Beiträge von Flaviana Brigantica

    Rauskommen? Bridhe verstand nicht. Sie sah ihn verblüfft an, als verstünde sie keines seiner Worte. Herauskommen aus dem Versprechen ,das sie gab. Darüber hatte auch schon oft nachgesonnen, war jedoch immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Ausweg gab. Sie hatte jedenfalls nie einen entdecken können. Nur der Tod allein konnte sie davon entbinden.
    Serapios Stimme klang aufmunternd, so als gäbe es für jedes Problem eine Lösung. Also auf für ihres. Wenn es doch so einfach gewesen wäre! Doch er kannte nicht die Hintergründe. Er wollte ihr helfen, versuchte sie davon zu überzeugen, dass es besser war, darüber zu sprechen, was sie zu dieser Tat getrieben hatte. Jedoch sperrte sich alles in ihr. Sie konnte nicht! Selbst dann, wenn sie sich nicht kannten, würde er nach ihrem Geständnis eine Meinung haben. Dann würde er die Gewissheit haben, einer Frau geholfen zu haben, die ihr eigenes Kind im Stich gelassen hatte.
    Bridhe rang mit sich selbst. Was sollte sie nur tun? Je länger er auf sie einsprach, desto unsicherer wurde sie, was das Beste war, zu reden oder alles zu unterdrücken, so wie sie es schon seit Jahren getan hatte. Catubodus hatte sie niemals danach gefragt, warum sie nicht mehr zurück in ihre Heimat ging. Es war selbstverständlich gewesen, dass sie da war. Für ihn selbst hatte es auch nie mehr ein Zurück gegeben. Vielleicht war das der Grund. Bridhe war nun aus diesem Kreis ausgebrochen, weil die Sehnsucht zu stark geworden war.
    "Es... es geht nicht, weil... es ist... es ist... Ich habe ein Kind." Sie hatte sich schwer getan, es auszusprechen. Noch ehe das letzte Wort über ihre Lippen gekommen war, war es ihr schon wieder peinlich gewesen, sich vor diesem Fremden so enthüllte. Verschämt senkte sie wieder ihren Blick. Sie hoffte nur, er würde sie nun nicht wütend davonjagen und übel beschimpfen.

    "Nein!", erklärte sie noch einmal mit Nachdruck, lächelte dann aber mild, als er sich dafür entschuldigte. Ihre Augen ruhten eine Weile auf dem jungen Mann, während sie darüber nachsann, wie es ihr ergangen wäre, wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre. Im Grunde waren all diese Geschichten nur auf dem Nährboden der Spekulation gewachsen, um Ängste vor dem Unbekannten zu schüren. Bridhe hatte, wenn auch nicht ganz unfreiwillig, die Chance erhalten, sich von dem Gegenteil zu überzeugen, während Serapio sich lediglich nur auf das stützen konnte, was er irgendwo gelesen hatte.
    Die Augen der jungen Frau erhellten sich wieder, als der Urbaner ein weiteres Kapitel seines angelesenen Wissens von sich gab. Diesmal war es etwas weniger dramatisches, fast schon schmeichelhaftes, fand sie. Tatsächlich war die Gegend, dort wo sie einst gelebt hatte, besonders reich an Weideland. Im fruchtbaren Tal der Bóinne und auf den sanften Hügeln des Umlandes gab es üppige Wiesen an denen sich das Vieh im Sommer laben konnte. Das Land war nicht einfach nur grün. Wenn man genau hinsah, konnte man unzählige Grünschattierungen erkennen. Manche glaubten, bis zu vierzig verschiedene Grüntöne erkennen zu können und hatten sogar Barden dazu veranlasst, Lieder darüber zu singen.
    Die junge Frau begann zu lachen, zum ersten Mal an diesem Tag. "Nein, zum Glück platzen sie nicht! Aber es stimmt, die Wiesen sind unglaublich - grün!"
    Grün. Ein solches Grün hatte sie hier nie wieder entdecken können, obwohl es hier auch Wiesen gab. Das Grün damals im Garten der Flavier, in den sie sich oft geflüchtet hatte, um ihren Schmerz zu ertragen oder um einfach nur für sich sein zu können.
    Langsam senkte Bridhe wieder ihren Blick. Ihre Begeisterung hatte nur einen kurzen Augenblick gehalten. Wieder entstand eine Pause. So gerne sie auch über ihre Heimat sprach, so sehr nagten danach die Erinnerungen an ihr. Und spätestens dann, wenn sie feststellte, dass Jahr um Jahr langsam die Erinnerung an die Gesichter ihrer Geschwister, ihrer Eltern und ihrer Freunde, die sie einst hatte, verblassten, wurde sie noch trauriger.
    Erst Serapios Stimme riss sie aus ihrer Melancholie heraus. Eigentlich klang es recht plausibel, was er sagte. Wer auch immer seine Hand in diesem Spiel gehabt hatte, lag es doch auf der Hand, dass ihre Rettung einen tieferen Sinn haben musste, denn die Chance so früh am Morgen von einem Passanten aus dem Fluss gefischt zu werden, war doch sehr gering.
    "Ich hatte schon öfter diese Art von Glück. Genau dieses Glück im Unglück, von dem du gesprochen hast. Damals, als ich hierher gebracht wurde, da hatte ich Glück und auch später. Auch wenn es kein wirkliches Glück war, das mich hätte wieder zurückbringen können. Aber es hat mein Leben ein wenig - erträglicher gemacht," erwiderte Bridhe nachdenklich.
    Vielleicht hatte alles so kommen müssen, wie es gekommen war. Damals die Sache mit Severus, die Nacht in dem ihr Sohn gezeugt worden war, der letztendlich der Schlüssel zu ihrer Freiheit wurde. Ihr Entschluss die Villa Flavia zu verlassen und die Begegnung mit Catubodus, der ihr bis zuletzt ein guter Gefährte gewesen war, der sich um sie und ihren Sohn gekümmert hatte, als wäre er sein eigener. Und nun die Rettung vor dem Ertrinken, die Rettung vor ihrem Versuch, sich selbst das Leben zu nehmen.
    "Nein, ich kann nicht einfach zurück gehen. Sonst hätte ich schon vor Jahren eines dieser Schiffe bestiegen." An finanziellen Mitteln hätte es ihr dazu nicht gefehlt. In den letzen Jahren hatte sie es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Aber sollte sie es ihm tatsächlich offenbaren, was sie davon abgehalten hatte? Was würde Serapio dann von ihr denken? Eine Mutter, die ihr Kind zurück ließ.
    "Es gibt etwas, was mich hier hält. Vor Jahren habe ich ein Versprechen gegeben. Das ist der Grund."

    Ganz ohne Zweifel tat sich die junge Frau schwer, ihre Nervosität erfolgreich zu unterdrücken. Es waren zwar schon Jahre vergangen, seit sie der Sklaverei entkommen war, doch lastete die Erinnerung daran noch immer schwer auf ihr. Ihre derzeitige Situation konnte sie ganz schnell wieder dorthin bringen, woher sie gekommen war. Niemand kannte sie hier oder hätte für die Wahrheit ihrer Aussage bürgen können. Umso erleichterter war sie, als der Urbaner nicht länger danach fragte. Ihre Finger, die sich verkrampft in die Decke eingegraben hatten, entspannten sich wieder.
    Etwas anderes hatte die Aufmerksamkeit Serapios erregt. Bridhes Herkunftsort erschien ihm sehr exotisch zu sein. Zumindest konnte er mit der Bezeichnung Hibernia etwas anfangen, was nicht alltäglich war. Bridhe war des Öfteren auch auf Unwissenheit gestoßen, wenn sie über ihre Herkunft gesprochen hatte. Schon einige Male hatte sie mit Vorurteilen zu kämpfen. Gelegentlich hatte sie auch das Misstrauen der Leute ihr gegenüber spüren können. Was jedoch der Urbaner da sagte, ließ ihren Atem stocken. Allen Anschein nach meinte er alles so, wie er es sagte. Kannibalische Gebräuche! Bridhe konnte es kaum fassen. Obwohl ihr in diesem Zusammenhang auch wieder die Schauermärchen einfielen, die die Alten zu Hause den Kindern erzählten, wenn sie abends nicht zu Bett gehen wollten, von bösen Menschen, die übers Meer kamen und die Kinder mitnahmen um sie später zu fressen. Der jungen Frau lief es jetzt noch eiskalt den Rücken hinunter, wenn sie an die angstvollen Stunden dachte, als sie damals geraubt wurde. Sie hatte tatsächlich geglaubt, genau diesen Menschenfressern ins Netz gegangen zu sein. Erst nachdem man sie an Land gebracht und statt zu verspeisen in einen Käfig gesperrt hatte, wurde ihr langsam klar, dass nichts Wahres an diesen Geschichten war.
    "Wir essen keine Menschen!", entgegnete sie entrüstet. "Genauso wenig wie ihr das tut! Als meine Mutter starb, haben wir sie auf ihre Reise geschickt und nicht gegessen." Allein der Gedanke daran ließ sie erschauern. Wie kam dieser Strabo nur auf so sonderbare Behauptungen? Ob er jemals selbst in Hibernia gewesen war? Wohl kaum! Serapio aber hatte nur das wiedergegeben, was er gelesen hatte. Es waren also nicht zwangsläufig seine Ansichten.
    Für die darauffolgende Frage konnte sie gerade noch Verständnis aufbringen, denn für einen sonnenverwöhnten Südländer, wie es Serapio nun einmal war, konnte selbst der herrlichste hibernische Sommertag nicht warm genug sein. Hibernia als eisiges Eiland zu bezeichnen, war genauso abwegig, wie seine Bewohner des Kannibalismus zu bezichtigen.
    "Éirinn ist kein eisiges Eiland. Die Sommer sind zwar bei Weitem nicht so warm wie in Rom, doch dafür sind die Winter mild. Wir kennen keine Winter mit viel Eis und Schnee." Noch immer hatte sie das Gefühl, sich ihm gegenüber verteidigen zu müssen. Dabei war es doch so offensichtlich, weshalb sie wieder dorthin wollte, auch wenn sie auf diese Weise niemals erfolgreich hätte sein können.
    "Hibernia ist meine Heimat. Deshalb wollte ich da wieder hin," antwortete sie nach einiger Zeit, diesmal wesentlich gefasster als zuvor.
    "Und weil ich weiß, dass ich dorthin niemals wieder zurück kann, hatte ich beschlossen, eine andere Reise anzutreten." Die junge Frau senkte verlegen ihren Blick, vielleicht weil ihr langsam die Tragweite ihres Entschlusses bewusst wurde. Zum Glück ahnte Serapio nicht, dass sie ihren eigenen Sohn zurückgelassen hatte.

    Bridhe sah wieder auf und wollte sich die Tränen wegwischen. Es war nicht mehr zu ändern. Diese Stadt hielt sie fest und wollte sie einfach nicht mehr aus ihren Klauen entwischen lassen. Das war wie so eine Art Fluch. Wobei sich die junge Frau nicht bewusst gewesen war, was sie so schlimmes getan hatte, dass dies gerechtfertigt war.
    Serapio war ihr zuvor gekommen und reichte ihr ein Taschentuch. Es war keines dieser einfachen schäbigen, die schon unzählige Male benutzt worden waren, ohne dass sie jemals mit Wasser und Seife in Berührung gekommen waren. Es war eines der besseren Sorte, eines das mit einem Wappen bestickt war. Die junge Frau erkannte darin ein Pferd. Aber sie hätte es nicht einer bestimmten Familie zuordnen können. Eigentlich kannte sie nur das Wappen der Flavier.
    Bridhe wischte sich die Tränen ab und versuchte zu lächeln. Was musste Serapio nur von ihr denken, wenn sie ständig nur am heulen war! Mit Sicherheit begann er nicht nur darüber nachzusinnen, wer sie war, auch was sie war, wenn man schon einen so seltsamen Namen trug, wie die junge Frau. Für römische Ohren war er so ungewohnt, wie Bridhe schon oft erlebt hatte. Und sie wusste es ja auch selbst, dass es nicht viele von ihrer Insel gab, die es nach Rom verschlagen hatte. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb Bridhes Heimweh an manchen Tagen ins unermessliche stieg. Jedoch erregte sie oft auch Neugier bei den Menschen, mit denen sie zu tun hatte. Dass dies bei Serapio genauso war, war zu erwarten gewesen.
    "Ich komme von weit her. Jenseits des Meeres. Aus Hibernia." Ihre Augen hatten gestrahlt, als sie den Namen ihrer Heimat aussprach. Für die wenigsten Römer war wohl nachvollziehbar, weshalb man so voller Sehnsucht sein konnte und sich nach einem Land abseits jeglicher Zivilisation verzehren konnte. Allerdings hatte es auch die wenigsten Römer dorthin verschlagen, was durchaus ein Glücksfall war.
    Das Glänzen in Bridhes Augen verschwand ganz schnell wieder, als Serapio eine weitere Frage stellte. Bestürzung trat an seine Stelle. Bestürzung, weil er, der Urbaner, sie für eine Sklavin hielt, womöglich für eine Sklavin, die auf der Flucht war und wegen der Aussichtslosigkeit des Ganzen den letzten Ausweg gesucht hatte. Dabei war es gar nicht so abwegig gewesen, Bridhe war ja einst Sklavin gewesen. Allerdings wusste sie auch genau, was es bedeuten konnte, wenn man sie für eine geflohene Sklavin hielt.
    "Ich? Nein! Ich, ich bin keine Sklavin! Wirklich nicht! Nein!", beteuerte sie nervös.

    Soldat war er, auch wenn er nicht so danach aussah. Bisher hatte sie es tunlichst vermieden, sich mit Soldaten oder anderen Vertretern der öffentlichen Ordnung anzulegen. Sie hielt sich verborgen in der Masse. Nur nicht auffallen, war ihre Devise, seit sie auf eigenen Füßen stand. So wie damals, als sie noch Sklavin war und alles dafür getan hatte, nur um nicht Sciurus´ Aufmerksamkeit zu erregen.
    Weil er also Soldat war, hatte er sie gerettet. Und das, obwohl er frei hatte! Die junge Frau verzog ihr ach so trauriges und bemitleidenswertes Gesicht zu einem zarten Lächeln. Welche Ironie dass er ausgerechnet an sie geraten war! Allmählich kam sie zu der Überzeugung an einen ganz anständigen Kerl geraten zu sein. Und trotzdem vermied sie es noch, zu sehr Vertrauen zu schöpfen. Er war immer noch ein Fremder, auch wenn sich ihre Schicksalsfäden zumindest nun einmal gekreuzt hatten.


    Als sich plötzlich die Tür öffnete wurde sie dadurch abgelenkt. Sie sah der eintretenden Frau nach, beobachtete jeden ihrer Handgriffe. Sie wirkte müde. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Nacht durchgearbeitet und hätte sich sehnlichst darüber gefreut, endlich Feierabend machen zu können. Aber der Fremde und seine Begleiterin hatten sie daran gehindert, baldmöglichst ihre Arbeit zu beenden. Dass sie jetzt deswegen nicht aus dem Häuschen war, war nur verständlich. Sie selbst kannte das auch. Schließlich hatte sie vor einigen Jahren selbst in einer Taberna gearbeitet. Ohne etwas gesagt zu haben verließ sie dann auch wieder das Zimmer.


    Der Mann reichte ihr einen dampfenden Becher, den sie dankend entgegennahm. Die Wärme begann in ihren Fingerspitzen zu kribbeln. Wie wohltuend es war und erst der warme Wein! Vorsichtig nippte sie daran, um ihre Lippe nicht zu verbrennen. Er breitete noch eine weitere Decke über sie aus und nahm sich die andere. Die junge Frau wandte sich ab, als der Mann begann, sich die feuchten Kleider auszuziehen. Jedoch einen kleinen unauffälligen Seitenblick wagte sie und sah in für einen kurzen Augenblick nackt. Nicht dass es unansehnlich war, was sie sah, wandte sie verlegen schnell ihren Blick wieder ab, bevor er darauf aufmerksam wurde. Lieber hielt sie sich an das heiße Getränk, das sie nun auch von innen zu wärmen begann.


    Serapio, so hieß er, stellte die unausweichlichen Fragen und verglich sie dabei mit einer Najade. Ob das ein Kompliment war? Sie hatte von diesen Wasserwesen gelesen und war erstaunt gewesen, dass man auch hierzulande solche Kreaturen kannte. Im balneum der Villa Flavia war sie ihnen zum ersten Mal begegnet. Dort hatten sie sie in ihren Bann gezogen.
    Doch Serapio hatte ein Anrecht darauf, zu erfahren, wen er gerettet hatte, obwohl er frei hatte und warum das alles erst nötig geworden war. Die junge Frau fragte sich dabei nur, ob er es jemals verstehen konnte, was ihre Beweggründe gewesen waren, warum sie ihr Leben einfach so wegwerfen wollte, obwohl sie es doch im Laufe der Jahre zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatte.
    "Ich heiße Bridhe." Spätestens jetzt sollte ihm bewusst sein, dass es kein römischer Bürger war, den er beschützt hatte. Die junge Frau fragte sich weiter, ob er dies nun zum Anlass nahm, sie weniger zuvorkommend zu behandeln.
    " Ich... ich wollte zurück nach Hause. Ich hatte gehofft, der Fluss trägt mich hinaus zum Meer", erklärte sie, als wäre dies das normalste auf der Welt, wobei sie ihren Blick dann senkte, weil ihr wieder einige Tränen über ihre Wangen rannen.

    Mit Hilfe des Fremden setzte die junge Frau einen Fuß vor den anderen. Ab und an stolperte sie, denn ihre Füße waren nackt und einige der Kieselsteine waren spitz. Doch ihr Retter sorgte dafür, dass sie nicht stürzte. Den Fluss ließen sie hinter sich und auch den Nebel. Weiter oben auf der Böschung war es besser zu laufen. Doch die Frau hätte sich ohne Hilfe nicht auf den Beinen halten können. Sie war zu sehr erschöpft und müde. Beinahe hätte sie wieder das Bewusstsein verloren. Halb benommen ließ sie sich von ihm mitschleppen. Schemenhaft nur nahm sie ihre Umgebung wahr und auch die Menschen, die ihnen begegneten. Die Stimme des Mannes hatte etwas beruhigendes. Vielleicht sprach er so mit ihr, weil sie ab und an leise schluchzte. Er war ihr in der schlimmsten Stunde ihres Lebens begegnet. Dabei hatte es sich doch so angenehm angefühlt, beim hinübergleiten in die andere Welt. Hätte er sie doch nur gehen lassen!Jetzt aber lag alles in Scherben. Dabei hätte sie ihm gar keine Vorwürfe machen können. Er hatte nur getan, was er für richtig gehalten hatte, weil er ihr helfen wollte. Ihr Leben lag nun in seiner Hand. Sie konnte ihm nur vertrauen und darauf hoffen, dass er es gut mit ihr meinte. Im Grunde war es ihr im Augenblick aber gleichgültig, was mit ihr weiter geschah. Sie war wie ein Baum, dessen Wurzeln man vor langer Zeit aus der Heimaterde gerissen und versucht hatte, ihn an anderer Stelle wieder einzupflanzen. Seitdem hatte sie die unbändige Sehnsucht begleitet. In der vergangenen Nacht war die Sehnsucht so übermächtig groß geworden. Alles hatte sie dafür aufgegeben. Alles....


    Die junge Frau fand sich in einem kleinen Raum wieder. Der Fremde hatte sie auf ein Lager gebettet. Das Kissen und die Decke umschmeichelten sie. Ihre Nase sog den Duft der frischen Bettwäsche ein. Endlich konnte sie sich Ruhe gönnen. Noch zitternd winkelte sie ihre Beine an. Sie fror trotz der Decke, die über ihr lag.
    Der junge Mann gab sich alle erdenkliche Mühe, damit es ihr bald besser ging. Warum er das tat, konnte sie sich nicht erklären. Nur selten hatte sie ein solches selbstloses Verhalten erlebt.
    Sie nahm den Geruch von verbranntem Holz wahr. Das entfachte Feuer im Kamin begann zu knistern. Als Kind hatte sie oft der Mutter zugesehen, wie sie am Morgen das Herdfeuer entfacht hatte. Wenige Jahre später war es dann zu ihrer Aufgabe geworden, das Feuer zu entfachen. Der verbrennende Torf hatte einen eigenen Geruch. Es war so lange her. Wie sie sich danach sehnte!


    Das Feuer gab schnell seine Wärme an das Zimmer ab. Der Fremde konnte mit seinem Werk zufrieden sein. Nun wandte er sich zu ihr.
    "Ja, es wird langsam besser", antwortete sie leise. Ihre Glieder begannen sich zu entspannen. Sie fühlte sich wirklich besser, wenn sie nicht weiter darüber nachdachte, weshalb sie hier war. Sie ließ einige Zeit verstreichen bis sie ihm eine Frage stellte, die sie die ganze Zeit beschäftigt hatte.
    "Warum hast du das getan?" Wahrscheinlich wäre das eher sein Part gewesen, nachzufragen, warum sie das getan hatte. Aber sie war nichts besonderes gewesen, keine Person von Wichtigkeit, die man um jeden Preis retten musste.

    Luft strömte wieder in ihre Lungen. Sie atmete. Sie lebte. Noch benommen öffnete sie ihre Augen, die gehofft hatten, Tír na nÓg zu erblicken. Grüne Auen, blühende Blumen und fröhliches Kinderlachen hatte sie erwartet. Ein Himmel der so leuchtend blau war, wie sie ihn nie zuvor hatte erblicken dürfen.
    Ihre Augen brauchten Zeit, sich an das Dämmerlicht des anbrechenden Morgens zu gewöhnen. Verschwommen waren die Bilder, verzerrt die Geräusche. Ein menschliche Stimme. Der Schatten einer Gestalt war über sie gebeugt. Ihr Retter, der auf sie einsprach. Die Worte, so vertraut sie auch klingen mochten, die Bedeutung dahinter konnte sie nicht richtig erfassen.
    Sie blickte in das Gesicht des jungen Mannes, sah seine tiefen blauen Augen und die tropfenden Strähnen seiner blonden Haare, die auf seiner Stirn klebten. Noch hegte sie die Hoffnung, ihr Ziel erreicht zu haben, auch wenn sie sich ihre Umgebung als solches anders vorgestellt hatte.
    "Súile gorm..." *hauchte sie ihm leise entgegen. "I gcás mé?"** Suchend bewegten sich ihre Augen hin und her, um eine Antwort zu finden. Sie lag am Ufer des Flusses. Wo aber war nur das Land der ewigen Jugend? Ernüchternd schloss sie wieder die Augen. Langsam musste sie sich eingestehen, nicht erfolgreich gewesen zu sein. Sie hatte es nicht geschafft, dieses Leben abzustreifen. Stille Tränen rannen über ihre Wangen. Tír na nÓg war irgendwo, nicht aber hier.


    Als sie wieder die Augen aufschlug, erkannte sie wieder den jungen Mann. Er war noch da. Wenigstens er war kein Trugbild gewesen. Nun machte er sich an ihrer Tunika zu schaffen. Er versuchte den nassen Stoff von ihrem Körper zu ziehen, um sie dann mit einem Tuch trocken zu reiben.
    Der bleiche nackte Körper begann zu zittern. Die junge Frau fror. Sie zog eng ihre Beine an ihren Körper heran und hielt schützend ihre Arme dicht verschränkt vor ihren Oberkörper. Nicht nur um gegen die Kälte anzukämpfen. Auch weil sie Angst und Scham empfand, sollte dies ein Schutz sein, vor den Blicken des fremden Mannes. Endgültig war sie nun Morrigans Fängen entglitten. Das Leben kehrte zurück.
    Der Mann, der selbst noch völlig nass war und außer einem Lendentuch nichts weiter trug, überließ ihr seinen wollenen Mantel, der sie wärmen sollte. Sie nahm ihn und wickelte sich damit ein. Wie wohltuend doch die Wärme war!
    Das Tuch mit dem er erst sie und dann sich selbst trocken gerieben hatte, entpuppte sich als seine Tunika, die er sich nun überstreifte. Er sprach weiter mit ihr, in der Sprache, die nicht ihre eigene war, aber die sie in den Jahren seit sie hier war, gelernt hatte. Es fiel ihr noch schwer sich auf das Gesprochene zu konzentrieren. Doch sie verstand, was er ihr mitteilen wollte, als er ihr seine Hand anbot.
    "Danke!" Ihre zitternde Hand griff zögerlich nach der des Mannes und mit ihrer letzten Kraftreserve gelang es ihr, mit seiner Hilfe aufzustehen. Sie stand auf wackligen Beinen und musste befürchten, gleich wieder zusammenzubrechen. Um das zu verhindern stützte sie sich auf die Schulter des Fremden. So konnte es gehen. So konnte sie einige Schritte machen, ohne dabei wieder hinzufallen. Dabei stellten sich ihr einige -fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Wohin wollte er eigentlich mit ihr? Wer war ihr Retter und vor allen Dingen wo war sie?



    *= blaue Augen
    **= Wo bin ich?

    Der letzte Funke Leben. Die zaudernde Flamme, sie war fast erloschen. Bald kündete nur noch der abgebrannte Docht von der einst so stolzen Flamme. Niemand würde sich ihrer erinnern. Vergangen wie Rauch. Sie glitt tiefer hinab ins Dunkel. Die Kälte zog sie an einen Ort, der für die Lebenden verborgen lag.


    Vielschöne Frau, du Kleinod von Erinn,
    Komm in mein Wunderland, du Wonnereiche,
    Wo goldgelockt die Glücklichen wandeln!
    Aus sanfter Dämmerung dunkler Wimpern
    Strahlen die Augen der Edlen dir Heil.
    Freund sind dir alle Elfen des Hügels,
    Die weißwangigen, und lächeln dir heiter
    Herzlichen Willkommen und umhegen dich liebreich.
    Liebe ohne Stachel und Lust ohne Gifthauch
    Bietet das Land dir, da sie leidlos wohnen,
    Kummer nicht kennen und niemals sterben.
    Da blühen viel Blumen auf Wiesen und Auen,
    Da rauschen rieselnd die Bächlein zu Tal,
    Und weiße Birken stehn wehend am Strand.
    Lieblicher als Inisfal ist das Land, das ich meine,
    Lauer die Luft und süßer der Trank
    Aus goldenen Bechern der Geisterrunde.
    O folge mir, Frau, unirdische Schönheit
    Leiht deinem Leibe mein duftzarter Kuss.
    Über Fluss und Hügel fliege ich mit dir,
    Noch ehe des Hundes Geheul die Wächter ermuntert,
    Und im silbernen Licht der Sichel des Mondes
    Grüssen noch heut uns mit hellem Jubel
    Singend die Side am bläulichen Hügel
    Und krönen als Königin dich, du Schönste.


    Und sie ergab sich dem. Gleich den Lämmern. Nicht hätte sie mehr aufhalten können. Nichts... außer die Arme, die nach ihr griffen und sie an Land schleppten.
    Die junge Frau hatte längst ihr Bewusstsein verloren. Sie war mehr tot als lebendig. Ihre Lungen waren voller Wasser. Sie war bereit gewesen, den letzten Schritt zu gehen, nach Tír na nÓg.


    Nach einiger Zeit begann sie heftig zu husten. Das Wasser wollte aus ihren Lungen. Das Leben kehrte wieder zurück. Tír na nÓg verschwand in den Nebelschwaden, die über dem Fluss lagen. Hastig rang sie nach Atem.

    Langsam ließ sie sich in das kalte Flusswasser gleiten. Für die Kälte war sie unempfindlich geworden. Ihre Tunika und der wollene Umhang sogen sich voll und wurden dadurch schwerer. Diese Schwere war es, die sie hinab in die Tiefe ziehen wollte. Wie die Lämmer, die im Frühjahr zur Schlachtbank geführt wurden, folgte sie dem lockenden Ruf der Stimme, die sie zu hören glaubte und ergab sich ihr. Der Strom nahm sie mit sich. Sie verlor sich in seinen Wogen. Nur das sanfte Mondlicht schien auf sie herab.
    Als sich jedoch ihre Lungen mit Wasser füllten, regte sich doch auf einmal Widerstand. Der letzte Schritt war der schwierigste und es schien so, als verließe sie der Mut, diesen zu tun. Sie kämpfte dagegen an. Letztlich waren es die Gedanken an ihren Sohn, die sie dazu bewogen hatten. Verzweifelt ruderte sie mit ihren Armen im kalten Wasser des Flusses. Dies war nicht ihre Heimat. Fern war Erinn.
    Mit letzter Kraft schaffte sie es doch, den schweren wollenen Umhang abzustreifen. Doch die Kälte war es, die ihr die Kraft entzog. Ihre Glieder wurden so schwer. Ihr Widerstand ließ merklich nach, bis er vollkommen verstummte. So ließ sie sich schwebend, gleitend dahin treiben, wie im Traum.
    Sie kehrte zurück an den Strand ihrer Kindheit, an das wärmende Herdfeuer, an dem sie und ihre Geschwister an den langen Winterabenden immer versammelt waren, wenn ihre Mutter ihnen Geschichten erzählte. Legenden vom Riesen und Feen, von Königen und Druiden, Barden und wilden Ungeheuern. Der Schatz ihrer Geschichten war unendlich.
    So wie die Geschichte vom Lachs der Weisheit, der einst im Fluss Boinne lebte und die neun Nüsse des Wissens verschluckt hatte, die von einem Haselstrauch am Ufer herab ins Wasser gefallen waren. Dadurch wurde er zu dem weisesten der Tiere.
    Daraufhin trachteten viele danach, den Lachs zu fangen, denn derjenige, der vom Fleisch des Fisches kostete wurde selbst weise. Nach sieben Jahren gelang es dem Druiden Finegas den Lachs zu fangen. Seinem Schüler Fionn wies er an, den Fisch zu kochen. Als der dies tat und sich an dem heißen Fisch die Finger verbrannte, leckte Fionn an seiner Brandwunde. Mit einem Male erfüllte ihn der Strom der Weisheit.


    Die Strömung des Flusses treib sie weiter, immer weiter den Fluss hinab. Wie das Blatt eines Baumes. Das Meer war nicht mehr fern. Aber das sollte ihr vorenthalten bleiben...

    Bridhe ist heimgekehrt!


    Ich bitte nun, diese ID ins Exil zu schicken
    Nach mehr als zwei Jahren, in denen ich im IR mitspiele, ist nun die Zeit des Abschieds gekommen. Schon seit einigen Monaten trage ich mich mit dem Gedanken, mich aus dem IR zurückzuziehen. Trotz vieler Versuche, kann ich mein Motivationstief nicht überwinden.


    Ich kann behaupten, hier sehr schöne Momente erlebt zu haben. Aber es gab auch die traurigen und unschönen Seiten, die ich in den letzten zwei Jahren erlebt habe. Doch die Zeit, die ich in diesem Forum verbracht habe, möchte ich nicht missen!


    Ich möchte mich bei allen Spielern, mit denen ich zusammen gespielt habe, insbesondere bei Catubodus und bei all denen, die nicht mehr unter uns weilen, bedanken und ebenso bei der SL.


    Bewusst habe ich für Bridhe nicht das Elysio gewählt, denn man soll ja bekanntlich niemals nie sagen! ;)
    Im Augenblick jedoch sind die Chancen für eine baldige Rückkehr eher sehr gering.

    Im Wasser erkannte ich mein Spiegelbild. Der ruhelose Fluß, der unerbittlich zum Meer hin drängte, verzerrte es. Trotzallem erkannte ich selbst, aund vor allem, wie ich mich verändert hatte. Die Jahre, die an mir vorbeigezogen waren an mir, hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Zeit hatte mich geformt. Das Gesicht des jungen Mädchens von einst war längst dem einer Frau mittleren Alters gewichen. Das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen hatte Falten in diesem Gesicht hinterlassen.
    Meine Hand griff nach dem Bild im Wasser und als meine Fingerspitzen das Nass erreichten, verschwand es.
    Wie wäre mein Leben anders verlaufen, wäre nicht dieser schicksalhafte Tag vor all den Jahren dazwischen geraten? Diese Frage hatte ich mir schon oft gestellt, hatte jedoch nie eine Antwort darauf gefunden.
    Oft schon hatte ich geglaubt, der Schmerz in mir, das Heimweh und die Sehnsucht würden mich ganz verzehren. Doch in diesem Augenblick schien es unendlich, so unerträglich zu sein. Dabei wäre es so einfach gewesen, sich einfach hinein gleiten zu lassen ins Wasser. Die Strömung würde ihr Übriges tun. Einfach die Augen schließen und sich treiben lassen, wie die Blätter der Bäume, die im Herbst herab in den Bach fielen und auf ihrer langen Reise irgendwann das Meer erreichten.
    Es gab etwas, was mich noch zurück hielt. Ich glaubte zumindest, dass es so war. Mein Sohn! Ich konnte ihn doch nicht einfach zurücklassen! Was für eine Mutter war ich! Aber mein Sohn kannte das Gefühl des Heimwehs nicht. Sein Zuhause war hier. Wie hätte ich ihn entwurzeln können? Ihn zwingen können, in Der Fremde zu leben, wo man ihn vielleicht gar nicht willkommen hieß.
    Von hier ab trennten sich unsere Wege. Er musste seinen gehen und ich meinen. Auch wenn es am Anfang schmerzlich für ihn sein sollte, doch auch er hatte einen Vater, den es noch zu entdecken galt und er konnte auf die Hilfe von Freunden zurückgreifen, auf Catubodus, der in all den Jahren wie ein Vater für ihn gewesen war. Ich jedoch hatte all meine Kraft verloren. Ich konnte ihm nichts mehr geben.
    Vorsichtig berührten meine nackten Fußspitzen das Wasser. ES war kalt, doch ich war unempfindlich für die Kälte geworden. Ganz langsam ließ ich mich hinein gleiten in das Wasser. Die Strömung des Flusses war stark. Sie wollte mich mitnehmen auf ihre Reise zum Meer. Meine Kleider sogen sich voll mit Wasser, was es deutlich erschwerte, über Wasser zu bleiben. Die Wogen des Flusses trugen mich fort, der See entgegen. Bald würde ich wieder zu Hause sein. Ich war ein Tropfen geworden…

    Ja, das bin ich, antworte ich und versucht ihm das Gefühl zu geben, es so zu meinen, wie ich es sagte. Auch diesmal würde ich mich den Gegebenheiten anpassen und lernen, eine gute Gefährtin zu sein. In all den Jahren hatte ich meine Lektionen gut gelernt und sie mehr als verinnerlicht, meine wahren Wünsche hinten anzustellen und sie auf gar keinen Fall zu äußern. Damit war ich gut gefahren und so würde es auch in Zukunft weitergehen.
    Um zu bestätigen, was ich ihm antwortete, umarmte ich ihn. Ich fühlte so etwas, wie Liebe in mir. Sie war da. Doch es war anders, als früher. Catubodus war nicht Severus und dieser Liebe fehlte es noch ein wenig an Leidenschaft. Doch dies kam vielleicht noch, hoffte ich.
    Noch ein Kuss und ich begann meine Habseligkeiten auszupacken, um uns ein neues Heim zu schaffen.

    Meine Freude war unbeschreiblich und man sah es mir auch an. Dies war etwas, worauf man stolz sein konnte. Auch wenn ich es nicht allein geschafft hatte, eine eigene Wohnung und ein eigenes Geschäft zu erlangen. Manchmal musste man sich einfach nach Unterstützung umsehen. Das Schöne daran war, dass ich bei Catu nicht das Gefühl hatte, mich wieder in eine weitere Abhängigkeit zu begeben.


    Erst abladen!


    Jetzt konnte mich wirklich nichts mehr halten. Ich wollte endlich mein neues Heim von innen sehen und später dann gab es noch genügend Zeit, um sich die Backstube anzuschauen.
    So nahm ich mein Bündel mit Habseligkeiten in die eine Hand, in meiner Anderen hielt ich das kleine Händchen meines Sohnes und folgte Catubodus hinauf. Auch ich stellte meine Sachen vorerst im Flur ab und betrat erst den einen und dann den anderen Raum. Beide Zimmer waren für meine Verhältnisse sehr geräumig und gefielen mir auf Anhieb. Aber es fiel mir nicht schwer, mich für einen der Räume zu entscheiden.


    Die Räume sind beide schön! Aber ich würde sagen, der hier ist für Diarmuid. Hier hat er auch genug Platz zum spielen. Und dieser da… ist für uns?


    Ich sah Catu fragend an und ein Anflug von Lächeln verbarg sich in meinem Blick. Aus irgendeinem Grund zweifelte ich auf einmal, denn ich war mir auf einmal nicht mehr sicher, ob er diesen Schritt überhaupt machen wollte. Er hatte mir zwar seine Liebe gestanden, mir war aber auch bewusst, wie freiheitsliebend er war.

    Out of the rolling ocean the crowd


    Out of the rolling ocean the crowd came a drop gently to me,
    Whispering I love you, before long I die,
    I have travel'd a long way merely to look on you to touch you,
    For I could not die till I once look'd on you,
    For I fear'd I might afterward lose you.
    Now we have met, we have look'd, we are safe,
    Return in peace to the ocean my love,
    I too am part of that ocean my love, we are not so much separated,
    Behold the great rondure, the cohesion of all, how perfect!
    But as for me, for you, the irresistible sea is to separate us,
    As for an hour carrying us diverse, yet cannot carry us diverse forever;
    Be not impatient - a little space - know you I salute the air, the ocean
    and the land,
    Every day at sundown for your dear sake my love


    Walt Whitman 1819-1892


    Die Nacht war stürmisch gewesen. Die ersten Herbststürme kamen über das Land. Der Wind suchte sich pfeifend seinen Weg durch jeden Ritz und jede Fuge. Doch als der Morgen anbrach, war alles vorbei. Nur die windschiefen Bäume, die das Flussufer säumten, erinnerten noch daran, an die heftigen Windböen der letzten Nacht. Selbst das Meer lag still und glatt da. Sanft umspielte ein feiner Wind das dürre Gras, das aus den Dünen hervor lugte. Die Ebbe hatte den Wind wieder mit aufs Meer hinaus getragen, so hätte man meinen können.
    Im Schlick waren Fußspuren zu sehen. Eine Gestalt, in einem grobgewebten wollenen Umhang gehüllt, der sie vor den Kühle des Morgens schützen sollte, war bereits auf dem Weg hinaus, auf das Land, welches das Meer nur für kurze Zeit freigegeben hatte. Sie lief barfuß, um ihre Schuhe zu schonen. Seltsam anmutend waren ihre ersten Schritte in dem nassen Boden. Ihre Füße sanken leicht ein.
    Wie schon so oft versuchte sie ihr Glück und richtete ihre Augen auf dem schlammigen Boden. Ab und an begann sie darin zu scharren. Ihr geübtes Auge hatte ihr schon oft genug einen guten Fang beschert und ihrer Familie ein gutes Abendessen.
    In wenigen Stunden, wenn die Flut zurückkam, waren auch diese Spuren wieder endgültig vergangen. Vergangen, wie so vieles.


    Viel zu früh war ich aufgewacht. Es war noch mitten in der Nacht. Ich hatte wieder einmal geträumt. Mein Traum war so real gewesen. Ich glaubte, den Wind in meinen Haaren zu spüren und das Salz des Meeres auf meinen Lippen zu schmecken. Wieder einmal hatte mich die Sehnsucht ergriffen und ich konnte nichts dagegen tun, als mich ihr wehrlos zu ergeben.
    Ich stand auf, zog mir etwas über und ging hinunter auf die Straße. In ein oder zwei Stunden musste der Ofen entfacht werden, um die Brote darin zu backen. Noch waren kaum Menschen auf den Straßen. Nur das Poltern der Wagen, die in der Nacht in die Stadt hinein fuhren, war nicht zu überhören. Dieses ständige Knattern und Scheppern, ich ignorierte es schon fast ganz. So lange war ich schon hier in dieser unbarmherzigen Stadt, die mich langsam zu verschlingen drohte. Nur ein kleiner Rest von mir war an dem Ort, an dem ich einst entsprungen war. Nacht für Nacht wurde dieser kleine Rest weniger, bis er eines Tages ganz verschwunden war, wie meine Spuren am Strand des Meeres, damals vor so vielen Jahren.
    Nichts gab es hier, was so war, wie der Ort meiner Herkunft. Das Meer war weit fort. Mehrere Stunden musste man gehen, um den Strand zu erreichen. Aber auch dort war alles anders. Das Meer war ein anderes. Eines, welches nicht von Ebbe und Flut beherrscht wurde.
    Ich ging einige Schritte und dann ging ich noch weiter, immer weiter. Der Schein des Mondes wies mir den Weg. Die Zeit war ganz vergessen.
    Bis ich an jenen stinkenden Pfuhl kam, der durch diese Stadt floss und sie in der Mitte teilte. Mein treuer Begleiter spiegelte sich verzerrt darin. Nichts hatte er gemein, mit jenem lebensspendendem blauen Band, das weit hinten in den sanften Hügeln Chill Daras entsprang und sich dann seinen Weg, vorbei an den Hügeln von Tara und der Brú na Bóinne bahnte, um dann in die Weiten des Meeres zu münden. Könnte ich doch nur eines Tage wieder dorthin zurückkehren. Als kleiner Tropfen im riesigen Meer.
    Am Ufer des Tibers verharrte ich und ließ mich nieder. Dabei vergas ich alles um mich. Selbst das wiedergeborene Licht des neuen Tages, das stetig um mich herum zu erstarken begann, bemerkte ich nicht. Endlos lang starrte ich auf das dahinfließende Wasser. Könnte ich nur ein Tropfen sein.

    Es gefiel ihm sichtlich, dass ich auf seinen Vorschlag eingegangen war. Selbstverständlich durfte es jetzt keine von den billigen Garküchen sein, die es in Rom an jeder Ecke gab, zu der er uns einladen wollte. Ein wenig hatte ich ihn ja schon kennengelernt und wusste, er bevorzugte immer nur das Beste vom Besten, wenn es ums Essen und Trinken ging. Für mich hätte auch ein kleiner Imbiss in einer Garküche ausgereicht, aber um mich ging es ja heute nicht. Wahrscheinlich wäre es dem Kleinen auch einerlei gewesen, da ich ihn ja noch größtenteils stillte und er nur einige wenige Bissen Gemüse und etwas Fleisch aß. Aber dennoch konnte ich sehen, wie es sich ein Römer gut gehen lassen konnte, wenn er die nötigen Mittel dazu besaß, obwohl ich das schon zur Genüge getan hatte. Und ich wusste auch, dass ich meinem Sohn ein solches Leben nie bieten konnte. Daran wollte ich aber jetzt nicht denken. Es gab noch ausreichend Zeit, um über die Zukunft nachzudenken und was sie brachte. Heute galt es, diesen Tag zu feiern, denn er ermöglichte es meinem Sohn ein besseres Leben zu führen, als mir es mir jemals möglich sein würde.
    Ich entgegnete ihm mit einem dankbaren Lächeln und stieg in die Sänfte ein. Dies war einer der Tage, die ich immer in Erinnerung behalten würde. Der Tag, an dem mein Sohn ein Römer wurde.



    ~finis~

    Wenn man einen Ort verließ, an dem man für eine bestimmte Zeit gelebt hatte, wurde einem wieder bewusst, was sich im Laufe der Zeit alles angesammelt hatte. Darunter waren Dinge, die man nie wieder mehr brauchen würde und die man deshalb sofort wegwarf. Andere Dinge wiederum verpacke man sorgsam, denn sie würden auch weiterhin gute Dienste tun, an dem neuen Ort, zu dem es einem zog. Und dann gab es da noch die Erinnerungsstücke, die eigentlich in den meisten Fällen nutzlos waren, die man aber dennoch nicht hergab, denn sie waren Relikte aus früheren Zeiten, damit man sich daran zurück erinnern konnte…


    Außer einigen Kleidern, die zum größten Teil noch aus meiner Zeit bei den Flaviern stammten, besaß ich nicht viel, was ich in die neue Wohnung mitnehmen konnte. Meine Kleiderkiste, die in meiner Kammer in der Taberna stand, war schnell geleert. Ganz unten auf dem Boden fand ich etwas, was ich schon lange nicht mehr in Händen gehalten hatte. Es war ein kleines hölzernes Kästchen, auf dem in großen Lettern BRIDHE stand. Natürlich wusste ich, was sich darin befand. Es war mein erstes Schreibetui, das mir Aquilius vor langer Zeit geschenkt hatte und mir damit die Möglichkeit eröffnete, Lesen und Schreiben zu lernen. Ich konnte mich noch ganz genau an den Abend erinnern an dem er es mir gab, so als wäre es erst gestern gewesen. Sorgsam legte ich es zu meinen Kleidern. Eines Tages wollte ich es meinem Sohn geben, wenn er so weit war, um Lesen und Schreiben zu lernen.


    Mit Diarmuids Sachen verhielt es sich etwas anders. Er hatte Unmengen an Sachen. Zum Teil waren das selbstgebaute Spielzeuge, die er von Catu bekommen hatte aber auch viele Dinge, die er gefunden hatte. Seine Sammelleidenschaft war riesengroß. Das machte alles etwas komplizierter, denn ich wollte nicht einfach über ihn hinweg bestimmen und alles wegwerfen, was ich nicht als wichtig erachtete.


    Nach einigen Tagen war es dann so weit. Ich verließ die Taberna und zog mit meinem Sohn und Catubodus in die neue Wohnung ein. Unser Hab und Gut passte auf eine Schubkarre, die wir vor uns her schoben, bis wir die Insula erreichten. Es war genau so, wie Catu es beschrieben hatte. Unten war die Bäckerei und darüber waren mehrere Stockwerke. In einem dieser Stockwerke waren unsere Zimmer. Ich konnte es kaum erwarten, sie endlich zu betreten. Staunend blieb ich vor dem großen Haus stehen und sah hinauf.


    Das ist es also!