Beiträge von Cnaeus Flavius Lucanus

    Inzwischen haben sich einige Interessenten, potentielle Käufer und Tagediebe, wie ich einer gerade bin, eingefunden. Manche klettern auf Kisten, um besser sehen und hören zu können, viele schwatzen miteinander und zeigen auf die dargebotenen Männer und Frauen, alte und junge Leute, die das traurige Schicksal erfahren müssen, wie Vieh begutachtet zu werden. Manch ein Interessent tritt zu einem Sklaven hin und reißt ihm den Mund auf, um zu sehen, ob noch Zähne darin zu finden sind. Den Perlenkönig muß niemand in den Mund fassen, seine Zähne funkeln, wenn er sein Gebiß kurz zeigt. Ein freundliches Grinsen ist's aber nicht, eher eine severisches Fletschen.


    Ich fühle mich etwas beobachtet - neinein, ich bin ja überhaupt nicht eingebildet, obwohl, nein: seien wir mal nicht ehrlich - und schaue mich um. Der verdünnte Apfelsaft hat meinen Ausschnitt leider noch weiter genäßt, es ist so archaisch, so animalisch, wenn kalte Flüssigkeit über das Kinn rinnt, sich seinen eg über die nackte Brust sucht und dann irgendwo beim Baunabel vertrocknet. Am Strand sieht das toll aus, klar. In Rom, mit einer einigermaßen wertvollen Tunika am Leib sieht das eher grenzdebil aus, so eine blöde Sabberei. (Dabei entdecke ich, daß toll nicht toll ist, daß toll Gegend- und kulturabhängig ist. Nackt am Strand laufen ist toll, nackt über das Forum Romanum laufen nicht. Obwohl es das gleiche ist, ist es nicht das selbe. Interessant.)


    Ich schaue mich um und knautsche meinen Tunikaausschnitt ein wenig verlegen, um nun mit einem nassen und verknautschten Tunikaausschnitt dazustehen. Schlimmer geht's immer. Typisch.

    Quirites! O fortunatam natam me consule Romam!


    Der berühmte Konsul Cnaeus Flavius Cicero, der gerade während seiner glorreichen Amtszeit die Cucinarische Verschwörung aufgedeckt und so die patrizischen gentes der res publica Romana vor dem qualvollen Vergiftungstod durch verdorbenen Puls gerettet hatte, betrat die rostra auf den Forum Romanum und legte de consulatu suo Rechenschaft ab. Die Bürger Roms tobten vor Begeisterung, eine Gold-Elfenbeistatue des jetzigen Konsulars wurde aufgestellt.


    Cedant arma togae, concedat laurea laudi!


    Ich war hinter meinem Onkelzwo als braver scriba und Schatten des neuen vigintivr Aquilius Flavius über das Forum gegangen, als er sich offenbar für den Rechenschaftsbericht eines ehemaligen Amtsträgers interessiert, der gerade zu diesem Behufe auf die rostra tritt. Wir bleiben stehen, er begrüßt eine Gruppe seiner clientes und ich zücke meine Wachstafel und notiere einige Stichworte. Kann nie schaden, ein paar Aufhänger aufzuschnappen.



    Sitte und Pflicht ... Marcus Aurelius Corvinus ...


    Rechenschaft über Taten


    vigintivir = = decemvir litibus iucandis


    Nachlassfr ...



    Ohje, Geldgeschichten Toter. Keifende Erben, vertrackte Testamente, na super. Der Mann muß eine Geduld bewiesen haben, oder vielleicht ist er auch sadistisch veranlagt und hat mit boshafter Freude die Erbstreitigkeiten verfolgt und scheinheilig geschlichtet, aber in wirklich die Hyänen noch gegeneinander aufgehetzt.


    Ich kaue auf dem Stilus herum und sehe einige Leute weiter Onkeleins stehen: Manius Gracchus habe ich ja tagelang nicht zu Gesicht bekommen. Mein Herz hüpft ein wenig.


    Fragen? Verteilt man auch nach der Amtszeit warmes Brot und leckere Oliven, quasi als Dank, daß man solange im Amt war? Ich hätte nämlich wieder Hunger. Verstohlen schaue ich mich nach einem fliegenden Händler um, als mir klar ist, daß - Aurelius Corvinus: so stehts auf meiner Tafel - nur Worte und kein Backwerk feilbietet. Dabei ist Politik doch keineswegs so brotlos, jedenfalls in Vorwahl-Zeiten.


    Ich klemme meine Tafel unter den Arm und stecke den Stilus hinter's Ohr und applaudiere auch. Applaus ist das Brot des Künstlers undsoweiter ...


    :app:


    [SIZE=7]edit:/Tipp-Ex[/SIZE]

    Wer will schon einen Sklaven, der einen Namen hat, der wie Schluckauf klingt? Mi - khip - khip - khipsa. Etwas albern zucke ich leicht mit den Schultern und improvisiere ein wenig. Aus einer kleinen nord-gallischen Feldflasche, die ich mir vorhin am Markt gekauft habe nehme ich einen kräftigen Schluck Obstsaft mit Wasser gestreckt. Die kühle Flüssigkeit rinnt mir das Kinn hinunter und feuchtet ein wenig den Ausschnitt meiner Tunika ein.


    Der Lybier soll dunkelhäutig sein, sagt der Händler. Nachtschwarzhäutig wäre besser getroffen. So einen tiefstnachtschwarzen Menschen habe ich noch nie gesehen. Ein Fleischberg von einem Mann, ein Kasten wie Severus. Nur eben mit dem Namen Mi - khip - khip - khipsa. Ich muß aufpassen, sonst bekomme ich noch wirklich einen Schluckauf.


    Als Ehemann würde ich den aber nicht als Aufpasser für meine Gattin kaufen wollen, außer ich würde wissen wollen, mit wem sie mich betrügt. Der Lybier sieht nach Großfamilie aus, ein Dutzend Söhne und ein Dutzend Töchter und ein Gros Weiber. Vielleicht als Verdunkler vor's Schlafzimmerfenster stellen oder so. Um dann zu nächtlicher Stunde mit einer Hand erstickt zu werden. Na, dankeschön. Außerdem 500 Sesterzen? Schlapp? Ich schaue mich um, ob jemand mich überbieten würde, wenn ich 500 und 1 Sesterze biete? Wenn ja, wäre es sicherlich ein netter Spaß, wenn nein, was mache ich mit einem tiefstnachtschwarzen Mann mit einem solchen Namen? Was wird Onkel Aquilius sagen?`Und erst Onkeleins, Gracchus? 'Ne hübsche Sklavin, naja, das gäbe eher eine Rauferei, aber um den Lybier? Wenn der sich im Atrium umdreht, liegen sicherlich ein halbes Duzend Kantharoi und Statuetten am Boden. Alles sehr riskant.


    Ich trinke noch einen Schluck und schaue Micipsa verstohlen an. Seine Zähne schimmern wie Perlen im Mund, er steht aufrecht da wie ein dominus, ein rex Lybaeorum. König mit Perlen ... Perlenkönig ... Micipsa, der Perlenkönig! Nein, nicht Micipsa, das hört sich nach einer Figur in einer Komödie von Plautus an. Micipsa, der Elefant im Tonladen, aber nicht Micipsa, der Perlenkönig. Ma - Me - Mo - Mu - ich komm' nich' drauf. Ich nehme noch einen Schluck.

    Zitat

    Original von Marcus Aelius Callidus


    Nun, es wird noch etwas dauern, da erst vor kurzer Zeit ein cursus res vulgares abgehalten wurde. Selbstverständlich ist dieser die Grundlage aller Bildungsmöglichkeiten an der Schule, doch ich hoffe sehr, dass du jenen absolvieren kannst, um an meinem nächsten cursus continuus teilzunehmen, er wird sich mit Literatur befassen. <


    Callidus wunderte sich, dass die Jugend teils so ziellos umherstriff, und das, wo sich doch einem Flavier alle Türen öffnen müssten. Vielleicht war es aber gerade auch die Vielzahl an Möglichkeiten, die die Entscheidung hemmte.


    Wie schade, daß es mit dem cursus res vulgares noch dauert, in Rom gibt es zwar viel zu sehen, zu entdecken und ich werde sicherlich mein ganzes Leben nicht damit fertig, aber der cursus ist ja Grundlage für fast alles, nicht nur für die Aufbaukurse an der Schola.


    Ich schaue ein wenig enttäuscht drein, wie ein Ringer, der sich eingeölt hat, aber dann erfährt, daß der Gegner verschlafen hat und erst später auf den Kampfplatz kommt.


    Naja, in der Zwischenzeit will ich endlich wissen, wie Vergils Aeneis endet, das Exemplar meiner Mutter ist leider beschädigt, es endet fast mit dem elften Buch, interea Turmum in silvis saevissmimus implet - und da verließen sie ihn, der Rest und das letzte Buch ist leider abhandengekommen. Wer oder was ist dieses saevissimus. Ich bin wirklich gespannt.


    Ich verkneife mir zu sagen, daß ich mit der Schriftrolle des Zwölften als Sechsjähriger eine Hängebrücke über einen Bach bauen wollte; ist mir dann in das Wasser gefallen und vor lauter Dämlichkeit hat mein Freund Pedro das andere Ende dann auch noch losgelassen. Da gings dahin. Am abrupten Ende des elften Buches bin ich aber nicht Schuld, dafür hat hoffentlich jemand anderes zwei Monate Hausarrest bekommen.


    Und Deinen Literaturkurs will ich in jedem Fall belegen, ich lese für mein Leben gerne, große Epen, kleine Komödien, naja, wo ich herkomme passieren Abenteuer halt meistens nur im Kopf, ansonsten ist in Nordspanien meist tote Tunika ...


    Hoffentlich kommt der cursus res vulgares nicht erst hinterher ...




    *) Unterdessen erfüllt in den Wäldern Turnus der/das schreckliche [...]

    Ich reibe mir meine Augen, um Luft in der Taverne ist es nicht zum besten bestellt und vom Wein habe ich offenbar schon genug. Eine Bedienung ist schnell herbeigewunken und sie stelllt mir einen Krug mit kaltem Wasser hin.


    Nun, rrrrh-chm, ich räuspere mich, ich jedenfalls werde nicht mehr tiefer in den Becher schauen, ich will nicht den Rest des Nachmittags verpennen.


    Und wenn Du morgen nicht untauglich nach Misenum aufbrechen willst, solltest Du Dir auch überlegen, es nicht zu übertreiben. Obwohl - ein flotter Kerl bei der Flotte - ho ho hiksch, und 'ne Amphora voll Wein - ist doch auch 'was. :D


    Ich beobachte Labeo, langsam wieder ein wenig nüchterner:


    Der Wein läßt die Wahrheit wohl ans Licht kommen: morgen Misenum, heute Freiheit ... ist der Dienst in der Flotte denn Gefängnis? Du redest, als seist Du mit dem alten Cato Censorius verwandt, der ist ja auch zum Lachen in die Cryptoporticus gegangen ...


    Ein leichtes Lächeln, nicht wirklich spöttisch, stiehlt sich in mein Gesicht.

    Entweder ist der Widder völlig zugekifft von tylusischem Weihrauch oder er ist ein absoluter Profi. Selbst jetzt, als so ein Steppke ziemlich erfolglos versucht, ihm eine Girlande über den Schädel zu ziehen, muckt oder bockt er nicht 'rum. Mit der stoischen, die man auch als leicht säuerliche Miene eines eingefleischten Moralisten, der jede Festlaune zu Asche verglimmen läßt und so entspannt ist wie eine alternde Jungfrau in den Thermen interpretieren könnte, läßt er es über sich ergehen. Nicht mit anzusehen, die Girande will nicht über seine Ohren.


    Ohne ein Wort lasse ich meine beiden Hände von seinem Rücken zum Kopf gleiten und klappe mit einer schiebenden Bewegung, der Richtung seines Fellwuchses seine Ohren nach vorne, sodaß der Kleine die Girlande, von der schon einige Blüten zu Boden gerieselt sind, mit einem Schwups das Gemüse dorthin schieben kann, wohin es gehört. Ich verziehe meinen Mund leicht zu einem kurzen und etwas verknautschten Lächeln. Jetzt saß die Girlande richtig. Aloha, ey. Perfectissimum, ein wenig schief und zerzaust (Bock und Girlande) vielleicht, aber nicht schlecht.


    Szenenwechsel. Onkel Zwo geht zieht sich zurück und will sich umziehen (Und ich? He! Ich sehe schon, wie ich mir nach der zu erwartenden Sauerei eine neue Ausstattung besorge.), ich bin nun mit dem Bock und dem Senator alleine, der dürre Steppke ist hinter Onkel Aquilius davongeklappert.


    Oh, Senator, heute ist auch mein erster Tag als scriba meines Onkels Flavius Aquilius. Er hat mir erst gestern diese einmalige Chance angeboten. Eine doppelte Premiere, wenn man so will. ... Ich gebe zu, entsprechend aufgeregt zu sein - ich zupfe ein wenig an der schiefen Girlande herum und einige Blättchen aus dem Fell des Widders und streichele über das warme Fell - jedenfalls mehr als er hier.


    Ein schönes und reines Tier, eine ausgezeichnete Wahl. Stammt es von einem Deiner Landgüter?

    Auf unsere Familien! Auf die Wurzeln und die jungen Triebe! :D


    Der Wein ist nicht so stark, aber ein wenig - wenig? - angesäuselt bin ich schon ... junge Triebe ...


    Wollen tu ich schon können, aber können tu' ich nicht wollen - oder so. Nich'?


    Ich schüttele ernsthaft meinen Kopf und spreche ein wenig mehr zu meinem Becher als zu Labeo.


    Neineineinein, man muß auch wollen dürfen, es gibt viel, was man geziemend wollen kann und was sich willentlich geziemt, gerade, wenn es um den eigenen Lebensweg geht. Auf vielen Wegen kann man nützlich sein und was nützt es, wenn es sich geziemt, zur See zu fahren, wenn man nicht schwimmen kann? Oder in die Verwaltung zu gehen, wenn man nicht rechnen kann? Oder ans Theater, wenn man sich keinen Text behalten kann und ausschaut wie eine Mini-Ausgabe des Polyphem?


    Ich blicke meinem Gegenüber fest, aber ein wenig ungenau ins Gesicht.


    La ... Labeo, das, was einem Freude macht, macht man gut. Alles andere wird mittelmäßig. Ich kann fischen ... jetzt hab' ich Dich an der Angel.


    :D


    Blödes Geschwätz. Irgendwie redet mein Mund selbständig daher. Ich muß schauen, daß ich irgendwo Wasser herbekomme, sonst endet das bös.


    -.^


    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    ~~~~~~~
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
    ~~~~~~~
    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.
    ~~~~~~~
    Magst du wählen zwischen Rüben oder Kraut,
    Am Ende wird es nur in dir verdaut,
    Drum isz, um deinen Magen stets zu füllen,
    Deinen Geist in Höheres zu hüllen,
    ~~~~~~~
    Denn solange dich hehres Tun geleitet,
    Der Weg zum Gehen dir wird bereitet.




    Und hier wieder: hehres Tun, was genau das sein soll, aber es ist wichtig. Morgen gehe ich gleich in die Bibliothek der Schola und schaue nach, irgendwo werde ich sicherlich was finden. In einem Heldenepos sicher, Ovids Metamorphosen vielleicht. Also "hehres Tun" und dann tut sich ein Weg auf.


    Auf Märkten habe ich schon tolle Weissagungen bekommen, viele Frauen, viele Kinder, viele Schatullen mit Geld, viele Ländereien und was man noch so vieles tolles kriegen kann. War aber nie so verklausuliert ausgedrückt, sondern klar und geradlinig. Ich und emporsteigen? Luca, spinn' dich ab.


    Jetzt werde ich erstmal hehr schlafen und dann morgen sehen, welcher Weg mir bereitet ist.


    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    ~~~~~~~
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
    ~~~~~~~
    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.
    ~~~~~~~
    Magst du wählen zwischen Rüben oder Kraut,
    Am Ende wird es nur in dir verdaut,
    Drum isz, um deinen Magen stets zu füllen,
    Deinen Geist in Höheres zu hüllen,





    Essen ist wichtig. Gut erkannt. Rüben und Kraut sind zwar nicht gerade mein Ding, aber gut, ist ja nur 'ne Metapher, denk' ich mal. Egal, was oben 'reinkommt, ich mach' mein eigenes Ding draus. Nur Mist darf am Ende nicht herauskommen, also eben nicht biologisch, sondern metaphorisch.


    Geist in Höheres hüllen; Luca, der seinen Kopf in den Wolken hat, naja, wer seinem Kopf vollnebelt, kriegt nichts mehr mit und stolpert, das ist es also nicht. Aber mich bilden, das wird gemeint sein? Viel lernen, darum bin ich ja auch in Rom, darum und nur darum.


    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    ~~~~~~~
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
    ~~~~~~~
    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.




    Klar, ein Flavier bin ich - und ein Lucanus dazu noch, einer, der - zum Licht gehörig - die Welt erhellt. Ich bin das Licht aus dem Westen, ex Hispania lux quasi, ex occidente lux klingt vielleicht etwas blöd, denn die Sonne geht ja nicht im Okkident auf. Und feurig, mein lieber Mann, feurig sind wir Flavier allemal. Und wer das nicht glaubt, dem mach' ich schon Feuer unter'm Hintern.


    Wer er? Der Stamm? Radix Flavii? Natürlich, wer hat, der kriegt's noch 'reingedrückt, wer nicht hat, der wird noch ausgeplündert, wer den Schaden hatt, spottet jeder Beschreibung. Meine Familie ist also kein Halt, wenn ich mal Mist baue, also richtigen Mist, nicht nur Vogeldreck. Also aufpassen.


    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    ~~~~~~~
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu lahben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.




    Unsterblichkeit? Bin ich unsterblich? Komischer Gedanke, erinnert mich an den wirren Alten, der die Leute getaucht hat und etwas von einer "unsterblichen Seele" gefaselt hat. Haben mich die Götter vielleicht zum Heros ausersehen? Werden sie mich in Gestalt eines sidus Flavium zu sich entrücken? Eigenartige Vorstellung, also ich meine, auch der Kaiser ist ein Gott, aber wie fühlt sich das an? Wird man als Gott geboren oder ist man es einfach - plumps - oder wie? Hat den Kaiser schonmal jemand gefragt, ob er spürte, wie er zum Gott wurde? Körperlich oder geistig?


    Oder meint der Satz, ich solle mir über meine Sterblichkeit keine Gedanken machen? Keine Sorge, ich bin erst neunzehn, über den Tod nachzudenken ist was für Leute wie meine Onkels, nicht, daß die schon so alt wären, daß sie gleich einen Abgang machen, aber in dem Alter wird's doch wohl langsam virulent, oder? Also, keine trüben Gedanken, nicht an den Tod denken, dann lebe ich in Heiterkeit, kann mich am Leben laben und mache einfach meinen Weg - nicht zurückschauen und nicht zu weit nach Vorne schauen. Prima.


    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.




    Eine Anspielung auf meine Nase muß sein: ein wenig keck nach oben gebogen, auf deren Rücken ein kleiner Kobold wie auf einer Rutsche 'gen Himmel fahren konnte, hübsch geformt und gut geeignet, sie überall hineinzustecken. Also nicht nach Rückwärts schauen, sondern nach Vorne. Mir fällt auf, daß ich schon länger nicht mehr an Pedro gedacht habe, Pedro und ich, zwei unzertrennliche Schatten und jetzt?

    'Langsam dreht die aber durch' denke ich mir. Pffft. Weibsleute. 'Severus sollte sie mal über's Knie legen, dann kommt die schon wieder auf die richtige Drehzahl.' Die Lust auf ein warmes Bad ist mir ziemlich vergangen, wahrscheinlich schon benutzt.


    Mit meinen nackten Füßen patsche ich wieder in Richtung meines Schlafzimmers. Ein verstohlenes Gähnen drängt sich an die Oberfläche.

    Mit einem leichten Übermantel angetan, locker mit einer Kordel gegürtet, und einem Badetuch um meine Hüften schlendere ich leicht und luftig pfeifend die Gänge in der schlafenden Villa entlang. Irgendwo schlief jemand nicht, denn leise Schritte entfernen sich im Labyrinth. Nein, heulte will Theseus nicht den Minotaurus erlegen.


    Es ist spät geworden, lange gelesen und irgendwie völlig aufgedreht hoffe ich, ein nettes heißes Bad könne mir helfen, denn seit meinem ersten Besuch im balneum bin noch einige weitere Male dort sanft eingeschlafen. Wasser ist halt mein El ...


    Ey! Achtung Gegenverkehr!


    Bridhe kracht unter eindeutiger Übertretung der innerflavischen Hausgeschwindigkeit und auf der falschen Flur-Spur-Seite in mich hinein.


    Dringender alvus*), wie? Haste Sehnsucht nach dem Haus- und Hofneffen Flavius Lucanus oder biste auf der Flucht vor dringender Arbeit? Jetzt?


    :D


    Ich zupfe an meinem Bademäntelchen, das durch den Zusammenprall verrutscht ist und ordne meine Frisur mit meinem Fingerkamm.


    Is' das Bad noch heiß?


    Wenn nicht, hätte ich gleich jemanden parat, der da mal mit einheizen könnte.



    [SIZE=7]*) alvus, i: Stuhlgang, Durchfall o. ä.[/SIZE]

    Ich lege die Tafel vorsichtig vor mir auf den Schreibtisch:



    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskiert, dass im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weisheit fand.
    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.
    Magst du wählen zwischen Rüben oder Kraut,
    Am Ende wird es nur in dir verdaut,
    Drum iss, um deinen Magen stets zu füllen,
    Deinen Geist in Höheres zu hüllen,
    Denn solange dich hehres Tun geleitet,
    Der Weg zum Gehen dir wird bereitet.


    Einmal lese ich sie mir durch, dann ein zweites mal. Ich nehme eine unbeschriebene Wachstafel und kopiere den Spruch



    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~







    Klar, goldener Löffel - ich bin ein Flavier. Der Löffel in meiner Hand, nicht im Mund bin ich damit geboren, sondern habe ihn hier erst in die Hand bekommen. Aber habe ich Weisheit bislang gelöffelt? Am ersten morgen war es Puls, dann vieles andere, aber Weisheit?


    Die Warnung aber ist deutlich: "hehr soll ich schreiten" - was heißt "hehr" ... "hier" schreiten??? Nein, das muß etwas anderes bedeuten, das Wort kommt später nochmal vor. Also: "hehr" - wie auch immer - schreiten und so verhindern, daß ich eine 'reingewürgt kriege. Oder?

    Ich hatte mich dann doch den anderen Menschen angeschlossen und war der Prozession langsam und gemächlich gefolgt.


    Gebannt verfolge ich nun die vertrauten und gleichzeitig unverständlichen Riten, die Priester hantieren, einer spricht zu den Götterstatuen, Musik weht herüber, die Tauben werden freigelassen, daß Opferritual nimmt seinen Lauf. Die Spannung steigt, "agone?" "age" "age!" .... .... .... "age!", das responsorum der Priester schwebt in der schweigenden Luft.


    Mein Platz ist nicht so schlecht, ich kann die synchron herabsausenden Hämmer erkennen, ihr Ziel aber nicht. Das unmittelbar folgende Knirschen läßt meine Magensäfte brodeln, ein wenig gallig schmeckt es in meinem Mund, die Spucke verflüssigt sich und wird warm. Was einen nicht umhaut, macht einen nur härter. An diesem Tag werde ich nicht härter, denn als der vor mir stehende Mann sich leicht bewegt, sehe ich, wie die Priester die dampfenden Innereien aus den Tieren holen und auf Schalen legen. Ein grüner, dann ein roter Filter legt sich über meine Augen, dann tauche ich in der Menge ab. Nur einen Moment länger gewartet, und ich läge mit angeschlagenem Kopf auf dem Pflaster. Ich gehe in die Hocke, atme ruhig und kontrolliert und versuche, der Wurst, die ich vorhin gegessen hatte, klarzumachen, daß es in meinem Magen gemütlicher ist und sie nicht hochkommen müßte, um sich mal umzuschauen.


    Der Geruch von warmem Blut weht herüber und verbessert mein Befinden nicht ein bißchen, es wird aber auch nicht deutlich schlimmer. Warum können sie keine Fische opfern? Die bluten nicht und sind dürfen auf keiner himmlischen cena fehlen, wenn die Götter wissen, was gut ist. Und das wissen sie zweifellos.


    Ich stehe vorsichtig wieder auf und versuche, ein wenig härter zu werden, auch bin ich natürlich fasziniert von dem, was mich so körperlich aufrührt - wenn ich nicht auf die Küge schaue, sondern mich auf die Innereien konzentriere, geht es einigermaßen. Was passiert jetzt? Was werden die Priester verkünden.

    Ich bin beruhigt. Ohne länger auf die Tafel zu sehen, merke ich, daß da nicht ein Satz steht, "geh' zum Militär - und sterben" oder "hispanisches Landei - dumm geboren und dumm geblieben" oder etwas derartig offensichtliches. Der Weihrauch war gut gewesen und hatte offenbar die Sibylle red- oder schreibselig gemacht.


    Die Tafel nehme ich von der alten Frau entgegen, verstaue sie unter meiner Kleidung.


    Vielen Dank, ehrwürdige Frau, sage ich und verneige mich leicht.


    Den Spruch werde ich zuhause in Ruhe lesen, auswendiglernen und zu verstehen versuchen.


    Dann trete ich hinaus in den Regen.

    Was Onkel Aquilius nun zu Purgitius Macer sagt, ist zwar akustisch verständlich, inhaltlich hingegen weniger. Welche Vestalische Jungfrau? Was für eine Flavia? Ist die einzige lebende Frau unserer gens eine Vestalische Jungfrau? Hatte ich deshalb bislang noch keine Frau im Haus gesehen? Weil es keine gibt? Nur Männer in der Villa Flavia! Und ein paar weibliche Sklaven - mich schauert's ein wenig, nicht unangenehm.


    Offensichtlich ging es jetzt los, ich stehe in den Startlöchern und versuche, möglichst genau Acht zu geben, wo ich stehen sollte, wohin ich gehen sollte - und wo und wohin absolut nicht. Schwierige Sache. Ich folge Onkel Aquilius zum Widder und kraule sanft seinen Rücken, während er inspiziert wird - der Widder, nicht mein Onkel. Der ist dem Tier genauso egal wie ich es bin. Wäre der Bock nicht von warmem Blut durchpulst, ich könnte auch ein Fellstück berühren.


    Die Tempeldiener eilen durch die Gegend, bringen Kränze und Girlanden, schrubben die Altaroberseite. Ich warte darauf, daß mein Onkel entscheidet, was ich wahrscheinlich am wenigsten falsch machen werde.


    Menschen werden stetig und unauffällig angespült, glotzen einfältig, beobachten ängstlich oder einfach nur neugierig, was nun werden wird, wer da opfert und wie es ausfällt. Der Platzwechsel vom Publikum aufs Podium ist mir nicht wenig unangenehm, weil erstaunlicherweise so unvorbereitet. Ich habe das Gefühl ich kann meinen Text nicht, habe nicht ins Skript geschaut, bin splitterfasernackt und habe einen rotleuchtenden Pickel auf meinem blanken Hintern. Ich versuche, alles auszublenden und nur den Senator, meinen Onkel, den Widder und mich zu materialisieren. Alles andere existiert nicht. Alles nur Einbildung. Nur wir vier sind real. Wenn überhaupt.

    'Eigentlich könnten die hier die Acta diurna auslegen', damit man was hat, was die Wartzeit überbrückt und bildet. Was Senatorin A neulich bei einem Bankett von Senator B getan hat, welcher Sohn von Senator C mit welcher Auszeichnung bedacht wurde, welche Tochter von Plebejer D mit dem Sohn von Senator C ... undsoweiter. Kurzweiliger Klatsch - wie von Plautus. Nicht einmal Bänke zum Sitzen.


    Ungeduld, Du Schatz der hoffnungsfrohen Jugend! Geduld, Du Eigentum des resignierten Alters.

    Nett, daß er denkt, es sei meine Entscheidung gewesen, Onkel Aquilius beim Opfer zur Hand zu gehen, was auch immer das bedeuten wird. Daß ich mir meine Hände mit mehr als Tinte aus Galläpfeln und Vitriol (oder was sonst da noch hineingehört) schmutzig mache, war eigentlich nicht Bestandteil des Kleingedruckten. Oder wurde die Tinte eines Priester-scribas mit Blut gemischt? Übel. Buchstäblich.


    Der Austausch von Höflichkeiten war beiderseits in höchstem Grade professionell verlaufen, vermute ich. Wie zwei Blätter im Herbstwind, die sanft aneinander vorbeigleiten, zum gegenseitigen Gruße schwanken und dann ohne weiteres in unterschiedliche Richtungen davonwehen. Ich hätte auch der Knabe sein können, der ihm auf einem Stehempfang ein Tablett mit Speziereien reicht, so ungeteilt und konzentriert war seine Aufmerksamkeit für mich. Kein 'na, junger Mann, woher kommen wir denn (Erwachsene sagen immer "wir" obwohl sie sich dabei selbst nicht meinen), ach, Hispania! - und wie gefällt Dir Rom? Was wünschst Du Dir zum Saturnalienfest?' oder irgendetwas in der Preislage.


    Dabei zeigen sich ältere Herren den Interessen junger Männer gegenüber durchaus anteilsam und wollen deren Bildung, z. B. in barbarischer Kunst fördern; der ein oder andere hat in den letzten Tagem bei meinen Streifzügen durch die Stadt schon versucht, mein Interesse für seine Beutesammlung aus dem jüdischen Krieg, einem germanischen Feldzug oder einer afrikanischen Strafexpedition zu wecken und lud mich ein, sie mir in seiner domus anzusehen. Wen interessiert sowas endslangweiliges denn schon?


    Offenbar hatte der Bock wirklich schon Erfahrung oder einen siebten Sinn - denn ich beginne in der Tat mich zu fadisieren, vielleicht, weil die Spannung zu groß war und nicht weiter aufgebaut werden kann? Hoffentlich mache ich nicht auch so ein Gesicht wie das Viech und kontrolliere meine Gesichtsmuskulatur. Das freundlich-achaische Lächeln ist noch da und das muß ich kräftig betonieren, denn der Senator spricht von Eingeweideschau.


    Will Onkel Aquilius etwa im Inneren des Tiers herumwühlen? Ich habe schon das ein oder andere procedere miterlebt und es kam mir oft so vor, als würde der Priester ein Organ suchen, von dem er nicht weiß, ob es im Tier existiert und wo es denn stecken könnte, vorausgesetzt, es ist überhaupt vorhanden. Eine ziemlich Schweinerei - und wenn der Seher sich nicht die Hände gewaschen hat, kann man die Innereien nicht mal mehr zu Würsten verarbeiten.