß er noch einiges an Dienstzeit vor sich hatte. "Wie lange dienst Du schon?"

    Gerüchte eben. Was war es schon für ein Unterschied, ob sie durch ganz Rom liefen oder eben von einem germanischen Dorf zum anderen? Vielleicht war dieser Modorok tot. Aber wohl kaum an den Folgen jener Verletzung gestorben. Und bestimmt auch nicht von einem Spion gemeuchelt, denn dann hätten entweder die Germanen - oder die Römer - zuverlässige Informationen zum Tod des Mannes. Und daß ein Germane einen tödlichen Sturz vom Pferd erlitt, einfach so, das mochte Ursus auch nicht ganz glauben.


    "Solltet ihr näheres zum Tod des Modorok - oder zu seinem Weiterleben erfahren, so laßt uns doch bitte eine Nachricht zukommen. - Es war mir eine große Ehre, euch kennenlernen zu dürfen und ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder. Habt Dank für eure großzügige Gastfreundschaft. Vielleicht ist es mir ja eines Tages vergönnt, euch ebensolche Gastfreundschaft gewähren zu können. Ihr versteht es wahrhaftig zu feiern. Ich würde euch gerne beweisen, daß auch wir durchaus etwas davon verstehen." Er lächelte, während er sich erhob. Wer hätte das gedacht, daß er sich mal unter Barbaren ganz wohl fühlen würde?

    "Nun, zum Glück kommt es bei mir nicht auf ein paar Tage an. Ich muß keine Termine einhalten, die Wahlen sind ja bereits gelaufen. Doch ich gedenke, mich in vielleicht zwei Wochen auf die Reise zu begeben. Bis dahin müßte ich hier alles geregelt haben, was nötig ist." Hätte der Legat seinen Gedanken zur Dauer der Tribunate ausgesprochen, so hätte Ursus ihm sogar zugestimmt. War ihm die Zeit endlos erschienen, als er hier ankam, so mußte er nun feststellen, daß sie kaum reichte, wenn man den Ehrgeiz hatte, etwas zu schaffen.


    "Die Zeit hier war für mich sehr wertvoll. Ich habe sehr viel gelernt und möchte Dir nochmals danken für das Vertrauen, das Du mir entgegen gebracht hast, obwohl Du nichts über mich wußtest." Er konnte das nicht genug betonen. Die Erfahrungen, die er hier gesammelt hatte, würden ihm gewißt einmal sehr nützlich sein.