Aufmerksam lauschte Ursus den Ausführungen Serapios. Er hatte seine Argumentation sehr gut dargelegt und mit Beispielen untermauert. Es war nicht leicht, darauf angemessen zu erwidern. Ursus wartete noch eine Weile ab. Zum einen, weil er seine Antwort nicht unüberlegt vorbringen wollte, zum anderen, um Iunius Brutus nicht vorwegzugreifen. Doch da dieser sich noch vornehm zurückhielt und Purgitius Macer auch ihm schon auffordernde Blicke zuwarf, ergriff Ursus nun doch das Wort.
"Du sagst es selbst: Eine umfassende Ausbildung braucht ein Kaiser, keine einseitige. Weder einseitig militärisch, noch einseitig politisch. Denn beides ist in meinen Augen gleichermaßen schädlich, muß ein Kaiser doch alle Bereiche gleichermaßen kennen und zu berücksichtigen verstehen, wobei auch der Cultus nicht vernachlässigt werden darf. Vielleicht war es im Falle des Tiberius sogar ein Glück, dass er zunächst eigentlich nicht als Thronfolger vorgesehen war. So erhielt er nach einer umfassenden Grundbildung die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren und hat auch schon früh sowohl an diplomatischen als auch an militärischen Operationen des Augustus seinen Anteil gehabt und konnte auf diese Weise wertvolle Erfahrungen sammeln. Hätte er gleich als zukünftiger Kaiser gegolten, wer weiß, vielleicht wäre er dann genau so übertrieben geschützt worden wie Du es forderst. Oder wäre so ruhmsüchtig gewesen, wie Du es im Falle eines frühen Kommandos darstellst. Beides war bei ihm nicht der Fall. Und letzteres bei seinem Erben zu verhindern, sollte die Aufgabe des gerade regierenden Kaisers sein. Meiner Meinung nach ist es weit riskanter, wenn ein militärisch unerfahrener Kaiser sich an die Spitze seiner Männer setzt und in die Schlacht zieht, als wenn ein militärisch gründlich ausgebildeter Thronfolger ein Kommando übernimmt. Zum einen weil die fehlende Ausbildung und Erfahrung den Kaiser Gefahren zu spät erkennen lässt, zum anderen weil ein inthronisierter Kaiser weit schwerer zu ersetzen ist als ein Thronfolger. Denn es entsteht augenblicklich ein Machtvakuum, das zu füllen auf die Schnelle sehr schwer werden kann."
Er machte eine kleine Pause, um seine Gedanken neu zu ordnen. Denn zum Ende hin war er seiner Meinung nach zu schnell zwischen den einzelnen Gedanken gewechselt. Aber so im Gespräch war das eben nicht so einfach, wie wenn man etwas schriftlich niederlegen und über jeden Satz lange nachdenken konnte. Vor allem war es schwer, beim eigentlichen Thema zu bleiben, zu vieles spielte in die Überlegungen mit hinein, führte hier aber vermutlich zu weit. "Sicher, Domitian hat gezeigt, dass auch ein militärisch unerfahrener Kaiser an der Spitze eines Heeres erfolgreich sein kann. Doch er ist damit wohl eher die Ausnahme und eine ordentliche Portion Glück und vermutlich auch Götterwohlwollen halfen ihm garantiert auch dabei. Im Grunde war er ausgesprochen leichtsinnig, sich selbst derartig in Gefahr zu bringen. Hätte es nicht auch genügt, mit den Soldaten zu sprechen, sie durch persönliche Besuche zu motivieren und ansonsten fähigen Feldherren die Angelegenheit zu überlassen? Ein Kaiser gehört nie sich selbst, er gehört immer dem ganzen Volk, dem ganzen Reich. Diese Verantwortung sollte sein Handeln leiten und ihn davon abhalten, sein Leben leichtsinnig in Gefahr zu bringen. Lieber sollte er sein Augenmerk auf die Offiziere richten, deren Macht er dabei natürlich nicht unterschätzen darf. Ihrer Treue muß er sich immer wieder versichern. Dabei wieder hilft es ihm, wenn er als junger Mann die Gelegenheit hatte, eben diese Offiziere persönlich kennenzulernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Diese sind es, die den Kaiser an der Spitze des Heeres ersetzen müssen. Sie sind es, die den Männern klarmachen müssen, dass sie ihm folgen, indem sie ihnen folgen. Wenn sie dieser Aufgabe gewachsen sind, ist die persönliche Anwesenheit des Kaisers bei einem Feldzug völlig überflüssig und er ist nicht gezwungen, Rom allzu lange den Rücken zu kehren oder gar sein Leben zu riskieren."
Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er noch etwas hinzusetzen, aber dann entschied er sich offensichtlich dazu, doch erst einmal wieder zu schweigen und den anderen wieder das Feld zu überlassen. Seine weiteren Gedankengänge konnte er sich zu einem späteren Zeitpunkt noch anbringen.