Dagoberaht:
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Die Brautleute waren vor die jeweiligen Schwiegerfamilien getreten, und hatten um Anerkennung und Erlaubnis gebeten. Die Zustimmung war erteilt worden, und jetzt war es an den männlichen Vertretern der Sippen, sich im Kreis die Hand zu geben. Was sie auch taten... mit schweren Schritten gingen Arbjon, Sohn des Evax, und Sarwolf, Sohn des Vilmar aufeinander zu, und trafen sich in der Mitte. Hände wurden ausgestreckt, man ergriff den Unterarm des jeweils anderen, und drückte einmal kräftig zu. Damit war der offizielle Teil, die Verbrüderung zwischen den Sippen abgeschlossen, und nun lag es am Brautpaar, dies fortzuführen.
Dagoberaht, der schon viele Pärchen vermählt hatte, lächelte die Brautleute an, die nun auf ihn zukamen. Vor dem mächtigen Stamm der Eiche standen sie nun vor ihm, dies war der Moment die Götter, die Naturgeister und die Ahnen anzurufen, um dem Brautpaar für seinen gemeinsamen Weg durch das Leben Schutz und Beistand zu erbitten.
Zu diesem Zwecke wandte der alte Mann mit dem langen weißen Bart sich um, und starrte mit ernstem Blick in die Krone der durch das Licht der Dämmerung golden erleuchteten Eiche.
"Oh ihr Götter, ihr mächtigen Bewohner der Hermenagebaz, wir rufen euch an, dass ihr schenkt unserer gläubigen Gemeinschaft einen Hauch eures Geistes. Hört uns an, und schenkt uns einen Hauch eures Wesens! Hört uns an, und schenkt uns einen Hauch eures wachen Seins!
Wodan, weiser Göttervater, Bezwinger der alten Arten, Vater der Welt, mächtigster unter den Asen, schenke diesem Paar die Weisheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Schenke ihnen die Weisheit, richtig von falsch zu unterscheiden. Schenke ihnen die Weisheit, zu ehren und zu schätzen was ihnen gegeben ist, und schenke ihnen die Weisheit, deinem Willen zu vertrauen, wo sich der Weg in Nebel verbrigt. Mächtiger Wodan, schau auf uns herab! Wir rufen dich an! Wir rufen dich an!
Frigg, liebende Göttermutter, ehrbare Gattin unseres allmächtigen Vaters, weise Beraterin und fürsorgende Naha, schenke diesem Paar die heilige Einigkeit eures Seins. Lasse sie folgsam und sicher dem Weg alles irdischen folgen, sich mehren und eins mit der Natur werden, die euer Werk ist. Unsere Mutter Natur lasse sie ehren und pflegen wie sie es für ihre Nachkommen tun. Dein ist unser Leben, dein ist unser Wirken, dein ist unser Sterben! Fürsorgende Frigg, schau auf uns herab! Wir rufen dich an! Wir rufen dich an!
Donar, mächtiger Riesenbezwinger, stärkster unter den Göttern, Herrscher über Blitz, Donner und die Zeitgewalten, Schützer und Bewahrer der Welt, schenke diesen Menschen Schutz und Obdach auf den Wegen, die sie zusammen gehen werden. Schenke dem Manne die Stärke, sich den Salen zu stellen, und schenke der Frau die Kraft, die ihren zusammen zu halten, wenn der Sturm an der Grundfeste rührt. Lasse sie standhaft durch Wind und Wetter gehen, und lasse sie nicht verzagen wenn der Weg durch Dunkel führt. Stärkster Donar, schau auf uns herab! Wir rufen dich an! Wir rufen dich an!
Freya, du Liebende, du Sorgende, du Hegende. Die du erstehen lässt, wo Kälte regierte, die du blühen lässt, wo Tod sich fand, die du zusammenführst, um den Kreis zu schließen! Schenke der Frau die Kraft deiner Natur, zu schenken dem Kreise der ihren Zukunft und Fortbestand, gebe dem Mann die Kraft, sich mit seiner Frau zu mehren und zu sorgen für seine Sippe. Schenke ihnen Fruchtbarkeit und Gesundheit, damit sie sich geben in den Kreis der Natur! Schenke ihnen das Wesen des Krauts, sich zu entfalten wo sie Boden finden, sich zu wehren selbst durch Eis und Stein. Schenke ihnen die Treue der Tiere, die zusammen stehen durch Not und durch Hunger. Schenke ihnen die Geduld, die der Kraft deiner Schöpfung inne ist. Sorgende Freya, schau auf uns herab! Wir rufen dich an! Wir rufen dich an!"
Der alte Mann nickte ernst, als er diese Worte zuende gesprochen hatte, wandte sich wieder dem Brautpaar zu, dass stumm und reglos hinter ihm stand, nahm einen schmalen Ast der Eibe, tauchte diesen in Wasser, und benetzte damit die zu verheiratenden. Wasser, auch wenn es in der Welt der Germanen keine Mangelware war, war sich jeder seiner Macht bewusst: ohne Wasser kein Leben und keine Mehrung.
Dann wandte er sich wieder der alten Eiche zu, um die Naturgeister um Schutz und Beistand anzurufen:
"Ihr Geister der Welt, hört uns an! Ich rufe euch herbei, um beizuwohnen diesem heiligen Ereignis, der Vermählung dieser beiden Liebenden. Ihr guten Alben und Undinen, ihr Irrwesen und Nereiden, ihr Sylphen und Nymphen, ihr Wichte und Gnome, teilt diesen Moment mit euch, und schenkt uns eure Gunst, um diesen beiden Menschen zu verleihen das Glück eures Wesens. Schenkt diesem Paar euren Schutz in den Gezeiten dieser Welt, und steht ihm bei in den Prüfungen, die da kommen. Oh ihr guten Geister dieser Welt, die ihr innewohnt jedem lebend Ding, kommt herbei, kommt herbei."
Wieder wandte der alte Mann sich mit ernstem Blick um, tauchte den Ast einer Kiefer in eine Schale voll verdünntem Met, und wieder benetzte er das Brautpaar, um den guten Naturgeistern den Einzug zu ermöglichen. Met, weil die berauschende Kraft des Alkohols nicht selten einen Blick in die Welt der Geister ermöglichte (daher auch die spätere Bezeichnung 'Geist').
Um die Ahnen der Brautleute zu beschwören, richtete er seine Aufmerksamkeit nicht auf die Eiche, sondern auch die Brautleute selbst.
"Oh ihr ruhmreichen Ahnen, ihr die ihr die Vergangenheit und die Zukunft gesehen habt, spendet diesen beiden Liebenden euren Segen! Lasst sie in euren Pfaden wandeln, sowie ihr sie mit eurem Schutz begleitet, wenn sie neue begehen. Oh ihr ruhmreichen Ahnen, ihr die ihr eingegangen seid in die Hermenagebaz, spendet ihnen euren Segen, auf dass sie fruchtbar sind, und euer Andenken an ihre Kinder weitergeben, so wie ihr es mit ihnen gemacht habt. Oh ihr ruhmreichen Ahnen, spendet uns euren Segen!"
Dieses Mal war es der Zweig einer Fichte, der die Brautleute mit Asche benetzte. Asche, für das Vergangene, aus dem doch immer wieder neues hervorging, denn auch die Germanen wussten um die fruchtbare Asche vergangenem Lebens.
Die Asche verflog, und übrig blieben die beiden Brautleute, mit Wasser, Met und Asche benetzt, bereit sich zu verbinden und das Opfer zu sehen.
Dagoberaht nickte dem jungen Goden, ein Vetter des Bräutigams zu, der das Opfertier in den Kreis führen würde. Der junge Priester führte einen Bock, der in seiner Männlichkeit für die Samenspendende Fruchtbarkeit des Bräutigams stand, zum Priester, der diesem ohne Worte, aber mit einer knappen und routinierten Geste die Kehle durchstieß. Das Tier verendete mit einem leisen Röcheln, und sackte im starken Griff des alten Mannes nur mit den Hinterläufen zusammen. Das Blut wurde in einer kleinen Schale aufgefangen, und dem Bräutigam von der Stirn bis zur Nasenspitze über den Nasenrücken gestrichen.
Das gleiche Prozedere erlitt auch eine Henne, deren Blut der Braut von der Stirn bis zur Nasenspitze über den Nasenrücken gestrichen wurde.
"Ihr Asen und Wanen, ihr guten Geister und ihr Ahnen, ihr wart Zeuge dieses Opfers, das euren Geist und eure Kraft auf dieses Paar übergehen ließ! Ihr habt ihnen euren Segen geschenkt, so seid nun auch Zeuge, wie diese Menschenkinder sich selbst ein Zeugnis ablegen, ein Zeugnis von ihrem Glauben und ihrer Liebe! Ihr Asen und Wanen, ihr guten Geister und ihr Ahnen, hört uns an!"
Der Gode nahm die Arme wieder herunter, und sah das Brautpaar lächelnd an. Braut und Bräutigam stellten sich kaum einen Schritt voneinander entfernt, reichten sich die Hände und verschränkten diese über Kreuz. Der alte Mann nahm ein blütenweißes Tuch und legte dies auf die ineinander gepressten Hände. Er wandte sich mit einer langsamen Geste um, nahm zwei Blütenkronen, und legte sie dem Paar auf, wonach er beide mild lächelnd annickte. Nun war es Zeit für den Treueschwur, der weniger den Göttern galt, als dem zukünftigen Ehepartner. Nach Meinung des alten Mannes der schönste Part in einer Hochzeitszeremonie, konnte man doch daran festmachen, wie nahe sich die Brautleute schon standen. Für die Römer hatte es rein formelle Funktion: es zeigte das Einverständnis beider, die Ehe in freiem Willen und ohne Zwang einzugehen.
