Kaïlos heißt Du, nicht?, frage ich, als wir in meinem Zimmer ankommen. Der Knabe nickt stumm.
Danke Kaïlos, sage ich, baden würde ich wirklich sehr gerne, und wenn ich etwas Obst, rohes Gemüse und Käse und Milch bekommen könnte, machst Du mich zum zufriedensten Menschen, der seit langem in diesem Raum lebte. Ja? Der Knabe nickt - wieder stumm.- Und geht und läßt mich allein.
Arbeiten hier nur Taubstumme? Oder können die Kinder kein Latein? Ein Gedanke, den ich gleich wieder verwerfe, denn sonst hätte er ja meine Bitte und die von meinem Großonkel nicht verstanden. Mal sehen, was er mir bringt. Einen ordentlichen Schöpfer Puls tät's auch, aber der wird mir gehörig im Magen herumrumoren, das mag ich nicht.
Während ich auf die Rückkehr des Knaben Kaïlos warte, packe ich meinen Sack aus, den ich auf das Bett hiefe und öffne. Die zwei ungetragene und geschonte Garnituren Festtagstuniken drapiere ich sorgfältig auf den Tisch, der im Raum steht, lege eine ausgeklappte Wachstafel aus Pinienholz darauf und beschwere das Arrangement mit einem metallenen Kerzenleuchter, um die Falten irgendwie herauszubekommen. Morgen will ich eine saubere Tunika tragen, wenn ich nicht mehr wie ausgewürgt rieche, will ich auch nicht mehr ganz so aussehen. Ich mache mir keine Illusionen: die selbstverständliche Eleganz des Manius Flavius Gracchus werde ich nie erreichen, ich bin ein Landbursch'. "Armer Landedler" hat mich Pedro manchmal verspottet, dann haben wir uns geprügelt bis einem von uns das Blut aus der Nase schoß.
Ein paar verknautschte Sandalen stelle ich unters Bett, die Rollen mit meiner Schulausgabe der Aeneis, die ich eigentlich auswendig kann, und den Aufzeichnungen alten Wirrkopfs, der sich "Gesandter des Sohnes Gottes" nennt und am Strand von Flaviobriga Menschen Wasser über den Kopf gegossen hat. Dafür haben ihn Pedro und ich mal kräftig getaucht, aber meine Mutter hat mich damals sehr gescholten, man solle niemanden lächerlich machen und nicht den Schwächeren angreifen. Sie war so traurig, wenn ich jetzt daran denke, schießen mir wieder Tränen in die Augen.
Kaïlos der Auch-Stumme kommt leise in das Zimmer, ich wische mir mit dem Ärmel übers Gesicht, er soll mich so nicht sehen. 'Danke Dir, prima', sage ich und drehe mich um. Auf einem anderen Tisch steht eine riesige Platte mit so viel Obst und Gemüse, als hätte Kaïlos einen ganzen Garten geplündert, und dabei auch noch ein Berg von Käse und ein Krug mit Milch. 'Willst Du mit mir essen, allein schaffe ich das bestimmt nicht', lade ich ihn ein, aber sein Gesicht macht keine Miene, er rührt sich nicht. 'Naja, hast wohl schon gegessen, was?' lächele ich immernoch. 'Wenn das Wasser heiß ist, dann ruf' mich doch", sage ich und setze mich und mache mich über die Berge her, ich bin ausgehungert und schaufele alles in mich hinein, trinke die kühle Milch, wische mir in den Eile mit dem Ärmel den Mund ab und denke daran, daßmeine Mutter mich immer ermahnt hat, ich solle >Manieren zeigen< und >mich benehmen<. Ich halte inne, setze mich aufrecht hin und zeige Mutter und der stummen Einrichtung des Zimmers meine Manieren.
Wenig später kommt Kaïlos wieder und führt mich zum Bad.