Beiträge von Flaviana Brigantica

    Bridhe ergriff die Hand ihres Sohnes und zog ihn mit sich, um dem jungen Sklaven zu folgen. Die Gänge der Villa waren ihr immer noch vertraut, selbst nach so langer Zeit. Ein Anflug von Wehmut ergriff sie kurzfristig. Doch schon hatte der Sklavenjunge die Tür zu Gracchus Officium erreicht. Bridhe sammelte ihre Gedanken. Diese Begegnung war für ihre Zukunft und die ihres Sohnes enorm wichtig. Dem Jungen hatte sie in seine beste Tunika die er besaß gekleidet. Sie selbst war in eine bläuliche Tunika gehüllt, die ihre besten Tage vor einigen Jahren gesehen hatte, damals als sie noch Sklavin war. Es zeugte von der guten Qualität des Stoffes, der nach all den Jahren, zwar leicht ausgewaschen wirkte, doch noch immer passabel war.


    Als sie das Officium betrat und Flavius Gracchus erblickte, drohte ihr Mut zu sinken. Die alte Unsicherheit, die sie immer ergriffen hatte, wenn sie sich in Gegenwart eines der Herrn befand. Ob man sich ihrer überhaupt noch erinnerte. Die letzte Begegnung vor Jahren anläßlich der Saturnalien war wahrscheinlich längst aus der Erinnerung des Flaviers verschwunden.


    Fast zeitgleich erschien auch Flavius Piso. Nur dunkel erinnerte sich Bridhe seiner. Sie hatte mit ihm nie ein Wort gewechselt und konnte ihn deshalb gar nicht einschätzen.
    "Salvete!", grüßte sie sowohl Gracchus wie auch Piso und neigte dabei leicht den Kopf. Ihren Sohn schob sie vor sich, wie einen Schutzschild. Diarmuids Augen waren wachsam und darauf bedacht, jedes noch so unwichtige Detail einzufangen. Neugierig beäugte er den Römer vor sich und wandte sich schließlich der Stimme des eintretenden Piso zu.


    "Ich bin die Freigelassene des Flavius Aquilius, Flaviana Brigantica und dies ist mein Sohn, den ich nach seinem Vater genannt habe, Caius Flavianus Aquilius." Dabei strich sie dem Jungen leicht übers Haar. "Mein Sohn wurde frei geboren, Herr.", entgegnete sie, zu Piso gewandt.

    Mit Sicherheit hätte es bessere Gelegenheiten gegeben, dem Jungen von seinem Vater zu berichten. Die waren leider verstrichen. Ungenutzt, wie so vieles. Bevor Bridhe ihrem Sohn noch mehr von seinem Vater erzählen konnte, kehrte der Sklavenjunge wieder zu Acanthus zurück.


    Zu ihrer Überraschung waren beide der Herren dazu bereit, sie zu empfangen. Nun die Qual der Wahl zu haben und sich für einen der beiden zu entscheiden, lag ihr nicht. Wenn beide bereit waren, Zeit für sie zu erübrigen, dann war es angebracht, sich mit beiden zu unterhalten, zumal sie Piso nicht wirklich kannte.
    "Wäre es denn möglich, mit beiden zu sprechen?", fragte sie schließlich.

    Der Junge trottete brav neben seiner Mutter her, die mit dem Urbaner ein Stück ging. Aufmerksam hörte er zu, auch wenn er aus dem Gesprochenen keinen logischen Schluss daraus ziehen konnte. So vieles wusste er nicht über seine Mutter. Im Grunde war sie in mancherlei Hinsicht wie eine Fremde für ihn. Nicht immer hatte er den Mut gehabt, sie danach zu fragen. Vielleicht weil er sie schützen wollte oder damit sie deswegen nicht traurig wurde.


    "Ja, du hast mir sehr geholfen! Ich meine, es stimmt, was du gesagt hast. Das weiß ich jetzt." Bridhe lächelte dem Urbaner aufrichtig zu. Sie meinte jedes Wort so, wie sie es sagte. "Dass ich mich einfach so aus davon gemacht habe, tut mir Leid." Vielleicht konnte er sie jetzt beim Anblick ihres Sohnes verstehen, warum sie so gehandelt hatte. Hätte ihr Sohn davon erfahren, sie hätte ihm nicht mehr in die Augen blicken können, ohne sich für alles schämen zu müssen . Es war besser, wenn Diarmuid von manchen Dingen nichts wusste.


    Sie strich ihrem Sohn sanft durchs Haar, als Serapio ihn lobte. "Ja, das ist er. Er ist mein ganzer Stolz."
    Die Umgebung, in die ihr kleiner Spaziergang sie führte, nahm sie nur nebenbei wahr. Gewiss war sie niemals zuvor in dieser Gegend.

    Es war wohl kein Geheimnis gewesen, wer der Vater ihres Sohnes war. Damals, als sie schwanger war und auch später nicht, als sie ihn gebahr. Seitdem waren acht Jahre vergangen. Zeit genug, um in Vergessenheit zu geraten. Sie nahm es dem Türsklaven nicht übel. Er war für sie schon immer eine bemitleidenswerte Kreatur gewesen und darum wusste sie auch, er konnte nicht anders.
    Doch die Unterstellung, betteln zu wollen, ging zu weit!
    "Ich bin nicht hergekommen, um zu betteln!", entgegnete sie deshalb sehr energisch. Mit einem hatte Acanthus jedoch recht. Furianus wollte sie nicht unbedingt bei ihrem ersten Besuch nach so vielen Jahren wieder begegnen. Bei ihm saß ihre Angst immer noch tief in ihren Knochen. Zwar war sie sich bewusst, dass eine Begegnung eines Tages wohl unvermeidlich wurde, falls man ihrer Bitte, oder besser gesagt, ihrem Angebot nachkam.
    "Es geht um etwas geschäftliches... und um meinen Sohn!" Das wollte sie gleich klar stellen. Wer dafür der richtige Ansprechpartner war? Piso oder Gracchus? Womöglich beide. Gracchus mit Sicherheit für das Letztere, da er doch selbst einen Sohn hatte, der sogar im gleichen Alter war, wie Bridhes Sohn.
    "Wenn du also nachhören könntest, ob Piso oder Gracchus abkömmlich wären, dann wäre ich dir sehr dankbar!" Es widerstrebte ihr zwar, in diesem Ton zu sprechen, aber Acanthus kannte nur diesen einen.

    Bridhes Mut wollte schon sinken. Was hatte sie sich auch nur dabei gedacht. Doch bevor sie mit ihren Jungen schon wieder unerledigter Dinge gehen wollte, hatte die Wache am Torv noch ein Einsehen. Statt sich umzudrehen und zu gehen lächelte sie nun dankbar der Wache zu und sah dann dem jungen Rekruten nach.
    Sie musste nicht lange warten, bis die Umrisse des Centurios sich dem Tor näherten. Sie erkannte ihn wieder, auch wenn er nun in der Uniform ganz anders wirkte.
    Offenbar hatte er mit allem gerechnet, nur nicht mit ihrem Besuch. In seinem Gesicht stand buchstäblich die Überraschung. Er war wohl auch so weit gegangen und hatte geglaubt, sie sei zurück ins Wasser gegangen.
    Etwas verstohlen sah sie zu Boden, als er seine Überraschung dann auch zum Ausdruck brachte. Doch seine Freude überwog, denn er schüttelte ihr dann noch die Hand, womit sie nicht gerechnet hatte.
    "Ja, das ist mein Sohn!" Sanft strich sie über Diarmuids Haar. Der Junge sah zu ihr hoch und dann zu dem Centurio. Er verstand rein gar nichts, von dem was gerade um ihn geschah. Nur ihre aufforderende Gestik, die freundliche Begrüßung zu erwidern, war unmissverständlich."Salve!", wiederholte er brav.
    "Ich wollte mich noch einmal bei dir bedanken und dir das hier zurückbringen." Mit ihrem Kinn deutete sie auf das Päckchen, das sie dabei hatte. "Du hast deinen Umhang sicher schon vermisst. Ich habe ihn für dich gewaschen."


    Serapios Vorschlag, einige Schritte zu gehen, kamen auch Bridhe sehr entgegen, denn auch sie fühlte sich in Anwesenheit der Torwache etwas unwohl. "Gerne!", erwiderte sie deshalb lächelnd.

    Sie war hier noch gewesen und wirkte deswegen auch etwas unsicher. Besonders als die Torwache sie ansprach.
    "Äh, salve! Nein, ich will weder zum Stadtprefekten noch habe ich ein Anliegen. Also.. äh eigentlich...Ich möchte das hier seinem Besitzer zurückbringen." Sie deutete auf den Umhang, den sie zum Schutz vor Schmutz und Unrat in ein Leinentuch eingewickelt hatte.
    "Das gehört einem Centurio der Urbaner. Er heißt Decimus Serapio, oder so ähnlich. Könnte ich es ihm persönlich überbringen? Bitte!"

    "Ja, Caius. Wie sein Vater." entgegnete sie Acanthus. Warum der Ianitor ihren Jungen mit einem so kalten Blick bedachte, verstand sie in diesem Augenblick nicht. Aber der flavische Türsklave war schon immer ein komischer Kautz gewesen.
    Diarmuid verharrte immer noch still neben seiner Mutter und hörte zu, was sie dem Ianitor über seinen Vater erzählte. In seiner Gewgenwart hatte sie das bis zum heutigen Tage unterlassen. Er hatte sie aber auch nie danach gefragt. Denn so lang er denken konnte, war der Junge bei seiner Mutter gewesen. Und Catu war nicht sein richtiger Vater.
    Als Acanthus jedoch weiter sprach, konnte man die Enttäuschung der jungen Frau deutlich in ihren Augen sehen. Dass Aquilius nicht in Rom weilte, damit hatte sie bereits gerechnet. Doch Aristides! Er war ihre einzige Hoffnung.
    Zu den anderen Flaviern, die er ihr nannte, hatte sie kaum oder gar keine Beziehung. Bis auf Furianus. Mit Schrecken dachte sie immer noch nach all den Jahren, die vergangen waren, an jenen Abend zurück, als sie, damals noch Sklavin. ihm im balneum zu Diensten sein musste.
    An Gracchus konnte sie sich noch gut erinnern. Nur einmal hatte sie direkt mit ihm zu tun gehabt. Damals, an ihrem letzten Saturnalienfest in der Villa war sie ihm beim Bereiten der Speisen zur Hand gegangen und hatte ihn auch noch verarztet, nachdem er sich in den Finger geschnitten hatte und daraufhin in Ohnmacht gefallen war.
    Und Piso? Den kannte sie nur flüchtig. Eigentlich gar nicht.
    "Welcher der Herrn könnte denn etwas Zeit für mein Anliegen erübrigen?" fragte sie schließlich.

    Bridhe hatte damit gerechnet, die Tür würde von einem weitaus unfreundlicheren Acanthus geöffnet werden. Dass dieser sogar anfänglich lächelte, war recht ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher jedoch war es, von ihm nicht angepöbelt und weggeschickt zu werden, wie er es oftmals in der Vergangenheit schon getan hatte. Nach all den Jahren, die seit ihrer Freilassung nun schon vergangen waren, hatte er sie aber noch erkannt und sogar den richtigen Namen zuordnen können. Weshalb er nun ausgerechnet ihrem Sohn einen so furchteinflößenden Blick zuwarf, entzog sich ihrem Verständnis.
    "Salve, Acanthus. Du kennst mich also noch, das ist schön. Das hier ist übrigens mein Sohn, der kleine Caius." Diarmuid , der sich bisher eher unauffällig verhielt, blickte erschrocken zu seiner Mutter auf. Caius nannte sie ihn immer nur, wenn er etwas ausgefressen hatte. Wie hatte sie nur von seinen 'Ausflug' erfahren können? Außerdem lag es nun schon fast zwei Jahre zurück. Trotzdem hoffte er, der Ianitor würde kein Wort mehr darüber verlieren.
    "Ich wollte fragen, ob zufälligerweise dominus Aquilius wieder in der Stadt ist, oder falls nicht, ich mit dominus Aristides sprechen könnte." Bridhe wusste nichts von den Veränderungen, die sich in den letzten Jahren zugetragen hatten. Statt des leiblichen Vaters ihres Sohnes, hatte sich einst Flavius Aristides als sehr hilfsbereit erwiesen. Vielleicht bestand nun der Hauch einer Möglichkeit, dass er sich nun wieder bereit erklärte, ihr zu helfen.

    Zitat

    Original von Catubodus
    Diesmal beabsichtige ich jedoch mit den gespielten Charakteren wieder zu kommen.


    Bridhe wird auf dich warten, wenn du das willst. ;)



    Bis dahin alles Gute für dich! :)[/quote]

    [quote]Original von Catubodus
    Diesmal beabsichtige ich jedoch mit den gespielten Charakteren wieder zu kommen.[quote]


    Bridhe wird auf dich warten, wenn du das willst. ;)



    Bis dahin alles Gute für dich! :)

    Schließlich erreichten Mutter und Sohn die Pforten der Villa Flavia.
    Lange Jahre waren vergangen, seit sie zum letzten Mal hier vor dieser Tür gestanden hatte. Bei ihrem Sohn verhielt sich dies ganz anders. Er war schon einmal hier gewesen und es war ihm sogar gelungen, bis ins Innere der Villa vorzudringen. Doch von alldem wußte seine Mutter nichts.


    Sie klopfte.

    Diarmuids Stimme. Sie war ganz klar und deutlich. Diesmal war es keine Sinnestäuschung. Bridhe sah auf. Vor ihr zeichneten sich die Konturen ihres Sohnes ab. Das war ihr Sohn!
    "Duirmuid, mein lieber Junge!" Ihre Stimme klang müde. Sie war es auch. Langsam richtete sie sich auf, strich ihrem Sohn über das lockige Haar und schlürfte mit schweren Schritten zur Herdstelle, um ein wenig von dem Eintopf, der sich im Kessel befand, in eine Schale zu geben.
    "Hier, du bist sicher hungrig." Sie stellte ihm die Schale an seinen Platz und versuchte ihm zuzulächeln. Der Junge setzte sich an den Tisch.
    "Wo warst du Mama?" , fragte er, bevor er zu essen begann.
    Bridhes Lächeln wirkte plötzlich wie eingefroren. Sie konnte ihrem Sohn unmöglich die Wahrheit sagen. "Ich hatte zu tun. Bitte frag nicht!"
    Wie hätte sie glauben können, Diarmuid würde sich mit solchen Antworten zufrieden geben. Natürlich wollte er mehr wissen. So vieles wollte er sie fragen. Doch sie schüttelte nur den Kopf. "Nein Diarmuid! Ein anderes Mal. Nicht heute!"


    ~~~***~~~



    Einige Tage später



    Bridhe hatte sich erholt. Sie hatte diesen einen Tag mit keinem weiteren Wort erwähnt.
    Leider war Catu nicht wieder zurückgekehrt und hatte auch keine Nachricht über seinen Verbleib hinterlassen. Die junge Frau hatte lange gegrübelt, was sie tun sollte.Letztendlich hatte sie einen Entschluss getroffen. Auch Serapios Standpauke hatte sie nicht unbeeindruckt gelassen. Sie war es sogar, die ihren Entschluss beeinflusst hatte.
    Sie war immer noch im Besitz des schönen roten Umhangs des Centurios. Zwischenzeitlich hatte sie ihn gewaschen und geglättet. Nun lag er ordentlich zusammengefaltet auf dem Tisch.
    "Diarmuid, wir haben einiges zu erledigen. Du kommst doch bestimmt mit mir mit?"
    Der Junge folgte seiner Mutter. Keinewegs wollte er sie alleine gehen lassen. Die Angst, er könne sie wieder verlieren, saß einfach noch zu tief.
    So verließen Mutter und Sohn die Mietskaserne.

    Die junge Frau eilte sofort die Treppen hinauf, nachdem sie alle Bedenken beiseite geräumt hatte. Hinauf zu ihrem Sohn und zu Catubodus. Besonders ihren Jungen wollte sie wieder in die Arme schließen und ihn trösten, daß er auch nur einen Tag hatte ohne sie auskommen müssen. Ihre Freude darauf war unendlich groß gewesen. Erst auf dem Nachhauseweg war ihr richtig bewusst geworden, wie sehr sie ihn vermisste. Und Catubodus, ihn vermisste sie auch. Vielleicht würde sie ihm sogar anvertrauen, was sie getan hatte. Und dann würde sie ihm von ihren Sehnsüchten berichten, die sie schon so lange quälten.
    "Diarmuid! Catu! Seid ihr da?", rief sie, nachdem sie die Tür zu ihrer Wohnung aufgestoßen hatte. In der Wohnung allerdings war alles ruhig. Niemand war da. Nur ein wenig schmutziges Geschirr stand in der Küche herum und wartete darauf, gereinigt zu werden. Bridhe sah in den Zimmern nach, um sicher zu gehen, dass wirklich niemand da war.
    Ein wenig enttäuscht, kehrte sie in die Küche zurück und setzt sich vorerst auf einen Stuhl und wartete. Bestimmt waren sie los gezogen, um sie zu suchen. Bestimmt! Da half nur noch warten.
    Einfach nur so dazusitzen und zu warten, war doch sehr schwer. Um sich die Zeit etwas zu verkürzen, kümmerte sie sich um das Geschirr und bereitete dann etwas zu essen vor. Sie würden schon kommen. Bald. Ganz sicher!

    Die Ellenbogen auf ihren Oberschenkel ruhend und das Gesicht in ihren Händen vergraben, so saß Bridhe da und dachte über all das nach, was in den vergangenen Stunden alles geschehen war. Die trügerische Hoffnung auf Heimkehr, ihre Rettung aus den Fluten, die ihrer Ansicht nur eine Verlängerung ihres Leids darstellte und wieder einmal die Flucht. Ihrem Retter war sie durch Zufall entkommen, trotzdem empfand sie keine Erleichterung dabei. Nichts von dem, was sie beinahe zur Selbstmörderin hatte werden lassen, war dadurch gelöst worden. Der Urbaner würde jetzt noch eine viel schlechtere Meinung von ihr haben, denn nun war sie zu allem Überdruss auch noch zur Diebin geworden, denn sein Umhang wärmte sie noch.
    Egoistisch, grausam, eine schlechte Mutter und jetzt auch noch eine Diebin! So hatte sie der Urbaner gesehen. Aber so war Bridhe nicht!


    Die Frage, die sie sich schon so oft im Leben gestellt hatte, stellte sie sich auch jetzt wieder: wie sollte es jetzt nur weitergehen? Ein weiteres Mal würde sie es nicht versuchen, sich im Tiber zu ertränken. Jedenfalls nicht heute. Ihre Familie wusste dank ihrer Flucht auch noch nichts von dem Vorfall. Sie konnte also mit gutem Gewissen wieder nach Hause. Serapios eindringliche Worte waren nicht spurlos an ihr vorüber gezogen. Sie arbeiteten noch in ihrem Kopf und beschäftigten sie. Natürlich brauchte ihr Junge eine Mutter. Sie selbst hatte es ja erlebt, die halbe Kindheit ohne Mutter aufzuwachsen. Wenn sie sich nun anstrengte und sich nur auf das Gute konzentrierte, dann sah sie vielleicht wieder ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Dann war dieser Tag und diese Begegnung nicht umsonst gewesen.


    Bridhe ließ sich viel Zeit, ihre nächsten Schritte gut zu überdenken. Dann, es war schon Nachmittag, traf sie eine Entscheidung: sie ging wieder nach Haus.


    Ein wenig Orientierung war nötig gewesen, um auf Anhieb den Nachhauseweg wieder zu finden. Doch dann fand sie die schließlich Straße, in der die Bäckerei und auch die Mietskaserne war, in der sie wohnte. Bevor sie ihren Fuß über die Schwelle setzte, dachte sie noch einmal kurz nach, ob sie sich auch ganz sicher war. Doch, das war ihr weg!

    Bridhe hatte absichtlich auf den Mantel verzichtet. Sie war der Ansicht, ihn nicht mehr zu brauchen. Sie brauchte eigentlich gar nichts mehr. Wenn der Urbaner sie nun zurück zu Catubodus und ihrem Sohn brachte, und die beiden hörten, was sie vor gehabt hatte, dann fürchtete sie, würden sich beide von ihr abwenden. War es da nicht besser, zu sterben, egal wie? Serapio aber würde sich aber bestimmt auf keinen Handel mit ihr einlassen. Nicht nachdem, was er alles über sie erfahren hatte und wie er nun über sie dachte. Seine anfängliche Freundlichkeit und sein Verständnis waren auf ein Minimum gesunken. Das gab er ihr mit jeder seiner Gesten und jedem Wort zu verstehen. Seine Geduld mit ihr war am Ende. Schließlich nahm sie doch den Umhang und hüllte sich damit ein. "Danke," flüsterte sie leise und schuldbewusst.


    Es war kein besonders schöner Morgen gewesen. Ein typischer römischer Wintertag eben, der allerdings wenig Hoffnung auf Besserung zuließ. Wie üblich war schon viel Leben auf den Straßen. Anfangs schob der Urbaner die junge Frau noch vor sich her, bis sie dann einsehen musste, dass es kein Entrinnen gab. Sie war selbst schuld gewesen, dass auch nun der Rest ihres kümmerlichen Daseins zerstört wurde. So ging sie schweigend und mit gesengtem Blick aus eigenem Antrieb weiter, ohne dass er sie antreiben musste.
    Seine scharfen Worte ließ sie kurz aufblicken. Sie wollte schon antworten, doch dann geschah es! Wie aus dem Nichts war plötzlich die Sänfte da gewesen und nahm sich einfach den Platz in der überfüllten Straße, den sie benötigte, um weiter zukommen. Sowohl Bridhe als auch Serapio bekamen die Auswirkungen davon zu spüren. Während die junge Frau nur angerempelt wurde, strauchelte der Urbaner und wäre beinahe gefallen, hätte er sich nicht noch rechtzeitig an einem der Passanten festfalten können. Bridhe sah in diesem Augenblick ihre einzige Chance. Und sie ergriff sie, so wie damals auf dem Sklavenmarkt, als sie zum Sprung angesetzt hatte um vom Podest hinunter in die Menge zu springen. Diesmal aber würde sie niemand zurück halten, denn der Urbaner war bereits ein ganzes Stück zurückgefallen und die Masse an Menschen machte es ihm besonders schwierig ihr jetzt noch zu folgen.
    Bridhe lief immer weiter und weiter, ohne sich umzuschauen. Erst als sie sich in Sicherheit wähnte, riskierte sie einen Blick zurück. Von dem Urbaner war nichts mehr zu sehen. Schließlich verschwand sie in einer weniger belebten Seitenstraße und setzte sich dort auf die Treppenstufe eines Hauseinganges. Da blieb sie vorerst sitzen.

    Die junge Frau fühlte sich so schlecht, was nicht nur auf Serapios energische Rede zurückzuführen war. Sie wünschte sich nichts sehnlicheres, als aus ihrer Haut herauszuschlüpfen, wie aus einem Kleid, das man nicht mehr mochte. Ihre Lage war so vertrackt. Wo war sie nur in all den Jahren hineinmanövriert? Warum hatte sie ihr Glück nicht finden können, so wie all die anderen, denen es gelungen war, die Fesseln der Sklaverei abzuschütteln? Es war nicht nur die Sehnsucht nach ihrer Insel, nach ihrer Heimat und ihrer Familie. Es waren alle ihre Verluste, die sie hatte hinnehmen müssen.
    "Ja, du hast recht.... Egoistisch und grausam...." sagte sie leise. Sie vermied es dabei, ihm in die Augen zu schauen. Ihre Scham war einfach zu groß. Serapios letzte Worte kreisten immer wieder in ihrem Kopf herum und machten es ihr unmöglich, etwas anderes denken. Aus diesem Leerlauf fand sie erst wieder heraus, als ihre Tunika vor ihr auf dem Bett landete. Es bestand keine Veranlassung mehr, ihr noch länger Schutz und Wärme zu bieten. Das sah sie ein und sie nahm es dem Urbaner auch nicht übel.
    Sie nahm ihre Tunika und zog sie wieder über. Der klamme Stoff fühlte sich kalt und unangenehm auf der Haut an. Als sie damit fertig war nickte sie nur. Auch diesmal vermied sie jeglichen Blickkontakt. Einzig allein beobachtete sie seine Hände, was sie mit der Decke machten. Noch einmal sah sich um zu dem Bett, in dem sie eben noch gelegen hatte. Bevor sie ging, strich sie das Laken wieder gerade und hinterließ das Bett so, wie sie es vorgefunden hatte. Sie wollte sich nicht nachsagen lassen, zu allem Übel auch noch unordentlich zu sein.

    Sichtlich erschrocken fuhr Bridhe zusammen. Voller Entsetzen sah sie den Urbaner an, der die Geduld verloren hatte und sie nun mit wüsten Beschimpfungen angriff, die sie zwar nicht alle verstand, aber sich trotzdem denken konnte, was sie zu bedeuten hatten. Als er dann noch aufsprang, wurde es ihr Bang, er könne ihr etwas antun, sie sogar schlagen. Vorsichtshalber wich sich ein Stück zurück. Er wurde aber nicht handgreiflich. Er beschimpfte sie nur weiter. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt, wie es schon öfters einmal passiert war.
    Sie rang nach Worten, um sich zu rechtfertigen. Nichts wollte ihr einfallen, was er hätte zulassen können. Zu allem Übel kam nun auch noch hinzu, dass sie selbst glaubte, sie sei eine schlechte Mutter gewesen. Auch wenn ihr Kind schon in einem Alter war, in dem es nicht mehr bedingungslos den Schutz seiner Mutter brauchte, hatte sie versagt. In all den Jahren hatte sie niemals daran gezweifelt, richtig gelegen zu haben, als sie sich damals für ihren Sohn entschieden hatte. Sie hatte ihn mehr als alles andere geliebt. Doch jetzt sah sie in sich selbst eine Belastung für den Jungen.
    Die junge Frau zog ihre Beine an ihren Körper heran, als wolle sie sich so noch besser schützen. Serapios Stimme klang allmählich entschärfter, doch immer noch fordernd. Natürlich wollte sie ihren Sohn aufwachsen sehen und dabei sein, wenn er zum Mann wurde. Doch in ihrem Herzen war sie aber auch zutiefst unglücklich gewesen. Schon die ganzen Jahre über. An den hellen Tagen konnte sie über diesen Schmerz hinwegsehen. Dann nahm sie ihn kaum wahr. An den dunklen Tagen jedoch, kam es regelrecht über sie und sie musste sich zusammenreißen.
    Als er sie schließlich aufforderte, sich zu entscheiden, was sie wollte, wirkte sie erst sprachlos. Ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Jegliche Argumente waren wertlos geworden , die zu ihrer Verteidung hätte beitragen können. Aber sie konnte nicht schweigen, auch wenn sie das am liebsten gemacht hätte. Sollte er doch schlecht von ihr denken und sie schlimmstenfalls wieder in den Tiber zurück werfen, was er aber mit Sicherheit nicht mehr tun würde.
    Nach einem endlos wirkenden Schweigen, brach sie die Stille.
    "Ich... liebe meinen Sohn über alles. Das... das habe ich immer getan und das tue ich auch jetzt noch. Auch wenn es vielleicht nicht den Anschein hat. Ich wäre niemals hier, wenn ich nicht wüsste, wie gut er aufgehoben ist. Du denkst, ich bin egoistisch. Wenn ich tatsächlich meine Sehnsucht stillen wollte, dann wäre ich schon vor acht Jahren auf eines der Schiffe nach Britannien gegangen und hätte mich einen Dreck darum geschert, was ich versprochen habe. Zeit meines Lebens war ich nur für andere da, niemals für mich selbst. Ich habe nie danach gefragt, was ich will. Und auch jetzt... will ich niemandem zur Last fallen."
    Sie schwieg und kehrte wieder in sich.

    Auch wenn sie ihn nicht ansah, spürte sie doch den entsetzten Blick auf sich ruhen, den sie mit ihrem Geständnis bei ihm ausgelöst hatte. Zwar zerrte er sie nun nicht aus dem warmen Bett hinaus um sie wieder auf sie Straße zu schicken und beschimpfte sie, doch wusste sie genau, was er nun von ihr dachte. Eine Mutter die ihr Kind verließ- eine Rabenmutter! Sie rang nach Worten, um sich zu erklären, warum sie so gehandelt hatte, dass es keinen anderen Ausweg mehr gegeben hatte und dass sie nun...
    Sie konnte doch so ihrer Familie nicht mehr unter die Augen treten! Die nackte Angst ergriff sie, als sie nur daran dachte, ihrem Jungen erklären zu müssen, warum sie lieber tot sein wollte, als ihn weiter auf seinem Weg begleiten zu wollen. Und Catubodus? Was würde er sagen? Vielleicht konnte er sie ansatzweise verstehen. Vielleicht würde er sie aber auch verurteilen und dann verlassen.
    "Ich.. ich kann nicht mehr zurück!" rief sie aufgelöst und begann wieder zu zittern. "Bitte, versteh doch!"
    Bridhe hatte in diesem Augenblick nur einen Wunsch. Sie wünschte sich, die Zeit umkehren zu können. Dann hätte sie vieles anders gemacht. Dann wäre es soweit nie gekommen. Wenn das der Preis der Freiheit war, dann hätte sie damals darauf verzichten sollen.
    "Es ist alles meine Schuld! Ich bringe allen, die es gut mit mir meinen nur Unglück.", schluchzte sie. Im Gegenzug allerdings, war dies ihr Leben gewesen. Wenn sie alles hätte umkehren können, hätte sie nie die Liebe kennengelernt und was es hieß, Mutter zu werden und zu sein. Die wenigen glücklichen Augenblicke in ihrem Leben wären damit auch ausgelöscht worden.
    Die junge Frau beruhigte sich langsam wieder. Es hatte keinen Sinn, dem Urbaner etwas vorzujammern. Sie glaubte, er habe sich längst seine Meinung über sie gebildet. Später, wenn er sie nach Hause brachte, würde sie versuchen, ihm zu entwischen. Das war ihre einzige Chance. Vorerst musste sie ihm aber glauben machen, sie hätte sich mit ihrem Schicksal abgefunden.