Beiträge von Flaviana Brigantica

    Jetzt endlich war es ausgesprochen. Es gab auch kein Zurück mehr. Es zeigte sich damit, ob ich mich zu weit aus dem‚ Fenster gelehnt hatte, oder nicht. Mir hätte es sehr leid getan, wenn ich Catu auf diese Weise verlieren würde. Ich schätzte ihn sehr. Nicht nur, weil mein Sohn ihn so mochte. Im Laufe der Zeit hatte ich zarte Gefühle für ihn entwickelt, die noch am wachsen waren. Noch gestand ich mir nicht ein, Hals über Kopf in ihn verliebt zu sein. Dafür brauchte ich einfach noch mehr Zeit. Denn die letzten Jahre hatten mir gezeigt, was geschehen konnte, wenn man zu achtlos sein Herz her gab.
    Mir war bewusst, ich verlangte viel von Catubodus, denn gerade den härtesten Männern fiel es besonders schwer, sich über Gefühle zu äussern. Aber er tat es mit einer bewundernswerten Offenheit, die mich zu Tränen rührte.


    Es tut mir leid, wenn ich dich damit so überfallen habe. Aber ich brauchte einfach Klarheit. Seitdem ich in Rom bin, war es niemals einfach für mich gewesen. Und es tat jedes Mal so furchtbar weh, wenn ich mir falsche Hoffnungen gemacht hatte und dann kam es doch ganz anders.
    Du weißt gar nicht, wie glücklich du mich damit machst! Ich denke, ich spreche auch in Diarmuids Namen, wenn ich dir sage, wir kommen gerne mit dir!


    Ich fiel ihm um den Hals und drückte ihn fest. Die wenigen verbliebenen Gäste verstanden kein Wort von dem, was wir sprachen, doch als sie die Umarmung sahen, wussten sie genau, dieses mal würde es keine Ohrfeigen hageln.

    Ich hatte mir nur schnell ein wenig Wasser in einen Becher gegossen und trank hastig daran, bevor ich wieder an die Arbeit ging. Heute konnte sich Glabrio nicht über zu wenig Kundschaft beschweren. Ständig kamen neue Gäste, die sich an diesem schwülheißen Tag nach einer Erfrischung sehnten. Ich hatte alle Hände voll zu tun und musste zwischendurch auch noch ein Auge auf Diarmuid werfen, der sich ausgerechnet heute auch noch strikt geweigert hatte, zu Thea zu gehen, der Frau, die tagsüber während ich arbeitete, auf ihn aufpasste.
    Als Krönung des Ganzen wurde dann auch noch die Tür aufgerissen und einige lautstark grölende Trunkenbolde mit Anhang kamen in die Taberna.


    Auch das noch! murmelte ich leise vor mich hin. Ich versuchte, ihnen keine große Beachtung zu schenken. Doch sie waren unüberhörbar und auch ihr verwegenes Aussehen und ihr Geruch nach Schweiß ließen keinen Zweifel aufkommen. Ihrem Wortschatz nach zu urteilen, handelte es sich bei den beiden wilden Kerlen um Gladiatoren auf Sauftour, die sich gegenseitig mit ihren derben Kraftausdrücken hochschaukelten und morgen womöglich schon gezwungen waren, sich gegenseitig abzustechen. Zum Glück gehörten solche Leute nicht zu unserer Stammkundschaft. Jedoch vermochten solche Kerle mit ihrem Auftreten besagte Stammkundschaft zu vertreiben.
    Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass mein Sohn Gefallen an den wilden Gesellen gefunden hatte. Aufgeregt rannte er zu ihnen hin und beobachtete die Männer und deren weibliche Begleitung und feixte lautstark mit. Worum es sich bei diesen Frauen handelte war augenscheinlich. Aber der Kleine verstand natürlich nichts von alle dem. Ich hoffte darauf, dass Catubodus in der Nähe war um gegebenenfalls auch einschreiten zu können, falls die Kerle handgreiflich wurden. Schließlich rief einer von ihnen nach der Bedienung, also nach mir. Jetzt konnte ich mich nicht mehr länger davor drücken, zu ihnen zu gehen.
    Die beiden waren einfach widerlich. Der eine, der nach mir gerufen hatte, war gerade dabei, die Hure, die er bei sich hatte zu entblättern.


    Was darf´s denn sein? fragte ich ziemlich unmotiviert. Eigentlich hatte ich nicht vor gehabt, länger bei den beiden Kerlen zu verweilen. Aber als ich den einen der beiden sah, blieb ich wie versteinert stehen. Ich kannte dieses Gesicht und ich kannte auch diese Stimme. Sie versetzten mir schmerzende Stiche in meiner Brust. Der Kleine tänzelte noch immer um den Tisch der beiden Männer herum und lachte mit seinem fröhlichen, unschuldigen Lächeln.


    Diarmuid, geh nach hinten! rief ich meinem Sohn monoton aber bestimmt zu.
    Och, Mama! meinte er nur enttäuscht über meine Ansage.
    Dul ar chúl, Diarmuid! fauchte ich zurück, so dass der Kleine ganz eingeschüchtert davon lief.
    Jetzt gab es nur noch Severus und mich. Seine Begleiter ignorierte ich völlig. Er hatte sich sehr verändert. Nichts mehr war geblieben, von dem Mann, den ich einmal geliebt hatte. Die Narben auf seinem Körper ließen darauf schließen, was er tagtäglich über sich ergehen lassen musste. Severus war vor langer Zeit gestorben und hatte Rutger, die blonde Bestie zurückgelassen. So hatte ihn die Menge bei den Spielen im flavischen Theater gerufen,alsich die zweifelhafte Ehre hatte, ihn in Aktion zu sehen. Ich hatte gehofft, endlich damit abgeschlossen zu haben. Und ich war auch der Überzeugung ihn vergessen zu haben. Jetzt aber war er da und wie damals, vor so vielen Jahren, raste mein Herz. Er hatte mich geliebt, er hatte für mich gemordet, er hatte mich mit Gold beschenkt… Und er hatte mich geschlagen, mich eine Hure genannt und mich verdammt. Damals in jener Nacht - in der Diarmuid gezeugt wurde.

    Ich vermied es, ihn direkt anzuschauen. Eigentlich wollte ich nur weg von hier. Geschäftigkeit vortäuschen, aufräumen, was längst aufgeräumt war, die Tische abwischen, die längst schon abgewischt waren, einfach nur um ihm zu entkommen. Aber dann überraschte er mich doch noch womit ich nicht mehr im Geringsten gerechnet hatte, nicht mehr, nachdem er mir zu verstehen gab, dass ich nur Personal für ihn war.


    Was? Zwei Zimmer? Wir? fragte ich irritiert, denn ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Ich wollte nicht länger im Dunkeln stehen und nur mutmaßen, was in ihm tatsächlich vorging. Jetzt war die Zeit gekommen, um zu hinterfragen, was Catubodus wollte und nicht zuletzt, was ich wollte.


    Du fragst mich, ob ich deine Bäckerei führen möchte, weil du noch Personal suchst und dann erzählst du mir, du hättest im gleichen Haus noch zwei Zimmer gemietet, für uns. Was willst du, Catu? Was soll ich für dich sein? Deine Angestellte oder etwas anders? Bitte sag es mir!

    Diarmuid war ganz begeistert von dem Gedanken, die Eidechse wieder frei zu lassen, denn wenn er länger darüber nachdachte, war es doch das Beste für sie. Er griff nach Catus Hand und beide gingen sie los, einen geeigneten Platz für die Eidechse zu finden. Ich sah ihnen nach und grinste. Es machte mir immer Spaß, die beiden zu beobachten. Der Kleine hatte Catubodus richtig lieb gewonnen und ein Leben ohne ihn war nur schwer vorstellbar für ihn. Aber auch ich hatte mich an ihn gewöhnt und wollte ihn auch nicht mehr missen.
    Nach einer Weile kamen beide wieder zurück. Diarmuid sprang fröhlich und ganz freimütig herum, weil er davon überzeugt war, etwas Gutes getan zu haben. Er hatte der Kreatur, die er zuvor gefangen hatte, das wieder zurückgegeben, was für sie am wichtigsten war, die Freiheit.


    Catubodus kam auf mich zu und ich sah ihm schon an, dass es etwas Wichtiges war, was er mir sagen wollte. Er begann und meine Augen wurden mir jedem Wort größer. Ich glaubte bereits zu ahnen, was er mir mitteilen wollte und war deshalb schon fast aus dem Häuschen. Eine eigene Bäckerei! Das war mein Traum gewesen, kurz nachdem ich freigelassen worden war. Damals hatte ich die Chance gehabt, an eine eigene Bäckerei zu kommen. Doch ich hatte das Angebot der Flavier nicht angenommen, weil ich dann wieder in eine Abhängigkeit geraten wäre. Mein Höhenflug nahm aber dann ein jähes Ende. Es war wie ein Stich ins Herz. Ich hatte mir einfach mehr erwartet, als nur fehlendes Personal zu sein.


    Eine Bäckerei? fragte ich, um überhaupt etwas zu sagen und auch um so meine Enttäuschung zu verbergen. Wieder ärgerte ich mich über mich selbst, weil ich wieder viel zu einfältig war. Jemand musste mich dringend in die Realität zurückbringen. Catubodus hatte diese Aufgabe übernommen. Ausgerechnet er.


    Ja, wenn du mich brauchst, werde ich dir natürlich helfen, fügte ich dann noch hinzu und überspielte meine Gefühle mit einem Lächeln.
    So konnte ich mich zumindest für seine Hilfsbereitschaft revangieren.

    Das klang ja plausibel. Was ich nur wieder gedacht hatte! Er war doch erst gekommen und er hatte auch erwähnt, dass er noch eine Weile bleiben wollte.


    Ja, natürlich! Nein, du hast ja recht. Ich werde mit dieser Frau sprechen. Gleich morgen.


    Und wenn diese Frau einen Vorschuss haben wollte, dann musste ich eben Glabrio bitten, mir ein wenig Geld zu leihen. Ich seufzte und merkte, wie müde ich wirklich war. Den ganzen Tag über hatte ich gearbeitet,erst in der Küche und dann im Schankraum. Jetzt war es schon spät. Der erste Tag auf eigenen Beinen neigte sich seinem Ende. Ob ich es bereute, die Villa verlassen zu haben? Nein, das tat ich nicht. Hier war ich nicht einfach nur geduldet. Ich war hier, weil ich dafür gearbeitet hatte. Und eines Tages würden auch meine Wünsche wahr. Ich musste nur fest daran glauben. Vielleicht konnte mir Catubodus dabei behilflich sein. Vielleicht aber auch nicht.


    Ja, antwortete ich und griff nach dem Becher, dessen Inhalt er soeben geleert hatte. Dann sah ich ihm nach, als er ging. Die letzten Gäste waren längst weg. Jetzt war es auch Zeit für mich. Morgen wartete schon ein neuer Tag.

    Wie sich das anhörte! Der Junge war sein Neffe! Und er war ein Mitglied der Familie. Das musste ich mir erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich, die ich als Sklavin in das Haus der Flavier gebracht worden war, hatte einen Sohn hervorgebracht, der nun Teil der Familie war. Was gewesen wäre, wenn ich Aquilius verschwiegen hätte, dass es sein Kind war, lag klar auf der Hand! Mein Junge wäre auch dazu verdammt gewesen, Sklave zu sein. War das nicht paradox? Natürlich war mir bewusst, dass ich außen vor war. Ich war kein richtiger Teil dieser Familie. Lediglich einer, der durch die Freilassung noch gewisse Verpflichtungen gegenüber seinem ehemaligen Herrn auferlegt bekommen hatte. Da der aber fernab von Rom war, blieb mir selbst das erspart.
    Dass was ich von Aquilius erhofft hatte, versuchte nun Aristides, zu geben. Auch wenn er es nun so abtat, es sei seine Pflicht gegenüber einem Familienmitglied, lag sein Handeln doch mehr an seiner Gutmütigkeit. Denn er hätte meinen Sohn und mich genauso gut ignorieren können und Diarmuid als Schandfleck oder als Ausrutscher seines Vetters sehen können. Aber das hatte er nicht.


    Die Sonne stand schon fast senkrecht über dem Forum, auf dem große Geschäftigkeit herrschte. Ich selbst war noch nicht oft hier gewesen, was nun auch kein Grund darstellen sollte, länger hier zu verweilen. Es war schon richtig drückend warm und nach all den Jahren spürte ich wieder, wie wenig ich diese Hitze mochte. Da kam Aristides Vorschlag, irgendwo einzukehren nicht ungelegen. Nicht etwa, dass ich schon großen Hunger verspürte. Aber ich wusste, wie gerne er sich einem gut zubereitetem Mahl widmen mochte. Dass er dabei nicht gerne allein war, sondern Gesellschaft mochte, war mir auch bekannt.


    Oh ja, gerne, antwortet ich deshalb,weil ich hoffte, ihm damit ein klein wenig zurückgeben zu können.

    Eine Weile hatte ich die beiden aus einem Augenwinkel beobachtet. Allerdings wollte ich die Vertrautheit zwischen ihnen nicht stören und hatte mich deshalb entschlossen vorerst fern zu bleiben. Diarmuid mochte Catubodus sehr, denn er gab ihm etwas, was er bisher noch nicht gehabt hatte und etwas, was ich ihm nie geben konnte. Ob der Kleine mit einem Vater glücklicher gewesen wäre? Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Was gewesen wäre, wenn sich Aquilius tatsächlich mit seinem Sohn auseinander gesetzt hätte, konnte ich nur vermuten. Vielleicht hätte er nicht zugelassen, dass dann auch ich in der Nähe des Jungen sein durfte, was mir letztlich das Herz gebrochen hätte. Womöglich war es so besser und es lag nun an mir, eines Tages einen Ersatzvater für meinen Jungen zu finden.


    Diarmuid hatte etwas in der Hand. Ich konnte nicht sehen, was es war. Aber es war etwas lebendiges. Er hatte doch nicht etwa eine Maus oder gar eine Ratte gefangen! Mit einiger Besorgnis ging ich dann doch zu den beiden.


    Na, ihr zwei! Ich hoffe, Diarmuid hat dich nicht gestört, meinte ich zu Catubodus, lenkte dann aber gleich meinen Blick auf meinen Sohn, der in seiner Hand immer noch dieses Ding verbarg.


    Was hast du denn da, Diarmuid?


    Der Kleine grinste ganz verschmitzt und öffnete langsam seine Hand.


    "Hier Mama! Sieh mal, die ist für dich! Die habe ich selbst gefangen." Diarmuid war ganz stolz auf seinen Fang und ich musste mich beherrschen nicht vor Schreck aufzuschreien. Dann sah ich aber, dass es eine harmlose Eidechse war, nichts weiter. Eidechsen waren sehr scheue Tiere die man nicht so ohne weiteres fangen konnte. Man brauchte schon etwas Geschick und vor allem viel Geduld.


    Die hast du selbst gefangen? fragte ich anerkennend. Alle Achtung! Aber willst du sie nicht lieber wieder frei lassen?
    Diuarmuid sah zu Catubodus auf und dann sah er wieder mich an und nickte.

    Mir kam es so vor, als sei Catubodus zeitweise mit seinen Gedanken abgeschweift, als höre er mir gar nicht richtig zu. Ich ließ mir nichts anmerken, auch wenn es mir einen leichten Stich versetzte. Je größer war min Erstaunen, als er mir einen Vorschlag unterbreitete. Diarmuid einer fremden Frau anvertrauen? Da musste ich erst einmal schlucken. Aber wieso auch nicht! Catubodus war auch ein Fremder gewesen und wenn er irgendwann einmal nicht mehr da war… Ein wenig verwirrt sah ich zu ihm auf.


    Du willst gehen? Ja, natürlich! Dann sollte ich mit dieser Frau einmal sprechen. Bald.


    Ich tat mir sehr schwer dabei, meine Enttäuschung zu verbergen. Ich versuchte sogar dabei zu lächeln. Dabei wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, wie sehr ich mich schon an Caubodus gewöhnt hatte und wenn ich ehrlich war, hatte ich mir sogar Hoffnungen gemacht, er könne eines Tages sogar mehr sein, als nur der, der auf meinen Sohn aufpasste. Da kam mir die Frage nach meinen Talenten eher nebensächlich vor.

    Eine besondere Fähigkeit? Nein nicht wirklich. Mein Herr hatte meinen Gesang geschätzt. Aber damit kann man sicher nicht sein Brot verdienen. Nein, Kochen, Backen, einen Haushalt versorgen, das ist alles, was ich kann.

    Mich beschlich die Angst, etwas Falsches gesagt zu haben, wenn ich mir das Gesicht dieses eifrigen Beamten betrachtete. Er liess sich Zeit mit seiner Antwort, um uns damit ein weiteres Mal seine Verachtung zu zeigen. Die Antipathie die er hegte, galt wohl in erster Linie den Flaviern, warum auch immer. Auch wenn ich kein Teil dieser Familie war, aber irgendwie doch dazu gehörte, galt sie auch mir.
    Dieses scheinbar endlose warten machte mich muerbe, was sich wiederum nur noch staerker auf den Kleinen uebertrug, der daraufhin noch zappliger und verdriesslicher wurde.
    Endlich aeusserte er sich. Es musste ihm unglaublich schwer gefallen sein, das Gesuch anzuerkennen. Aber auch bei der Aufforderung, das Schriftstueck zu unterzeichnen, liess er nichts aus, um mir zu zeigen, wie wenig wert ich in seinen Augen war. In diesem Augenblick war ich so unglaublich froh, jemals schreiben gelernt zu haben, damit ich ihm nicht noch die Genugtuung geben konnte, mich als Analphabetin praesentieren zu muessen. Ich zoegerte nicht lange und unterschrieb, ebenso Aristides.
    In der Tat, das war´s! Der Beamte begegnete uns wieder mit seiner Ignoranz. Fuer ihn war der Fall erledigt und wir fuer ihn nicht mehr weiter von Belang. Wir waren entlassen!
    Von dem Verhalten des Beamten noch ganz verwirrt, blieb ich stehen und wartete auf etwas, was nicht kam. Erst Aristides leichte Beruehrung und sein Wink hinaus zu gehen, veranlassten mich, meinen Blick von diesem unliebsamen Zeitgenossen abzuwenden. Ich trat mit meinem Jungen hinaus und atmete erst einmal erleichtert auf.
    Geschafft! Ohne die Hilfe von Aristides haette ich diese Prozedur niemals bewaeltigen koennen! Der Flavier laechelte mir freundlich zu und zog etwas unter seiner Toga hervor. Es war ein lederner Gegenstand, eine Art Amulett, das die roemischen Jungen trugen, bis sie erwachsen waren.
    Ich war so sehr geruehrt und wusste gar nicht, was ich darauf sagen sollte. Aristides war so freundlich zu mir, obwohl er eigentlich gar keine Veranlassung dazu hatte. Schliesslich regelte er hier nur die Angelegenheiten seines Vetters, der Rom den Ruecken gekehrt hatte.


    Ich weiss gar nicht, wie ich dir danken soll! Das werde ich nie vergessen, was du fuer uns getan hast! Vielen Dank! Ich werde immer dafuer sorgen, dass der Junge die Bulla so lange traegt, bis er alt genug ist, sie abzulegen.


    Jetzt war mein Kind ein roemischer Buerger. Ich konnte es noch gar nicht fassen!

    Ich laechelte milde, denn ich konnte sehr wohl nachvollziehen, wie er sich fuehlen musste. Auch sein Gesicht sprach Baende. Es fiel ihm nicht leicht ueber seine Vergangenheit zu sprechen und noch weniger, sich an die schrecklichen Ereignisse zu erinnern. Im Leben gab es manchmal Dinge, an die man sich lieber nicht mehr erinnert werden wollte. In der Tat, wir hatten etwas gemeinsam, vielleicht sogar mehr, als wie wir es uns eingestehen wollten. Vielleicht war es sogar ein Wink meiner Goettin, dass wir uns kennengelernt hatten. Ein Zufall konnte das bestimmt nicht gewesen sein!
    Ich hatte daher auch vollstes Verstaendnis, als er unser Gespraech auf ein anderes Thema hinbewegte. Vielleicht war er eines Tages dafuer bereit, noch mehr ueber seine Vergangenheit zu sprechen.


    Was ich weiter vor habe?


    Auf diese Frage hatte ich selbst keine genaue Antwort. Ich war wie ein Blatt, das auf der Oberflaeche des Wassers dahin trieb. Ich glaubte, selbst keinen grossen Einfluss auf mein Ziel zu haben. Die aeusseren Umstaende waren massgebend, so glaubte ich. Ich war nichts und ich hatte nichts, ausser meinem Leben und die Verpflichtung, alles fuer meinen Sohn zu tun, damit er es einmal besser hatte.


    Ich weiss dein Angebot sehr zu schaetzen und ich hoffe, ich kann es eines Tages wieder gut machen. Aber du musst dich nicht verpflichtet fuehlen. Ich muss eine Loesung dafuer finden. Also mache dir deswegen keine Gedanken!


    Je mehr ich seine Bedenken abtat, desto mehr nagte wieder diese eine Frage an mir. Was habe ich weiter vor?
    An dem Tag, als ich die Villa verliess, hatte ich eine klare Vorstellung davon, was ich vor hatte. Ich wollte auf eigenen Beinen stehen und wollte wieder frei sein. Frei von allen Zwaengen und frei von allen Abhaengigkeiten. Aber noch am gleichen Tag musste ich feststellen, wie sehr doch diese neugewonnene Freiheit eine Illusion war. Freiheit alleine war nicht ausreichend, um ein kleines Kind und sich selbst satt zu bekommen. Ich musste mich wieder einer Abhaengigkeit beugen.


    Ich hoffe, mir eines Tages etwas Eigenes aufbauen zu koennen, antwortete ich. In meinen Worten aber schwang die Ungewissheit mit, ob dies jemals Realitaet werden koennte.

    Mein Staunen wollte nicht enden. Was ich da hoerte, liess mich erst etwas unglaeubig drein blicken. Seinem Aussehen nach haette ich vermutet, er kaeme aus Gallien oder von noerdlich der Alpen. Aber weswegen haette er mich denn anluegen sollen? Er gab etwas freiwillig von sich preis und das war mehr, als man von einem Fremden verlangen konnte.
    Er kam also aus dem Osten, jenseits des Meeres. Dort gab es ein Volk, das sich einer Sprache bediente, die meiner sehr aehnelte. Als ich noch in der Villa Flavia lebte, hatte ich dort auch gelegentlich Zugang zur Bibliothek. In den Schriften las ich einiges ueber die Voelker, die die Roemer unterworfen hatten, auch jene des Ostens. Aber von einem Volk, das ganz offensichtlich aehliche Wurzeln aufwies, wie meines, hatte ich nie gelesen. In solchen Momenten wurde mir immer wieder bewusst, wie wenig ich doch ueber die Welt wusste.
    Doch auch die kurze Schilderung ueber sein Schicksal und das seines Dorfes, liess mich nicht unberuehrt. Ich hatte wenigstens die Gewissheit, dass meine Familie noch lebte. Aber er hatte demnach niemand mehr.


    Das.. das ist sehr traurig! Und seitdem wanderst du in der Welt umher?
    Ich weiss, wie schwer es ist, wenn man seine Heimat verloren hat. Aber ein Teil davon wirst du immer in deinem Herzen mit dir tragen. Immer!


    Das klang jetzt wahrscheinlich sehr schwuelstig. Besonders wenn man diesen Rat einem Mann wie Catubodus mit auf den Weg gab. Mir hatte es all die Jahre ueber geholfen. Aber ich hatte auch gelernt, nicht nur in meinen Erinnerungen zu leben, denn dann war kein Platz mehr fuer die Zukunft.

    Die Überraschung stand in meinem Gesicht. Wir hatten etwas gemein? Ich zögerte einen Moment und sah musterte ihn unschlüssig. Doch dann folgte die Erklärung und ich begriff. Nein, eigentlich begriff ich es nicht, denn ich fragte mich, wieso er gezwungenermaßen seine Heimat verlassen musste und außerdem, wo war denn seine Heimat? Er sprach eine, meiner Sprache nicht unähnlichen Sprache und er bezeichnete sich auch als Kelte.


    Ach ja? Wieso? Hat man dich auch verschleppt? Und woher kommst du eigentlich?


    Ganz bestimmt war er nicht verschleppt worden. Er machte einen so selbstbewussten Eindruck, wie ein Mensch, der niemals gezungen worden war, seine Freiheit aufzugeben und dem man alles genommen hatte, sogar noch seine Würde.
    Als ich nun wieder bei ihm saß, kam allmählich dieses gute Gefühl wieder zurück, das zwischenzeitlich auf ein Minimum reduziert gewesen war. Ich saß hier mit einem Mann, der meine Sprache verstand und der sich mit mir einfach so unterhielt. Und das nach all den Jahren in der Fremde! Ich hatte nie groß darüber nachgedacht, was geschehen wäre,hätte man mich nicht entführt. Vielleicht hätte ich eines Tages einen Mann wie Catubodus kennengelernt, an Lughnasadh* villeicht.


    *Lughnasadh war so etwas wie ein Erntedankfest zu Ehren des Gottes Lugh, das man um den 30. Juli gefeiert hat. Im heutigen Sprachgebrauch ist Lúnasa das irische Wort für den Monat August.

    Ich rechnete ihm seine Zurückhaltung groß an. Er versuchte (noch)nicht hinter die genauen Hintergründe zu kommen, weswegen Aquilius mich frei gelassen hatte. Offensichtlich war es aber, dass mein Sohn eine große Rolle dabei gespielt hatte. Ich selbst hatte es ja angedeutet. Ganz sicher gab es genug Männer, die mich dafür ablehnten, weil ich einen Sohn hatte, aber keinen Vater dafür. Einen Vater gab es ja sogar. Er hatte sich sogar zu seinem Kind bekannt, nur hatte er uns aus seinem Leben ausgeschlossen, indem er sich von seinem bisherigen Leben und aus Rom zurückgezogen hatte. Natürlich hatte mich das gekränkt, aber mein Leben war zu sehr ruiniert, dass dieser Schmerz kaum mehr wahrgenommen wurde. Längst hatte ich die Hoffnung aufgegeben, mein Leben könnte jemals wieder in geordneten Bahnen verlaufen. So wie es meine Mutter und mein Vater einst für mich erhofft hatten und so wie ich immer davon geträumt hatte, damals vor unendlich langer Zeit.


    Catubodus interessierte es nicht, wer der Vater meines Kindes war. Er interessierte sich für mich und das war etwas, womit ich am wenigsten gerechnet hatte. Es war lange her, dass sich jemand um meinetwegen interessiert hatte. Severus hatte sich für mich interessiert und ihn hatte ich geliebt. Er war meine erste und bisher einzige Liebe gewesen. Severus aber hatte ich verloren und ich war mir sicher, niemals wieder einen Mann so lieben zu können.


    Nein nicht Britannia! Meine Insel liegt außerhalb des römischen Machtbereichs. Die Römer nennen sie Hibernia aber wir nennen sie Éire.

    Ja, das ist wahr, stimmte ich ihm schmunzelnd zu. Ich war froh, dass sich die Situation zwischen uns wieder zu entspannen begann, denn ich war mir nun sicher, er war kein schlechter Kerl.
    Natürlich hatte ich sein Interesse geweckt, mit meinen Andeutungen, dies sei mein erster Tag. Er bot mir an, mich zu ihm zu setzten. Aber ich war mir nicht sicher, ob das gut war. Nach dem langen Tag in der Küche war ich schon sehr müde und meine Beine schmerzten. Ein wenig Ruhe hätte mir gut getan. Vorher sah ich mich aber erst nach Glabrio um. Er bezahlte mich ja schließlich nicht fürs herumsitzen. Es waren aber fast keine Gäste mehr in der Taberna. So entschloss ich mich, mich doch zu setzten.


    Ich bin nicht aus freien Stücken nach Rom gekommen. Vor etwa fünf Jahren wurde ich von meiner Insel verschleppt und hierher gebracht. Bis kurz vor der Geburt meines Sohnes, lebte ich als Sklavin in einer großen Villa.


    Wahrscheinlich hatte er sich das ja schon denken können. Nur war es ihm bestimmt peinlich gewesen. Aber das war mein Leben, mein Schicksal. Ich konnte es nicht mehr rückgängig machen. Aber ich hatte Einfluss auf meine Zukunft.

    Vorsichtig stellte ich den Met vor Catubodus ab. Eigentlich erwartete ich nicht mehr, dass er sich noch weiter mit mir unterhalten wollte. Nicht nachdem, was in seinem Zimmer geschehen war. Ich zog es auch vor, nicht mehr länger darüber nachzudenken, sonst wäre ich nur noch mehr enttäuscht gewesen. Als ich den Entschluss gefasst hatte, auf eigenen Füßen zu stehen, wusste ich schon, dass es nicht einfach werden würde wenn ich auf mich gestellt war.
    So wollte ich mich schon wieder von Catus Tisch entfernen, als ich seine Entschuldigung hörte. Ich blieb stehen und sah zu ihm auf. So oft entschuldigte sich niemand bei mir. Dieser Moment hatte einen Seltenheitswert! Es war kein einfaches Es tut mir leid. Nein, es war viel mehr. Es war ein Zeichen, dass er sich um den Jungen gesorgt hatte und nur sicher gehen wollte, dass ihm nichts passierte. Es zeigte mir aber auch, wie sehr ich überreagiert hatte.


    Oh, danke. Ja, du hast ja recht. Es war mein Fehler. Ich hätte ihn früher zur Ordnung rufen müssen. Aber ich war so froh, dass ihr euch so gut verstanden habt, als du auf ihn aufgepasst hast.
    Für mich ist das alles noch ein wenig schwierig. Das ist heute mein erster Tag. Nicht nur hier in der Taberna, sondern in jederlei Hinsicht ist dies mein erster Tag, an dem ich auf mich selbst gestellt bin.

    Nun kehrte mein Lächeln wieder zurück und ein wenig fiel auch ein Stein von meinem Herzen, denn nichts schien verloren zu sein.

    Jeden Atemzug den ich länger in diesem Raum zubringen musste, machte die Sache für mich noch unangenehmer. Dieser Beamte mit seinen stechenden Schweinsäuglein machte überhaupt keinen Hehl daraus, was er von uns hielt und wie wenig er den Flavier schätzte. Dementsprechend gering fiel sein Verständnis für mich und mein Kind aus. Dabei konnte der Kleine am wenigsten etwas dafür, wer sein Vater war. In meinem Inneren wünschte ich mir bereits, niemals mit meiner vermessenen Bitte an Aquilius herangetreten zu sein, um damit die Freiheit zurück zu erlangen. Dann wäre mein Kind als Sklave zur Welt gekommen und auch ich wäre eine Sklavin geblieben. Aber ich hätte mich nicht mit Leuten, wie diesem schrecklichen Menschen abgeben müssen, der mir mit jedem Wort und jeder Geste zu verstehen gab, dass ich nichts weiter als Abschaum für ihn war.
    Abschätzig wiederholte er den Namen des Kindsvaters, als handle es sich um ein übles Schimpfwort, das man unter gar keinen Umständen in den Mund nehmen sollte. Ich versuchte ruhig zu bleiben und gegen zu steuern, denn genau das war es doch, was dieser Mann provozierte. Aber ich wollte ihm keinen Grund geben, unser Begehren abzuschlagen. So nickte ich nur scheu und ein ganz leises ja folgte.
    Aristides kam mir zur Hilfe und bestätigte meine Aussage, was diesem Kriecher aber noch lange nicht genügte. Er ließ den Flavier auf seine Götter schwören. Ob das letztlich ausreichend war, war nur schwer abzuschätzen. So einfach wollte er uns nun doch nicht davon kommen lassen!
    Die stechenden Augen des Beamten hefteten sich wieder an meine Person und er überschüttete mich mit einer ganzen Reihe von Fragen.


    Der Junge ist etwa fünf Monate alt. Er wurde ANTE DIEM VI KAL OCT DCCCLVIII A.U.C. in der Villa Flavia in Rom geboren.


    Ich tat mir etwas schwer, ruhig und sachlich zu antworten. Den Tag der Geburt meines Sohnes hatte ich extra noch einmal nachgeschlagen, damit ich nicht falsches sagte. Die letzte seiner Fragen, aber schien mir umso schwieriger, denn dafür gab es wirklich keine Zeugen.


    Der Vater hat sich bereits vor der Geburt zu seinem Kind bekannt, am Tage meiner Freilassung nämlich und er hat es am Tag nach der Geburt noch einmal getan.


    Hoffentlich genügte das. Aber ich ahnte schon, dass diesem Kerl bestimmt noch etwas einfiel, womit er mich quälen konnte. Manche Menschen braucht das einfach, ihre Macht auszukosten, um ihren Hunger nach Geltungssucht zu stillen.

    Ich führte Diarmuid bei der Hand hinaus und schloss die Tür hinter mir. Der Kleine hatte wieder aufgehört zu weinen. Mit einem Tuch wischte ich ihm die letzten Tränen fort und lächelte ihn an.


    Er hat es bestimmt nicht so gemeint! sagte ich ihm, obwohl ich es selbst nicht glauben konnte. Bevor ich mit Diarmuid wieder hinunter ging, küsste ich ihn auf die Stirn.
    Im Schankraum zurück, kümmerte ich mich um verschiedene Aufgaben, die gerade anfielen. Der Junge hielt sich hinter der Theke auf und spielte mit einem Spielzeug, dass er aus der Villa mitgenommen hatte. Ich hingegen versuchte zu vergessen, was passiert war. Es war ernüchternd. Ich stand wieder am Anfang und wieder stellte ich mir die Frage, das Richtige getan zu haben, als ich die Villa verlassen hatte.
    Irgendwann stand Catubodus wieder im Schankraum. Ich erinnerte mich. Er hatte noch einen Met bestellt. Sobald er Platz nahm, brachte ich ihm einen Becher.


    Hier, dein Met!


    Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Meine Stimme klang emotionslos.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus
    Man möge Gracchus bitte für einen ersten, zögerlichen Versuch der Rückkehr reaktivieren.
    Danke sehr. =)


    Die beste Nachricht seit langem! :)
    Danke dafür und herzlich willkommen zurück! =)