Beiträge von Albin


    BERNULFS ZIMMER




    Bernulf bekam das ehemalige Zimmer Brandinars, mit Fenster zur Straße gen Süden. Wie alle Zimmer der Casa war es kärglich eingerichtet. Eine kleinere Kommode für die Kleidung, eine Truhe für die Dinge, die von Wert waren, ein kleiner Tisch, ein Hocker, alles aus einfachem Holz gefertigt, und doch für jeden Germanen unerhörter Luxus. Das Bett war ebenso schlicht, mit Stroh gefüllte Matratzen und einfachen Decken aus grober Wolle und einem darübergeworfenen Fell taten mit der Kohleschale das ihrige, um den Bewohner nachts warm zu halten. Die Fenster waren mit undurchsichtigen Milchglasscheiben durchsetzt, war klares Glas doch in diesen Gefielden unbezahlbar. Der Lärm der Straße war in dieser Gegend geringer als auf den Hauptverkehrswegen der Stadt, und so hatte man auch hier seine Ruhe.

    "Wenn ich ehrlich bin: doch, haben wir. Oder es ist einfach untergegangen, dass dein Vater uns eine Nachricht hat zukommen lassen. Wie geht es dem alten Kerl? Und deinen Geschwistern?", erkundigte sich Albin kleinsprachig nach dem Befinden der entfernteren Verwandten, "Ehm... ein Zimmer ja. Sicher. Es ist... naja... ja... wir habens eins. Die Begeisterung derer, die immer nur in Langhäusern schlafen, sobald sie ein eigenes Zimmer wittern, eh, Bernulf?"


    Albin lachte, aber das Lachen war falsch... das Zimmer, das frei geworden war, gehörte früher Brandinar, der im Dienst für die Legion gefallen war. Und nun sollte es Bernulf bekommen, weil er ebenfalls in die Legio eintreten wollte... Zufälle gab es.

    Die Gesichtszüge des alten Mannes entgleisten leicht, als Rodrik auf seinen Vater zu sprechen kam. Er hätte den Jungen am liebsten sofort mit 'Frag Lando...' weitergeschickt, als ihm einfiel, dass Lando garnicht anwesend war.
    Innerlich fluchte er über seine Unachtsamkeit, sammelte sich, und holte letztendlich tief Luft: "Aaaalso... setz dich, Junge."


    Er deutete auf nichts anderes als den Boden neben ihn, da in der Casa nicht einfach überall Sitzmöglichkeiten rumstanden, lehnte sich selbst gegen die nächste Wand, und sah den Jungen nachdenklich an. Natürlich konnte er ihm keine Geschichte auftischen, immerhin hatte er ein Anrecht auf die Wahrheit. Doch einem so hoffnungsvollen Jungen zu erzählen, dass der eigene Vater nicht zu den Glanzlichtern einer eh vom Scheitern geprägten Sippe zählte, das war noch ein Stück härter.


    "Hagen... seine Geschichte fand statt, als ich noch nicht wieder zurück war. Er....", Albin stockte, ließ sich letztendlich doch sinken, und blickte den Jungen traurig an, "Dein Vater war ein hoffnungsvoller Junge, als ich ihn noch kannte. Alt wurde er in den Landen unserer Väter ja nicht, er war keine zehn Sommer alt, als die Chauken uns angriffen. Nun, wie dem auch sei... er war ein aufgeweckter Junge, aber ständig darauf bedacht, sich gegen seine Brüder durchzusetzen. Als Kind in der Mitte hat man es nicht leicht, nein, nein, hat man nicht. Nun... er wollte sich halt immer wieder beweisen. Das hat zu einigen interessanten Leistungen geführt, aber auch zu sehr viel Ärger. Nun, nach der Zerschlagung unseres Stammes heiratete er halt deine Mutter... und als euer Heim wiederrum angegriffen wurde, kam er hierher, deine Mutter und dich totglaubend. Nun, als er hier sah, was die anderen vollbracht hatten, wollte er sich auch beweisen, er war Hagen, er konnte das!"


    Albin machte einige milde Gesten, um seine Worte zu unterstreichen, schließlich war dies starker Tobak, der zu erzählen war...


    "Nun, nicht alle, die hierher kamen, schafften die Umstellung... nicht wenige scheiterten an den Herausforderungen, die dieses Leben hier ihnen stellte. Und Hagen, er wollte es meistern... und besser machen. Er nahm sich eine Römerin zur Frau, weil er euch ja tot glaubte. Kurz darauf verunglückte er, ich glaube wer er Sarolf beweisen wollte, was er konnte."


    Gab es hier etwas zu trinken? Nein, natürlich nicht. Die Casa war weder durchgängig mit Sitzmöbeln vollgestellt, wie sie keine überdimensionale Maxibar war. Also musste er seine Geschichte zuende erzählen, und konnte sich nicht einmal in einen Becher mit Wasser retten...


    "Aber das weißt du ja schon... naja,... bis auf das mit der Römerin. Clara nannte sie sich. Hat hier einiges gutes vollbracht. War von den anderen geschätzt, wenn auch nicht gänzlich unkompliziert. Allerdings verstand sie es nicht, auf die Sitte der Familie ihres Mannes rücksicht zu nehmen. Trieb mit einem Soldaten Unzucht... im Haus der Familie ihres toten Mannes. Schändlicher kann man mit dem eigenen Erbe wohl nicht umgehen. Naja, bevor man sie verstoßen konnte, floh sie, wohl gen Süden... das ist der Grund, warum man nicht gerne über deinen Vater spricht... die Frau, die er mitbrachte, um zu zeigen, wie sehr er mit dem neuen Leben im römischen Reich klarkam, er hätte es nicht tun sollen. Aber so ist das Leben... es tut mir leid."


    Aufmerksam, aber mit traurigem Blick musterte Albin den Jungen, der nicht unbedingt die beste Nachricht seines Lebens vernommen hatte...

    Und es wurde ihm geöffnet, von einem ausnahmsweise mal prächtig gelaunten Albin. Die Abwesenheit der Chefchaoten wirkte sich wirklich positiv auf die allgemeine Befindlichkeit des Hausverwalters aus, der in diesen Tagen die satte Ruhe genoss... als er den Mann vor der Tür sah, dauerte es ein paar Sekunden, bis er begriff wen er vor sich hatte.


    "Junger Herr Bernulf.", begrüßte er den Mann mit einer überrascht freudigen Stimme, "Es ist viele Monde her, seit du uns das letzte Mal besucht hast... kaum ein Mann. Und jetzt? Schau dich an... aber was rede ich... tritt ein. Tritt ein."

    "Hmhmhmh...", murmelte der alte Mann, als plötzlich Rodrik hinter ihm auftauchte, und ihn um etwas Zeit bat. Hatte er Zeit? JA! Natürlich hatte er Zeit! Lando war mit geschätzten 70% der Chaoten dieses Haushalts auf eine Helfahrt nach Magna aufgebrochen, um die Seherin zu besuchen. Und wenn Albin Glück hatte, würde noch einige Zeit bis zu ihrer Rückkehr vergehen. Bis dahin hatte er den Haushalt für sich ganz allein. Hätten seine alten Gelenke ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht, hätte er einen Tanz durch alle Gänge der Casa aufgeführt. Einen Tanz!


    Aber: da war ja noch Rodrik. Die Frauen beschäftigten sich größtenteils selbst, und Rodrik nutzte die Zeit um Albin dabei zu stören wie er gerade nichts tat. Er hatte es genossen. Bis jetzt.


    "Was kann ich für dich tun, junger Herr?", fragte er daher, auf den obligatorischen Besen gestützt (falls, wie in diesem Fall, doch jemand vorbeikommen sollte).

    Es war ein kalter Morgen, Albins Knochen taten schon weh, als er frühmorgens noch vor Sonnenaufgang mit einer Öllampe bewaffnet die Treppe zum Wohnbereich der Familie hinaufgestiegen kam.
    Realistisch gesehen war es sogar relativ warm, aber irgendwie hatte der alte Mann doch das Gefühl, als würde ihm eine Kälte in den Knochen sitzen, die mit warmen Umschlägen nicht zu vertreiben war.


    Der erste Gang führte ihn wie jeden Morgen zum Zimmer von Dagny, und als er die Tür öffnete, ahnte er schon, warum dieser Morgen mit so einem schweren Gefühl beladen war. Die wenigen Schritte zur Bettstatt der jungen Frau hatte er im Nu hinter sich gebracht, und als er das schmale, durch die Krankheit stark eingefallene Gesicht der jungen Tochter Wolfriks musterte, ließ er sich kraftlos auf die Seite des Bettes sinken.
    Es dauerte einige Momente, bis er sich gefasst hatte, und dem leblosen Gesicht einige schweissesnasse Strähnen aus dem Gesicht gestrichen hatte, leise begann er ein kurzes Gebet zu murmeln.


    Schließlich raffte er sich auf, und verließ das Zimmer, um den anderen bescheid zu sagen. Die Männer waren bis auf Rodrik alle nicht da, aber die Frauen würden zu wissen was zu tun war. Eine Bestattung war vorzubereiten...



    Legende:
    fett: germanische Namen
    kursiv: römische Namen
    unterstrichen: wichtige Daten



    Zitat

    Kapitel I
    Die Anfänge
    Varusschlacht und Erlangung der Stammesführung


    Wolfrik, der Ahnherr aller Duccii, wird wenige Winter vor dem Aufstand der rechtsrheinischen Germanen gegen die römische Oberherrschaft als Sohn eines amsivarischen Bauern geboren. Nach der Varusschlacht kommt es zu Strafaktionen der siegreichen germanischen Stämme gegen die Amsivarier, die sich unter Boigar neutral verhalten hatten; während der Auseinandersetzungen fällt Wolfriks Vater.
    In den Kämpfen der Strafexpedition des Germanicus sterben die Brüder des Wolfrik, die als Auxiliare den römischen Truppen im Kampf gegen die Truppen des Arminius beistanden. In den darauffolgenden Jahren kommt es immer wieder zu Übergriffen der romfeindlichen Stämme auf die Amsivarier. Wolfrik heiratet in dieser Zeit Boigars Tochter Gelsa, und zeugt mit ihr seinen Erstgeborenen, Tjaard. Durch seinen Sohn legitimiert, versteht Wolfrik es sich gegen seine verbliebenen Widersacher durchzusetzen, mit Unterstützung der Goden wird er schließlich Grefon [Führer] des Stammes. Auch Wolfriks Sohn Audaod wird ebenso wie seine Tochter Runhild in diese Zeit geboren. Während der große Teil des Stammes sich mit Wolfriks Unterstützung im römischen Reich niederlassen will, verbleibt die Sippe Wolfriks im Kerngebiet des Stammes. Der Stamm wird jedoch von den Römern verraten, und wieder über den Fluss in ihre alten Stammesgebiete vertrieben, wo Wolfrik die Zustände zu konsolidieren versucht, jedoch an der unnachgiebigen Haltung der Nachbarstämme scheitert.
    Während Runhild sich sehr schnell dem Götterdienst verschreibt, ehelicht Tjaard eine Frau aus den zurückkehrenden Stammesteilen mit Namen Wiebke, Audaod wird mit Signe von den Batavern vermählt. Aus der Verbindung zwischen Tjaard und Wiebke werden Goswini, Landogar und Brandolf geboren. Signe gebiert ihrem Mann Audaod die Söhne Rodberaht, Yngve und die Töchter Ildrun und Ferun.





    Albin hatte recht lange gebraucht, um sich wieder zu fassen. Die Nachricht, dass Lando, nein, Loki heiraten würde, war ein Schock, der tief saß.
    Allerdings gewöhnte er sich so langsam an den Gedanken, und irgendwie war er bald sogar froh darum: es ging vorwärts. Die Familie hatte sich viel zu lange, schon über JAHRE hinweg vor allem dadurch ausgezeichnet, dass ständig neue Seelen aus Magna kamen, und von diesen nur die Hälfte die Kraft aufbrachte, sich dem Leben hier zu stellen, während die andere Hälfte in die unsichere, aber dafür bekannte Welt jenseits des Rhenus fand, oder einfach so schwach waren, dass die Nornen gleich ihren Lebensfaden durchtrennten.


    Die Gedenk- und Grabsteine draußen im Garten wachten über niemanden, der je mehr als dreissig Sommer gesehen hatte.


    Das sollte sich nun hoffentlich ändern. Auch wenn Dagmar mit ihrer Brut ihrem Mann nach Aegyptus gefolgt war, ein Land, das Albin immernoch für eine Erfindung hielt, taten sich hier wohl so langsam gesetzte Verhältnisse auf.
    Wenn Lando und die anderen lebend von der Seherin wieder zurückkehren sollten, hieß das.


    Eilas Rede überraschte ihn, war die junge Dame doch bisher eher durch serienmäßige Beweise der Verwandschaft zu Loki aufgefallen, doch dies, was sie jetzt von sich gab, ließ ihn aufhorchen. War das immernoch die gleiche Eila? Die Eila, die der Grund für die Anschaffung von Silko war? Nicht, um Eila vor der Welt zu beschützen, sondern um die Welt vor Eila zu beschützen?
    Albin war begeistert... hier tat sich was.

    Ahja, schön schön, das klang nach einem guten Plan. Wenigstens die Wichter blieben hier. Und das Silko ihm nicht zutraute, die Wichter verteidigen zu können, empfand Albin schon fast als empörend, immerhin hatte er früher unter Tjaard gedient, und mehr als nur einen Feind erschlagen. Allerdings wusste er nicht mehr, wie lange das jetzt letztendlich schon her war... gerade als er mitten in den Überlegungen war, wann denn das letzte Mal von seiner Hand Feindesblut vergossen worden war, ließ Lando die nächste Bombe platzen!


    Dieses Mal war es an Albin sich zu verschlucken, Milch lief aus seiner Nase, und es dauerte einige Momente, bis er sich, dank Margas Rückenklopfen, wieder gefasst hatte, nur um Lando danach fassungslos anzustarren... der Junge wollte heiraten?


    Das bedeutete, dass Lando sich auch vermehren würde. Vermehren! Albin wünschte sich augenblicklich in das Castellum, nackt, unbewaffnet und mit einem ROMANI EUNT DOMUS-Schild um den Hals. Vorher würde er noch die Bewohner der Casa erschlagen, damit diese das Drama nichtmehr miterleben mussten.


    Auf einmal wollte Albin nurnoch weinen... nein, wollte er natürlich nicht, er war ja ein Mann, und deshalb weinte irgendwo in einem Paralleluniversum eine alte Albina, während Albin Lando nurnoch weiter irre anglotzte...

    "Na großartig.", raunte Albin zu Marga, die geflissentlich den Mund hielt, man ihrem Blick aber entnehmen konnte, dass dies einer der Momente war, in der sie am liebsten die gesame Bagage über's Knie legen würde.


    "Die Seherin... nun. Die Seherin ist eine alte Frau, die in den Wäldern lebt, eine sehr alte Godin. Sie ist keinem Stamm zugehörig, und kümmert sich einen Dreck um die Belange der Stämme, so lange sie dem Willen der Götter entsprechen. Tun sie dies nicht, reicht manchmal ein einziges Wort, um für Ruhe zu sorgen... sie ist nicht unglaublich mächtig, aber man sagt, dass sie eine direkte Verbindung zu den Göttern hat. Also, keine Erscheinungen, Wetterzeichen oder sonstiges, sondern... direkt, so wie ich hier vor euch sitze. Es ist gefährlich, ihr zu widersprechen, eigentlich tut es niemand... ob ihr es tut, ist eure Entscheidung. Wenn sie euch etwas zu sagen hat, kann es nicht um Belanglosigkeiten gehen... "


    Sollten sie sich tatsächlich entschließen, die Aufforderung zu ignorieren, wollte Albin nicht in der Haut dieser Leute stecken... andererseits saß er mit im Boot. Und das ließ ihn schaudern... diese Menschen waren definitiv zu jung, um zu wissen, wie man führt.

    "Kindergarten...", murrte Albin, der seit der Sache mit dem Spitzel die schlechte Laune für sich neu definierte, und vom Jungvolk an diesem Morgen noch keinen Grund zur Heiterkeit serviert bekommen, und dieses Tohuwabohu war seiner Meinung nach wieder ein Beweis für die Verweichlichung der Familie in diesen Zeiten, früher wären sie in schlimmen Tagen mit der kompletten Sippe in den Krieg gezogen, die Frauen stellten immer die letzte Bastion, das, was es zu verteidigen galt... und genau deshalb enthielt er sich der Stimme, immerhin war die Casa die letzte Bastion, die es zu verteidigen galt.