Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Ursus war viel zu hungrig, um sich Gedanken über ihre Unsicherheit zu machen. Er griff tüchtig zu. "Na, es ist doch schon Nachmittag. Caelyn, ich bin zwar früher zuhause, weil ich auf die Thermen heute mal verzichtet habe, aber Du solltest wirklich sehen, daß Du mittags ißt. Es ist niemandem damit geholfen, wenn Du hungerst. Und nötig ist es auch nicht. Sklavenleben mag etwas schlimmes sein. Auch in diesem Haus. Doch wenigstens hungern mußt Du hier nicht."


    Er nahm sich eine Olive und zerkaute sie dann genüßlich. Ach, das war wirklich gut. Er hätte ebenfalls mittags etwas essen sollen. Aber irgendwie war ihm die Zeit davon gelaufen.


    "Ich möchte, daß Du mich morgen in die Stadt begleitest. Ich benötige neue Togen. Normalerweise lassen wir den Schneider herkommen, doch ich möchte, daß Du Dir alle seine Stoffe ansiehst, daher werden wir hingehen. Anscheinend hast Du ein gutes Gespür für solche Dinge, daher sollst Du mich bei der Auswahl beraten." Und außerdem konnte er dann gleich mal prüfen, wie sie sich anstellte und ob man sie mit dergleichen Aufträgen betrauen konnte.

    "Fiona", wiederholte Ursus den Namen der Sklavin und atmete tief durch. War es richtig, daß er hier bei den Sklaven saß? Vermutlich nicht. Doch da er ja eh nichts richtig machen konnte in den Augen der Familie, kam es hier auch nicht mehr drauf an. Er fühlte sich in diesem Moment wohl und angenommen. Und auch wenn es nur Sklaven waren und er eigentlich weit über ihnen stehen sollte, tat ihm dies gut.


    "Ich fürchte, den Namen Deines Vaters werde ich mir nicht so leicht merken können", lächelte er leicht. "Ich hoffe, ich entehre sein Andenken damit nicht."


    Als Cadhla aufstand, um Tilla hinein zu tragen, nickte Ursus. Ja, das war sicher das beste. Auch wenn es etwas merkwürdig war, mit zwei fremden Sklaven am Feuer zurückzubleiben. "Danke für das wundervolle Lied, Cadhla", sagte er noch, als sie sich schon entfernte. E war sich nicht sicher, ob sie es noch gehört hatte.


    "Ich bin mir nicht sicher, ob ich gütig und gerecht bin, Fiona. Aber... ich werde mich darum bemühen. Schon allein im Angedenken an diese eigentümliche Nacht. Und für den Segen danke ich Dir, auch wenn ich Deine Göttin nicht kenne." Es war merkwürdig, daß sie ihn dem Schutz ihrer Göttin wünschte. Im Grunde wußte sie doch nichts über ihn. Und noch merkwürdiger war, daß er sich darüber freute.


    "Ich fürchte, Deine Freundin da schafft den Heimweg heute Nacht nicht mehr." Er nickte zu der offensichtlich recht betrunkenen Aintzane herüber. "Cadhla soll euch nachher einen Schlafplatz zeigen. Wenn ihr das Haus morgen sehr früh verlaßt, solltet ihr um Ärger eigentlich noch herumkommen können." Zur Not mußte er das eben auf seine Kappe nehmen. Was machte es schon? Als Depp vom Dienst hatte er doch nichts zu verlieren. Und es wäre schlimmer, wenn den beiden in der Nacht auf der Straße etwas zustoßen würde.

    "Ich habe sehr deutlich gesagt, daß ich gewillt bin, diese Aufgabe anzunehmen und Dich lediglich gebeten, mir zu ermöglichen, die nötigen Kenntnisse zu erwerben. Aber wieder hörst Du nur, was Du hören willst." Ursus sprach gefährlich ruhig. Es war einfach unfair, was Corvinus hier tat. Wieder einmal. Immer das gleiche! Er wollte einfach nicht, daß Ursus irgendetwas sinnvolles lernte.


    "Also sehe ich, daß es im Grunde gar nichts zu tun gibt. Gut, dann gibt es auch nichts weiter dazu zu sagen. Und auch nichts weiter vorher zu tun oder zu erlernen." Wozu erwähnte er seine Abwesenheit dann überhaupt? "Du sprachst davon, daß Geschäfte zu übernehmen seien. Nun, ich habe Dich wieder einmal falsch verstanden. Gäste begrüßen habe ich nicht als Geschäft betrachtet. - Wieder einmal mache ich alles falsch und Du alles richtig."


    Ja, wie bei der Verlobung zum Beispiel. Marcus machte ja wirklich immer alles richtig! "Was willst Du eigentlich von mir, kannst Du mir das mal sagen, Marcus? Soll ich gehen? Ist es das, was Du möchstest? Ich verstehe einfach nicht, warum Du mir immer wieder von neuem aufs Butterbrot schmieren mußt, daß Du mir nicht vertraust. Ist das wirklich immer wieder nötig? Die Familie ist Dir wichtig? Das spreche ich Dir nicht mal ab. Aber was bin ich dann eigentlich für Dich? Es wäre schön, wenn Du mal meine Fragen beantworten würdest und nicht immer weglaufen oder ausweichen oder mich einfach als unwillig, unreif oder sonst was abstempeln würdest." Sein Ton war immer noch ruhig, auch wenn er innerlich wieder einmal kochte. Seine Hände hingegen waren eiskalt.

    Ursus blieb einfach stehen. Trotzdem er innerhalb von Augenblicken triefend naß war. Es blieb ihm ja nichts anderes übrig, genau wie allen anderen, die heute hier vereidigt wurden. Einen kurzen Blick zum Himmel konnte er allerdings nicht unterdrücken. Es war kein guter Anfang für sie alle. Aber verwundern konnte der Zorn der Götter ihn nicht, nach dem, was nach der Wahl geschehen war.


    Natürlich konnten die Anwesenden da überhaupt nichts für. Aber wann hätte die Götter je interessiert, wen ihr Zorn so alles traf? Sie wollten besänftigt werden und das war die Aufgabe aller - vertreten durch den Senat.


    Im Augenblick konnten sie allerdings nichts weiter tun, als es zu ertragen. Hoffentlich erkältete er sich nicht, das hätte gerade noch gefehlt. Gerade jetzt in der kommenden Zeit brauchte er einen funktionierenden Verstand.

    Das Magenknurren war ja nicht zu überhören. Ursus blickte überrascht auf. "Hast Du Hunger, Caelyn? Hast Du heute Mittag nichts zu essen bekommen? Warum nicht?" Normalerweise speisten die Sklaven regelmäßig zu sogar einigermaßen festen Zeiten. Wer gerade beschäftigt war, holte das eben nach, wenn die anderen fertig waren. Hungrig blieb in diesem Haus normalerweise niemand.


    "Also komm, setz' Dich her und iß mit, es ist ja ohnehin viel zu viel für eine Person." Das war zwar absolut unüblich und eigentlich auch unangemessen, aber in diesem Moment war ihm das egal. Es gab ihm ja auch Gelegenheit, die junge Frau besser kennenzulernen. Und das konnte auf keinen Fall ein Fehler sein.


    "Und danach werden wir mal sehen, wie weit es mit Deinen Künsten her ist. Es wäre mir recht, wenn Du in der Lage wärst, normale Botschaften zu verfassen oder zu lesen." Sie mußte ja kein Scriba sein. Aber normale, private Nachrichten verfassen können, wäre schon praktisch.

    Ich möchte ihn besser kennenlernen war kein wir sollten ihn besser kennenlernen. Von daher verstand Ursus das keinesfalls als Aufforderung, an dem Abendessen teilzunehmen. Dies war nicht mal eine kindische Aufmüpfigkeit, sondern er fühlte sich tatsächlich schlicht nicht angesprochen. Dennoch überlegte er, ob er die Teilnahme einrichten könnte. Allein, um seine Neugierde auf diesen Vielleicht-Vetter zu stillen.


    "Ich bin sehr gespannt, wie Du ihn prüfen willst, Marcus." Ursus konnte sich nicht vorstellen, wie das vonstatten gehen sollte. Was konnte dieser Vetter denn schon über die Familie wissen? Im Grunde gar nichts. Und über seinen Vater? Vielleicht kannte er ihn ganz anders, als Corvinus ihn gekannt hatte. "Wie gut hat er seinen Vater gekannt? Warum hat der die Existenz seines Sohnes geheim gehalten? Hat er ihn am Ende gar nicht anerkannt?" Das war kein leichtes Problem, wahrhaftig nicht.


    Ja, Ursus merkte, wie unangenehm Corvinus das Thema war. Das konnte er sogar verstehen. Aber er konnte nicht verstehen, wie jemand, der derartig auf Verantwortungsgefühl und Reife pochte, nun nicht den Mumm fand, seine Entscheidung bei den betreffenden Personen vorzutragen und zu verteidigen. "Findest Du nicht, daß Du besser nicht noch einen Tag verstreichen lassen solltest? Mal abgesehen von Deinen Gefühlen, geht es bei einer Verlobung und deren Auflösung ja noch um ein bißchen mehr." Um die Familie beispielsweise. Um beide Familien. Die bisher ein gutes Verhältnis zueinander hatten. "Mach es nicht noch schlimmer, Marcus."


    Die nächste Äußerung allerdings war so unfaßbar, daß die bisher halbwegs unbewegte Miene von Ursus sich in offene Überraschung wandelte. "Ich soll was? Wie das auf einmal?" Das rutschte ihm schneller raus, als er es hätte zurückhalten können.


    "Und wie stellst Du Dir das vor, Marcus? Unter die Hellseher bin ich noch nicht gegangen. Erst läßt Du Dir nicht im Geringsten in die Karten gucken und dann soll ich auf einmal die Geschäfte übernehmen, von denen ich nicht den blassesten Schimmer habe? Wenn es auch nur für ein paar Tage ist?"


    Er schluckte und atmete tief durch. "Es ist nicht so, daß ich mich über einen derartigen Vertrauensbeweis nicht freuen würde. Und auch nicht so, daß ich es nicht tun möchte und werde. Aber ein Wurf ins kalte Wasser ist da nichts gegen, das sollte Dir klar sein. Warum tust Du so etwas, Marcus? Warum?" Gerade jetzt, wo er voll mit der Amtsübernahme beschäftigt war, sollte er sich also auch in die Familiengeschäfte einarbeiten? Falls Corvinus das überhaupt zulassen würde. Und wenn es doch seine Absicht war, daß Ursus versagte?


    "Wirst Du mir wenigstens vorher die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung stellen, damit ich mich einarbeiten kann, bevor niemand zum Fragen mehr da ist? Wenigstens das?" Wann sollte er eigentlich noch schlafen? "Wirst Du es mir erklären, Corvinus, oder wirst Du mich weiterhin hängen lassen?" Es war der ungüngstigste Zeitpunkt überhaupt. Monatelang hatte sich Ursus vor Langeweile die Fingernägel abgekaut und nun kam alles auf einmal!

    Bei ihrem kleinen Versprecher mußte Ursus dann doch schmunzeln. Wer auch immer ihr Opfer für die Übungen gewesen war, tat ihm tatsächlich leid. Bestimmt war das nicht leicht zu ertragen gewesen. Gut, daß sie sich so beeilte, ihm etwas zu essen zu holen. So hatte sie sein Schmunzeln hoffentlich nicht gesehen.


    Das Essen, das sie mitbrachte, war jedenfalls hervorragend ausgewählt. So großartig hatte er sich das gar nicht vorgestellt. Brot, Käse und Oliven hätten ihm völlig gereicht. Doch natürlich beschwerte er sich nicht, dafür war er viel zu hungrig. Nur die Portion war etwas sehr reichlich bemessen.


    Als erstes goß er sich etwas verdünnten Wein in den Becher und trank einen Schluck, dann brach er sich etwas Brot vom noch warmen Fladen und biß herzhaft ab. "Hm, das ist wirklich gut." Daß Caelyn auch hungrig war, konnte er ja nicht ahnen.


    "Du sagtest, Du kannst lesen und schreiben. Wie gut schätzt Du Dich ein?"

    Ursus blickte auf. Zum Glück war es Caelyn und nicht diese Nervensäge von einem Scriba. Den konnte er eh nicht brauchen, solange er sich durch die Gesetzesgrundlagen arbeitete. Wenn es dann an die Listen ging, dann brauchte er den Mann.


    "Da bist Du ja, Caelyn." Da niemand ihm etwas vom blauen Auge des Tätowierers gesagt hatte, konnte er ihr deswegen keinen Ärger machen. Noch nicht. Denn der Tätowierer würde dafür sicherlich seine Rechnung ordentlich hochsetzen. Und spätestens dann würde es Ärger geben.


    Es war auch ganz gut, daß er nichts davon ahnte, wie sie ihn nannte. Bärchen war nun wirklich kein Name, mit dem er genannt sein mochte, auch wenn Ursus Bär bedeutete. Die Verniedlichung war eben doch ein bißchen peinlich.


    "Also, als erstes bring mir bitte einen Imbiß. Nichts großartiges. - Und? Hast Du mit Cadhla erfolgreich das Toga anlegen geübt?" Mit leicht schiefgelegtem Kopf blickte er sie prüfend an. Sie machte einen ganz ruhigen Eindruck. Anscheinend fand sie sich langsam in ihr neues Leben ein.

    Ursus hatte heute auf einen Besuch in den Thermen verzichtet. Schweren Herzens, doch er hatte das Gefühl, dafür keine Zeit zu haben. Da er so lange verschlafen hatte, war er mit dem, was er sich an Arbeit vorgenommen hatte, deutlich im Rückstand.


    Kaum hatte er das Haus betreten, schickte er einen der Sklaven nach Caelyn. Wenn er schon eine eigene Sklavin hatte, dann war es nur richtig, wenn sie diejenige war, die antraben mußte, wenn er etwas wollte.


    Ursus ließ sich die Toga abnehmen und ging dann in sein officium. Er hatte sich einige Schriftrollen mit den gültigen Erbschaftsgesetzen besorgt und wollte sie durcharbeiten, bevor er sich mit der eigentlichen Arbeit befaßte.

    "Und was passiert mit ihm in diesen zwei Tagen? Du sagst selbst, es ist ohnehin nicht in zwei Tagen herauszufinden, ob er die Wahrheit sagt. Ist es dann nicht irgendwie albern, ihn diese zwei Tage lang nicht anzuerkennen?" Ursus wußte nicht, wie er reagiert hätte, wenn er an Corvinus' Stelle gewesen wäre. Aber diese zwei Tage brachten doch schlicht nichts. Entweder er erkannte ihn gleich an oder er wartete, bis Camryn etwas herausgefunden hatte.


    "Und wäre es nicht besser, mit Menecretes zu sprechen, bevor Deandra das tut? Wie würdest Du an seiner Stelle reagieren, wenn es Helena so erginge? Daß Du das Gespräch fürchtest, kann ich gut verstehen, das würde ich an Deiner Stelle auch. Aber mit jedem Tag, den Du wartest, wird es doch noch schlimmer, oder? Er wird von Dir erwarten, daß Du zu ihm kommst." Heiraten stand für Ursus selbst im Moment nicht zur Debatte. Er wüßte ja gar nicht, wen. Es wäre ihm auch lieber gewesen, wenn sein Vater ihm eine Frau gesucht hätte, aber das war ja nun nicht mehr möglich. Gerade Corvinus' Beispiel zeigte wieder, daß Eltern so etwas viel besser konnten. Gefühle verschleierten einem doch nur den Blick auf das wesentliche. "Aber Deinen Rat werde ich beherzigen. Keine Liebesheirat, das bringt nur Ärger." Irgendwie war es merkwürdig, daß Corvinus so offen mit ihm über dieses Thema sprach. Warum tat er das? Ausgerechnet mit ihm?


    "Morgens ist mir recht für das Kampftraining, ich habe eh noch keine Klienten, die ich empfangen müßte. Und natürlich nichts weiter als Kampftraining. Mir ist durchaus bewußt, daß sie Dein persönliches Eigentum ist." Und würde er das nicht respektieren, hätte er ja wohl nicht gefragt.

    Ursus runzelte zwar bei Cadhlas Anweisung, aufrecht zu stehen, die Stirn, tat aber doch, was sie sagte. Immerhin war es nötig, damit die Toga richtig umgelegt werden konnte. Und das tat Cadhla wirklich in gekonnter Art und Weise. Anscheinend hatte sie Corvinus diesen Dienst schon oft erwiesen.


    "Ja, perfekt. Danke, Cadhla. So kann ich mich doch auf dem Forum blicken lassen. - Dann geht mal üben, ihr zwei." Er blickte die beiden an und hatte von dem leichten Eifersuchtsanfall von Caelyn natürlich gar nichts mitbekommen.


    Daß sie das gebrauchte Frühstücksgeschirr mitnehmen würden, war für Ursus selbstverständlich und keiner weiteren Erwähnung wert. "Ich werde wohl erst am Nachmittag wieder hier sein. Bis dahin kannst Du also im Haus helfen, Caelyn. Cadhla wird Dir sicher sagen, was es zu tun gibt. Ich lasse Dich dann rufen, wenn ich Dich brauche." Er wollte sich schon zum Gehen wenden, da fiel ihm noch etwas ein. "Achja, der Tätowierer wird gleich kommen. Kümmerst Du Dich bitte darum, daß Caelyn gekennzeichnet wird, Cadhla?"

    Ursus nickte. "Ja, da ist noch eine gute Toga. Caelyn, Du weißt doch, wo sie hängt?" Immerhin hatte das Mädchen doch seine Kleidung durchgesehen bei der Auswahl. "Und zeig es ihr bitte gleich richtig, Cadhla, damit sie es ab morgen möglichst selbst hinbekommt." Er konnte nicht immer Cadhla rufen, immerhin gehörte sie Corvinus.


    Er zwang seinen Blick von Cadhla weg und auf Caelyn. Sie waren beide auf ihre Art schön. Schön und .... ja, irgendwie ungezähmt. "Paß bitte gut auf Caelyn. - Achja. Und diese Toga bringt ihr bitte wieder in Ordnung." Vielleicht hatte Corvinus in diesem einen Punkt tatsächlich recht. Er brauchte mindestens noch eine, besser zwei gute Togen.


    Nun lag es bei den beiden Frauen, ihn richtig zurecht zu machen. Und an ihm, es zu erdulden. Was vermutlich gar nicht so einfach war.

    Es war merkwürdig, was sie für einen Durchblick hatte. Was könnte eine Frau wie sie alles erreichen mit einer hohen sozialen Stellung und mit einer guten Bildung? Was für eine Verschwendung, sie Böden schrubben zu lassen!


    "Ja, Du hast recht. Macht korrumpiert. Viele von denen, die heute schlechtes tun, haben einmal mit den besten Absichten angefangen. Doch wie verhindert man, daß dies mit einem geschieht?" Das war schon eher zu sich selbst gesprochen und weniger zu ihr. Vermutlich brauchte man Menschen, die einen auf den Teppich zurück holten, wenn man in die falsche Richtung lief.


    Passierte das gerade mit Corvinus? Wenn der wirklich glaubte, nur das beste für die Familie zu tun, indem er Ursus, den er für einen schlechten Menschen hielt, ausbremste? Und sah nicht, daß er jemanden, der ebenfalls nur das beste für die Familie wollte, gegen sich aufbrachte und der Familie damit letztendlich schadete? Es war niemand da, der Corvinus darauf aufmerksam machen konnte.


    Wieder mußte er sich zwingen, diese abwegigen Gedanken beiseite zu schieben. Briefe? Sie wollte ihm Briefe schreiben? Absurd! Absolut absurd!


    Doch obwohl sein Verstand sagte, daß dies wirklich dummes Zeug war, nickte er. "Ja. Ja, das ist eine nette Idee. Schreiben wir uns Briefe, Cadhla." Das würde ihr nicht nur helfen, sich im Lesen und Schreiben zu üben. Manches konnte man in Briefen besser ausdrücken, als in einem Gespräch. Vor allem zwischen den Zeilen.

    "Ah, Cadhla..." Ursus drehte sich um und alle weiteren Worte blieben ihm buchstäblich im Halse stecken. Eigentlich sah sie unmöglich aus: Die Tunika viel zu knapp, die Frisur, einfach im Nacken zusammengebundene Haare, etwas derangiert, von offenbar harter Arbeit gerötete Wangen. Und doch, das war irgendwie ein unglaublich reizendes Bild, nicht nur, weil ihre wunderschönen Beine durch die kurze Tunika so richtig zur Geltung kamen.


    Schnell räusperte sich Ursus. "Ja... also... Caelyn hat Schwierigkeiten mit der Toga. Würdest Du ihr bitte zeigen, wie es geht?" Er blickte Cadhla auffordernd an. Auch wenn es als Bitte formuliert war, handelte es sich natürlich um eine Anweisung. Dennoch hatte er es in freundlichem Tonfall gesagt.


    Es war unmöglich, den Blick von ihr zu wenden. Diese vorwitzige Haarsträhne, die ihr ins Gesicht hing, das erhitzte Gesicht...

    Ursus schüttelte entsetzt den Kopf. "Aber nein, ich glaube nicht, daß die meisten Menschen schlecht sind. Im Gegenteil, die meisten sind gut. Aber hier leben so viele Menschen, daß es hier natürlich auch viele schlechte gibt. Und durch die große Masse an Menschen kann der einzelne schlechte, vor allem wenn er Macht und Reichtum besitzt, viel mehr Schaden anrichten als in einer kleinen Ansiedlung, verstehst Du?" Nein, wie sollte sie? Sie hatte nie dem Senat zugehört, nie die Diskussionen auf dem Forum geführt, nie die Nachrichten aus dem Reich vernommen.


    "Als mein Vater noch lebte und ich in Griechenland weilte, also sehr weit weg war, da habe ich viele Briefe geschrieben. Jetzt, durch mein Amt, werde ich auch wieder sehr viele Briefe zu schreiben haben. - Ja, es ist sehr schön, einen Brief von jemandem zu bekommen, der einem nahe steht." Er wich jetzt ihrem Blick aus. Es gab niemanden mehr, der ihm derartig nahe stand. Die Familienmitglieder hier waren ihm immer noch fremd. Corvinus konnte ihn nicht ausstehen und die anderen waren ständig zurückgezogen. Cotta war der einzige, dem er ein wenig näher stand, doch auch der ließ sich nicht mehr blicken.


    Schnell schob er diesen unangenehmen Gedanken beiseite. "Gibt es nicht einen Händler, der euer Dorf hin und wieder aufsucht? Könntest Du ihn nicht bitten, einen Brief zu überbringen und vorzulesen?" Das war die einzige Möglichkeit, die ihm einfiel.

    Ursus seufzte. Das war wirklich nicht gut. Ganz und gar nicht gut. "Also, am perfektesten kann es sicherlich Alexandros. Aber er ist so perfekt, daß wir vor heute Abend nicht fertig werden, wenn wir ihn rufen. Aber Du solltest es bei Gelegenheit mit ihm üben. Wenn es Dir jemand wirklich beibringen kann, dann er. Für heute versuchen wir es mal mit Cadhla. Die hast Du sicher inzwischen kennen gelernt? Ich denke, ihr zwei werdet euch gut verstehen und sie müßte es mittlerweile beherrschen."


    Das war natürlich nicht der einzige Grund, warum er auf Cadhla verfiel. Auch wenn er das nie zugeben würde. Er ließ Cadhla also rufen und hoffte, daß sie es fertig brachte, Caelyn das Geheimnis des Togaanlegens näher zu bringen.


    "Es sieht lässig aus, nicht wahr? Wie nur mal eben übergeworfen. Aber eben dieser Eindruck ist nicht so leicht herzustellen, wie Du ja jetzt gemerkt hast." Er machte Caelyn da keinen Vorwurf. Woher sollte sie es auch können?

    Ursus legte den Kopf schief. "Nein, es liegt nicht nur am Frieden. Die Intrigen und Bösartigkeiten gab es auch zu Notzeiten. Da zeigten sich die schlechten Eigenschaften der Menschen manchmal sogar noch mehr. Nein, ich glaube, es liegt an der großen Masse von Menschen. Und an den großen Unterschieden zwischen den verschiedenen Schichten." Sie war klug, diese Dinge zu hinterfragen. Und das, ohne wirklich zu ahnen, wie weit die Intrigen in Rom gingen. Sie kannte bisher nur die Spitze des Eisberges.


    "Du hast recht, nicht alles ist geeignet, aufgeschrieben zu werden. Daher gibt es Schriftstücke, die nicht jedem zugänglich sind. Und es werden auch immer noch Boten mit mündlicher Nachricht geschickt, wenn man etwas keinem Papier anvertrauen mag." Ganz so dumm waren Römer nun auch wieder nicht. Cadhla hatte ja wirklich eine schöne Meinung von seinem Volk.


    "Und ja. Wenn es jemanden geben würde, der lesen kann und der Deine Familie igendwie erreichen kann, könntest Du ihm schreiben und Dich nach ihnen erkundigen. Du könntest erfahren, was mit ihnen ist und sie könnten erfahren, daß Du noch lebst." Briefe konnten etwas wunderbares sein. Er hatte sie erst wirklich schätzen gelernt, nachdem sein Vater gestorben war und er kaum noch Briefe erhielt.


    Er konnte Hoffnung in ihrem Blick sehen. Eine Hoffnung, die er ihr gerne erfüllen würde, schon um wenigstens einmal reine Freude in diesen Augen strahlen zu sehen. Doch wer konnte schon dort lesen, wo ihre Familie lebte?

    Wieder einmal hob sich die Augenbraue, die böse welche. "Nun, im ersten Moment scheint sie unförmig und unglaublich lang. Du nimmst sie so und legst sie schon jetzt in ordentliche Falten. Damit verhinderst Du unnötige Knicke und hast es nachher leichter. So. Soviel etwa muß erstmal überhängen. So legst Du sie mir über die Schulter, dann unter dem anderen Arm hindurch, dann hier durch und hier herum und wieder überhängen lassen. dann muß alles noch etwas zurecht gezupft werden und die Falten geordnet werden, damit alles elegant und schön fällt."


    Er hatte die Toga grob umgelegt, nahm sie jetzt aber wieder ab und reichte sie ihr. "Und nun Du." Wenn es gar nicht klappte, mußte er eben jemand von den anderen Sklaven rufen, damit sie es von diesem lernte.

    Tatsächlich schien das Fest sich dem Ende zuzuneigen. Das Mahl war mittlerweile beendet, lange genug hatte es sich hingezogen. Nach und nach verabschiedeten sich die Gäste. Insgesamt schien Zufriedenheit über das Fest zu herrschen, was Ursus mit Freude wahrnahm. Das gute Mahl hatte die Peinlichkeit des Theaterstücks offenbar ausmerzen können. Blieb abzuwarten, was in den nächsten Tagen an Gerüchten kursierte.


    Als seine Cousinen sich erhoben, um sich wieder den anderen Gästen widmen zu können und sich von denen zu verabschieden, die sich entschlossen hatten zu gehen, erhob sich Ursus kurz. "Wir haben zu danken für eure charmante Gesellschaft", sagte auch er und lächelte den beiden zu, als sie sich entfernten.


    "Vielleicht noch etwas Wein, die Herren?", fragte er dann Dursus und Mattiacus, deren Becher schon recht geleert aussahen, wie er bemerkte.

    Ursus nickte ernst. Auch wenn er nicht wußte, wie es war, wenn eine Frau junge Mütter beobachtete in dem Wissen, nie selbst eine Familie haben zu dürfen, so konnte er doch nachvollziehen, daß dies sehr schmerzlich sein konnte.


    "Vielleicht ist es natürlich, daß eure Frauen auch grundsätzliche Waffenfertigkeiten haben. Schließlich seid ihr fast dauerhaft im Krieg. Hier ist es anders. Hier herrscht Frieden. Deshalb können wir es uns leisten, unseren Frauen diese Fertigkeiten zu ersparen." Er hielt das für einen Vorteil, auch wenn er einsah, daß es in Cadhlas Heimat von Nutzen war, wenn Frauen fähig waren, sich zu verteidigen.


    "Eure Druiden müssen also alles lernen, was ein anderer Druide ihnen beigebracht hat? Und es ist immer garantiert, daß der eine Druide nichts vergißt weiterzugeben? Wie viele Jahre muß der neue Druide lernen, um wirklich alles Wissen aufzunehmen? Und dieses Wissen hat dann nur der eine Druide und alle anderen wissen nichts und müssen den Druiden jedes mal fragen, wenn sie etwas erfahren wollen." So stellte er sich das wenigstens vor.


    "Hier kannst Du alles erfahren, wenn Du nur all diese Buchstaben kennst. Dann kannst Du alles nachlesen, was Du wissen willst. Und das Wissen ist immer zuverlässig da. Wir lernen auch viel und müssen viel im Kopf behalten." Auswendig lernen war über viele Jahre seine Hauptbeschäftigung gewesen, die meisten Lehrer waren eben ausgesprochen phantasielos.


    "Doch wir haben die Möglichkeit, alles Wissen zu erlangen durch das Lesen. Und wir können auch selbst niederschreiben, was wir woanders erfahren und was neues Wissen für unser Volk ist. Es kann dann vielfach abgeschrieben werden, damit man es überall verteilen und dann auch überall lesen und lernen kann." Schrift war einfach etwas elementares. Eine Offenbarung. "Man kann Briefe schreiben in alle Teile des römischen Imperiums. Und so mit Menschen sprechen, die tausende Meilen weit weg sind."